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Gut gemeint und trotzdem ätzend: Eine Veranstaltung zu Körpern in den Medien in Mülheim an der Ruhr

Gut gemeint und trotzdem ätzend: Eine Veranstaltung zu Körpern in den Medien in Mülheim an der Ruhr published on Keine Kommentare zu Gut gemeint und trotzdem ätzend: Eine Veranstaltung zu Körpern in den Medien in Mülheim an der Ruhr

Ein Gastbeitrag von Cookie Lover

„Kommen ein Adipositas-Arzt und eine Fett-Aktivistin auf das Podium einer Gleichstellungsstelle“ – was klingt, wie der Anfang eines schlechten Witzes, ist die Ausgangslage einer Veranstaltung, die Bauchschmerzen bereitet hat. Leider nicht vor lachen.

Rund um den Internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen am 25. November hat die Gleichstellungsstelle/das Frauenbüro der Stadt Mülheim an der Ruhr eine Aktionswoche zu „Sexismus in den Medien“ organisiert. So weit, so gut intendiert – sicherlich. Angekündigt war eine Ausstellung zu „Sexismus in der Werbung“, bereitgestellt von der Universität Potsdam und das Hissen der Terre-des-Femmes-Flagge. Eine Bloggerin und eine Sexismus-Forscherin wurden eingeladen – wie schön! Und ein Klinikdirektor – wie honorig!

Den Auftakt der Veranstaltungsreihe bildete ein Nachmittag, der den Körperbildern in den Medien gewidmet sein sollte. Erwartet hätte ich dazu Soziolog_innen, die sich mit Repräsentationen von Körperbildern im medialen Raum auseinandersetzen. Davon gibt es ja zahlreiche (Paula-Irene Villa, Dagmar Hoffmann, Birgit Riegraf… um nur einige wenige zu nennen) und viele von ihnen verstehen sich als feministisch. Perfekte Gäste für eine Veranstaltung in einem Frauenbüro.

Eingeladen war stattdessen unter anderem ein Professor für psychosomatische Medizin mit Schwerpunkt „Essstörungen“, also jemand, der von der „Norm“ abweichende Körper pathologisiert, schon von Berufs wegen. Da aber außerdem noch Magda Albrecht von der Mädchenmannschaft mit ihrem Vortrag „Mein Fett ist politisch“ eingeladen war, bin ich trotzdem hingegangen in die wertstadt Mülheim, wo diese Eröffnungsveranstaltung stattfinden sollte. Fatactivism ist derzeit in aller Munde – die ARGE Dicke Weiber aus Wien, der Fettcast-Podcast, verschiedene Blogprojekte – da tut sich was in Sachen Dicken-Empowerment. Dazu ein bisschen Input von Magda zu bekommen, klang wie eine gute Idee!

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Quelle: weheartit.com

Angekommen in der wertstadt, einem Raum der Stadt Mülheim, war auch noch alles fein: Es gab Kekse und Wasser, Kaffee und nett aussehende Frauen mit grünen Schals und auffällig viele Ladies in Lila. Bei genauerem Blick war es dann schon gar nicht mehr so gemütlich. An den Wänden hingen Bilder von nackten Brüsten, die für Schnaps werben, nackten Pos, die für Klamotten werben (welche Klamotten?), nackten dicken Körpern, die durch dumme Sprüche abgewertet wurden. Die Triggerwarnung hing irgendwo, kaum sichtbar, um die Ecke. Dass es sich bei den gezeigten Bildern um die Ausstellung der Uni Potsdam handeln musste, konnte auf den ersten Blick nur erahnt werden. Eine Ausstellung, die Körperbilder in den Medien kritisieren will, hatte ich mir anders vorgestellt. (Während der Eröffnungsrede wurde erklärt, dass die Originalausstellung nicht gezeigt werden konnte, weil die Plakate zuvor beschmiert worden waren – den Impuls das zu tun kann ich verstehen!)

