„Das Foto impliziert“,
„typisches Slutshaming“,
„seit jeher“ „in diesem Kontext“
„zu suggerieren
„wie man das so uminterpretieren kann“
von Pepe
Wir freuen uns, dass ihr uns eure Sicht auf das Bild mitteilt, wichtige Konzepte wie „Slut Shaming“ ansprecht, uns warnt und kritisiert.
Maja auf Instagram – Eine Bildanalyse
Es ist allerdings schwierig bei einer Bildinterpretation direkt die Positivismuskeule zu schwingen und eine einzige Lesart zu präsentieren – denn Bildinterpretationen gibt es nie nur eine und selten (Konstruktivist*innen würden sagen: nie) eine richtige, zumal wenn versucht wird, einen Kontext, eine Intention zu rekonstruieren.
Jede mögliche Intention des Künstlers/der Künstlerin* ist in jedem Fall auch von der Rezeption zu trennen, also dem, wie das Bild weiterverwendet, kopiert, adaptiert, angeschaut und besprochen wird.
Was die Interpretation dieses Bildes erschwert, ist, dass es sich schon selbst um eine Rezeption handelt, eine Kopie von Goyas Bildern bekleidete und nackte Maja aus dem Ende des 19. Jh. gegenwärtig ergänzt um Instagram-Icons, die wiederum die Rezeption der Bilder, diesmal in Form von Publikumsbekundungen (Likes, Kommentare, Follower) imaginiert.
Die als Kritik geäußerte Bildinterpretation sieht darin Slut Shaming“, also in diesem Fall das diskriminierende Absprechen von (freizügiger und eigenmächtiger) Selbstrepräsentation in Form von Selfies bzw. eine reine Instrumentalisierung des Körpers für Aufmerksamkeit.
Das Bild würde also Teil von Selfie-Kritik sein, die das Genre als exhibitionistisch und/oder narzisstisch definiert und sowohl Modell/Fotograf*in wie Rezipierende kritisiert. Tatsächlich kann das eine Lesart des Bildes sein und einige taggen das Bild mit #newgeneration und #allforlikes, womit auch nochmal deutlich wird, wie sehr es bei der Selfie-Diskussion und Slut Shaming um einen Generationenkonflikt geht.
Allerdings sind nur wenige Bilder so gelabelt, viele teilen das Bild nur mit Hinweisen zu Titel und Künstler des Originals und belustigen (#funny) sich nur über diese Beobachtung.
Das wird ergänzt durch Hashtags wie #verita (Wahrheit) und anderen Bestätigungen.
Dabei scheint es jedoch nicht (nur) um die „jungen Dinger, die sich für Likes ausziehen“, sondern um den viel älteren und weitverbreiteten Standpunkt „Sex sells“ zu gehen, wie er in Werbe-, Mode- und Unterhaltungsindustrie sowie teilweise auch im Kunstmarkt vermutet wird und auch de facto begegnet. Entsprechend wird Goya von einem Instagramer als „Sex-Visionär“ bezeichnet, der also diese mediale Entwicklung schon vorausgesehen habe.
Hier kommt also spätestens eine zweite Lesart hinzu, welche auch die erste weitgehend entkräftet. Denn zum Entstehungszeitpunkt des Originals gab es noch keine sich selbst fotografierenden Frauen für Likes, immerhin schon einige sich selbst malende Frauen. Die Kunstwelt war hingegen noch mehr als heute von männlichen Künstlern, Kunsthändlern, Kritikern und Mäzenen bestimmt, die entsprechend auch das Bild der Frau stark bestimmten.
Goyas Doppelporträt kann also nur schwerlich als #selfie einer #slut gelesen werden, was sich schon dadurch zeigt, dass es nur Spekulationen über die Porträtierte gibt und das sich Goya und nicht sein Modell für das „skandalöse Bild“ vor Publikum und der spanischen Inquisition verantworten musste.
Das Original und vielleicht auch seine gegenwärtige Persiflage scheinen also eher in die Kategorie Male Gaze zu fallen. Der männliche Blick des Künstlers, der voyeuristischen Geschlechtsgenossen einen „schönen Anblick“ bietet. Die Okkupation und Reproduktion des nackten weiblichen Körpers ist ein durchgehendes und massenhaftes Motiv in der Kunstgeschichte (vielleicht nicht von der Venus von Willendorf, deren Bedeutung offen ist, aber spätestens bei Darstellungen griechischer Göttinnen, den Bordellszenen in Pompeji und den Quellnymphen Cranachs).
