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Kleidung nutzt sich ab – #imzugpassiert

Kleidung nutzt sich ab – #imzugpassiert published on 2 Kommentare zu Kleidung nutzt sich ab – #imzugpassiert

 

von Frau Raclette

Kleidung nutzt sich ab. Sie ist gebraucht, verfällt, bekommt Löcher. Das Gefühl sexuell belästigt zu werden, nutzt sich nicht ab. Es bleibt. Präsent von dem Tag an, als es #imzugpassiert(e).

Mal denke ich häufiger daran, mal weniger. Doch das Gefühl ist immer dasselbe. Empörung, Wut, Ekel, Scham. Es war Nachmittag, ich war auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Ich saß wie so häufig im RE1. Der Zug, der das Ruhrgebiet miteinander verbindet und den eigentlich jede hier lebende Person kennt. Die Fahrt war kurz, die Sitzplätze wie immer sehr begehrt. Ich überlegte, ob ich mich überhaupt setzen soll. Aber ich war müde, deshalb entschied ich mich für einen Zweierplatz. Ich rutschte ans Fenster. Während Zugfahrten nutze ich die Zeit, um meine Gedanken zu sortieren. Das kann ich am besten, wenn ich aus dem Fenster schaue.

Auch an dem Tag schaute ich aus dem Fenster. Meine Gedanken kreisten um den nächsten Tag, die Sachen, die noch zu erledigen waren und die Nachrichten, die ich noch schreiben wollte. In Gedanken versunken zog ich mein Handy aus der Tasche und begann, in meinem Messenger zu lesen. Erst dann nahm ich die Person wahr, die neben mir lautstark telefonierte. Ich hörte sie deutlich über meine Musik hinweg. Was soll‘s dachte ich mir, ich steige eh gleich aus. assbite

Ich schaute wieder aus dem Fenster. Plötzlich bemerkte ich eine Berührung an meinem Bein. An meinem Oberschenkel. Ich trug eine Leggins. Die Leggings war schon älter, sie war abgenutzt und hatte ein Loch am Oberschenkel.Ich spürte meinen Herzschlag. War es eine unabsichtliche Berührung? War sie absichtlich? Was genau habe ich da gerade gespürt? Ich war aufgewühlt und verwirrt. Ich versuchte, mich zusammenzureißen und schaute verunsichert aus dem Fenster. Dabei zwang ich mich, aufmerksam zu sein. Da passierte es wieder. Ich drehte mich um und sah, wie der Mann seine Finger aus dem Loch in der Leggings zog. Ich krallte mich an meinem Handy fest und spürte, wie Wut und Ekel in mir hochstiegen. Mein Herz pochte bis zum Hals. Ich brachte keinen Ton heraus. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich aufgebracht. Was ist los mit mir? Warum reagierte ich nicht? Ich war wie gelähmt. Ich fühlte mich machtlos.

In meiner Verzweiflung hämmerte ich zitternd auf die Tastatur meines Handys ein und berichtete einer Freundin, was ich gerade erlebte.Dabei versuchte ich, zu überlegen, wie ich mich aus dieser Situation befreien konnte.Meine Gedanken rasten. Ich saß am Fenster, er am Gang. Es war unmöglich an ihm vorbei zu kommen, ohne mit ihm in Interaktion treten zu müssen, stellte ich verzweifelt fest. Ich wurde immer wütender. Es gab nur eine Möglichkeit, dachte ich aufgeregt. Ich musste ihn direkt darauf ansprechen. Und zwar laut, damit alle im Zug mithören konnten. Ich versuchte durchzuatmen. Er telefonierte immer noch. Ich zog meine Kopfhörer herunter und sah dem Mann ins Gesicht. Ich suchte den Blickkontakt mit ihm. Dann forderte ich ihn für alle unüberhörbar auf, damit aufzuhören mich anzufassen und mich sofort vorbeizulassen. Seine Augen weiteten sich und er ließ das Handy sinken. Er stand sofort auf. Wütend, aber sichtlich erleichtert rauschte ich an ihm vorbei. Von den anderen Mitfahrenden kam keinerlei Reaktion.

Die Zugfahrt dauerte zehn Minuten. Zehn Minuten, in denen es #imzugpassiert(e). Mal denke ich häufiger daran, mal weniger. Die Leggings war abgenutzt, sie hatte ein Loch. Ich ziehe sie seitdem nicht mehr an. Meine Gedanken und Gefühle waren keine Löcher. Sie waren nicht abgenutzt. Sie blieben.

Nachtrag: Ich ziehe die Leggings nach wie vor nicht an. Aber wäre es nicht ein Stück Selbstbemächtigung das wieder zu tun? Ich werde darüber nachdenken.

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VJ Ane war für Feminismus im Pott im Interview mit der Initiatorin von #imzugpassiert, Anna Lena Bankel im Interview. Zu lesen hier

2 Kommentare

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