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Nach der Wahl – Noch ein Text

Nach der Wahl – Noch ein Text published on 1 Kommentar zu Nach der Wahl – Noch ein Text

Johanna Ziemes

Vor wenigen Wochen wurde der Bundestag gewählt und eine Partei mit völkischen, rassistischen und auf Ungleichheit abzielenden Inhalten ist nun im Bundestag vertreten. Viele Menschen mit denen ich über die Bundestagswahl 2017 gesprochen habe, waren schockiert, traurig und ängstlich. Die Reaktionen dieser Menschen erwuchsen in den seltensten Fällen aus einem Unwissen gegenüber den Umfragewerten oder einem Glauben, dass Deutschland eigentlich schon „irgendwie in Ordnung“ wäre. Trotzdem war das Ergebnis der Wahl für viele ein Schlag in die Magengrube, die seit Jahren oder Jahrzehnten für eine feministischere Welt kämpfen. Mir hat es erneut vor Augen geführt, wie wichtig es für mich ist, mich weiterzubilden und meine Wege des Aktivismus zu finden. Zu meiner Verarbeitung gehört auch das Schreiben von Texten zur Sammlung meiner Gedanken. Ich möchte mit euch diese Gedanken und Strategien teilen, die ich gemeinsam mit klugen und lieben Menschen erarbeitet habe und die für mich nach diesem Wahlergebnis besonders wichtig sind.

1. Sichere Orte aufrechterhalten, finden und aufbauen.

In Ländern mit einer erstarkenden Rechten wird das Leben für Personen, die als abweichend von der Norm wahrgenommen werden immer unsicherer. Durch das Ergebnis dieser Wahlen erscheinen menschenfeindlichen Positionen immer mehr Leuten als gerechtfertigt. Hierdurch erhöht sich das Risiko, dass sich diskriminierendes Denken immer weiter im Sprechen und Handeln von Menschen um uns herum zeigt. Das bedeutet in der Praxis dass Menschen mit weniger Privilegien wahrscheinlich noch häufiger verbal und körperlich angegriffen und diskriminiert werden. Darum kann das finden und aufbauen von sicheren Orten ein wichtiger Schritt für alle sein, die diese Feindlichkeit betrifft. Ziel wäre hier, psychisch und körperlich sicher zu sein – zumindest für eine gewisse Zeit am Tag oder in der Woche.

2. Vernetzung

Wenn immer menschenfeindlichere Aussagen straßen- und salonfähiger werden, ist es wichtig Menschen zu haben, mit denen wir unsere Erfahrungen einordnen können, die uns unterstützen und die wir unterstützen können. Wenn wir uns gegenseitig aufbauen, haben wir eher die Kraft, die unsicherer werdenden Orte zurückzuerobern. Die Vereinzelung der Menschen ist ein Ziel totalitärer Ideologien. Solidarisches und intersektionelles Denken und Handeln hilft uns, Bündnisse und großartige Freundschaften zu knüpfen, die uns wachsen lassen.

3. Widersprechen

Egal ob auf einer Demo oder auf einem Familientreffen: Menschenfeindlichen Positionen muss widersprochen werden. Demonstrationen können uns ein Gefühl der Verbundenheit und Stärke geben, wo wir im Alltag oft alleine lauten Einzelpersonen oder Gruppen, teilweise auch aus unserem näheren Umfeld, entgegenstehen. Dies sind nicht zu unterschätzende Herausforderungen und manchmal birgt widersprechen auch Risiken. Auf Demonstrationen können verschiedene Umstände, darunter auch schlechte Polizeiarbeit, die Teilnahme unsicher machen. Risiken sollen nicht um jeden Preis vermieden, sondern wenn dann bewusst eingegangen werden. Manchmal schaffen wir es nicht immer sofort zu widersprechen und müssen erst noch Kraft oder Selbstsicherheit sammeln. Oder manchmal kann zu gefährlichen Situationen führen zu widersprechen. Menschenfeindlichkeit muss zwar widersprochen werden, aber Einzelpersonen können nicht die alleinige Verantwortung dafür tragen, immer und überall zu widersprechen. Gerade weil Risiken da sind, sind sichere Räume wichtig, in denen wir uns erholen und wachsen können. Gerade darum erscheinen mir Punkt 1 und 2 so wichtige Voraussetzungen.

