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Die große Raupe Arbeitsmarkt

Die große Raupe Arbeitsmarkt published on Keine Kommentare zu Die große Raupe Arbeitsmarkt

von Frau Fuchs

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Lilli Boheme

Hallo, Arbeitsmarkt, hier bin ich. Eine von der neuen Generation.
Was hast du mir zu bieten?

Nun ist es so weit: Nachdem ich 24 Jahre sämtliche Subsysteme des Bildungssektors strukturell durchexerziert habe, wartet nun das offenbar „echte“ Leben auf mich. Das Arbeitsleben. So richtig mit Geld verdienen, Verantwortungs- und Handlungsspielräume begehen, in die Rolle einer „professionell Tätigen“ schlüpfen, das alles steht mir bevor und ich kann es kaum erwarten hineinzuspringen in dieses aufregend sprudelnde, kunterbunte Nass.
Wundervoller Weise bin ich genau zu diesem Zeitpunkt genau in dieser Gesellschaft mit diesem Wirtschaftssystem weiblich, Ende 20, enthusiastisch, hochqualifiziert (sollte man meinen, fühlt sich aber nicht so an) und (was die potenziellen Arbeitgeber*innen natürlich nicht wissen) ledig, ungebunden und ohne akuten Kinderwunsch.
Und nun? Was kommt nun?

Etwas gekünstelt stehe ich eines Dienstags im Prüfungsamt der Fakultät und lasse mir mein Zeugnis mit beglückwünschenden Worten, die eigentlich ganz an mir abprallen, überreichen. Ich schlucke. Master of Arts. Master? Arts? Welche Arts?
Es ist soweit. Ich bin erwachsen. Jetzt ist das eingetreten, wovon sie immer sprachen, diese „normalen“ Menschen. Ich bin reif. Für dich, Arbeitsmarkt. Und na klar, du wirst einen solchen idealistischen, fantasievollen, empathischen und feinfühlenden Menschen wie mich bestimmt mit Kusshand in Empfang nehmen. Ich meine, guck mal, Master und so. Das ist doch ne Hausnummer, oder?
Nein, wirst du nicht. Du hast nicht auf Menschen wie mich gewartet. Du bist eher latent genervt von Eindringlingen wie mir, weil wir keine Ahnung haben, wie es läuft, dein Binnensystem. Dein Kokon ist ein engmaschiges Gewirk, ich habe das schon zu spüren bekommen. Und du schreckst nicht davor zurück Menschen wie mir weh zu tun. Nicht mit Absicht, versteht sich, aber du gehst eben auch mal über Leichen. Weil du nun mal eben so funktionierst, wie du funktionierst. Stichworte Nutzenmaximierung, Humankapital, Rationalität.
Und Vitalität und die Archivierung von Wissen, um Nachhaltigkeit, um den Nachwuchs, um all das kümmerst du dich doch auch, oder? Was? Das wäre zu risikoreich? Okay. Deine Strömungen folgen dem Kosten-Nutzen-Prinzip, verstehe. Für Nachwuchs ist da generell bloß Platz, wenn es dem unternehmerischen Image dient.

Ich fühle mich wie eine Bettlerin. Ich beknie dich, hadere, bücke mich, kratze wie ein alter hungriger Köter bei unternehmenden Menschen an der Haustüre und bringe nichts Geringeres mit als mein reines Herz, meine Forschungsleidenschaft und mein Menschsein. Immer wieder probiere ich es, ihre Sympathie zu gewinnen, blicken sie doch manchmal recht freundlich hinaus zu mir durch das Küchenfenster und werfen mir den ein oder anderen beruflichen Leckerbissen oder eben doch nur magere Knochen entgegen, sodass ich ja nicht auf die Idee kam mich wieder vom Acker zu machen. So verweile ich hier an der Schwelle zum „richtigen“ Leben stehend, viel zu oft deprimiert sitzend und manchmal kauernd vor deiner Türe, Arbeitsmarkt, und warte darauf, dass du sie öffnest und mich ins Trockene, ins Warme lässt. Aber du gewährst mir nicht den Eintritt, noch nicht einmal den Einblick, weil ich zu verwildert bin. Das Handzahme, das muss ich mir erst irgendwo aneignen. Erfahrungen bitte woanders machen und dann wiederkommen. Ich frage mich wo, wenn dieser Einstellung alle folgen. Stattdessen hadere ich, bücke mich, kratze an ihre Türen, ich Bettlerin, und das tue ich, weil du so funktionierst; sehen und gesehen werden, Vitamin B, Netzwerken; der Stärkste überlebt.
Du hältst mich hin, indem du mir ab und an die Geschmacksnerven massierst. Du kredenzt köstliche Dinge, sprichst verheißungsvoll vom Leben als arbeitender Mensch. Doch ich frage mich: Was bin ich denn gerade in diesem Augenblick, in dem ich so da stehe mit nichts in den Händen vor deinen Pforten? Roh, pur, frisch, unverbraucht. Was wäre ich überhaupt ohne dich, ohne diese Illusion auf dieser Welt? Und was brächte mir losgelöst von dieser Apparatur ein Master of Arts?
Ich kleine Wurst. Ich Taugenichts. Bleibe ich doch das, was ich auch vor alldem Bildungsbohei in meinem Leben war: Ein hochsensibles Menschenkind.

