Skip to content

#imzugpassiert – Feminismus im Pott im Gespräch mit Anna Lena Bankel

#imzugpassiert – Feminismus im Pott im Gespräch mit Anna Lena Bankel published on 1 Kommentar zu #imzugpassiert – Feminismus im Pott im Gespräch mit Anna Lena Bankel

von Feminismus im Pott / VJ Ane

Anna Lena Bankel startete am Karfreitag den Hashtag #imzugpassiert. Mittlerweile nutzen ihn Twitter-User*innen, um von ihren eigenen Erfahrungen mit Sexismus oder sexueller Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln zu erzählen. Vielen scheint ähnliches widerfahren zu sein, so dass – wie eine Twitter-Userin schreibt – manchmal 140 Zeichen gar nicht ausreichen. Auch größere Medien wie der Spiegel haben online schon dazu berichtet

Neben dem großen Zuspruch, wird aber auch an der ein oder anderen Stelle Unmut und Unverständnis laut. Manche wollen es erst gar nicht hören, ziehen es ins Lächerliche, bezeichnen die Tweets als Lügen oder werden beleidigend. Von einigen Nutzer*innen wird genau dieses Verhalten als Teil des Problems gesehen.

Die vielen Tweets als Reaktion auf den Hashtag und andere, wie die Erfahrungen von Mitarbeiter*innen sowie Leser*innen zu Heimweg der taz, zeigen jedenfalls, dass es sich nicht um eine Einzelerfahrung handelt, sondern Sexismus zu etwas Alltäglichem geworden ist.

Wir haben selbst einmal mit Anna Lena Bankel gesprochen, darüber wie es überhaupt zu dem Hashtag kam und wie sie die Reaktionen in den letzten Tagen darauf erlebt hat. So genug von uns und lest selbst.

[via @pixabay]

Hintergrund

F: Wie kam es zu dem Hashtag?

A: Die Idee für den Hashtag entwickelte sich aus einer Diskussion zwischen dem österreichischen Journalisten Hanno Settele und einigen Frauen meiner Wiener Twitter-Bubble. Er sprach sich dabei gegen Frauenabteile in Zügen aus und verglich sie mit der Rassensegregation vor dem Black Civil Rights Movement in den USA. Frauen* verteidigten darauf die Sinnhaftigkeit von Frauenabteilen (von denen es ohnehin nur sehr wenige gibt). Sigrid Maurer, eine grüne Abgeordnete des österreichischen Nationalrats, veröffentlichte daraufhin diesen Artikel und als ich das las, kam mir die Idee, mal öffentlich darüber zu sprechen, welche Lästigkeiten Frauen* so im Zug passieren – umso zu thematisieren, dass nicht nur strafrechtlich relevante Belästigung ein Problem ist, und Schutzräume für Frauen, die ja zur Prävention solcher Erlebnisse führen, zu verteidigen.

F: Fährst du selbst oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln?

A: Ich fahre sehr häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln, im Fernverkehr fahre ich etwa 12 Mal pro Jahr. Das habe ich auch getwittert, so dass in etwa eine Relation zu den geschilderten Erlebnissen erkennbar ist.

F: Denkst du es gibt einen Unterschied zwischen Zug und anderen öffentlichen Räumen?

A: Natürlich gibt es den – kein öffentlicher Raum gleicht dem anderen. In Bezug auf Belästigungen ist am Zug speziell, dass frau* schwer ausweichen kann (z.B. wenn sie am Fenster sitzt), und es dort in der Nacht oft sehr ruhig und leer werden kann. Viele Frauen haben auch berichtet, dass ein Übergriff passierte, während sie schliefen, und sie dadurch geweckt wurden. Aber auch in weniger brenzligen Situationen kann es einfach unangenehm sein, immer wieder dazu genötigt zu werden, sich mit jemandem auseinanderzusetzen. Natürlich kennen wir alle über-kontaktfreudige Menschen jeden Alters und jeden Genders, die manchmal zu viel werden können. Der Hashtag aber zeigt, dass sich offenbar viele Frauen eine Spur mehr Distanz bei der Kontaktaufnahme wünschen, und vor allem den respektvollen Rückzug, wenn kein Austausch gewünscht ist.

F: Was spräche deiner Meinung nach gegen das Einrichten von Frauenabteilen als Schutzräume und welchen Nutzen könnten diese auch haben?

