Die letzten Monate haben es mir erlaubt, mich mit vielen Menschen zu vernetzen, deren Perspektiven – wie auch eventuelle Debatten zwischen uns – einen enormen Zugewinn für meine aktivistische Tätigkeit dargestellt haben.
Wer bist du und wofür engagierst du dich?
Ich bin Timur und ich leide an einer Angststörung und damit einhergehender depressiver Symptomatik. Ganz ursprünglich war es eben Mentale Erkrankung/Gesundheit, die den Fokus meiner aktivistischen Arbeit ausgemacht hat. Im Laufe der Zeit wurde aber immer klarer, dass das so einseitig nicht funktioniert. Mittlerweile befasse ich mich hauptsächlich mit den Themen Mental Health, Queerness und neuerdings auch Dick_Fett-Feindlichkeit. Hierbei ist es wichtig, dass ganz grundlegende gesellschaftliche Konzepte, die auf Sexismus, Rassismus und Klassismus aufbauen, immer mit einbedacht werden. Daher versuche ich, einen feministischen, anti-rassistischen wie auch anti–klassistischen und besonders anti-kapitalistischen Blick zu behalten.
Inwiefern hatte Corona Einfluss auf deine aktivistische Tätigkeit?
Nichts liegt mir ferner, als zu sagen, dass Corona für irgendetwas gut oder sogar ein Geschenk gewesen ist. Was meine Arbeit angeht, gab es aber mehr positive als negative Effekte. Als psychisch erkrankte Person habe ich große Schwierigkeiten, auf Demonstrationen oder Kundgebungen zu gehen. Die pandemiebedingten Maßnahmen haben hier in meinen Augen auch dafür gesorgt, dass viele Debatten in Ausführlichkeit in den sozialen Medien behandelt wurden. Das hatte und hat einen unglaublich inklusiven Outcome – es gibt eine Unzahl an Menschen, die aktiv werden wollen, es aber einfach aufgrund der Rahmenbedingungen bislang nicht konnten. Der digitaler-werdende Aktivismus war da schon ein kleiner Zugewinn.
Die letzten Monate haben es mir erlaubt, mich mit vielen Menschen zu vernetzen, deren Perspektiven – wie auch eventuelle Debatten zwischen uns – einen enormen Zugewinn für meine aktivistische Tätigkeit dargestellt haben.
Was können wir als Aktivist:innen machen, damit die Bewegung nicht stillsteht? Was brauchen wir als aktivistische Community, um handlungsfähig zu bleiben?
So simpel es vielleicht klingt, haben mir die letzten Wochen gezeigt, was gerade wirklich wichtig ist, um nicht stehen zu bleiben: Bereitschaft.
Die Bereitschaft, sich zu entwickeln, zu lernen und besonders: kritisiert zu werden. Niemand von uns ist mit dem ultimativen Wissen geboren, auch wenn wir das gerne hätten. Es ist richtig und auch wichtig(!) besonders von Opfergruppen, die man vielleicht gerade nicht mitdenkt, zurechtgewiesen zu werden. Und da ist es dann an uns, diese Kritik anzunehmen und unsere Arbeit upzugraden, statt dicht zu machen. Auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass das vielen Menschen (aus psychisch-gesundheitlichen Gründen) nicht so leicht fällt.
Viele linke/feministische Leute bemängeln die eigene Szene gerade enormst dafür, dass alles ein „Wettstreit“ sei, wer am lautesten ist, wer am meisten weiß, wen man aus den eigenen Reihen als nächstes „zerfleischen“ oder „canceln“ kann. Und das ist schade, weil es einfach falsch ist. Das, was gerne „Canceln“ genannt wird, ist oftmals einfach nur ein Kritisieren – und ja, das muss nicht immer super nett und sensibel formuliert sein, wenn es von Opfergruppen kommt. Und dieses „Kritisiertwerden“ ist für uns alle Aktivist:innen ein essentieller Bestandteil unserer Arbeit, ob wir wollen oder nicht.
Welche message möchtest du den Menschen noch mitgeben?
Omg ich hab sogar zwei:
1. Aktivismus kann NIEMALS nur einen einzigen Bereich umfassen.
Wer über mental health redet, muss irgendwann auch über die Probleme queerer und da besonders trans* Menschen sprechen. Wer über Queerness spricht, muss über Schwarze Menschen (Stichwort: Stonewall) sprechen. Wer über Schwarze Menschen spricht, muss auch über ihre wichtige Arbeit für die Fat Liberation sprechen. Wer über Fat Liberation und Fatphobia spricht, muss über Kapitalismus sprechen. Wer über Kapitalismus spricht, muss über Klassismus und Ableismus sprechen. Und so geht es ewig weiter und läuft in jede Richtung. Es ist alles ein Netz, von dem manche Gebiete sicherlich den Löwenteil und das Fundament für vieles ausmachen. Aber sie hängen alle zusammen und müssen für einen funktionierenden Aktivismus so gut es geht immer mit einbezogen werden.
2. (und das ist vielleicht noch wichtiger) Ich – so wie all meine fellow feministischen, white cis boys – habe viel Raum in dieser Gesellschaft. Es ist so unglaublich dringend an der Zeit, dass wir die ganzen Räume, die wir bereits haben, feministisch gestalten, unsere misogyne Sozialisation reflektieren und eigenes patriarchales Weltverständnis in Frage stellen, bevor wir irgendwelche Plätze an feministischen Tischen claimen wollen.