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Lange Filmnacht des IFFF 2015 – Wir irritieren euch in eurem Spießerdasein

Lange Filmnacht des IFFF 2015 – Wir irritieren euch in eurem Spießerdasein published on Keine Kommentare zu Lange Filmnacht des IFFF 2015 – Wir irritieren euch in eurem Spießerdasein

von Frau Fuchs

Leise bricht der Abend herein und birgt einen Reigen an Kurzfilmen junger Künstler*innen zum diesjährigen Themenschwerpunkt KOMFORT. Aufregung herrscht, trubelig flattern die Eintrittskarten an der Kasse, alle sind gespannt auf den „Höhepunkt des Festivals“, wie ich einen Tag zuvor in einem Gespräch zwischen zwei Besucherinnen aufschnappte. Es sei eigentlich jedes Jahr das Schönste, so die eine zu der anderen. Die Halle im domicil jedenfalls ist gefüllt mit einem intergenerativen Publikum. Es dauert eine Weile bis alle auf ihren Plätzen sitzen und das reichhaltige Programm kredenzt werden kann. Diese Unterschiedlichkeit, diese Vielfältigkeit der Geschmacksrichtungen jedes der 13 einzelnen filmischen Kunstwerke beschwingt, ohne dabei dröge zu schmecken, so handelt es sich vielmehr um eine kurzweilig genießbare Komposition, die einige Absurditäten bereithält.

lange filmnacht frau fuchs kritikfoto
Konsum als KOMFORT

Wie umgehen mit dem Überangebot an Produkten des täglichen Konsums? Ein chinesisches Mädchen hinterfragt ihr eigenes Verhalten und tut sich schwer mit der Unterscheidbarkeit von selbstbestimmter und fremdbestimmter Entscheidungsfindung in einem neokapitalistischen System. Der Film „A Choice Maybe Not*“ (2013) von Jenny Wu, die selber ein feministisches Filmfestival im Untergrund Chinas mitinitiiert, belegt, dass Konsumkritik trotz politischer Repressionen auch im fernen Asien betrieben wird. Die Menschen suchen sich ihr Medium für ihre Stimme.
Debra Solomon veranschaulicht die alltägliche Problematik des Auf-die-Pelle-Rückens an öffentlichen Orten. Sie visualisiert mit comicartigem Zeichentrick in „My Kingdom“ (2014) auf unterhaltsame Weise die imaginäre körperliche Grenzziehungspraxis, die von Mensch zu Mensch sowie Kultur zu Kultur verschieden ist.

Endlich wird uns in „Life is beautiful“ von Sasha Pirker (2008) offenbart, was es mit der Vorspannszene, die vor allen Filmen des IFFF 2015 auf der Leinwand erscheint, auf sich hat. Dokumentarisches Bildmaterial, das Assoziationen mit der eigenen Kindheit wachruft und den aktuellen Retro und lo-fi-Trend bedient. Eine dickköpfige Dreijährige knatscht, als sie sich von dem elektrisch betriebenen Münzschaukelpferd trennen muss. Untermalt von tapsiger American Beauty-anmutender Melodie vermittelt die Szene den Eindruck Zeuge/Zeugin* eines ganz persönlichen Kindheitsmomentes zu werden.
Ruhe findet man beim Anblick der Stoffbahnen in „Catalogue“ der Filmemacherin Dana Berman Duff (2014), die ein interessantes Experiment wagt: Die Vermischung dreier Realitätsebenen. Ausstellungsfotografien aus einem Katalog illustrieren wundervoll ästhetisch drapierte Stoffbahnen, reinste Baumwollbettwäsche, die beim Anblick nach Frische zu duften vermag, kristallen leuchtende Weinpokale und weitere Szenerien ansprechenden Interieurs. Leichte Knicke im Papier der abgefilmten Katalogseiten entlarven die Mimesis dieser Eindrücke. Der Blick der Betrachter wird über zwei Wahrnehmungsebenen gefiltert. Die Künstlerin vergegenwärtigt einmal mehr die Einkapselung der Realität durch die Wege medialer Projektion insbesondere in der Werbung. Ein luxuskritischer Fingerzeig?

 

Denk‘ mal’n bisschen nach darüber, was du da so tust.

Wir sehen in „Mitläufer“ von Vlada Majic (1970) idyllische Szenen von durch Schnee stapfendem Nutzvieh, die uns aus heutiger Sicht in unserem horrenden gesellschaftlichen Fleischhunger und in den Konsequenzen unserer Eingriffe in die Natur mahnen. Doch das Programmkonzept hat es nicht nur auf unser gestörtes Ernährungsverhalten abgesehen, sondern auch auf die Doppelbödigkeit unserer pornofizierten Alltagsgestaltung. So fordert Vika Kirchenbauer in „Please Relax Now“ (2014) zwölf Minuten dazu auf, sich selber sexuell zu befriedigen und treibt es auf die Spitze. Gefühle der Beklemmung, Irritation und Belästigung machen sich in Form von schamhaftem Gekicher oder auch verschüchtertem Schweigen im Saal bemerkbar. Ein Spiel mit den Grenzen des Sozialen durch Provokation, das sind Vika Kirchenbauers Hintergründe. Das kurze Interview nach dem Film lindert die Ungemütlichkeit der Wirkung dieses Kurzfilms. Wir erfahren uns als berechenbare soziale Wesen.

