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„Unterstützung sollte in Inklusion übergehen“– Ein Interview mit Laura Gehlhaar

„Unterstützung sollte in Inklusion übergehen“– Ein Interview mit Laura Gehlhaar published on 5 Kommentare zu „Unterstützung sollte in Inklusion übergehen“– Ein Interview mit Laura Gehlhaar

von Heide

Die Veranstaltungsreihe „Sowohl als auch“ des Gleichstellungsbüros der TU Dortmund stellt regelmäßig Stimmen zu feministischen Diskursen aus Wissenschaft und Kultur vor. Wir hatten das Glück bei der letzten Veranstaltung dieser Reihe Stefanie Lohaus und Dr. Tobias Scholz für ein Interview gewinnen zu können. Das Interview könnt ihr auf unserem Blog lesen. Bei der dritten Veranstaltung am 21. November 2017 ging es um die besondere Situation von Menschen mit Behinderung. Unter dem Titel „‘So hübsch und dann im Rollstuhl…‘ Ein Austausch über Geschlecht, Behinderung und Inklusion“ haben Sabrina Schramme und Laura Gehlhaar aus einer wissenschaftlichen und einer betroffenen Perspektive gesprochen und gemeinsam diskutiert. Laura Gehlhaar hat Teile aus ihrem Buch „Kann man da noch was machen? Geschichten aus dem Alltag einer Rollstuhlfahrerin“ vorgelesen. Im Anschluss an die Veranstaltung traf ich sie zum Interview und wir sprachen darüber, wie für sie Frausein, Behinderung und Feminismus zusammengehören.

© Anna Spindelndreier

Ich wünsche mir einfach mehr Sensibilisierung.


Heide: Warum brauchst du als Frau im Rollstuhl Feminismus?

Laura: Ganz eindeutig, weil ich Frau bin. *lacht* Und genauso wie Frauen ohne Behinderung, Diskriminierung aufgrund meines Geschlechts erfahre. Das ist für mich eine eindeutige Sache, dass ich natürlich auch Feministin bin und für meine Rechte als Frau sowie für meine Rechte als Behinderte kämpfe.


Gibt es spezifische Sexismus-Erfahrungen, die du als Frau mit Behinderung machst, die Frauen ohne Behinderung nicht machen?

Ja, da gibt es einige. Zum einen ist es so, dass mir Sexualität komplett abgesprochen wird, weil ich eine Behinderung habe. Das ist für viele Leute einfach nicht vereinbar, dass ich meine Sexualität auslebe oder ausleben will. Und das andere ist genau das Gegenteil. Dass ich von Männern angesprochen wurde, ob ich nicht auf jeden Fall Sex haben wollen würde. Und ich gehe jetzt ein bisschen unter die Gürtellinie, weil ich zitiere: Dass sie mich so durchvögeln wollen, dass ich nachher wieder laufen könne. Das sind die beiden Extreme, die ich erlebe.

© Katharina Neumann

Du hast vorhin im Gespräch auch angesprochen, dass die Stimmen von Behinderten in vielen Bereichen zu wenig gehört werden. Was wünschst du dir von Feministinnen und Feministen? Wie können wir behinderte Menschen noch mehr unterstützen?

Ich glaube Unterstützung sollte hierbei in Inklusion übergehen, im Sinne von Mitmachen. Es gibt eben noch Frauen mit anderen Merkmalen, die sie zur Minderheit machen. Und diese Frauen erleben noch mal eine ganz andere Art von Diskriminierung. Ich würde mir dafür einfach mehr Sensibilisierung wünschen.

Und es ist ein Teufelskreis. Zum einen versuche ich den Menschen klar zu machen, dass wir von Gesetzen und der Umwelt behindert werden. Andererseits rede ich aber auch darüber, dass ich eben nicht diesen Sonderstatus haben möchte.


