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Rezension: Victoria

Rezension: Victoria published on Keine Kommentare zu Rezension: Victoria

von Frau Fuchs

In einer Nacht das Leben

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Bild: http://i.ytimg.com/

Eine junge Frau, ganz allein des Nachts in irgendeinem Klub unterhalb der Erde, tanzend mit sich selber; draußen: lauter Techno, drinnen – im Kopf: Selbstgespräche über Themen, die man nur erahnen kann. Eine junge Frau, alleine in der schwitzenden, tanzenden Menschenmenge, alleine unter sich, weil sie nicht diese Sprache spricht, aber genauso frei ist wie alle. Eine junge Frau nachts allein in Berlin.
Warum allein? Warum Berlin? Was kann man da nachts erleben außer vielleicht Bösartigkeiten?
Alles!
Um genau zu sein: Einmal das ganze Leben und das in nur einer Nacht.
Das ist Berlin.


Die junge Frau, erfahren wir, sie heißt Victoria (gespielt von der wundervollen Laia Costa). Und Victoria kommt aus Spanien, lebt erst seit einigen Wochen in dieser riesigen Stadt und wird, ebenso wie viele andere mit ähnlicher Geschichte, von ihrer Nacht verschlungen.

Der Film Victoria war in den letzten Wochen in aller Munde. Kritiker*innen lobten Regisseur Sebastian Schipper für sein neues kleines* Kinoleinwandmeisterwerk, die Jury des Deutschen Filmpreises war eindeutig angetan und auch bei der Berlinale wurde er himmelhochjauchzend gefeiert. Aber es waren nicht die Preise und der Applaus, die mich in den Kinosaal lockten, es war der nach Tiefgang und Kunst prickelnde Vorgeschmack des Trailers, den ich gleich zwei Mal in Kürze kostete plus der Zusatzinformation, dass er komplett ohne einen Schnitt auskäme. Ein kleines Sahnehäubchen für den gemeinen Filmnerd vor dem Herrn.

Victoria lernt diese Gruppe fünf junger Männer kennen, als sie gerade nach Hause gehen wollte. Spät in der Nacht. Man würde sie wohl als „Asis“ bezeichnen, denn den Türsteher in tiefstem Berlinerischen Slang bepöbelnd (sie haben keine Chance) lümmeln sie vor dem Kellerloch, in dem sich der Klub befindet. Angefixt und unwissend springt Victoria auf das Verhalten des einen Jungen des Gespanns, sie nennen ihn Sonne (Frederick Lau) an, geht hinüber und kommt mit ihm in ein leichtes Gespräch, das sich aus Bruchstücken des gängigen Schulenglischs und einem wirren Mix aus deutschen Begriffen zusammensetzt.

Ein leichter Abend und eine After-Hour-Bekanntschaft. So kennen wir das alle. Unverbindlichkeit, ein Toben durch die Straßen. Das Mädchen nimmt auf dem Gepäckträger des Fahrrads Platz und der Junge beweist ihr seine Coolness und Stärke, indem er fest in die Pedalen tritt. Charmant und süß irgendwie. Welche Jahreszeit ist gerade? Jedenfalls nicht Winter, denn der Winter in Berlin ist hart und unsere Gruppe junger Männer, die die H&M-Leinenschühchen tragende Victoria bereits eingespannt haben, sie tanzen durch die Berliner Straßen, feixen, lachen, saufen, rauchen, sind laut und aufmüpfig und haben Spaß dabei. Zumindest solange, wie die Polizei sie in Ruhe lässt.
Doch je mehr der Film mich in seinen Sog zieht und mir suggeriert, ich wäre dabei, wäre Zeugin dieser nächtlichen Geschichte, dieser lebensechten Tragödie, auch ich wäre ein Teil der Gruppe, vielleicht als Freundin von Victoria? Auch ich tobe durch die Straßen und beobachte die Streiche der Jungs, so wie das früher war. Bin etwas eingeschüchtert, aber amüsiert über den Mut, den sie haben, den Mut auch mal nicht alle Regeln zu befolgen. Bis zu einer gewissen Grenze, die es gilt selbstverständlich nicht zu überschreiten. Und offensichtlich ist die auch jedem der noch so wilden Gefährten der Gruppe bekannt. Ein unausgesprochenes Ding, etwas, was jeder weiß, aber niemand redet darüber.

Schritt für Schritt und zuerst unbewusst wird der Film zunehmend intensiver. Aus einer flauen Sommernacht wird ein emotionales Chaos. Von allem etwas dabei. Mein Herz tanzt aus verschiedenen Gründen. Zu viel Gefühl, zu viel Gewalt, zu viele persönliche Geschichten, die ich erfahre. Boxer, ein krimineller junger Mann, schaut aufgrund seines kahlrasierten Schopfes, seiner Tätowierungen und seiner Jogginghose (meine Schubladen werden bedient) höchst unsympathisch aus, ist aber im Herzen warm und lieblich wie ein ofenfrischer Apfelkuchen. Zu viel von Leben, zu viel über Menschen und doch ist es etwas, was ich seit langem wollte: Etwas erleben, was mich mal wieder so richtig berührt. Der Film lehrt die Zuschauer*innen (und mich als eine von ihnen), genauer hinzugucken und Vorurteile zu hinterfragen, zu revidieren.

Was wird aus Victoria und Sonne? Die romantische Stimme in mir meint, es könne die große Liebe sein, weil es so banal ist, wie es sich anbahnte in dieser Nacht vor diesem Kellerlochklub, doch auch zu intensiv (wird), als dass es für immer halten könne. Ein bisschen wie der Titanic-Kitsch zwischen Rose und Jack, nur cooler. Und zeitgemäßer.

Die Zukunftsangst der jungen Generation, soziale Ungerechtigkeit, anonyme urbane Lebensverhältnisse und dauerhafte Unsicherheit, das sind einige der Themen, die der Film beleuchtet und ich – als Teil dieser Generation – fühle mich sowas von angesprochen damit. Es ist, als hätte uns endlich jemand verstanden.

Sebastian Schipper, der in seinen filmischen Werken wie z. B. „Lola rennt“, „Absolute Giganten“ oder „Drei“ immer wieder unter Beweis stellt, wie gut er es kann – die Menschen begreifen und in Geschichten und Bildern einfangen – er spiegelt uns, die wir rebellisch sind, wachsam und voller Lebenslust und Sehnsucht nach Liebe und Halt, Geborgenheit; Dinge, die es aber einfach nicht oder nur selten gibt in Zeiten des steten Wandels. Zeiten, in denen du nur dein Ich hast, das dir sicher ist (und selbst das kann in Lebensphasen großer Verzweiflung in Gefahr geraten).
Victoria und Sonne, aber auch Boxer, Blinker, Fuß und Andi, diese jungen Schicksale, frisch beschrittene Lebenswege und bereits auf unterschiedlichen Ebenen verkorkst, sie alle sind schön, so wie sie sind, sie alle sind liebenswert und sie alle sind wie wir: Rebellisch, wachsam, voller Lebenslust und Sehnsucht nach Liebe.

Und oft kann das Leben doch so traurig sein. Und so ehrlich.
Eine Nacht in Berlin zeigt es dir im Kurzdurchlauf.

 

* Man spricht im Deutschen Film mysteriöser Weise immer von kleinen Errungenschaften, vielleicht weil im Vergleich zu internationalen Produktionen i. d. R. einfach ein kleineres Budget zur Verfügung steht? Aber ich frage mich, was Budget mit Qualität zu tun hat. Schließlich heißt Geld nicht unbedingt Stil, das kennen wir ja auch aus der Modebranche.

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