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Liebe Ronja von Rönne…

Liebe Ronja von Rönne… published on Keine Kommentare zu Liebe Ronja von Rönne…

von Fließbandbaby

vor ein paar Tagen bin ich durch deinen Text zum Feminismus auf dich aufmerksam geworden. Ich habe mich gefragt: Warum schreibt ein offensichtlich weder dummer noch ungebildeter Mensch derart unreflektiert über ein Thema, das er nicht verstanden zu haben scheint?

Da ich mich bemühe, nicht vorschnell zu urteilen, habe ich mehr Texte von dir gelesen, um einen umfassenderen Eindruck von dem Bild zu bekommen, das du selbst von dir im Internet zeichnest. Dabei habe ich einen Text gefunden, den ich noch viel schrecklicher fand: Der, indem du mir erklärst, warum ich psychisch krank bin. Ich möchte ihn nicht mehr im Einzelnen auseinandernehmen, das hat Tobi Katze schon auf wunderbare Weise getan, aber ich kann und will ihn auch nicht unkommentiert lassen.

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Bild: pinterest.com

Zuerst noch ein kleiner Hinweis: Bitte fasse es nicht als distanzlos auf, dass ich dich duze – ich habe es mit siezen versucht, aber es las sich fürchterlich schräg (vor allem gemessen am persönlichen Tonfall deiner Texte), und auch ich als Feministin stelle gewisse sprachästhetische Ansprüche. Falls es dich stört, bin ich gern gewillt, meinen Text zu überarbeiten. Nun aber zur Sache.

Neidisch, schreibst du, seist du auf die psychische Kranke, die du besuchst:

„Die Krankheit befreit meine Freundin aus dem Rennen, in dem sich der Rest von uns befindet. Ich kann mich kaum auf unser Gespräch konzentrieren, denke an Abgabefristen, Facebook-Likes, die Planung der nächsten Monate. […]  Cara darf entspannt zwanzig Minuten über Kaffee mit oder ohne Milch nachdenken und keiner verübelt es ihr.“

Guess what: Du darfst das auch. Du machst es vielleicht nur nicht. Warum verspürst du Druck, dein „Studium zu beenden, einen Job zu finden, generell glücklich zu sein“? Warum nimmst du so eine, sit venia verbo, Scheiße wie Facebook-Likes wichtig? Warum machst du bei dem Rennen mit?

Da du offen sagst, selbst mal in Therapie gewesen zu sein, wirst du wissen, dass psychisch Kranke nicht freiwillig aussteigen und sich dann ins Fäustchen lachen, weil sie die Gesellschaft ausgetrickst haben – und dass der zweifellos vorhandene gesellschaftliche Druck mit einer Diagnose nicht einfach wegfällt. Deine Freundin scheint Glück im Unglück zu haben, aber es gibt genug Leute, die trotz psychischer Krankheit ständig Druck ausgesetzt sind, weil sie sich z.B. nicht trauen oder zu sehr schämen, ihre Krankheit öffentlich zu machen. Dazu kommt der innere Druck, den psychische Krankheiten hervorrufen können und nicht selten auch krankheitsbedingte materielle Not. Diesen Zustand bezeichnest du als „Befreiung“ und selbst gesuchte „Comfort Zone“. Mir fehlen ganz einfach Worte für diese Ignoranz – gerade von jemandem, der selbst betroffen ist. „Heute werden psychische Krankheiten nicht mehr stigmatisiert.“, schreibst du weiter. Der Flugzeugabsturz in den Alpen einen Tag später war eine sinnlose Tragödie, die durch nichts beschönigt, gerechtfertigt oder verständlich gemacht werden kann, soll, darf. Ich will das Unglück nicht ausschlachten, denke aber, dass wir nach der Berichterstattung nicht mehr darüber diskutieren müssen, dass sehr wohl noch jede Menge Vorurteile prävalent sind.

Übrigens: Den Emma-Text mit Forderung nach Frauenquote im Cockpit fand auch ich als Feministin äußerst pauschal, ziemlich pietätlos und unzureichend recherchiert. Vielleicht ist es dir neu, aber wir denken nicht alle dasselbe. Wer aus der Reihe tanzt, fliegt nicht aus dem Club, sondern stößt im Idealfall einen Diskurs an. Es gibt nämlich Menschen, die sich durch Kontakt mit anders Denkenden bereichert fühlen und nicht „angeekelt“. Vielleicht bin ich naiv, weil ich versuche, von Mitmenschen und ihren Äußerungen zu lernen, statt sie in kapitalistisch-egoistischer Manier aus dem Weg zu batteln. Aber bei deinem Text über psychisch Kranke war mir das leider unmöglich.