Im Gespräch vorhin hast du auch gesagt, dass es so eine Erwartungshaltung gibt, dass behinderte Menschen politisch aktiv sind. Übt das manchmal auch Druck auf dich aus?

Ich befinde mich da selbst noch in einem Prozess. Ich stehe mit meiner Behinderung viel in der Öffentlichkeit und werde in Fernsehsendungen oder Talkshows eingeladen, eben weil ich behindert bin und dann darüber erzählen soll. Wie ist das Leben eigentlich so als Frau im Rollstuhl? Und dort begegnen mir dann natürlich auch Vorurteile live im Fernsehen. Und ich frage mich sehr oft, wie ich damit umgehen soll. Denn ich bin zum Beispiel keine berühmte Starköchin, die zufällig auch eine Behinderung hat und dann in Talkshows eingeladen wird, um über ihre tollen Rezepte zu sprechen. Sondern ich bin Autorin, blogge und bin durch meinen Blog auch bekannt geworden und deshalb werde ich eingeladen, um über meine Behinderung zu sprechen. Und es ist ein Teufelskreis. Zum einen versuche ich den Menschen klar zu machen, dass wir von Gesetzen und der Umwelt behindert werden. Andererseits rede ich aber auch darüber, dass ich eben nicht diesen Sonderstatus haben möchte. Ich bin gerade dabei für mich rauszufinden: Wie definiere ich mich, als Frau, die öffentlich im Rollstuhl auftritt? Oder wie kann ich mich sogar anders definieren, dass Inklusion in einem anderen Rahmen stattfindet? Sollte ich vielleicht ein tolles Buch schreiben, was nichts mit Behinderung zu tun hat, für das ich dann vielleicht sogar gelobt werde und dann auch eingeladen werde? Ist es der richtige Weg? Das finde ich wahnsinnig schwierig.

Kann ich verstehen. Wie wichtig ist Repräsentation für dich? Damit Menschen mit Behinderung auch Vorbilder in den Medien haben können, die nicht nur berühmt sind, weil sie eine Behinderung haben?

Mega wichtig. Hätte ich als Kind oder als Jugendliche gesehen, dass es selbstverständlich wäre, dass zum Beispiel eine Tagesschausprecherin eine Behinderung gehabt hätte, dann wäre diese Frau für mich auch ein Vorbild gewesen. Ich hätte mir vielleicht auch ganz subtil und unaufgeregt gedacht: Ja, das könnte ich auch machen. Das hätte mir wahnsinnig viel gegeben. Und es hätte mir auch gezeigt, dass dieser Sonderstatus ‚Behinderung‘, den mir die Gesellschaft zuschreibt, gar nicht entscheidend ist. Ich fände es total toll, wenn es heute Menschen im Fernsehen geben würde, die irgendeine Behinderung hätten, aber nicht wegen ihrer Behinderung bekannt sind, sondern wegen einer Sache, die sie gelernt haben und gut können.

© Anna Spindelndreier

Hat sich da schon etwas getan in den letzten Jahren oder ist immer noch viel zu tun? Wie würdest du das einschätzen?

Es gibt noch sehr viel zu tun. Wenn ich mir unsere mediale Elite angucke, könnte ich kot-zen.*lacht* Ich habe mir vor ein paar Tagen die Bambi-Verleihung angeschaut und saß da und hab nur den Kopf geschüttelt. Ich glaube oder befürchte, dass Leute wie ich gar nicht in dieser elitären medialen Welt gesehen werden wollen. Ich glaube, dass in dieser medialen Elite nur bestimmte Menschen existieren können: weiß, gesund, jung etc. Und vielleicht sogar ganz bewusst Anderssein ausgegrenzt wird. Oft, wenn ich mich in diesen Kreisen bewege, fühle ich mich immer wie diese Fühl-Dich-Gut-Tropfen. Es tut halt gut eine Behinder-te anzuschauen, wenn man gleichzeitig denkt: „Ah, geht’s mir gut.“. Also ich fühle mich oft benutzt. Und es tut sehr weh nicht gehört und auch nicht gesehen werden zu wollen.

