von Frau Fuchs
Leise bricht der Abend herein und birgt einen Reigen an Kurzfilmen junger Künstler*innen zum diesjährigen Themenschwerpunkt KOMFORT. Aufregung herrscht, trubelig flattern die Eintrittskarten an der Kasse, alle sind gespannt auf den „Höhepunkt des Festivals“, wie ich einen Tag zuvor in einem Gespräch zwischen zwei Besucherinnen aufschnappte. Es sei eigentlich jedes Jahr das Schönste, so die eine zu der anderen. Die Halle im domicil jedenfalls ist gefüllt mit einem intergenerativen Publikum. Es dauert eine Weile bis alle auf ihren Plätzen sitzen und das reichhaltige Programm kredenzt werden kann. Diese Unterschiedlichkeit, diese Vielfältigkeit der Geschmacksrichtungen jedes der 13 einzelnen filmischen Kunstwerke beschwingt, ohne dabei dröge zu schmecken, so handelt es sich vielmehr um eine kurzweilig genießbare Komposition, die einige Absurditäten bereithält.
Wie umgehen mit dem Überangebot an Produkten des täglichen Konsums? Ein chinesisches Mädchen hinterfragt ihr eigenes Verhalten und tut sich schwer mit der Unterscheidbarkeit von selbstbestimmter und fremdbestimmter Entscheidungsfindung in einem neokapitalistischen System. Der Film „A Choice Maybe Not*“ (2013) von Jenny Wu, die selber ein feministisches Filmfestival im Untergrund Chinas mitinitiiert, belegt, dass Konsumkritik trotz politischer Repressionen auch im fernen Asien betrieben wird. Die Menschen suchen sich ihr Medium für ihre Stimme.
Debra Solomon veranschaulicht die alltägliche Problematik des Auf-die-Pelle-Rückens an öffentlichen Orten. Sie visualisiert mit comicartigem Zeichentrick in „My Kingdom“ (2014) auf unterhaltsame Weise die imaginäre körperliche Grenzziehungspraxis, die von Mensch zu Mensch sowie Kultur zu Kultur verschieden ist.
Endlich wird uns in „Life is beautiful“ von Sasha Pirker (2008) offenbart, was es mit der Vorspannszene, die vor allen Filmen des IFFF 2015 auf der Leinwand erscheint, auf sich hat. Dokumentarisches Bildmaterial, das Assoziationen mit der eigenen Kindheit wachruft und den aktuellen Retro und lo-fi-Trend bedient. Eine dickköpfige Dreijährige knatscht, als sie sich von dem elektrisch betriebenen Münzschaukelpferd trennen muss. Untermalt von tapsiger American Beauty-anmutender Melodie vermittelt die Szene den Eindruck Zeuge/Zeugin* eines ganz persönlichen Kindheitsmomentes zu werden.
Ruhe findet man beim Anblick der Stoffbahnen in „Catalogue“ der Filmemacherin Dana Berman Duff (2014), die ein interessantes Experiment wagt: Die Vermischung dreier Realitätsebenen. Ausstellungsfotografien aus einem Katalog illustrieren wundervoll ästhetisch drapierte Stoffbahnen, reinste Baumwollbettwäsche, die beim Anblick nach Frische zu duften vermag, kristallen leuchtende Weinpokale und weitere Szenerien ansprechenden Interieurs. Leichte Knicke im Papier der abgefilmten Katalogseiten entlarven die Mimesis dieser Eindrücke. Der Blick der Betrachter wird über zwei Wahrnehmungsebenen gefiltert. Die Künstlerin vergegenwärtigt einmal mehr die Einkapselung der Realität durch die Wege medialer Projektion insbesondere in der Werbung. Ein luxuskritischer Fingerzeig?
Denk‘ mal’n bisschen nach darüber, was du da so tust.
Wir sehen in „Mitläufer“ von Vlada Majic (1970) idyllische Szenen von durch Schnee stapfendem Nutzvieh, die uns aus heutiger Sicht in unserem horrenden gesellschaftlichen Fleischhunger und in den Konsequenzen unserer Eingriffe in die Natur mahnen. Doch das Programmkonzept hat es nicht nur auf unser gestörtes Ernährungsverhalten abgesehen, sondern auch auf die Doppelbödigkeit unserer pornofizierten Alltagsgestaltung. So fordert Vika Kirchenbauer in „Please Relax Now“ (2014) zwölf Minuten dazu auf, sich selber sexuell zu befriedigen und treibt es auf die Spitze. Gefühle der Beklemmung, Irritation und Belästigung machen sich in Form von schamhaftem Gekicher oder auch verschüchtertem Schweigen im Saal bemerkbar. Ein Spiel mit den Grenzen des Sozialen durch Provokation, das sind Vika Kirchenbauers Hintergründe. Das kurze Interview nach dem Film lindert die Ungemütlichkeit der Wirkung dieses Kurzfilms. Wir erfahren uns als berechenbare soziale Wesen.
Musik ist die Lösung aller Probleme
Nach einer kurzen Pause werden wir berieselt von zauberhaften, musikalisch unterschiedlichen Klängen. Die Sängerin von „Julie Ruin“ gibt sich zum Rock’n Roll-Beat von „Just my kind“ den tosenden Wellen des Sommermeeres hin, die Goldenen Zitronen füllen in „Scheinwerfer und Lautsprecher“ eine Messehalle mit wütend sozialkritischer Dauerschleifenankündigung, während die Urlaubstöne von „I think I was an alien“ der französischen Sängerin SOKO mit Aufnahmen im Handykamerastil untermalt werden. Auch der Clip zu EMAs Song „Take one two“ behält den Handkamerablick bei und spielt mit der Echtheit privater Impressionen von Dragging-Aktivitäten im Jugendzimmer. Das Muvi-Programm gibt uns mit zehn Filmclips zu Songs von verschiedenen Interpret*innen frei in die bevorstehende Partynacht. Wir fühlen uns rein und beseelt wie nach einer Dusche. Musik kann so viel. Wir sollten viel mehr Musik hören…