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Wer hat Angst vor Geisterjägerinnen? – Von Trailern und Trollen

Wer hat Angst vor Geisterjägerinnen? – Von Trailern und Trollen published on Keine Kommentare zu Wer hat Angst vor Geisterjägerinnen? – Von Trailern und Trollen

von Jott C

Ich gebe es direkt zu, ich muss nicht um meine Kindheit bangen – in meinen Erinnerungen gibt es keine heldenhaften Geisterjäger, die nun von den Bildern unlustiger, fehlbesetzter Gestalten überlagert werden könnten, die sich anmaßen, ebenfalls in die sandfarbenen Ganzkörperanzüge zu schlüpfen. Oder vielmehr, deren Regisseur sich erdreistet, sie dort hineinzustecken. Nein, ich habe nie dabei zugesehen, wie Dr. Peter Venkman von grünem Schleim bespuckt oder New York von den dröhnenden Schritten des Marshmallow Man heimgesucht wurde. Ob es daran lag, dass mich ein Trupp von vier Leuten in sandfarbenen Ganzkörperanzügen als Identifikationsfiguren einer Filmhandlung nicht genügend angesprochen hat oder ich mich einfach nicht für Geister interessierte, kann ich heute nicht mehr sagen.

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Aber neulich sah ich einen Trailer (deutsch, english), in dem Geister und Schleim und vier Leute in sandfarbenen Ganzkörperanzügen vorkamen, und hatte plötzlich – zumindest mental – die Kinokarte schon in der Hand. Während ich noch ganz überrascht von meinem plötzlichen Interesse an dieser Art Film bin, fällt mein Blick auf die Kommentarleiste und ich erfahre: Die neuen Ghostbusters (übrigens allesamt Frauen*) stehlen die Kindheit derer, die die jetzt verstoßenen

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quelle: eonline.com/news/ghostbusters

Helden des alten Films angehimmelt hatten. RIP Kindheit. Oha. Ich lese weiter: Die Legende wurde zerstört. Nur wegen der ganzen Feministinnen kommen jetzt so viele Frauen an Hauptrollen! Langsam reicht‘s aber mal mit diesem ganzen Gleichberechtigungsschwachsinn! – Was geht denn hier ab? In welchem misogynen Shitstorm bin ich gelandet?

Was ist es, das so provoziert an dem Umstand, dass bei der Neuverfilmung eines (absolut fiktiven) Stoffes, die die Neubesetzung der Hauptrollen alleine schon durch die zeitliche Distanz zum Vorgänger (und das zwischenzeitliche Ableben von einem der Hauptdarsteller) nahelegt, diese Rollen nun von Frauen* gespielt werden?

Machen wir uns nichts vor, von einem Zustand, in dem es bedeutungslos ist, welchem Geschlecht sich die Hauptfiguren zuordnen lassen, sind wir noch weit entfernt, und darum will ich auch nicht behaupten, dass es egal sei, ob es sich hier um Geisterjäger oder eben Geisterjägerinnen handelt. Auch meine eigene positive Reaktion auf den Trailer ist sicherlich nicht einem plötzlich erwachten Interesse an Fantasyfilmen allgemein geschuldet, sondern hat vor allem auch damit zu tun, hier auf einmal vier eindeutig als Frauen* identifizierte Menschen in vorderster Reihe zu sehen. Es ist also nicht überraschend, dass dies bemerkt und erwähnt wird. Warum aber diese Wut, dieser Hass, diese extrem emotionalen Reaktionen? Wie kommt es, dass die Youtube-Vorschau binnen Minuten zum meistgehassten Filmtrailer überhaupt wird?

Weil es Angst einjagt, ausschließlich Frauen* als Hauptakteur_innen in einem Mainstream-Film zu sehen? Weil auf diese Weise Furcht um den Wegfall einer Männerdomäne zum Ausdruck kommt? Weil hier die diffusen Bedrohungsempfindungen, die unterschiedlichste Begriffe und Konzepte wie Gleichberechtigung, Feminismus, Gender Mainstreaming oder Quote bei vielen auslösen, kulminieren? Wahrscheinlich von allem etwas.

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Cosplay: Little Girl Ghostbusters Are Ready to Believe You

Liebe Hater, schon mal darüber nachgedacht, wie viele Kinder und Jugendliche dank des aktuellen Films nun, wie damals ihr, spannende Stunden im Kinosessel verbringen und Erinnerungen für später sammeln werden? Da werden endlich mal ein paar neue Identifikationsfiguren geschaffen insbesondere für diejenigen, die sich sonst mit hysterisch kreischenden Nebenrollen abfinden mussten oder – immerhin – mit der einen toughen, sexy Heldin unter vielen knallharten Kerlen. Wahrscheinlich werden viele von ihnen jetzt bei diesem schieren Überangebot an Wahlmöglichkeiten gar überfordert mit der Aufgabe, zu entscheiden, in welche der Protagonistinnen sie sich denn nun hineinversetzen wollen. Und zack, sind sie da, die vor Angst um die angestammte Platzhirschposition nur so stotternden Kommentare. Und dabei meine ich nicht die Posts, die den künstlerischen Mehrwert des kommerziell kalkulierten Remake-Hypes der letzten Jahre bezweifeln. Oder die rassistische Dimensionen des Films diskutieren und damit wichtige Auseinandersetzungen hierüber anregen. Und selbst, wenn ich auch noch die auffallend vielen Kommentierenden beiseitelasse, die es für unbedingt nötig halten, zu betonen, dass ihre Kritik am Trailer rein gar nichts mit der weiblichen Besetzung zu tun habe, finden sich leider immer noch sexistische, frauenverachtende und antifeministische Beiträge zur Genüge, deren Verfasser_innen sich einzig und allein an der Tatsache stoßen, dass die Protagonist_innen der Neuauflage ihres heißgeliebten Klassikers Frauen* sind.

Vielleicht trägt die folgende Information zur Beruhigung der von postinfantiler Sorge erhitzten Gemüter bei: Auch wenn allem Anschein nach hierüber andere Vermutungen kursieren – eure Legende bleibt weiterhin erhalten. Keine_r kommt und überspielt eure 1984er-VHS mit der 2016er-Version. Nein, Ghostbusters aus dem Jahr 1984 werden immer Ghostbusters aus dem Jahr 1984 bleiben. Alle, die um ihre Kindheit bangen, können sich also getrost in ihr Zimmer zurückziehen, die Rollläden runterlassen und Slimer gucken, so viel sie wollen. Niemand nimmt euch das weg. Oder bricht nun das ganze seit jeher und trotz Ausnahmen eindeutig männlich geprägte Action-Fantasy-Filmgefüge zusammen, weil zu den Helden auf einmal eine Handvoll Heldinnen dazukommt? Leider eben nicht. Dass das Genre in seinen patriarchalen Grundfesten erschüttert wird, dafür bedarf es noch etwas mehr als einer Franchise-Produktion, die den Bechdel-Test besteht.

Daher ein Rat an die um ihre Erinnerungen Trauernden: Locker bleiben! Wenn eure Kindheit tatsächlich von einem Film und seinem Reboot abhängt, war sie eh scheiße, und andernfalls wird sie euch durch ein paar weitere Personen in sandfarbenen Ganzkörperanzügen weder weggenommen noch zerstört.

Ich kann jedenfalls kaum den nächsten Karneval und die Schwemme an Mädchen* und Frauen* erwarten, die – zusätzlich zu den alljährlichen Winstons, Rays & Co – in beigen Overalls durch die Straßen laufen und sich mit Supersoakers ihren Weg durch die Menge bahnen.

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