Wenn Menschen schon von Baby- oder Kindergartenalter an mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen und selbstverständlich mit ihnen aufwachsen, dann wird es immer diesen Grad der Selbstverständlichkeit behalten.

Du hast letztens was Schönes getweetet, was für mich ein neuer Gedanke war. Wenn jemand eine schwere Krankheit oder Behinderung hat, heißt es immer, man muss stärker als seine Krankheit sein oder seine Krankheit besiegen. Worauf du geantwortet hast: „Ich lebe mit meiner Krankheit und sie ist ein Teil von mir.“ Kannst du das noch mal genauer ausführen, was dich an diesen Motivationssätzen stört?

Ich hatte zuvor einen Artikel über Krebs gelesen. Also eine Frau hat diese Sprüche kritisch hinterfragt, die sie als Krebskranke bekommt. Zu den ersten Reaktionen gehört immer: „Kämpfe gegen den Krebs. Sag ihm den Kampf an.“ Oder wenn jemand an Krebs gestor-ben ist, heißt es immer: „Er konnte den Krebs nicht besiegen.“ Oder: „Sie hat den Kampf gegen den Krebs verloren.“ Und was ich denke, ist: „Warum sollte ich gegen etwas Krieg führen, das zu mir gehört, mich ausmacht und meine Persönlichkeit geprägt hat?“ Natürlich weiß ich, dass eine Diagnose wie Krebs nochmal ganz andere Herausforderungen mit sich bringt als eine angeborene Behinderung.

Und solche Sprüche oder „Kampfansagen“ werden von vielen auch als motivierend aufgenommen. Aber ich glaube, dass diesen Leuten dadurch eine schwere Last auferlegt wird. Sie bekommen dann das Gefühl: „Wenn ich das nicht schaffe. Wenn ich nicht schaffe, dass es mir besser geht, habe ich verloren.“ Also mich würde das sehr unter Druck setzen. Ich möchte nicht das Gefühl haben müssen, dass ich Krieg gegen etwas führe, das in mir ist und meine Gesundheit vielleicht einschränkt. Also ich glaube da gibt es andere Wege damit umzugehen.

Ja, ein schöner Gedanke. Ich habe dich immer als sehr schlagfertig und sehr direkt erlebt. In einem Artikel der ZEIT wurden einige deiner Kontersprüche zu sexistischen Kommentaren mit aufgenommen. Was bedeutet es für dich in so einem Moment schlagfertig sein zu können? Ist das für dich in dem Moment eine Ermächtigung?

Ja, Ermächtigung in dem Sinne, dass ich gerade geschlagen wurde und dann einfach zu-rück schlage. Aber auch ich bin manchmal sprachlos. Also ich bin jetzt nicht die schlagfertigste Frau der Welt. Aber mir tut es manchmal einfach gut zurückzuschlagen. Gleichzeitig denke ich aber auch, es ist nicht meine Aufgabe, Menschen aufzuklären.

Sabrina Schramme hat in ihrem Vortrag darüber geredet, dass die Förderschulen eigentlich etwas Absurdes sind und dass das Zusammenleben zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten eigentlich viel normaler sein sollte. Siehst du das auch so?

Ja, unbedingt. Wenn Menschen schon von Baby- oder Kindergartenalter an mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen und selbstverständlich mit ihnen aufwachsen, dann wird es immer diesen Grad der Selbstverständlichkeit behalten. Zum Beispiel hinterfrage ich auch überhaupt nicht, dass ich mit Jungen zur Schule gegangen bin. Früher wäre ich auf einen Mädchenschule geschickt worden. Das hinterfragt heute auch niemand mehr. Und genauso würde ich mir das einfach mit behinderten Kindern wünschen.

Da habe ich noch nicht so drüber nachgedacht. Ein interessanter Vergleich

Darf ich auch mal schwach sein?

