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Christentum und Feminismus

Christentum und Feminismus published on Keine Kommentare zu Christentum und Feminismus

von Fließbandbaby

Neulich habe ich auf der Internetseite des Deutschlandradios eine Buchbesprechung gelesen.Es ging um das neue Werk von Beatrice von Weizsäcker mit dem Titel „JesusMaria. Christentum für Frauen“. Was ich gelesen habe, hat mich gestört. Gleich zu Anfang: Gemeint ist nicht das ganze Buch, sondern nur das Vorwort – es handelt sich hier entsprechend nicht um eine Rezension, sondern nur um eine Auseinandersetzung mit den Aspekten, die von Weizsäcker in ihrem Vorwort für erwähnenswert gehalten hat. Gestört gefühlt habe ich mich auf zwei Ebenen: Als Mensch, biologisch eine Frau, an Genderfragen interessiert und in seiner diesbezüglichen Selbstwahrnehmung sehr offen ist. Auf zweiter Ebene als Studentin der evangelischen Theologie.

Was stört mich konkret als gendersensibles, biologisch weibliches und praktizierend evangelisches Wesen?

Mich stört, dass von Weizsäcker Geschlechterklischees vergangener Generationen erneut als selbstverständliche Gegebenheiten proklamiert: „Frauen sind in der Regel barmherziger als Männer.“ „Frauen sind friedfertiger als Männer […] Das liegt auch daran, dass sie nicht so skrupellos sind wie viele Männer.“ Identifiziert werden diese Eigenschaften mit denen, die von Weizsäcker Jesus von Nazareth zuschreibt: „Es sind auch weibliche Tugenden, die Jesus ausmachten, nicht nur Männliche. Ihn trugen Glaube, Hoffnung und Liebe. Auch diese drei werden in der Regel nicht mit Männern verbunden, sondern mit Frauen.“ „Der Blick auf sein Leben, auf das, was er verkündete und tat, ist Frauen oft näher als Männern. Leidensfähigkeit, Mitleiden, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Dienst am Menschen: All das ist eher typisch für Frauen als für Männer.“

 Hier setzt die zweite Ebene meiner Verärgerung ein. Zurzeit belege ich ein Seminar zu Forschungsperspektiven auf das Leben Jesu und erfahre einmal mehr, wie komplex und oft spekulativ diese Forschung ist. Von Aussagen wie „Jesus hätte das nicht gewollt“ oder „Jesus war so und so“ sollte jede*r mit gesundem Menschenverstand absehen – denn was Jesus genau gesagt und gemacht hat, wissen wir schlichtweg nicht. Natürlich, es gibt die Evangelien, die neutestamentlichen Briefe und außerbiblische Quellen, die wir zur Rekonstruktion des Lebens Jesu heranziehen können, aber diese Texte wurden von Menschen geschrieben. Sie sind vieles, aber eins sind sie nicht: historisch zuverlässige Handlungsberichte. Man kann nicht wie von Weizsäcker davon ausgehen, dass, was „nach der Bibel verbrieft“ ist, auch tatsächlich so war. Das ist in der Theologie nicht erst seit gestern common sense, sondern seit über 100 Jahren. Um das zu verstehen, muss man im Übrigen auch nicht Theologie studieren – dass die Lebensgeschichten Jesu in den vier Evangelien oder die beiden Schöpfungsberichte in der Genesis unterschiedlich sind, merkt selbst ein Kind.