Aber es ist, wie es ist und es nutzt ja alles nichts: Ich habe mich zu verkaufen auf deiner Bühne, Arbeitsmarkt. Bisweilen kam mir ein müder Applaus zugute, aber wurde mir auch meine Belanglosigkeit im Kontext praxiserfahrener, besserqualifizierter, häufig männlicher, strategisch versierterer Mitstreiter*innen vor Augen geführt. Ihr bringt’s echt mehr als ich! Ich resigniere. Ich bin wie ich bin. Nicht sonderlich clever, nicht sonderlich dumm, vielleicht fleißig, leider oft zerstreut handelnd, aber strukturiert denkend, von Fantasie durchzogen, ein kleiner, naiver Gutmensch, nennen wir es so. Ja, was habe ich denn mit diesem spärlichen Rüstzeug einem solch überkompetenten Geschwader von Konkurrent*innen entgegenzubringen? Oder ist das auch Fiktion, diese stille Konkurrenz? Ich will mich ja gar nicht messen – mit niemandem. Dieses Wettbewerbsgeschäft ist zu viel für mich. Stattdessen will ich authentisch sein, freundlich, herzlich, solidarisch, und keine menschliche Ware, die etwas leisten und ebenfalls alle anderen Akteur*innen in deinem Spiel wie menschliche Ware behandeln soll.

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Lilli Boheme

Wie dumm von mir, würde so mancher sagen. Meine Eltern, meine Professor*innen, meine Kolleg*innen. „So ist das nun einmal.“ Und Punkt. „Man geht eben arbeiten. Das macht uns aus, uns Menschen.“ Ach ja, ist dem so? Diese Frage hatte ich schon in der Grundschule im Kopf. Was ist das eigentlich, Arbeit? Offenkundig hat es sehr viel mit meinem Selbstwertgefühl und mit meiner sozialen Wertigkeit zu tun. Neu ist diese Erkenntnis natürlich nicht. Aber das am eigenen Leibe zu erfahren, zu fühlen, ist wie ein Selbstexperiment. Und auch, wenn es lächerlich ist, ich finde es ganz schön traurig. Es ist traurig, was wir da machen. Ich möchte mich nicht selber zu Dingen zwingen, um besser anzukommen, mich herausputzen, um meinen Konkurrent*innen, die zuvor meine Freunde und Studienkolleg*innen an der Universität waren, eine ebenbürtige Mitstreiterin zu sein. Und überhaupt Streit; ich habe keine Lust mich um einen Job zu streiten. Da geh ich lieber zurück in meine Fantasiewelt und aus.
Den Luxus hierüber überhaupt nachzudenken, diesen Sachverhalt zu problematisieren, den habe ich doch auch nur als Bürgerin dieser schönen Wie-die-Made-im-Speck-Leben-Gesellschaft. Es ist wichtig mir klarzumachen, was ICH eigentlich und nicht, was das SYSTEM mit mir will. ICH kann und will das System verwerten, nicht andersherum. Als nutzenstiftende weibliche Endzwanziger-Arbeitskraft, als Wissenschaftlerin (als die ich mich jetzt bezeichnen „darf“. Master of Arts und so, tzzzz), die etwas zu feinfühlend geraten ist. Ich will mich nicht reduzieren lassen, verbiegen, mich nicht erklären, nichts wollen müssen, was nicht aus mir selbst herauskommt.
Ich glaube daran, dass es Wege gibt sich in deinem chaotischen und strengen Kokon zurechtzufinden, Arbeitsmarkt. Es gibt Orte in dir, an denen man heranwachsen und reifen kann und darf, sodass man im mittleren Alter auf zwei gesunden Füßen stehen und anderen, den jungen „Eindringlingen“, eine helfende Hand reichen kann, um in deinen großen Bau hineinzugelangen. Ein reger Austausch von wertvollem Generationenwissen: ich bin dafür. Ich bin für tolerante und offene Umgangsformen innerhalb deines Spielfeldes (obwohl das Spiel meinetwegen auch ad acta gelegt werden könnte) und für ein wertschätzendes und offenes Miteinander. Jede*r soll ernst genommen und mit seinen Talenten anerkannt werden. Jede*r soll ihren*seinen Platz finden können und dürfen, den sie*er in diesem großen Gefüge einnehmen kann und möchte ohne sich dabei von sich selbst entfremden zu müssen. Dies geht nur durch Diskurs. Darüber muss gesprochen werden. Offen, ehrlich, menschlich, zugänglich. Klingt utopisch, oder? Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Hallo, Arbeitsmarkt. Ich glaube, wir werden keine großen Freunde, weil ich dich von Grund auf hinterfrage und es immerzu tun werde. Doch erkenne ich deine immense gesellschaftliche Funktion, deinen Ordnungsrahmen, den du schaffst, weiß um deine Sicherheiten und deine Restriktionen, die du vorgibst und uns als Individuen dieser Gesellschaft privilegierst. Ich will dich anerkennen und nutzen für meine Ziele, meine Vorstellungen vom guten Leben. Ich will trotz deiner festgezurrten Strukturen eigene Ideen verwirklichen können und dürfen, ich will trotzdem Inspiration wahrnehmen, mich als Person, als Mensch nicht selber verlieren, sondern weiterhin spüren können. Ich bin eine junge, beruflich unerfahrene, wissbegierige Wissenschaftlerin mit Energie und dem Anspruch etwas im Kleinen zu bewegen.
Und dieses auf persönlicher, auf menschlicher Ebene nichtssagende Zeugnis, dieser auf einem Papier existierende Titel „Master of Arts“; darin steckt definitiv viel vertane Energie, Zeit, Leidenschaft. Aber auch viel Positives. Ich weiß mehr. Nicht für dich. Sondern für mich und für die Menschen, denen ich dieses Mehr an Wissen weitergeben mag.
Wie könntest du mich also weiterhin verschmähen?
Und schon wieder bin ich die Bettlerin.

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