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Vom Schulhof-Dildo zur sexuellen Selbstentfaltung

Vom Schulhof-Dildo zur sexuellen Selbstentfaltung published on Keine Kommentare zu Vom Schulhof-Dildo zur sexuellen Selbstentfaltung

von Chiara Fabri

Schule. Pause. Wir standen beisammen. Zwei Schulfreunde und ich. Kein Plan mehr, wie wir auf das Thema gekommen sind, aber plötzlich schauten sie mich beide vollkommen besorgt an und es kam aus dem Mund des einen nur noch ein „Wirklich, keinen, noch nie?“ Ich so: „Nein, warum, nääää.“ Er so: „Das müssen wir ändern.“Ich antwortete nur: „Ja, klar, nääääää.“ Und dachte mir: „Kümmere du dich mal um deinen eigenen Sex.“

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Ein paar Monate später. Schule. Pause. Ich wollte gerade hinaus aus dem Gebäude, da nahm mich einer der beiden Besagten am Arm und beschwor mich, mitzukommen. Ich kam mit. Vom Schulhof mussten wir aber noch weiter. Zu dem Parkplatz, zwischen den Autos. Da standen wir also zu dritt und ich verstand nicht, warum wir uns verstecken mussten und was denn jetzt so heimlich sein muss. Ich war etwas gelangweilt. Und dann bekam ich ein Paket in die Hand gedrückt. Zum Geburtstag. Ich war verwundert, dass die Jungs wussten, dass ich Geburtstag hatte. Ich freute mich. Wir kannten uns noch nicht lange, waren grad ein halbes Jahr zusammen in der Klasse. Und ich war eher so diese Halbdeutsche mit den Fremdwörtern in ihren Schachtelsätzen und die beiden Jungs eher so die Kiffer mit Migrationsbiographie. Unsere Lebenswege kreuzten sich nur deswegen, weil wir alle drei gewillt waren, unseren früheren Lehrer*innen eins auszuwischen und unseren Abschluss ja wohl mit Bravour zu machen. Ich packte also das Geschenk aus mit dem Gedanken, dass ich wohl nun doch akzeptiert bin und Freunde gewonnen habe. Und da. Zu meinem achtzehnten Geburtstag schenkten die beiden Jungs mir mit aller platonischer Liebe einen riesigen, einen sehr riesigen Vibrator. Deswegen die Heimlichkeit vor den anderen. Die beiden kümmerten sich um mein Lustwohl – wie lieb. Ich konnte nun einen langen, fleischfarbenen stockgeraden Penisvibrator mit enormen Venen meinen zukünftigen heimlichen Bettgefährten nennen.

Darüber gesprochen haben wir nie wieder. Keine Fragen, keine Sprüche, keine Verpflichtungen ihnen gegenüber, sie an meinem Körpergenuss teilhaben zu lassen.
Und weiterhin: jeder Person gegenüber leugnete ich den Besitz eines solchen Dinges vehement, wenn ich musste. Ich habe mich nicht selbst befriedigt und Hilfsmittel habe ich schon mal gar nicht, pfff.

Zum Genuss führte dieses Riesending nicht. Ich habe es ein paar wenige Male ausprobiert. Das Ding war so megalaut, dass ich es kaum anzumachen wagte. Und auch war das Teil einfach viel zu groß und zu hart und überhaupt. Es tat weh, sobald ich mein Becken im Ansatz bewegte und ich lag da und dachte nur „laut laut laut“.

Das war so ziemlich lange meine Erfahrung mit Sexspielzeug und ich hatte recht bald für mich entschieden, dass das nichts für mich ist. Aus Scham mein Probierinteresse vor mir selbst geleugnet. Die Sexpartner dieser Jahre waren ähnlich aussagelos wie ich es vorgab und auch selbst irgendwann annahm.

Dieses Gerät verstaubte unter meinem Bett und nach sechs Jahren habe ich es danndoch ohne viel Wehmut in den Mülleimer geworfen.

Dildoparty – Ein Haufen Frauen* untereinander, die sich kichernd und mit heimlicher Begeisterung die vielen verschiedenen langen, flachen, runden, dicken, dünnen Dinger anschauen und weiterreichen und sich gegenseitig erzählen, was sie sich nicht erzählen?

Eine Dildoparty – Ein Haufen Frauen*, die mit wissendem Lächeln ins Schwärmen kommen und sich davon erzählen, wann sie mit wem das eine oder das andere Gerät verwendet haben?

JA – Wie gern hätte ich mit 18, mit 22, mit 24 Jahren Personen um mich gehabt, mit denen ich mich über meinen Körper und mein Lustempfinden austauschen hätte können. Wie gern hätte ich Worte dafür gehabt, was ich will, wünschte und noch alles nicht weiß. Mit Neid blickte ich in diesen Jahren auf die verschiedenen Dildos, Vibratoren und weiteren Sexspielzeuge in Katalogen, auf Bildern und wünschte sie mir in meinen Gebrauch herbei. Allein NIE IM LEBEN hätte ich gewagt, auf eigene Faust so ganz allein mich auf den Weg zu machen. Allein mit mir? Nope.