 

Musik ist die Lösung aller Probleme

Nach einer kurzen Pause werden wir berieselt von zauberhaften, musikalisch unterschiedlichen Klängen. Die Sängerin von „Julie Ruin“ gibt sich zum Rock’n Roll-Beat von „Just my kind“ den tosenden Wellen des Sommermeeres hin, die Goldenen Zitronen füllen in „Scheinwerfer und Lautsprecher“ eine Messehalle mit wütend sozialkritischer Dauerschleifenankündigung, während die Urlaubstöne von „I think I was an alien“ der französischen Sängerin SOKO mit Aufnahmen im Handykamerastil untermalt werden. Auch der Clip zu EMAs Song „Take one two“ behält den Handkamerablick bei und spielt mit der Echtheit privater Impressionen von Dragging-Aktivitäten im Jugendzimmer. Das Muvi-Programm gibt uns mit zehn Filmclips zu Songs von verschiedenen Interpret*innen frei in die bevorstehende Partynacht. Wir fühlen uns rein und beseelt wie nach einer Dusche. Musik kann so viel. Wir sollten viel mehr Musik hören…

Love Island. Auf einem FilmFestival kann es nicht immer Kuchen geben.

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von Albert Byrd und Chiara Fabri

Im März 2015 schrieb Steffen Jan Seibel im ZEIT Magazin online, dass es nur eines Schwulen auf der Leinwand bedarf, der „etwas typisch Schwules“ tut, damit der Kinosaal lacht. „Das wäre so, als würde das Kino lachen, wenn in einem Film ein alter Mann alt ist und etwas typisch Altes tut. Im Sessel sitzen, zum Beispiel.“* Den Herrn Seibel kann n** jetzt ganz gut hinzuziehen, denn die pseudoprogressive Dreiecks-, Beziehungs-, Sommerkomödie „Love Island“ mit angeblichen Balkan-Humor schafft genau das; auf so vielen Ebenen und das alles in anstrengend.
Sie Französin, Landschaftsarchitektin, er Bosnier, Bandmanager. Sie schwanger, er nicht der Hellste. Zusammen ein Ehepaar. Kroatien, Strand und all-inclusive Cluburlaub. Und dann, festhalten, trifft sie ihre Ex. Jaha, ihrE Ex. Und dann geht es hin und her. Sie will ihre Ex nicht mehr sehen, dann geht sie zu ihr und küsst sie, aber die hat schon ihren Mann verführt, der voll Bock auf Sex mit der Ex (ihrer Ex, nicht seiner) hat, dann sind alle traurig und/oder sauer, es geht hoch und runter und am Ende? Am Ende knutschen sich alle drei, in Angesichts des Neugeborenen und der Idee einer Menagé a troi aka Regenbogenfamilie aka das letzte Wörtchen ist noch nicht gesprochen. Und am Ende? Am Ende hat man Honig im Kopf, nur ohne Till Schweiger in der Regie. Dafür mit Jasmila Žbanić und die hat im Vergleich zum Till, irgendwann mal einen goldenen Bären abgeräumt. Aber nicht für „Love Island“ und ich lehne mich nicht sehr weit aus dem Fenster, wenn ich hier mal proklamiere: Das bleibt auch so.

cdn.indiewire.com

Es mag sein, ich bin zu blöd, um die hohen Motive von Jasmila Žbanić zu verstehen. Vielleicht hat sie ja bewusst, mit dem Ziel ein breiteres Publikum für alternative Beziehungskonzepte zu sensibilisieren, die Sprache des ZDF Fernsehgartens angenommen. Vielleicht wurde auch jeder noch so kleine Stereotyp ausgepackt und zu Tode klamaukt, um einen Kontrapunkt zu setzen. Um zu zeigen, dass man sich, ohne das eigene Gesicht zu verlieren, über die eigenen Vorurteile erheben kann. Ja vielleicht habe ich die Anspielung mit dem Ritter, der unerwartet durchs Bild reitet zu Unrecht als billiges Garden State-Plagiat verstanden und ich sollte eher in der Bergmann-Ecke nach einer besseren Erklärung suchen.
Oder aber Jasmila Žbanić hat diese ganze intellektuelle Scheiße von früher satt, Nachkriegs-Bosnien ist eh voll 1990er, und will jetzt mal so richtig die dicke Kohle der Filmförderinstitutionen für Quatsch verballern. In diesem Zuge kann sie auch Franco Nero, ganz charmant – seine Karriere als testosteronsprühender Westerndarsteller lief wohl gerade aus – sexdebil über die Bühne schleifen.
Was Žbanić schaffte (hoffentlich ohne es zu wollen) ist, dass die Tatsache, dass zwei oder mehr Menschen, egal welchen sozialen Geschlechts, die konstruktiv alternative Formen des Zusammenlebens erwägen und ausprobieren, eine inadäquate Lächerlichkeit erfährt. Sie hat es geschafft, dass ein Kino vollgepackt mit ihrem Publikum, das bei näherer Betrachtung auch keine 30 mehr ist, sich amüsiert, wenn sich da zwei Männer küssen, die eine Frau die andere befriedigt und in krudester Manier jeder Hauch von argumentativem Diskurs über angesprochenen Sachverhalt mit subversiven Fickwitzchen davon geblasen wird.

