Skip to content

Fick dich, Schweigen! Du bist nur nützlich, wenn man keine Ahnung hat.

Fick dich, Schweigen! Du bist nur nützlich, wenn man keine Ahnung hat. published on Keine Kommentare zu Fick dich, Schweigen! Du bist nur nützlich, wenn man keine Ahnung hat.

Von Chiara Fabri

1

A         Es gibt Frauen*, die leiden unter ihrer Erfahrung Abtreibung.

B          Es gibt Frauen*, die leiden nicht unter ihrer Erfahrung Abtreibung.

C         Es gibt Frauen*, die bereuen ihre Entscheidung zur Abtreibung.

D         Es gibt Frauen*, die bereuen ihre Entscheidung zur Abtreibung nicht.

 

Diese vier Sätze lassen sich unterschiedlich verbinden:

ABCD-Fick dich Schweigen

Die Reihenfolge, sprich die chronologische Folge, sprich die Zeit und die sozialen Nebenwirkungen oder Nachbeben können zu jeweiliger Zusammensetzung, aber auch zu einer Veränderung der Zusammensetzungen führen. Die Erfahrung Abtreibung endet nicht. Die Erfahrung Abtreibung machst du ein Leben lang. Deine Entscheidung zur Abtreibung und der Ablauf dieser werden zu einem Teil von dir. Eine Abtreibung macht einen Teil von dir, formt dich.

 

2

Den Frauen*, die abgetrieben haben, abtreiben oder abtreiben wollen, wird von Gegnern*innen und Skeptiker*innen vorgeworfen – oder milder formuliert: zugeschrieben – sie seien herzlos. Verantwortungslos. Unüberlegt. Würden gezwungen. Handeln gegen ihre natürliche Bestimmung aka ihren Mutterinstinkt – und wenn eine Frau* keinen Mutterinstinkt besitzt, was ist sie dann? Ein Mann? – Nein. Eine Frau? – Nein. Ein Monster? – Es kann keine andere Beschreibung passender sein. Die Frauen*, die es bereuen und die, die darunter leiden, die sind menschlich. Diese Frauen* haben noch Herz, das zerreißen kann. Diese Frauen* haben noch ein Gewissen, das sie quälen kann. Diese Frauen* können Reue zeigen.

3

Liegt es an der Herzlichkeit der einen Frau* und der Gewissenlosigkeit der anderen Frau*, dass die eine leidet und die andere nicht? Leidet die eine und kann es die andere nicht?

 

Was es bräuchte, wäre ein Vergleich unter selben Voraussetzungen:

  • Zwei Frauen.
  • Beide schwanger.
  • Ungeplant, ungewollt.
  • Beide entscheiden sich zweifelsfrei für eine Abtreibung.
  • Für beide kommt zu diesem Zeitpunkt zu gleichen Teilen weder eine Adoption, noch das Mutterwerden in Frage.
  • In beiden Situationen, sind die betroffenen Männer* keine Hilfe und mit der Situation auf allen Ebenen überfordert, inkompetent zur gemeinsamen Reflexion und Verarbeitung. Ein Gespräch mit einer Person ihres Vertrauens ist auch keine Option.
  • In beiden Situationen begleiten diese Männer* die schwangeren Frauen* zum obligatorischen Beratungsgespräch
  • Beide sind sowohl bei derselben Gynäkologin* oder demselben Gynäkologen* und lassen die Abtreibung schließlich bei derselben Praxis durchführen.

 

Gesetzt die vergleichende Untersuchung, dass diese zwei Frauen nun unter den äußerst ähnlichen Umständen abtreiben würden und die eine Frau litt unter ihrer Erfahrung und die andere litt nicht unter ihrer Erfahrung, stünden wir durch die Uneinsicht der Kritiker*in wieder am Anfang. Es käme ja wieder zur Relativierung und zu der Unterteilung in gute leidensfähige Frau* und schlechte nicht leidensfähige Frau*. Milder formuliert: die eine ist schwach, die andere stark. Und so fort.

 

Wollen wir also die Vorzeichen des Vergleiches erhöhen. Wollen wir…Wir wollen die Frauen verschmelzen. Machen wir eine Frau aus diesen beiden. Ein Kopf, ein Herz, ein Bauch, ein Leben, eine Biographie, eine Identität.

Darf ich vorstellen: Ich.

 

4

Ich bin optimal für diese Untersuchung.

Ich war zweimal ungeplant schwanger. Ich wollte in beiden Fällen nicht schwanger bleiben und entschied mich zweifelsfrei für eine Abtreibung. In beiden Fällen kam unter keinen Umständen ein Austragen und anschließende Adoption in Frage und auch nicht das Mutterwerden. In beiden Fällen waren die betroffenen Männer* oder der betreffende Mann* auf allen Ebenen überfordert mit der Situation und inkompetent, die Sache gemeinsamen mit mir zu verarbeiten. Auch war es ihm oder ihnen nicht möglich, eine Person des Vertrauens aufzusuchen. Beide Male waren wir zu dritt in dem Beratungsgespräch und war ich zugleich alleine dort. Die Praxis, in der ich mich behandeln ließ, war dieselbe (die ich im Übrigen sehr empfehle!).