Dieses Missverhältnis von Maler und Modell ist in der neueren Kunstgeschichte oft thematisiert und von den Guerilla Girls aktivistisch angeklagt worden.
#verita – Also Wahrheit, ist das Instagrambild allerdings auch, wenn die Häufigkeit der beiden Bilder verglichen wird. Rein empirisch erhält die nackte Maja mehr Aufmerksamkeit.
Wir haben es hier also nicht nur mit einem Generationenkonflikt zu tun und einem Kampf, um den selbstbestimmten sexualisierten Körper bzw. dessen Repräsentation, sondern um die Verschränkung von verschieden Diskursen und Perspektiven.
In diesem Konglomerat von unterschiedlichen Blicken und Besitznahmen von Körper(bildern) ist auch Goya eine ambivalente Figur. Er kann als chauvinistischer Künstler gesehen werden, der sein Modell für die Likes seiner Zeit auszieht oder er kann als progressiver Künstler verstanden werden, der einen selbstbewussten Akt präsentiert: Eine Frau auf Augenhöhe, die Blickkontakt sucht und sich auch ihrer Reize bewusst ist (was natürlich teilweise in die Sackgasse femmé fatale geführt haben mag).
Zuvor bestand das voyeuristische Spiel fast immer darin, dass die Frau versuchte ihre „Reize“ zu verdecken, der Mann sie aber doch erhaschen konnte. Goyas Maja ist dagegen ganz transparent und gerade heraus, als wollte sie sagen: Schaut her, dass bin ich, angezogen und nackt (vielleicht deshalb die Assoziation zum Selfie).
Selbst wenn Goya aber dennoch in der Tradition des männlichen Blicks steht, ist er Teil eines Prozesses zu selbstbewussteren Akten (z.B. Manet, Vallotton, Modigliani, Becker-Modersohn, Lassnig), die endlich auch zum Selbstporträt werden und Frauen ihr Körperbild in die eigene Hand geben.
In Gesellschaften, wo Sexismus und Rape Culture existieren, ist die Übernahme von Motiven und Posen aus dem kollektiven Bildgedächtnis zweischneidig: Wird hier Male Gaze affirmiert oder dekonstruiert? Kann ein neues Frauenbild entstehen? – Hier kommt Slut Shaming und auch Victim Blaming wieder in die Betrachtung. Und da wollen wir eine klare Position beziehen: Frau* soll sich und ihren Körper ganz selbstbestimmt repräsentieren. Es ist ihr Körper, ihr Blick und ggf. ihre Inszenierung desselben. Dazu gehört auch die freie Entscheidung, das eigene Bild sexuell aufzuladen.
Wir könnten das Bild auch noch einmal anders (utopisch) lesen: dass die vielen Likes und Kommentare nur sagen: „Ich finde toll, wie selbstbewusst und frei du mit deinem Körper umgehst, dass du uns zutraust, dass wir damit respektvoll umgehen, ihn nicht kategorisieren, kritisieren oder gegen deinen Willen sexualisieren.“ Und wenn es nicht nur 26 Kommentare, sondern ein kleiner Dialog zwischen (Selbst)Porträtierter und Schauenden ist. Allerdings wäre selbst dabei schade, dass nur so wenig Aufmerksamkeit auf den bekleideten Körper fällt, denn auch das Verhüllen und Kleiden, das Spiel mit Raffinesse und vestimentären Codes steht dem Individuum frei und sollte akzeptiert, anerkannt und austauschend besprochen werden. Die utopische Lesart zeigt, was noch zu tun ist.
Am Ende möchte ich noch einmal unterstreichen, wie wenig wir über die Intention von Goya und seinem Modell wissen und auch die Gründe für die Persiflage konnte ich nicht ermitteln. Deutlich wurde, dass verschiedene Lesarten möglich sind und es immer noch strukturelle Rezeptionsmuster und Konventionen für den nackten weiblichen Körper gibt, und sich hier ungewollte Allianzen zwischen Anhänger*innen eines reaktionären „züchtigen Frauenbildes“ und feministischen Strömungen ergeben, während andere Feminist*innen durch eher „freizügige“ Selbstbilder ungewollt im sexistischen (Werbe-)Mainstream mit zu schwimmen scheinen.
#thinkitover steht unter einem der retweeteten Bilder – dies ist ein Anfang davon.