Irgendwann gingen dann die Vorträge los. Erst durfte der Prof. Dr. sprechen. Fünfzig Minuten lang. Fünfzig fast unerträgliche Minuten lang. Vorgestellt als Facharzt für Adipositas war eigentlich schon im Vorhinein klar in welche Richtung es gehen würde. Schade, dass sich diese Vorahnung so bestätigen musste. Dicke wurden pathologisiert und stigmatisiert, Mythen um unfitte dicke Menschen, um die Richtigkeit des BMI als Maßstab für „gesunde“ Körper reproduziert. Und es wurde herablassend und vermeintlich „witzig“ über dicke Menschen gesprochen: in den ökonomisch schwächeren Regionen des Ruhrgebiets seien die Kinder im Freibad nun mal fetter, in Bayern seien die Menschen ja grundsätzlich etwas „draller“ und mit den dicken Mädchen wollte in der Tanzschule wohl niemand tanzen. Hihihi, Hahaha – auch im „aufgeklärten“ Publikum. Anstatt sachlich über dicke Körper zu sprechen, war der Prof. Dr. auf den Effekt des Witzes aus. Kritik wurde mit der Berufung auf „Empirie“ abgetan.

Der Mann, der zu Körpern in den Medien sprechen wollte, glänzte durch popkulturelles Nichtwissen (Eurythmics heißt die Band mit der dünnen Frau und dem nicht so dünnen Mann und die Plastikfigur, die an die Wand geworfen wurde, sollte Luke Skywalker darstellen) – ein wahrlich toller Medienexperte! Die Tabellen und Studien, die er an die Wand projizierte, wurden vom Publikum nicht verstanden (wenn es in der Tabelle heißt „n=35“ und die erste Frage einer Zuhörerin lautet „Wie viele Menschen haben denn an der Studie teilgenommen?“ – versteht mich nicht falsch: Das muss man nicht erkennen können! Aber es zeigt deutlich, dass die Präsentationsform, für die sich Prof. Dr. entschieden hat, unangemessen für das Publikum war).

Von dickenfeindlichem und klassistischem Gebaren mal abgesehen, hatte der Referent sich wohl auch noch nicht besonders mit Rassismuskritik auseinandergesetzt. Anders kann ich mir den Begriff der „primitiven Völker“, den er im Zusammenhang mit Südseevölkern, die als Beispiel für andere Schönheitsbilder dienen sollten, nicht erklären.

Nach dem Vortrag war mir gewaltig schlecht und ich kann mir immer noch nicht erklären, wie so ein Vortrag in einem FRAUENbüro, einem Ort also, den ich mir immer als einigermaßen aufgeklärt, zumindest auf dem Stand der feministischen Diskussion, als Schutzraum vorgestellt hatte, so unkritisch aufgenommen werden konnte. Im Gegenteil – „er hat ja recht!“ Die dicken Frauen sind arm dran und wenn Prof. Dr. das sagt, wird es schon stimmen. Schon klar!

Nach einer kurzen Pause und nachdem ein Drittel des Publikums den Raum bereits verlassen hatte, durfte dann Magda Albrecht ihren Vortrag „Mein Fett ist politisch“ halten. 25 Minuten Redezeit wurden ihr zugestanden (nachdem Prof. Dr. doppelt so lang schwadronieren durfte). Themen des Vortrags waren unter anderem die Kritik an der Pathologisierung dicker Körper und an Messeinheiten, wie dem BMI. Auch Diet Talk, also das Thematisieren und Kommentieren von Essen(sgewohnheiten) („Willst Du diese Kugel Eis wirklich noch essen?“, „Wenn ich dieses Stück Torte esse, muss ich aber morgen zwei Runden mehr joggen gehen.“) und Studien, die Diskriminierung als Gründe für erhöhten Blutdruck etc. bei dicken Menschen diskutieren waren Teil der Präsentation. Vor allem aber: Viel, viel Persönliches! Magda hat einen ganz wunderbaren Vortrag gehalten und dabei immer wieder auf ihren eigenen Körper verwiesen, ihre Erfahrungen, ihre Kleidung thematisiert. Danke nochmal dafür, das war wirklich stark!

Im Anschluss an den „Mein Fett ist politisch“-Vortrag wurde dann die „Diskussion“ geöffnet. Und ich frage mich wirklich, ob die Diskutant_innen Magda vorher überhaupt zugehört hatten. Die erste Frage war direkt extrem unglücklich formuliert (ich untertreibe, es war extrem unsensibel und unreflektiert formuliert). Ich war mir nicht sicher, ob ich lachen oder weinen sollte: „Also, ich habe mit meinem normalen Körper ja schon Probleme, Kleidung zu finden, aber wie geht es erst Ihnen? Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?“ Nun, meine Vermutung: Dass man von so einer Kategorie wie „normal“ mal Abstand nimmt, zum Beispiel? In der „das wird man jawohl noch sagen dürfen“-mäßigen Diskussion, an der sich folgend mehrere „aufgeklärte“ Frauen aus dem Publikum beteiligten, wurde dann irgendwann auch das Argument angeführt, Homosexuelle seien ja auch mal nicht normal gewesen. Ja sagt mal, habt ihr denn den Schuss nicht gehört? In der Diskussion lief so dermaßen viel falsch, dass mir jetzt wieder schlecht wird, wenn ich daran denke. Es ging um die „armen, unnormalen dicken Kinder“ und darum, dass dicke Menschen ja nicht glücklich sein können.

