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Wir wollen wissen, was Liebe ist – 50 Grades of Shame von She She Pop

Wir wollen wissen, was Liebe ist – 50 Grades of Shame von She She Pop published on Keine Kommentare zu Wir wollen wissen, was Liebe ist – 50 Grades of Shame von She She Pop

She She Pop beim Impulse Theater Festival 2016

  von Judith Ouwens

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(c) Judith Buss

Die erste Notiz in meinem Block für diesen Abend lautet „es ist übertrieben voll”. Menschen mit Jutebeutel und Hipster-Brille drängeln sich an der Seite der offiziellen Schlange Richtung Eingang und auch an diesem Abend beweisen She She Pop, dass sie zu Recht zu den Top of the Pops der freien Theaterszene gehören.

Drei Mitglieder der Kollektivs treten mit fünf Mitspielern auf, größtenteils aus dem Ensemble der Münchener Kammerspiele, wo die Produktion erarbeitet wurde. Sie treten uns als beispielhafter Lehrkörper gegenüber, denn wir wollen wissen, was Liebe ist und sie wollen es uns erklären und zeigen wollen sie es auch… Sie sehen seltsam verschroben aus, Kostüme, die mit Puffärmelchen an Wedekind angelehnt sind, ein flauschiger rosa 80er Jahre-Pulli und dünne Männerbeinchen in kurzen Hosen. Komische Typen. Die Mitspieler stehen für gesellschaftliche Gruppen, die innerhalb des Ensembles nicht vertreten sind: Der heterosexuelle Mann, ein älterer Mitspieler, eine echte Jugendliche. Eine ältere Frau, so um die 70, habe es auch bei den Münchener Kammerspielen nicht gegeben, denn Frauen verschwinden irgendwann von der Bildfläche, wird nebenbei bemerkt. 

Wir begeben uns auf die Suche, was überhaupt über Sex und Liebe gesagt werden kann und gesagt werden sollte. Zwei Leinwände in der

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(c) Judith Buss

Mitte der Bühne übertragen Bilder, die hinter und  neben ihnen live auf der Bühne entstehen. Zunächst wird der nackte Körper einer Frau projiziert, wenn es um den Körper gehe, sei meistens die Rede vom weiblichen Körper. Davon wie er zu verführen oder zu disziplinieren sei, wird in monotonem Singsang von einem Rednerpult (Ort der Predigt) mitgeteilt. Dann werden Körper mittels Videotechnik neu zusammengesetzt. Ein Männerkopf erscheint über entblößten Brüsten, eine beharrte Brust unter einem Mädchengesicht. Diese Körperbilder stehen zentral an diesem Abend und erzählen von der Subjektivität des Themas. Denn ein Körper ist ein Körper ist ein Körper, ist in jedem Fall eine vollständige Existenz. Die entworfenen Körper werden im Laufe des Abends surrealistischer, ein nackter Po, ein Mund an der Stelle eines Geschlechts, groß projizierte Finger als Beine. Währenddessen ist immer einsehbar, wie die Bilder entstehen (der Darkroom), ich sehe Lisa Lucassen in greller Unterwäsche und Mieke Matzke ohne Hosen. Alles direkt vor mir, verhandelnde ungeschönte Körper.

Aus den beiden literarischen Vorlagen („Frühlingserwachen“ und „50 Shades of Grey“) werden Themen und Rollen extrahiert und mit darstellerischer Distanz unter die Lupe genommen. Zwischenrufe in einer Wedekind-Szene: „STOP! Erkläre ‚kümmerlich‘“ oder „STOP! Liste: Wer hat alles keine Kinder?“ (Frontalunterricht). Für mich mit dem Ergebnis, dass sich die gesellschaftlichen Wertungskriterien seit den Zeiten des Frühlingserwachens gar nicht so enorm weiterentwickelt haben. Eine Kennenlernszene á la „50 Shades of Grey“ in der Anna Drexlers Satz: „Ich mache keine Liebe, ich ficke hart“ befremdlich in der Luft hängen bleibt. Sebastian Bark lacht verlegen und nestelt an seinen Oberschenkeln. Ist das die sexuelle Befreiung? Es geht um persönliche Scham, um Intimes auf der Bühne, denn man kann ja nur den privaten Schwanz oder die privaten Brüste zeigen.

Dann geht es darum, wie ES tatsächlich passiert. Die jugendliche Lilli erscheint in Großaufnahme auf der Leinwand. Anstelle ihres Mundes werden Münder der anderen eingeblendet, die eine sexuelle Begegnung forterzählen. Manchmal blitzt die jugendliche Scham in Lillis Augen auf. So werden Generationsunterschiede beleuchtet, ohne mit dem Finger drauf zeigen zu müssen.

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(c) Judith Buss

Gegen Ende ein Crescendo: Alle bewegen sich heftiger, wechseln auf Ansage die Plätze und feiern die Freude über den eigenen Körper, der nicht als defizitär betrachtet werden solle.

Was hängen bleibt ist, dass nichts Generelles oder Allgemeingültiges über Sex und Liebe gesagt werden kann. Obwohl wir so häufig sexuellen Bildern begegnen, ist und bleibt es ein sehr privates Thema. Was mit Sicherheit benötigt wird, sind solche persönlichen Auseinandersetzungen, jenseits von Schönheitsidealen, Leistungsgesellschaft und glattrasiertem Pornosex. Und diese Körper, diese realen, lebendigen Körper aus allen Generationen und vornehmlich des weiblichen Geschlechts – wir brauchen sie in Bewegung!

Videos zu Produktionen von She She Pop

Bad

Familienalbum

Testament

Frühlingsopfer


What’s wrong?

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(c) Judith Buss

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