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„Der rote Raum“ – Ein Erfahrungsbericht zum Stück in der Studiobühne Köln

„Der rote Raum“ – Ein Erfahrungsbericht zum Stück in der Studiobühne Köln published on Keine Kommentare zu „Der rote Raum“ – Ein Erfahrungsbericht zum Stück in der Studiobühne Köln

von Silvana Schmidt

Ein Mann sitzt vor einem dunklen Hintergrund. Er trägt ein T-Shirt auf dem Juliet fucked Romeo steht. Eine Frau umarmt ihn von hinten. Beide gucken erwartungsvoll nach oben.
© Ingo Solms

Mit dem Betreten des Theatersaales der Studiobühne Köln finde ich mich bereits mitten im Geschehen wieder; ohne jede Vorbereitung und von Beginn an konfrontiert die Regisseurin Silvia Werner die Zuschauer*innen mit einer lauten, bedrohlichen und donnerähnlichen Geräuschkulisse, die direkt eine Gänsehaut bei mir hervorruft. Dem Blick der Zuschauenden wird nichts vorenthalten; kein Vorhang verhindert die Sicht auf die minimalistisch gestaltete Kulisse, die in den Farben Rot, Schwarz und Weiß gehalten und von dunklen Kleidungsstücken übersät ist. Im Hintergrund wird eine rötliche Filmszene eines stillen Waldes an die Wand projiziert. Und auch die Schauspieler*innen des Kammerspiels sind bereits auf der Bühne: Während Jan-Martin Müller mit leerem Blick auf dem einzigen Möbelstück auf der Bühne – einem Stuhl – herumlungert, dreht Jana Jungbluth resigniert Runden um ihn herum. Ihre ziellosen Schritte und die Monotonie, in der sie immer wieder beliebige Kleidungsstücke aufhebt und wieder fallenlässt lösen bei mir sofort eine Assoziation mit Rainer Maria Rilkes „Der Panther“ aus – wie auch immer, das vermittelte Gefühl der Bedrückung und Hoffnungslosigkeit stellt sich augenblicklich ein.

Und dieses Gefühl hält die nächsten anderthalb Stunden an – genau wie die Gänsehaut.
Wenn ich sagen sollte, was das Theaterprojekt „Der rote Raum“, eine Zusammenarbeit von 16/9 PRODUCTIONS und der Studiobühne Köln, so außergewöhnlich macht, dann würden mir viele Dinge einfallen: Die fantastischen Darsteller*innen, die ein ums andere Mal ihre Professionalität, Vielfältigkeit und Wandelbarkeit unter Beweis stellen, die gelungene Kombination verschiedener Erzählelemente (Schauspiel, Filmsequenzen, Gesangselemente etc.) oder die Vielzahl der aufgegriffenen Themen. Doch es ist besonders die außergewöhnlich gute Gestaltung des Spannungsbogens, die mich beeindruckt und bewegt hat und das Theatererlebnis zu einem besonders ergreifendem gemacht hat, dem sich zu entziehen kaum denkbar war.

„Einsamkeit zerreißt die Nacht“

Der gleiche Mann liegt auf dem Boden. Er schreit oder weint. Im Hintergrund ist die Frau zu erkennen. Der Hintegrund ist schwarz rot getränkt.
© Ingo Solms

Einsamkeit ist eines der Motive, das im Stück immer wieder auftaucht und verhandelt wird. Dabei spielt die persönliche Verarbeitung von Traumata und gewaltvollen Erlebnissen der Vergangenheit ebenso eine Rolle wie das Nachdenken darüber, was es mit uns macht, wenn zuvor in bunten Farben ausgemalte Zukunftsvorstellungen und Erwartungen an Beziehungen plötzlich zu scheitern drohen – Gesellschaft und Vereinsamung stellen dabei keinen Widerspruch dar, die Frage ist: „Was macht es mit uns, nicht eins zu sein?“
Dabei stellt der titelgebende Raum eine Art anonymen Nicht-Ort dar, der nicht näher definiert, aber in seiner Funktion als Schlüsselsituation immer wieder mit Bedeutung aufgeladen wird; er fungiert als eine Projektionsfläche für die Wünsche und Hoffnungen der Protagonist*innen und symbolisiert den Aushandlungsprozess mit individuellen Konflikten und belastenden Erinnerungen sowie die Auseinandersetzung mit der Wahrheit (falls es die gibt). „Wir können nicht zurück“, wird folgerichtig festgestellt, „aber auch nicht weiter“.

Im Stück werden zahlreiche narrative Mittel ausgeschöpft: Es wird auf Träume, Märchen, (traumatisierende) Kindheitserinnerungen und -geschichten Bezug genommen und immer wieder mit einem Wechsel in die symbolische Ebene gespielt. Ironisch-überraschende Momente bleiben mir im Rahmen der bedrückenden Atmosphäre schnell im Halse stecken; noch nie habe ich eine Version von Zuckowskis „Wie schön, dass du geboren bist“ gehört, die unterschwellig so gewaltvoll und bedrohlich auf mich gewirkt hat. Aber auch der akrobatisch-tänzerischen und immer unvorhersehbaren Performance der Darsteller*innen und den durch Mark und Bein gehenden Stimmen aus dem Off ist es zu verdanken, dass die Spannung bis zum Schluss nicht fallengelassen wird und der herbeigesehnte erlösende Augenblick bis zuletzt nicht einsetzt.

„Wo bist du?“
„Ich bin weit, weit weg von dir!“

Die Frau liegt auf dem Boden. Die Knie sind angewinkelt und die Arme ausgestreckt. Sie schaut erfreut in Richtung Kamera. Über ihr steht der Bahn mit einem nakcten Fuß auf ihre Brust gestützt. Er schaut sie fast ausdruckslos an. Im Hintergrund ist ein Foto eines Waldes zu erkennen.
© Ingo Solms

Tanzend, schreiend, kämpfend, weinend und zuweilen von Krämpfen geschüttelt treffen die beiden jungen Menschen hier an einem unbestimmten Ort in einer Situation großer Verzweiflung aufeinander und müssen sich ihren Träumen, Wünschen und Enttäuschungen stellen. Liebe, Zukunftsangst, Hoffnung und das Projizieren von Wünschen in das Gegenüber werden angesprochen, aber immer wieder geht es auch um (unterdrückte) Sexualität, gesellschaftliche Rollenerwartungen, Rache und die Frage, ob und wie es uns gelingen kann, traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit zu verarbeiten.

Was aber nehme ich von diesem Abend mit? Der rote Raum bildet eine Projektionsfläche. Nicht nur für die Probleme der dargestellten Charaktere, sondern vor allem auch für die Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Zuschauer*innen selbst. Was das hauptsächliche Thema in diesem beeindruckend und wundervoll inszenierten Theaterstück darstellt, vermag ich daher nicht endgültig zu sagen. Jede*r Betrachter*in bringt etwas Eigenes, etwas Persönliches mit, das gemeinsam mit den angebotenen Impulsen zu einem Gesamtbild verschmilzt.

Ansehen könnt ihr euch das Stück noch am 09.01. und 10.01.2017. Beginn ist jeweils um 20 Uhr.

Studiobühne Köln
Universitätsstraße 16a
50937 Köln

Eine zweite Aufführungsperiode findet vom 10. Bis zum 14. Mai 2017 statt.

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