Die mutigen Beiträge dicker Frauen, es ginge ihnen schlecht damit, wie im Raum gesprochen wird, die Machstrukturen in der Gesellschaft seien doch deutlich zu sehen und es ginge ihnen besser, seitdem sie um Fatactivism wüssten, hätten tosenden Applaus verdient gehabt und ich applaudiere jetzt noch mal virtuell! Das wäre auch so eine Stelle gewesen, an welcher die Diskussion zu einem Ende hätte kommen können.

Stattdessen kam dann nochmal die Organisatorin der ganzen Chose zu Wort, wiederum mit einem spitz formulierten „das wird man jawohl noch sagen dürfen“-Beitrag. Ein Gefühl dafür zu haben, wie man mit einem Gast umgeht, fehlte da gänzlich. Schade! Nachdem aber schon im Vorhinein so viel falsch gelaufen war, war das eigentlich auch kein Wunder mehr.

Fazit: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Ein Frauenbüro muss nicht zwingend ein geschützter Raum sein und von der Aktionswoche habe ich die Schnauze voll. Der Einladung, man könne ja bei den Folgeveranstaltungen weiterdiskutieren, will ich nicht folgen. Sich nicht klassistischem, rassistischem, sexistischem, ableistischem Nonsens auszusetzen, ist für mich als Selbstschutz wichtig. So schön eine „kontroverse“ Diskussion manchmal sein kann, sie ist es nicht, wenn sie persönliche Grenzen überschreitet und verletzt.

Liebes Frauenbüro der Stadt Mülheim und all die Frauen im Publikum, die ja teilweise in Frauen*kontexten arbeiten,
zum Abschluss noch ein wenig gut gemeinte Kritik: Die feministische Bewegung ist nicht im Jahr 1970 stehen geblieben und sich darüber zu freuen, dass auch „junge Frauen“ sich für Feminismus interessieren, reicht nicht. In der Zwischenzeit ist viel passiert und es ist Ihre Aufgabe, sich zu informieren und fit zu sein in Debatten, etwa um intersektionale Diskriminierung (also um die Verknüpfungen von Rassismus, Sexismus, Ableismus, Klassismus und so weiter) und um Herrschaftskritik.

Es wäre darüberhinaus zu wünschen, dass Sie bei ihren Veranstaltungen auch aktiv Frauen*förderung betreiben und die Keynote nicht an einen bereits etablierten Mann vergeben, sondern an eine qualifizierte Frau. Von Frauen*, die zu Körpern in den Medien sprechen können, gibt es genug. Eine davon, Magda, hattet ihr eingeladen. Schade, dass Sie ihr nicht mehr Raum gegeben habt und sie ihren Vortrag verkürzt halten musste. Schauen Sie in Zukunft doch zum Beispiel mal hier: https://speakerinnen.org/

Wenn Sie Personen vorstellen, die in die Organisation involviert waren, dürfen Sie ruhig Vor- und Nachnamen nennen. Die Jahrespraktikantin hat es, bei aller Kritik, verdient, ernst genommen zu werden. So etwas drückt sich auch in der Sprache aus.

Der Versuch der Moderation ist hochanzurechnen. Immer wieder wurde ja versucht, die Grenzüberschreitungen gegenüber der Referentin einzudämmen. Vielleicht wäre aber in Zukunft eine Moderation von außen hilfreich, die nicht dem halben Raum durch Kommissionsarbeit etc. verbunden ist und die vorher mit den Referent_innen bespricht, was okay ist, und wo eingeschritten werden muss.
Mit freundlichen Grüßen,
Cookie Lover

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Einige Links

Fatactivism-Blogs aus dem deutschsprachigen Raum:

http://reizende-rundungen.blogspot.de/
http://miss-temple.blogspot.de/
http://queervanity.com/

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