A: Gegen das Einrichten von Frauenabteilen spricht selbstverständlich alles, sobald sie zu einem direkt oder indirekt ausgesprochenen Zwang werden. Das steht aber – danke, Feminismus! in unserer Gesellschaft nicht zur Diskussion. Von Law & Order-Phantasien, die im Laufe der Debatte um den Hashtag auftauchten, wie etwa ständiger Polizeipräsenz in Zügen, halte ich wenig; ich habe schon darauf hingewiesen, dass es nicht nur strafrechtlich relevante Belästigung gibt. Das Strafrecht bildet ja auch nur einen gesellschaftlichen Minimalkonsens über das, was Recht und Unrecht ist, ab – und dabei denke ich nicht an die subtilen Belästigungen, sondern solche Unfassbarkeiten wie die Tatsache, dass Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erst seit 1997 strafbar ist. Ein weiteres Argument für ein Frauenabteil ist auch die Prävention – könnte es eine praktikablere Lösung geben, wenn ich als Frau* alleine, vielleicht auch noch minderjährig, oder aus verschiedensten anderen Gründen mit einem mulmigen Gefühl in einen Nachtzug oder einen wenig frequentierten Regionalzug steige? Ich finde das Frauenabteil ein hervorragendes und praktikables Serviceangebot (übrigens genauso reservierungspflichtig, also braucht niemand Angst haben, ihm wird was weggeschnappt). Ich freu mich auf den Tag, an dem Frauen* sich alle einig sind: Frauen*abteile? Brauchen wir nicht mehr. Aber die Diskussion zeigt: Der Bedarf lässt sich nicht wegdiskutieren. Also müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten, die Gesellschaft zu wandeln.

2
Source: Twitter

Reaktionen

F: Wie empfindest du die Reaktionen auf den Hashtag?

A: Die Reaktion auf den Hashtag finde ich hochinteressant in ihrer Verschiedenheit, und erlebe deswegen dieses ganze Ereignis als ein anstrengend-positives. Ich fühle mich sehr privilegiert, diese Reaktionen gemeinsam mit so vielen anderen erreicht haben zu können.

F: Gibt es vielleicht ein oder zwei Reaktionen (hoffentlich positive), die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

A: Ich freue mich über jede* Einzelne, die den Mut hatte, ein Erlebnis zu schildern. Außerdem war es sehr schön, dass verschiedenste Frauen* – bekannte und unbekannte – mir eine persönliche Nachricht mit Zuspruch geschrieben haben. Bei den hunderten Verleumdungen, Verdächtigungen und Beschimpfungen, die mir Trolle zukommen lassen, ist das ein fettes Gegengewicht. Frauen*solidarität hat Geheimpower. Ich muss mich persönlich auch fragen, ob ich Frauen* gegenüber nicht solidarischer sein kann, ob ich zum Beispiel ihre Leistungen nicht oft unbewusst strenger bewerte, als die von Männern*. Wir alle haben ja auch internalisierte Sexismen.

Solidarische Reaktion von Männern* freut mich persönlich auch! Gerne mehr davon, mehr ReTweets, mehr Favs, mehr Fragen! Vielleicht ist noch zu wenig ausdiskutiert, welche Rolle solidarische Männer* in feministischen Diskussionen spielen können und sollen.

F: Was würdest du sagen, von wem gibt es den meisten Zuspruch, von wem die meiste Kritik?

A: Den meisten Zuspruch gab es, meinem Eindruck nach, von Frauen* zwischen 18 und 40, die scheinbar sofort wussten, um was es hier geht: Alltagserfahrungen mit sexistischer Belästigung sichtbar zu machen. Sie wollten offenbar gerne endlich etwas darüber mitteilen und Platz in der Öffentlichkeit für ihre Erlebnisse schaffen. Negative Reaktionen gab es leider in erster Linie von Männern*, die sich pauschal verurteilt fühlten – ein Missverständnis. Verärgert bin ich auch über Männer*, die reflexartig den Wahrheitsgehalt der geschilderten Erlebnisse in Frage stellten oder begannen, ihr Recht auf eine als übergriffig empfundene Situation zu argumentieren. Die meisten negativen Reaktionen kamen von Zweitaccounts mit einer ein- bis zweistelligen Follower*innenzahl. Am meisten enttäuschten mich die Reaktionen von einigen männlichen Medienmachern in Österreich, die demonstrativ unklar Stellung bezogen oder sich hinter Witzchen versteckten. Und zu guter Letzt: Männer*, die vollmundig Lynchjustiz gegen übergriffige Männer* ankündigen, sehe ich eher als Teil des Problems statt der Lösung.