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Vor drei Jahren kaufte ich mir für ein Workshopkonzept das Magazin ÖKO-TEST KOMPAKT Nr. 1207 mit dem Untersuchungsthema Sexualität. Da wurde allerlei getestet: Potenzmittel, Menopausenmedikamente, Online-Erotik- und Partnersuche-Plattformen und so Sachen. Mit Entsetzen las ich die Testergebnisse der 22 Vibratoren und anderen Sexspielzeugen:Von neun Vibratoren wurde nur einer mit sehr gut (1) beurteilt. Drei von neun wurden mit jeweils einmal gut (2), befriedigend (3) und ausreichend (4) beurteilt, wobei hier die Mängel vor allem im Innenraum bzw. Netzteil vorzufinden sind. Ein Vibrator war mangelhaft (5). Und vier von neun Vibratoren wiesen ein ungenügenes (6) Gesamturteil auf. Bei den übrigen 13 Sexspielzeugen waren zwei Produkte mit mangelhaft (5) und fünf Produkte mit ungenügend (6) bewertet.

Im Ergebnisbericht des ÖKO-Test ist unter anderem zu lesen, dass fünf der „Designervibratoren“ einen hohen Gehalt an Dibutylzinn (DBT) (Auswirkungen auf die Gesundheit) hatten und diese zinnorganische Verbindung als fortpflanzungsgefährdend und fruchtschädigend eingestuft wird. Ebenso beinhalteten 17 von 22 Produkten erhöhte Gehalte von poly­zyklische aromatische Kohlen­wasser­stoffe (PAK) (Auswirkungen auf die Gesundheit), welche in der hier vorfindlichen Zusammensetzung als krebserregend eingestuft sind. Einmal gar in einem Verhältnis von knapp 15mg/Kilo. Bei den Schad­stoffen handelt es sich um gefähr­liche Phthalat-Weichmacher und PAK, die beim Anfassen über die Haut in den Körper gelangen können. Im schlimmsten Fall können sie Krebs erzeugen, das Erbgut verändern, die Frucht­barkeit beein­trächtigen und das Wesen im Mutterleib schädigen. Ebenso waren in zwei Produkten krebsauslösende Nitrosamine (Auswirkungen auf die Gesundheit) in erhöhter Menge vorhanden sowie Allergien auslösende Latexproteine (Du hast eine Latexallergie, kennst du Nitril?). [1]

Damit waren etwa 55% stark gesundheitsgefährdend, die Risiken erstreckten sich von Allergien über krebsauslösend bis hin zu Unfruchtbarkeit.

Und auch unter den 2006 von ÖKO-Test untersuchten 22 Massagestäbe bekamen die Hälfte ein ungenügend (6) und nur acht Produkte dieser konnten bedenkenlos mit einem sehr gut (1) verwendet werden.

 

Und trotzdem werden sie nicht nur verkauft…

                                                                        …sie werden gekauft!

Unter den getesteten Produkten befinden sich nicht nur günstig produzierte Produkte aus China oder Taiwan, nicht nur namenlose, sondern durchaus auch Produkte namhafter Labels aus Europa und Kanada (namentliche Erwähnung folgt), die sich online edel und selbstbewusst elegant präsentieren; mit der scheinbar einzigen Motivation, der Frau [sic!] zum Wohlgenuss zu gereichen. Selbstverständlich, ohne auf die gesundheitlichen Risiken hinzuweisen. (Kleiner Tipp: Such mal zum Spaß auf deiner Dildoverpackung nach den Inhaltsstoffen…)

Bei Sexspielzeug fehlen nötige Richtlinien zulässiger Schadstoffe vollkommen; anders bei Spielzeug und Kleidung (bspw. Stoppensocken) mit Weichmacher für Kleinkinder und Kinder, die bereits bei „einem Anteil von mehr als 0,1 Prozent als gesundheitsgefährdend und unzulässig erklärt“ werden (Der Artikel aus dem hier zitiert wird, ist einer der bitterwenigen lesenswerten auf dieser Plattform!). Versuche verschiedener Landesparteien und Organisationen, solche Richtlinien zu thematisieren oder auch nur die Risiken und gesundheitliche Verantwortung an die Öffentlichkeit zu bringen, erscheinen halbherzig und bekommen kaum bis keine mediale Aufmerksamkeit. Mehr noch: undifferenzierte, im Sande verlaufende Warnungen vor Sexspielzeug verteufeln die Produkte nur noch mehr und unterstützen damit die Tabuisierung des Umgangs mit Dildos, Vibratoren und weiteres. Warum scheint das Interesse für Gesundheitskriterien und Qualitätsstandards bei Sexspielzeug verschwindend gering?!

Auf der Suche nach kleineren Labels und Verkaufsstellen, von denen ich mir gesundheitsfreundlichere Produkte versprach, musste ich mit Bedauern feststellen, dass die Onlinesuche nur geringen Erfolg brachte. Warum ist es so schwer, an einen inhaltsstoffneutralen Dildo zu kommen?! Erst Mithu Sanayl empfahl mir sexclusivitäten (hier oder auch interessant dies hier) von Laura Méritt in Berlin-Kreuzberg und wenige andere Kaufmöglichkeiten in der Schweiz und Österreich. Laura Méritt kauft ausdrücklich nur ein bei mittelständischen Unternehmen, die ihre Produkte ohne Schadstoffe entwickeln.