Vielleicht ist es schon aufgefallen: Ich stehe über diesen Themen nicht drüber – und ich bin dankbar dafür. Denn das, worüber du so lockerflockig mit flapsigen und (recht bemüht) provokanten Sprüchen à la „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ weder tiefgründig noch fundiert schreibst, betrifft die Würde vieler Menschen. Klar „wirst du das noch sagen dürfen“. Ich darf es aber auch bemitleidenswert gefangen im eigenen, offenbar höchst privilegierten, Erleben finden. Die Keule von den benachteiligten Frauen in nicht mal so fernen Ländern will ich gar nicht schwingen, da dein Erfahrungshorizont sich ja auf das „Land, in dem der mächtigste Mensch eine Vagina hat“ zu beschränken scheint.

Aber konfrontiere doch mal eine Frau, die du so herablassend als „unterprivilegiert“ bezeichnest, mit deinen Erfahrungen und Thesen. Irgendwas sagt mir, dass sie dich nicht voller Dankbarkeit in ihre Arme schließen wird, weil du ihr endlich die Augen geöffnet hast. Denn so gerecht, dass niemand Frausein, Mannsein, Transsein, Intersein – kurz: sein Geschlecht und/oder Gender als Nachteil erlebt, ist unsere Welt leider noch nicht. Feminismus bedeutet nicht, dass ich Frauen pauschal bevorzuge, sondern gleiche Chancen für Menschen aller Geschlechter will. Das würden andere Feminist*innen sicher anders sagen, und das ist auch okay so. (Entschuldige bitte den Astericus. Ich hoffe, du als sensibel und reflektiert mit Sprache umgehender Mensch leidest nicht zu sehr daran. Mir ist Gleichberechtigung halt leider wichtiger als Ästhetik.)

 

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Bild: the-glitter-clit.tumblr.com

 

Als Feministin finde ich es gut, dass du als Frau Texte veröffentlichen kannst – auch, wenn sie meiner persönlichen Meinung widersprechen. Deshalb will ich die seitenweise inhaltliche Kritik an deinen Texten, die mir auf der Zunge liegt, auch zurückstellen, denn die inhaltlichen Differenzen sind ja nicht mein Hauptproblem.

Mein Hauptproblem ist, dass deine Texte sich – so mein persönlicher Eindruck – äußerst berechnend lesen. Á la junge, photogene Dame probiert sich aus und darf sich genau deshalb jede sachliche Inkorrektheit, Unmöglichkeit und Geschmacklosigkeit leisten. Ich denke, deine persönlichen Erfahrungen werden mit vollem Bewusstsein als allgemeingültige gesellschaftliche Zustände hingestellt – denn wenn alle den Eindruck haben, so privilegiert wie du zu leben, können sie sich ihrem Egoismus widmen, anstatt bessere Zustände für Andere zu fordern. Dieser Stil wird nicht nur an dir, sondern auch an deinen Vorgesetzten bei der Welt liegen. Du bist aber kein Kind mehr und dein „Ausprobieren“ praktizierst du in der Öffentlichkeit. Also, aufrichtige Bitte: Nimm ernst, was du schreibst. Denn vielleicht tun Andere das auch.

Denn mit der Freiheit, sich öffentlich zu äußern, geht immer auch Verantwortung einher. Es gibt z.B. Menschen, die einen Text wie den deinen über psychisch Kranke lesen, ihn mangels besseren Wissens für psychologisch valide halten und ihren kranken Angehörigen bei der nächsten Gelegenheit vor den Latz knallen: „Hör auf, so affektiert in die Luft zu gucken! Das hast du dir doch nur von anderen abgeschaut! Reiß dich zusammen!“ Auch hier vermute ich, dass die Angehörigen nicht sagen werden: „Hast Recht! Moment, ich schalte die Depression ab – danke für die Hilfe, Darling!“

Ein paar Gedanken daran, was eigene Texte bei Lesenden in Gang setzen können, schaden niemandem, der die Arbeit mit Texten ernsthaft betreiben will. Dass eine bekennende Egoistin damit wenig anfangen kann, wundert mich nicht. Aber es ekelt mich durchaus an.

Um dir aber abschließend auch etwas Positives zu schreiben: Deine Blogbeschreibung „Ronja schreibt über allerlei Unnützes, nicht gut, aber dafür selten“ finde ich super. Tatsächlich habe ich selten eine so zutreffende gelesen. Ich würde mich total freuen, wenn du auch über andere Themen so viel reflektieren würdest wie über dich selbst. Letztes Google-Ergebnis, versprochen: Ich habe gelesen, dass du nicht mehr modelst, weil du „zu viel Inneres“ hast. Zeig uns doch was davon! Ich bin die erste, die sich im Namen der Vielfalt junger Frauen*stimmen in den Medien und im Namen der Menschlichkeit darüber freuen würde.

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