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Gender und die Kunst ein Motorrad zu warten – Kapitel 1

Gender und die Kunst ein Motorrad zu warten – Kapitel 1 published on Keine Kommentare zu Gender und die Kunst ein Motorrad zu warten – Kapitel 1

von queer_distel
erstveröffentlicht am 11.05.2014 auf ruinendistel.de

 

Jahrelang bin ich nicht selbst Motorrad gefahren. Aus unterschiedlichen Gründen. Allerdings auch, weil ich mich während der Zeit in der ich gefahren bin immer wieder mit Menschen auseinander setzen musste, die meine Kompetenzen – was das Lenken eines so hoch komplexen Gerätes anbelangt – infrage gestellt haben. Da wurde ich beispielsweise durch runtergelassene Scheiben an der Kreuzung von männlich* lesbaren Verkehrsteilnehmenden angeraunzt, ich “Mädchen” solle mit meinem “Roller” runter von der Straße; oder musste mir schon während der Fahrprüfung von dem sich selbst klar als männlich* definierenden Prüfer einen Spruch nach dem anderen anhören:

 
“Trauen Sie sich das denn zu, so als Frau?”

“Haben Sie keine Angst vor Kurven, wenn nasses Laub auf der Straße liegt?”

“Sie wirken heute etwas schwach, möchten Sie die Prüfung nicht lieber verschieben?”

 

Um nur einige der Aussagen zu nennen. Ich erinnere mich daran noch heute sehr gut, so präzise haben mich diese Worte getroffen. Das ging damals so lange weiter, bis ich vor lauter Wut und Verunsicherung tatsächlich durchfiel und bei der Wiederholung zum Glück auf eine andere Person traf, die – ebenso wie meine Lehrperson – überhaupt nicht auf die Idee kam, auch nur etwas dem entsprechendes von sich zu geben. Natürlich war die Prüfung gar kein Problem und nach den ersten bewältigten Aufgaben wuchs meine Zuversicht nur und machte mich selbstsicherer. Im Nachhinein ärgerte ich mich lediglich darüber, dass ich mich vorher von ein paar blöden Sprüchen dermaßen hatte aus der Fassung bringen lassen. Sprache soll nicht gewaltsam sein? Da kann ich nur den Kopf schütteln. Ich weiß, dass es nur Sprache ist, und trotzdem oder gerade deswegen höre ich genau hin statt weg. Was mich mittlerweile – zum Glück – aufmerksamer und weniger verletzbar gemacht hat.
Wenn wir regelmäßig von uns geben, welche bestimmten Kompetenzen wir dem einen* oder anderen* Geschlecht zuschreiben, wie soll sich das nicht in unser Denken einbrennen und dazu führen, dass wir tatsächlich entsprechend dieser Vorstellungen handeln oder verunsichert werden? Klar können wir uns eine so dicke Haut und ein so großes Ego zulegen, dass wir diese Zuschreibungen und Anrufungen von uns abprallen lassen können, aber wieso muss das sein? Und warum sollte ein Motorrad schwerer zu bedienen sein, als ein Auto (ich muss es schließlich nicht tragen und es fällt ja auch nicht alle Nase lang um)? Trotzdem scheint es von einer Aura der Komplexität umgeben zu sein, die sich nur von männlicher* (Technik-)Kompetenz und Stärke handhaben lassen soll. Meine Lust am Fahren wird dadurch immer wieder getrübt, obwohl ich mir darüber bewusst bin, wie absurd diese Annahme ist.

Darum fahre ich wieder Motorrad: Weil es mir Spaß macht, weil ich Lust dazu habe und weil ich es kann! Tja, und um mich nach zehn Jahren Abstinenz meiner Fahrfähigkeit zu vergewissern, habe ich neulich zwei Fahrstunden genommen. Nicht nur, um mich wieder an das Fahren auf zwei Rädern und ohne Knautschzone zu gewöhnen, sondern auch, um mir von einer objektiven (haha) Person bestätigen zu lassen, dass mit meiner Kompetenz_Wahrnehmung alles in Ordnung ist.

Wo sind eigentlich die Fahrlehrer_innen? Ich habe gesucht und musste feststellen, dass anscheinend (fast) nur männlich* definierte Personen diesen Beruf ausüben, besonders wenn es sich um einspurige Kraftfahrzeuge mit zwei Rädern handelt.

Es ist traurig, dass ich dieses Erlebnis als positives Beispiel hervorheben muss: Mein Fahrlehrer* hat nicht ein einziges Mal an mir gezweifelt oder mich an mir zweifeln lassen. Keine Sprüche, keine Geschlechterklischees, kein Macker-Gehabe. Stattdessen hat er* sich hinterher darüber gewundert, dass ich mir tatsächlich meine Fahrtauglichkeit bestätigen lassen wollte und mich für mein Verantwortungsbewusstsein gelobt; und mein Geschlecht völlig außen vor bzw. unerwähnt gelassen. Das tat gut. Vielen Dank! Wo lag sonst das Problem?

 

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