Hinzu auch noch – wie großartig für die Untersuchung! – liegt der Zeitraum beider Abtreibungen innerhalb von 12 Monaten. Dabei befand ich mich entwicklungspsychologisch auf selbiger Stufe, befand ich mich in selber finanzieller Abhängigkeit und auf meinem Bildungsweg in zusammenhängenden Abschnitten.

 

Ich entschied mich zweimal für eine Abtreibung.

Einmal litt ich nicht. Einmal litt ich. In dieser Reihenfolge.

Warum?

Einmal begleitete mich meine Familie in dieser Zeit und ein guter Freund. Einmal wusste meine Familie nichts von meinem körperlichen Zustand und ein Freund, dem ich mich mitteilen (/eingestehen) musste, verurteilte mich. In dieser Reihenfolge.

 

5

Ich litt nicht wegen meiner Entscheidung. Ich litt nicht wegen der Abtreibung. Es waren beschlossene Entscheidungen, die zu diesem Zeitpunkt die richtigen waren. Absolut und stets zweifelsfrei. Und die Eingriffe verliefen sauber, professionell, einfühlsam, ich wurde nicht krank.

Ich litt wegen der unsäglichen gesellschaftlichen Stigmatisierung und dem Vorwurf, ein verantwortungsloses, gewissenloses Monster zu sein, wenn ich nicht nur einmal, nein zweimal (!) mein Schwangersein abbreche.

Es ist die Isolation gewesen, die mich leiden ließ. Es ist die Scham gewesen, die mich befiel, die mich leiden ließ. Es ist die Verurteilung einer anderen Person im Moment der höchstmöglichen Verletzlichkeit gewesen, die mich leiden ließ. Es ist das Verschweigen meiner Unterleibschmerzen auf einer Geburtstagsfeier der Familie gewesen, das mich leiden ließ. Es ist das Begreifen gewesen, dass die Gesellschaft dich verurteilt und den Samengeber nicht, das mich leiden ließ. Es war das Erdulden müssen eines enttäuschten Gynäkologen über mein Versagen, das mich leiden ließ.

 

Das ist der Unterschied. Eine jede Frau*, die begleitet wird, die beschützt wird, deren Mut, Kraft und Energie geweckt wird, der Zeit und Ruhe zugestanden wird, zu entscheiden, wozu immer sie entscheiden wird, wird nicht leiden. Eine jede Frau*, die ihre Entscheidung fällt und sich stets an diese Entscheidung zurückerinnern wird, wird nicht leiden, wird nicht bereuen müssen.

 

6

Die Abtreibungen gingen nicht spurlos an mir vorbei. Sie hinterließen Spuren. UND DAS IST GUT. Es sind gute Spuren. Die Abtreibungen sind ein Teil von mir. Ich bin durch meine Abtreibungen. Die Abtreibungen haben dazu beigetragen, die zu sein und immer weiter zu werden, die ich bin. Ich bin sehr zufrieden damit, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe. Ich möchte sie nicht vergessen. Ich habe keinen Grund, sie mir weg zu wünschen oder zu verwünschen. Verwünschungen kommen mir über die Lippen, wenn es um die Gründe meines stillen Leidens geht. Verwünschungen an die fremden Menschen, die Schuld tragen, dass ich leiden musste. Wahlweise möchte ich mit diesen Personen reden oder in ihnen in den Unterleib treten. Das täte gut. Und sie fragen, ob sie kalten Angstschweiß kennen. Sie fragen, ob sie einmal in ihrem Leben über viele Tage und Nächte auf einen Termin warten mussten, der sie nächtlich hochschrecken und nicht mehr einschlafen ließ. Ob sie gerade in diesem Moment, wo ich sie getreten habe und sie diesen Tritt ungerecht finden, ihren eigenen Körper ganz nah bei sich spüren.

 

Eine Abtreibung lässt dich nicht leiden, wenn. Und verdammte Scheiße, das schlimmste, das elendste, das schmerzhafte daran ist dieses „wenn“, weil dieses „wenn“ von Menschen geschaffen wird, die dir böses wollen. Die dich verletzen wollen.

 

7

Ich kenne mittlerweile fünf Frauen*, die in ihrem Leben mindestens einmal dieselbe Entscheidung trafen, wie ich. Ich suchte sie nicht, ich begegnete ihnen. Es sind sechs verschiedene Frauen*, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Lebenswege, Einstellungen und Charaktere. Ihre Wege zur Entscheidung und durch diese Entscheidung hindurch sind vielseitig. Wir haben gemeinsam: Ausdauer, Angst und ein Leben, für das wir Verantwortung tragen. Einige von ihnen sind Mutter.

 

Gedicht

 

** Weil eine Freundin heute (01.06.15) mich grübelnd frug, sei noch nachgetragen **

Liebe Freund*innen, die ihr mich persönlich kennt, sorgt euch nicht, ob ich neben euch gestanden habe und ihr mich zu diesen Zeiten übersehen habt. Meine Abtreibungen sind über ein gutes Jahrzehnt her. Grübelt ihr weiter, so ruft an oder ladet mich zum Eis ein. 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Primary Sidebar

Schrift anpassen
Hohe Kontraste