Wilkommen im deutschen Kino, Frau Žbanić.

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Kroatien, Deutschland, Bosnien Herzegowina, Schweiz. 90 Minuten
Regie: Jasmila Zbanic
Drehbuch: Jasmila Zbanic, Aleksandar Hemon

* www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2015-04/schwule-witze-homosexuell-humor
** n ersetzt das allgemeine ‚man‘

Rückblick: Die Geschichte der Dortmunderin Elisabeth Wilms

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von Frau Fuchs

Der Dortmunder Dokumentarfilmemacherin Elisabeth Wilms (1905-1981) verdanken wir – als junge Generation – es, auch nur ein vages Gefühl dafür zu bekommen, wie das alltägliche (Über-) Leben der Menschen nach dem Krieg ausgesehen hat. In Trümmern und Schutt schufen sie sich imaginäre Wege, um sich überhaupt in diesem Chaos zu orientieren. Zerfranste Betonplatten, herausragende Stahlstreben, halbeingefallene Dachstühle; das sind die Orte, an denen die wenigen Überlebenden weiterhin leben und ihren Alltag bestreiten. Bescheiden kann man es nicht nennen. Eher jämmerlich. Diese Bilder berühren und rütteln auf. Eine Frau klettert über Bruchstücke ehemaliger Häuserwände hinab in ihre Behausung: Ein Kellerloch, indem ihre Kinder hungrig auf sie warten. Ihr kleiner Sohn zieht sich die durchlöcherten Strümpfe an. Der entkräftete Vater liegt im Bett, welches er sich mit seiner siebenköpfigen Familie teilt. Einer seiner Söhne muss ihn morgens zur Arbeit im Wachdienst begleiten, weil er zu schwach ist, um allein auf den Beinen zu stehen. Die tristen Augen in seinem eingefallenen Gesicht lassen nur erahnen, welche schlimmen Dinge er im Kriegsdienst gesehen haben muss. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Mehrere Einzelschicksale der Nachkriegszeit des zerstörten Dortmund hält Elisabeth Wilms mit ihrer Kamera fest und ich denke daran, welchen KOMFORT wir heute genießen dürfen. Schon allein ein eigenes Bett zu haben und nicht frieren zu müssen. Elisabeth Wilms 2 Quelle frauenruhrgeschichte

Elisabeth Wilms Quelle frauenruhrgeschichte.de

Eine mutige Frau, diese Elisabeth Wilms. Doch woher nimmt sie das Equipment und die innere Kraft um überhaupt solche Aufnahmen zu produzieren? Als Ehefrau eines im alten Dortmund sehr erfolgreichen Bäckermeisters steht die willensstarke Frau bereits zu Vorkriegszeiten nicht hinter der Ladentheke und verkauft Brotlaibe, nein, stattdessen filmt sie lieber und hält ihre subjektiven Eindrücke fest, die uns heute imponieren, zeigen sie ein ganz anderes, durch die Bomben im Krieg verloren gegangenes Gesicht der Stadt Dortmund. Elisabeth Wilms nutzt ihre privilegierte Chance des durch ihre Ehe mit dem Bäckermeister finanziell abgesicherten Lebens und realisiert ihre Filmprojekte, die wichtige Zeugnisse einer Zeit darstellen, in der alles anders war.
Im Kontrast dazu stehen ihre Auftragsarbeiten: Werbefilme für das Bäckerunternehmen und die Stadt. Während ich die Nachkriegsaufnahmen schaue, die in Anbetracht des inszenierten Wohlstandes dieser Werbefilme fast schon grotesk wirken, empfinde ich ein sehnsüchtiges Gefühl nach Zufriedenheit. Elisabeth Wilms schafft einen Raum der Besinnung. Eine oftmals fremde Empfindung in einer nach steter Optimierung strebenden Wohlstandsgesellschaft.

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