4. Feministische und andere politische Ideen verständlich vermitteln

So spannend und wichtig eine tiefgehende Theoriearbeit sein kann, schließt sie doch sehr oft Menschen aus. Nicht alle haben die Zeit- oder Bildungsressourcen, um Judith Butler zu erarbeiten. Deshalb sollten wir uns Mühe geben, soweit möglich feministische Ideen und Perspektiven verständlich darzustellen und in Gesprächen die Menschen da abzuholen wo sie stehen. Die Idee ist also, den Menschen die Ideen des Feminismus, Stück für Stück näher zu bringen. Hierzu gehört zum Beispiel auch zu erläutern wo die jetzige Gesellschaft bestimmte Gruppen (wie Migrant*innen) verletzt und wo auch die angesprochene Person von einer feministischeren Gesellschaft profitieren würde. Feminismus zeigt sich auch im praktischen Miteinander.

5. Eigene Wege finden, aktivistisch zu sein

Finden wir Wege um uns auszudrücken, Solidarität zu zeigen und feministische Ideen in die Welt tragen, die uns guttun und Kraft spenden. Finden wir zusammen heraus, welche Aktionen es wert sind, umgesetzt zu werden, auch wenn sie uns müder und manchmal auch ängstlicher zurücklassen. Erkundet und nutzt eure Kreativität, damit ihr an der Arbeit der Veränderung der Welt wachsen könnt. Findet für euch heraus, was „wachsen“ bedeutet.

6. Solidarität aufbauen & Privilegien nutzen

Wir haben eigene persönliche Kämpfe, die uns direkt betreffen und für die wir weiter kämpfen wollen. Für viele Frauen ist dies zum Beispiel die Bekämpfung des Sexismus. Dabei dürfen wir nicht die Verbündeten vergessen, die auf anderen Wegen und aus anderen Gründen diskriminiert werden (auf anderen Diskriminierungsachsen betroffen sind) als wir. Deshalb sollten, wir wann immer möglich, unsere Privilegien einsetzen, um uns für die mit weniger oder anderen Privilegien einzusetzen. So sollten sich beispielsweise weiße Homosexuelle auch für Personen of Color einsetzen und deren Anliegen unterstützen. Auf keinen Fall dürfen wir zulassen, dass wir gegeneinander ausgespielt werden. Ein Beispiel für solche Versuche stellt die Reform des Sexualstrafrechts 2016 da, welche neben positiven Veränderungen gleichzeitig auch rassistische Überzeugungen widerspiegelt und verstärkt hat. Eine tolle Analyse hierzu findet sich beispielsweise hier. Das Ausspielen von unterschiedlich marginalisierten Gruppen muss analysiert, aufgedeckt und kritisiert werden.

7. Gemeinsame positive Ziele entwickeln

Um etwas zu verändern, ist es wichtig positive, konkrete Ziele zu entwickeln, auf die wir gemeinsam hinarbeiten wollen. Auch dies ist ein Schritt, der dafür sorgen soll, dass feministische und linke Kreise weniger auseinanderfallen, sondern stärker gemeinsam an Anliegen arbeiten können. Hier geht nicht nur um Fernziele, die ganze Gesellschafts- und Regierungssysteme umfassen, sondern auch um erste konkrete Schritte zu einer Gesellschaft, in der sich alle beteiligen können und in der alle ernstgenommen und für wertvoll erachtet werden.

Nehmt euch von den Ideen, was euch sinnvoll erscheint. Entwickelt sie weiter, macht sie zu euren. Hinterlasst gerne Kommentare!

 

Danke fürs Lesen!

Ein Kommentar

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