6
Source: Twitter

Social Media im Alltag

F: Welche Rolle spielt Twitter normalerweise in deinem Leben?

A: Ich schaue so gut wie jeden Tag auf Twitter – for better or for worse. Ich nutze es, um politische Debatten zu verfolgen, mich über Demos zu informieren, und um mit anderen über irgendwas zu lachen… das ist eigentlich mein normaler Twitteralltag.

F: Hat sich bei dir im Alltag nach dem Hashtag etwas verändert?

A: Alltag nach dem Hashtag klingt jetzt schon sehr nach Jahrhundertereignis. Bis jetzt ist noch kein Alltag eingekehrt – ich kämme mich jeden Tag durch hunderte Mentions und schaue, ob was Interessantes dabei ist. Das Medienecho am ersten Werktag nach Ostern war nochmal unerwartet groß, was mich freut und gleichzeitig verwundert: Wenn es dieses Echo und diese Aufmerksamkeit in der Gesellschaft gäbe, dann wären wir einen Schritt weiter.

F: Ist es hinderlich oder belastend, die eigene Person für einen Hashtag hergeben zu müssen und damit auch individuelle Zielscheibe von Kritik zu werden?

A: Ich finde es gut und wichtig, dass Twitter uns freistellt, ob wir mit Klarnamen oder anonym auftreten wollen. Meinen Klarnamen habe ich damals mangels besseren Wissens des Mediums gewählt und bereue es manchmal, weiß aber auch, dass ich damit meine Reichweite erhöht habe. In den letzten Tagen war ich meinem guten alten Klarnamen manchmal dankbar, weil er mich davor bewahrt hat, ausfällig zu werden. So habe ich das noch nie gesehen. Das mit der Zielscheibe ist so eine Sache – man wird halt Zielscheibe für Positives und Negatives.

F: Das ging ja alles relativ schnell seit Freitag und auf einmal wollen alle – auch wir – deine Meinung zu dem Thema hören. Wie ist das für dich?

A: Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass es Resonanz gibt! Ich habe das Glück gehabt, dass ich schon etwas Medienerfahrung durch meine Zeit in der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (der gesetzlichen Interessensvertretung der Studierenden in Österreich) hatte. Entsprechende Medienworkshops für Frauen* sind enorm wichtig und sollten viel öfter angeboten werden.

1
Source: Twitter

Einfluss von Social Media

F: Welche Rolle kann ein Hashtag, wie deiner, in der Sexismus Debatte spielen? 

A: Ich möchte gerne weg von der Diskussion Frauenabteil ja/nein. Das ist hier ja nicht der Punkt! Es geht darum, anzuerkennen, wie immer wieder reagiert wird, wenn Frauen von Übergriffen erzählen: Mit Bagatellisierung, mit Unglauben, mit Verleumdung und mit Aggression. Das führt die Geschichte von #imzugpassiert vor Augen, so wie viele andere ähnliche Hashtags auch. Offenbar muss der Gesellschaft immer wieder zyklisch dieser Prozess vor Augen gehalten werden, um sie zu erinnern, dass eben Übergriffe gegen Frauen* immer noch ein großes Thema sind.


Zur Person: Anna Lena Bankel studiert Kunstpädagogik und lebt seit über 10 Jahren in Wien. Hier war sie auch einige Zeit in der Hochschulpolitik aktiv. Politisch interessiert sie sich besonders (ohne bestimmte Reihenfolge) für Bildungspolitik, Feminismus und Antifaschismus. Ihr wollt mehr von Anna Lena Bankel hören oder lesen? Dann schaut doch mal hier vorbei: Interview mit bento.de und dradio

 

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Anna Lena Bankel, dass sie sich die Zeit für ein Interview mit uns genommen hat. Und sagen weiter so <3

Und wie sieht es bei euch aus?

Was ist euch #imzugpassiert und wie steht ihr zu Frauenabteilen, würdet ihr euch vielleicht dann wohler fühlen?

 

Frau Raclette hat eine von vielen Erlebnissen niedergeschrieben,
die ihr bisher im Zug passieren mussten.
Zu lesen hier: Kleidung nutzt sich ab – #imzugpassiert

 

*wir haben uns bewusst dazu entschlossen bei den Tweets Name und Foto der Person nicht zu integrieren. Auch wenn jede*r frei entscheidet, was er/sie* auf Twitter posten möchte, ist manchmal die Reichweite kaum abschätzbar.

 

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Primary Sidebar

Schrift anpassen
Hohe Kontraste