Es ist einerseits gewinnbringend und wichtig, dass auch „Laien“ über Glaube und Religion schreiben – zumal bei Protestanten das Priestertum aller Gläubigen gilt. Es ist andererseits frustrierend, wenn diese Laien dann ihre eigene Bibelinterpretation und ihr persönliches Glaubensempfinden als Gottes/Jesu Willen verkünden. Persönlicher Glaube ist eine Ebene, auf der es kein Richtig und Falsch gibt. Aber Theologie ist eine Wissenschaft und als solche hat sie Methoden, die es zu wahren gilt, wenn man etwas mit dem Anspruch auf Richtigkeit von sich gibt. Von Weizsäcker ist promovierte Juristin, es ist davon auszugehen, dass sie um die Richtlinien wissenschaftlicher Arbeit weiß. Warum verweigert sie Wissenschaftlichkeit bei einem Thema, das sie doch so dringend nötig hat? Nicht zuletzt stört mich ein Seitenhieb auf die feministische Theologie: Was die denn nütze, wenn sie Männer ausschließe, fragt die Autorin. Auch hier hätte ein Fitzelchen mehr Wissenschaft nicht geschadet.

Feministische Theologie hat sich in den 1960ern entwickelt. Sie konstatiert und kritisiert, dass sowohl die biblischen Texte als auch ein Großteil bisheriger Theologie in patriarchalen Strukturen entstanden sind und entwirft als Ausgleich dazu eine Theologie, die die Interessen von Frauen spezifisch berücksichtigt. So werden zum Beispiel wichtige – und durchaus die Genderzuschreibungen ihrer Zeit sprengende – Frauen der Bibel (endlich) in den verdienten Fokus gerückt. Was Geschlechterrollen angeht, gibt es zwei Hauptströmungen Feministischer Theologie: Die eine sucht danach, die „weibliche Seite“ Gottes zu entdecken. Gott begegnet in der Bibel zum Beispiel als Gebärende, Hebamme oder Mutter. Die andere weist darauf hin, dass es vor Gott gerade keine Geschlechter gibt: „darin [im Glauben] ist nicht Mann noch Frau“ (Gal 3,28).

Offensichtlich schließt Feministische Theologie Männer nicht aus, wie von Weizsäcker unterstellt wird. Ironischerweise macht sie das viel eher selbst, indem sie Männer als skrupelloser, gefühlloser und unsozialer pauschal abqualifiziert. Ein letzter Punkt: Dass von Weizsäcker in Sachen Gleichstellung Kritik an der katholischen Kirche übt, ist definitiv nicht unberechtigt. Es ist aber auch leichter bei den „anderen“ zu kritteln als nach den Unzulänglichkeiten der eigenen Strukturen zu suchen. Unzulänglichkeiten gibt es in der evangelischen Kirche genau so wie in der katholischen, auch wenn hier Frauen den Männern komplett gleichgestellt sind und der Weg in alle Ämter ihnen offen steht. (Letzteres übrigens auch nicht erst seit gestern, sondern seit 1958, was auch das Geburtsjahr von Weizsäckers ist.)

Aber Kirche muss heute nicht nur für männlich und weiblich, sondern auch alles darüber hinaus gendersensibel sein. Sie muss nicht nur alle sexuellen Identitäten, sondern auch alle sexuellen Orientierungen willkommen heißen und integrieren – oder ihnen christlich gesprochen in Nächstenliebe begegnen. So ist es ein Armutszeugnis, dass homosexuelle Paare immer noch nicht offiziell kirchlich getraut werden können – auch wenn manche Pfarrer*innen es inoffiziell trotzdem machen.

Hier ist die Theologie zum Glück weiter als die kirchliche Praxis: Gerade hat Prof. Dr. Karle von unserer Fakultät in ihrem neuen Buch erneut gefordert und theologisch begründet, dass und warum die Ehe für Homosexuelle geöffnet gehört. Bei diesem Thema wären Äußerungen interessierter und engagierter Laien wie von Weizsäcker wirklich nutzbringend. Aber was bringt uns ein Buch, das unwissenschaftlich hinsichtlich Theologie und Genderforschung fragt, ob Jesus für Frauen ein Vorbild sein kann und das sich unwissend bemüßigt fühlt ein „Christentum für Frauen“ zu konstruieren? Das hat von Weizsäcker selbst dem attestiert, was sie unter feministischer Theologie versteht: „Nichts.“

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