Zu diesem Zeitpunkt bekam ich erneut ein Sexspielzeug geschenkt. Dieses Mal ein bedeutend kleinerer Dildo. Schwarz, geschwungen, Design. Von meinem damaligen Partner, der mit Interesse meinen Ärger über diesen gesundheitsschädlichen Scheiß verfolgte und mich darin unterstützend, offensiv auf meinen Körper zu zu gehen. Und ab dann nahm ich es mir vor, mit 26. Ich wollte beginnen, meine Sprache und meine Neugier, meinen Körper zu üben. Mich dem Ganzen zu öffnen. Und mit Anderen ins Gespräch zu kommen. Ich lernte genießen, mich freuen. Ich geriet ins Schwärmen, immer mehr, immer ungezwungener. Träumte von einem eigenen Magic Wand und dann endlich mit 29 Jahren habe ich es getan. Ich habe mir für mich ganz allein meinen eigenen Dildo gekauft. Durchsichtig, mit Nieten geschwungen, 24cm, hart. Megagut!

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Dildoparty? – Ich fühle mich in Gesprächen mit Menschen am wohlsten, wenn es um Sex geht. Wenn es um Gerätschaften und Phantasien und Kreativitäten rund um diese Lust am eigenen Körper und Körper anderer geht. Wir haben unheimlich viel Spaß und Lust, uns zu erzählen, zu lernen und auch hin und ab zu denken „abgefahren“.
Es macht mir unheimlich Spaß mit männlichen Freunden ins Schwärmen zu geraten und mich auf deren Sexspielsachen zu freuen. Es macht mir unheimlich Spaß mit meinen Freundinnen ins Schwärmen zu geraten, was mit dem unverhofften Feierabend angefangen wird. Es macht mir Spaß, mit fremden Männern darüber zu reden, dass ein Dildo keine Konkurrenz ist und das Leuchten der Erkenntnis in ihrem Gesicht zu beobachten. Es macht mir Spaß, fremde Frauen sagen zu hören „Du, morgen kaufe ich mir endlich auch einen!“

Sexspielzeug ist kein Ersatz. Sexspielzeug ist kein Hinweis darauf, dass die Person, die es verwendet, frustriert ist oder in ein Alter gekommen ist, in dem man sonst keinen Spaß mehr hat und einen neuen Kick zu finden hofft. Sexspielzeug ersetzt keinen Menschen und auch nicht dich selbst. Ein Schwanz ist kein Ersatz für einen Dildo, ein Dildo ist kein Ersatz für Finger und eine Faust kein Ersatz für einen Teigroller und ein Teigroller ist noch lange keine Salatgurke! Sexspielzeug ist eine Bereicherung. Für dich allein. Für dich und deine Sexpartner*innen. Sie können ebenso in deiner Nähe liegen und auf ihren Einsatz warten, wenn du allein bist. Wie, wenn sich gerade ein nackter Körper zu deinem hinbewegt.

Dildoparty? – Und meine Güte, jede Enddreißigerin, die rötend kichernd zum Dildo greift und ihn in Gedanken schon zehnmal gekauft hat, freut mich sehr. Daran ist nichts frustriert oder frigide. Im Gegenteil, da ist ein Ansatz, der nicht verschreckt werden darf. So wie wir alle einmal Kinder waren, so werden fast alle einmal Enddreißig sein. Und werden vielleicht bis dahin die eigene Sexualität entdeckt haben; ganz gleich wie die aussieht.

Dildoparty. – ABER. Ich habe eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Verkaufskonzept von Verkaufsparties. Ich möchtenicht ein Konzept unterstützen, dass Verkäufer*innen geringfügig bezahlt, dafür, dass sie ihre Arbeit nicht nur gut, sondern auch verantwortungsbewusst machen. Ich möchte nicht, dass mir wer ein Dildo vorstellt bzw. feilbietet und wir beide im Hinterkopf haben, dass sie Provision für jedes verkaufte Produkt bekommt, weil NUR DAS ihr Gehalt für ihren Arbeitseinsatz darstellt. Jedoch Dildoparties an sich finde ich eine klasse Idee und die wird es auch mit nicht gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen geben. Aberdie bisherigen Dildoparty-Websites, die ich mir anschaute, boten kein Vertrauen. Die Produkte werden nicht ausreichend vorgestellt, die Gestaltungen und die Werbetexte sind heischend, oberflächig und an einer emanzipatorischen Sexualität eher desinteressiert. Bleibt skeptisch!

JA, wenn es um gesunde Produkte geht.

Wenn es um emanzipatorische und divers zulassende Sexualität geht! – JA.

Gibt es die? Bestimmt. (Hinweise bitte unbedingt an info@feminismus-im-pott.de)

**********************

 [1] vgl. ÖKO-TEST KOMPAKT Sexualität, S. 41ff

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