Wann fühlst du dich besonders als Frau?

Also ich fühle mich die meiste Zeit wohl in meinem Körper. Als Frau fühle ich mich noch wohler, wenn ich mit meinem Freund zusammen bin. Es ist nicht so, dass ich einen Mann dafür brauche, um mich schön zu fühlen. Aber ich glaube einfach, dass ich so viel Liebe er-fahre und dadurch diese Sicherheit habe: „Du kannst einfach genauso sein wie du bist und wirst trotzdem geliebt. Ist das nicht toll?“ Und dieses Gefühl gibt mir eben besonders mein Freund.

© Anna Spindelndreier

Wie gehst du als Frau im Rollstuhl damit um, nach außen hin immer stark sein zu müssen?

Ich werde schon als starke Frau glorifiziert, wenn ich nur aus meiner Haustür trete. *lacht* Also eigentlich habe ich es sehr leicht von anderen Menschen als stark wahrgenommen zu werden. Es setzt mich aber zugleich auch unter Druck. Darf ich auch mal schwach sein? Darf ich auch mal weinen und traurig sein darüber, dass ich eine Behinderung habe? Darf ich meinen Körper auch mal scheiße finden und mich ärgern, dass nicht alles so klappt, wie ich das will? Ich darf das. Das weiß ich. Aber dann habe ich auch gleichzeitig solche Gedanken wie: „Bin ich jetzt schwach? Darf ich so schwach sein? Und darf ich genau diese Schwäche auch nach außen hin tragen?“ Ich bin der Überzeugung, dass die Gesellschaft mir das Merkmal Behinderung zugeschrieben hat und dass ich von der Gesellschaft behindert werde. Das ist meine Grundeinstellung. Und die tut mir unglaublich gut, weil meine Behinderung dadurch kein individuelles Problem mehr ist, sondern ein gesellschaftliches. Und das finde ich toll, weil man dann daran auch arbeiten kann. Aber das ist so ein Balanceakt generell.

Wenn Eltern ein behindertes Kind bekommen, haben sie sofort einen Stempel für den Rest ihres Lebens. Der Weg für das Kind ist schon vorgezeichnet, weil er gesellschaftlich und gesetzlich genauso vorgegeben ist.

Ich habe noch zwei Fragen zu Elternschaft. Was wünschst du dir für Eltern, die behinderte Kinder haben? Oder was hättest du dir von deinen Eltern gewünscht?

Wenn Eltern ein behindertes Kind bekommen, haben sie sofort einen Stempel für den Rest ihres Lebens. Der Weg für das Kind ist schon vorgezeichnet, weil er gesellschaftlich und gesetzlich genauso vorgegeben ist. Was anderes geht dann nicht mehr. Du gehst auf die Sonderschule. Du gehst danach in die Behindertenwerkstatt. Und dann bist du den Rest deines Lebens in einer Behindertenwerkstatt. Und ich würde mir wünschen, dass Eltern sich davon nicht so beirren lassen. Dass sie das Potenzial ihres Kindes schon früh entdecken. Vielleicht müssen sie es noch viel früher entdecken als bei nicht-behinderten Kindern, weil sie dann ganz besonders gefragt sind ihr Kind zu fördern. Es ist ein krasser Kampf. Ich weiß das. Und ich weiß auch, dass viele Eltern das nicht können und auch nicht wollen. Aber um nicht in diese Sackgasse zu geraten, müssen Eltern früh die Möglichkeiten ihres Kindes erkennen und sich für sie einsetzen.

Was wünschst du dir für behinderte Eltern oder behinderte Menschen mit Kinderwunsch?

Mehr Unterstützung. Weniger Rechtfertigung.

Bei der nächsten Veranstaltung (11.06., 12-14 Uhr) wird es um Hate Speech im Netz gehen. Zu Gast sind Tarik Tesfu​ und Dr. Jennifer Eickelmann.

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