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„Und eigentlich glaube ich nicht an die Perfektion“

„Und eigentlich glaube ich nicht an die Perfektion“ published on Keine Kommentare zu „Und eigentlich glaube ich nicht an die Perfektion“

von Lilli Boheme

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Bild: IFFF

Mein Hund hat Entenfüße, schiefe Zähne und einen charmanten Überbiss. Ein Mängelexemplar aus dem Ausland? Im Gegensatz zu den Zuchtdamen der beiden Dalmatiner-Hundezüchter Peter und Thomas fällt meine Lemon jedenfalls durch jeden Standardtests ihrer geschätzten 2 – 50 Rassen: gleichmäßig gefleckt, schöne Kopfform und ein helles, freundliches Gemüt – der perfekte Dalmatiner, dem Peter und Thomas bei jedem neuen Wurf entgegenfiebern. Bisher war er noch nicht dabei. Gar nicht so schlimm, wie Peter meint. Aber dazu später mehr.

In der Dokumentation und Abschlussarbeit „Nur das Beste“ von Kim Münster (Regie) und Tina Porsche (Kamera), zweier Studentinnen der FH Dortmund, geht es um das Streben nach Perfektion. Das Streben nach den perfekten Maßen, der optimalen Fehlervermeidung, der besten Leistung. An vier Beispielen machen die beiden deutlich, wie der Mensch dieses Bestreben internalisiert und in das Leben, den Alltag, den Geist aufgenommen hat. Dabei begleiten sie Sebastian, den Qualitätsmanager einer Firma für Solartechnik, die Ballerina Emilie, die Tomatenzüchter*innen Dorota und Carsten und die oben bereits genannten Hundezüchter Thomas und Peter ein Jahr lang bei ihrer Arbeit, ihrem Hobby, ihrer Passion.

„Geht das auch schneller?“

Kameraführung und Schnitt sind wohl überlegt und machen deutlich, wie die von Technik durchdrungene, effiziente Sicht- und Denkweise auf den Menschen und seine Umwelt übertragen wird. Der Mensch als (Selbst-)Produkt, der Körper als Projekt und als Leistungsträger, der trainiert und optimiert wird; aus dem alles herausgeholt werden muss. Für wen? Für sich selbst oder nur als Rädchen im System?

Alle sprechen von Werten, von Maßzahlen, vom Alter – wer aber sagt eigentlich, was Perfektion ist? Wer legt eigentlich fest, wann eine Ballerina zu alt für die Bühne oder die Tomate zu klein für unsere Tomatensuppe ist? Das ist egal. Fakt ist, die Maßstäbe existieren, sie sind uns bekannt und mensch kann die Tomate, den Hund und den eigenen Körper daran messen. Das heißt im Genauen, mensch kann an den Maßstäben entweder scheitern oder ihnen trotzen – aber meistens scheitern, denn Perfektion ist nicht dafür gemacht sie zu erreichen, sondern um ihr hinterher zu jagen und sich jeden Tag aufzurappeln, das Beste zu geben, sprich: jeden Tag mehr zu geben.

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Bild: IFFF

Peter, der Dalmatiner-Züchter sagt es ganz deutlich am Ende des Films: Wer das Ziel erreicht, wer perfekt ist und perfekte Arbeit leistet, der kann nur noch schlechter werden und dann, ja dann ist das Leben vorbei.

Was teilt er mir mit? Die Perfektion zugleich anzustreben, als auch zufrieden damit zu sein, sie wieder einmal nicht erreicht zu haben – zum eigenen Seelenheil und dem der anderen Zellobjekte und Subjekte. Tomaten, Hunde und Menschen werden zu Produkten, die ihren Qualitätstest bestehen müssen – aber wenn sie Glück haben treffen sie auf Zeitgenossen, wie Peter und Thomas, die auch Welpen mit schwarzen Ohren nicht aus ihrem Dalmatinerparadies verbannen, obwohl sie nie einen Pokal mit nach Hause bringen werden. Der Mensch ist eben (noch) keine Maschine und so fand Lemon, der watschelnde Hund, ihr Plätzchen auf meiner Couch. Einen Gruß an Morgen.

(Dokumentarfilm, Regie: Kim Münster, Deutschland 2013, 80 Min.)

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