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Rückblick: bodytalk: Frauen ~ Bewegung

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von Frau Fuchs

Unvoreingenommen, rein, naiv, ganz ohne Vorwissen, ohne Infoblättchen hier, thematische Einführung da – so betrete ich selten einen Theatersaal.

Die heutige Theaterkultur bewahrt mit ihren ganzen Instrumentarien die gemeinen Zuschauer*innen davor, dass sie sich doof vorkommen, dass sie nichts verstehen würden. Demnach wird einem auch dieser reine Blick wie durch die Augen eines Kindes vorenthalten, schier unmöglich.

Umso schöner, wenn man die Chance dazu bekommt.

 

Was?: „Bodytalk“ Tanztheater, 28.10.2014.

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Foto Klaus Dilger tanzWeb.org

 

Das domicil in Dortmund öffnet seine Pforten. Es ist voll, intellektuell, hipsterüberlaufen, rebellisch. Das Publikum macht neugierig auf Passierendes. Auch ein paar ältere Generationen (Ü 60) gesellen sich dazu.

Das Einzige, was ich weiß, ist: Nackte Haut – Brüste, Schwänze und Tanz.

Alles nicht so mein Fall, aber „Bodytalk“, sprich Körpersprache/-sprechen, das regt an, es lockt.

 

Vorhang auf.

 

Ein zynischer Moderator, der die Darsteller*innen als nach Erfolg lüsterne Kapitalismusaffen auf die Bühne holt und sie sich inszenieren lässt, führt durch den Abend.

Anbiedernd, ekelhaft aufmerksamkeitsgeil und kämpferisch geht das Casting um den besten Darsteller am heutigen Abend los während das Publikum sich in seiner Bewertungs- und Begutachtungsallmacht labt.

Das Stück spielt ein szenisches Steigerungsspiel, auch wenn es nicht lange dauert bis es abrupt zum Zeigen der einschlagenden nackten Tatsachen kommt. Ein Frauenkörper verhüllt in goldenem Umhang und nacktem Busen getragen auf den Schultern eines männlichen Unterkörpers mit baumelndem Glied. Ein schönes Bild, wie eine Art Live-Collage. Szenische Zwitterwesen choreografieren auf der Bühne einen séanceartigen Tanz. Und da fängt es erst richtig an mit der Dynamik des Stückes.

Ich finde mich irgendwann wieder in einem eigentümlichen körperlichen Zustand:

Meine Hände und Beine: Zitternd. Das geht mir durch Mark und Bein.

Geschichten über gescheiterte Künstlerkarrieren, über Sehnsüchte in Zeiten des Kapitalismus und der Selbstoptimierung, sie berühren. Doch jene zarte Emotionalität wird rasch dahingerafft von krassen Bildern. Die Entdeckung der Liebe zwischen Mann und Frau, der biologische (Anm.: sozial konstruierte) Unterschied zwischen beiden Geschlechtern, die Lächerlichkeit der Blöße und des Fortpflanzungstriebs.

Wie ein Fotoautomat wirft die Inszenierung Bilder aus zu den eigenen Gedanken über unser Dasein als Mensch, als Frau, als Mann, als Konsument und Partizipient an diesem Wirtschaftssystem, an der ins Perverseste gesteigerten Prosperität. Liebevolle Eindrücke in den Freundschafts- und Liebesszenen, gewaltvolle und verstörende Bilder beim Spiel mit der langen Peitsche, der Fesselung an einen Stuhl (nackt, versteht sich).

Und es folgt natürlich – wie in jedem guten Märchen: Die Hochzeit. Das nackte Brautpaar schreitet gen Bühnenmitte, der Schopf der Braut geschmückt mit einem Blumenkranz und einem langen Schleier bestehend aus einer meterlangen grünen Abdeckfolienbahn. Sie küssen sich. Das alles hat etwas Reines, passend zu mir und meinem naiven Blick.

Assoziationen werden wachgerufen: Adam und Eva, nur ein bisschen mehr Riot und Grunge, so stehen sie da und küssen sich. Und dann wird das erste Kind geboren – hier ersetzt durch eine Leber, Schwein oder Rind kann mein ungeschultes Auge nicht erkennen. Welch Freude, alle Anwesenden zelebrieren das Paar, deren Potenz. Beide nehmen ihre sozial erwarteten Rollen als Vater und Mutter ein, agieren so, als sei es angeboren die Regeln des Handelns als Eltern zu kennen.

Und plötzlich artet es aus.

Der Gestank, wie ein schwarzer, drückender Mantel verhängt den Himmel über uns allen. Ich bin angewidert. Berührt vor Ekel. Dabei ist es doch nur ein Tanz. Tanz und mehr nicht.

Nackte Körper, viele kleine Textilfetzen, die sich später mit den Fetzen des toten Organismus vermischen. Bewegungen untermalt von einem gesprochenen Text, der zu Gedanken passt, die entstehen, wenn man diesem letzten großen Aufgebot zuschaut. Ein vor Obsession und Besessenheit explodierender Gruppentanz, in dem die Innerei eines Tieres gierig, blutrünstig und hochgradig kannibalistisch in Fetzen zerrissen wird.

Alle wollen ein Stück ab, alle.

Die egoistische Gesellschaft. Konsumieren ums eigene Überleben.

Körper fliegen wie Fleischstücke durch den Raum.

Belle artistique. Klatschen auf den harten Steinboden. Schlachthausatmosphäre.

Es geht um den ewigen Kampf. Zwischen den Geschlechtern, zwischen uns Wölfen.

Für was eigentlich?

Für ein Machtgefühl?

Für das gute Leben? Oder nicht vielmehr für das bloße Überleben?

Wer regiert hier wen?

Es stinkt gewaltig im Saal. Und ich bin mir im Klaren darüber, dass es ein Verweis ist, ein Verweis auf uns alle und unsere Lebensweise, unseren Zeitgeist.

Wir stinken bis zum Himmel.

Und am Ende? Was bleibt?

Am Ende bleibt die Blöße. Das Tier, das Fleisch, der Körper und ein fernes Ich.

 

Vorhang.

 

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