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IFFF 2017: Sonita

IFFF 2017: Sonita published on 1 Kommentar zu IFFF 2017: Sonita

von Laura Chlebos

Eine junge Frau, Sonita, klebt Zeitungsausschnitte in eine Art Tagebuch. Bilder, auf denen eine ekstatische Menschenmenge zu sehen ist, wo die eine Person in die andere übergeht, Grenzen sich für den Moment unweigerlich auflösen. Mädchen, die ihr Idol anhimmeln. Das Idol ist sie. Nein, eigentlich ist es Rihanna, aber Sonita hat ihr Gesicht auf den Körper des Popstars geklebt. Wohin sie will, das scheint klar. Für dieses Ziel wird sie mit gesellschaftlichen Konventionen, Geschlechterklischees und mit ihrer Familie brechen.

Sonita ist 18 und vor 7 Jahren aus Afghanistan in den Iran geflüchtet. Undokumentiert lebt sie mit ihrer Schwester und deren Tochter in Wohnungen, in denen sie eigentlich niemand haben will. Ihre Tage verbringt sie in den Räumen einer NGO, die sich für die Rechte der Kinder einsetzt, die kein zu Hause habe und keinen selbstverständlichen Zugang zu Bildung. Dort, so scheint es, ist sie die Stimme der Mädchen. Sonita ist Rapperin.

„Wir verkaufen unsere Töchter, davon leben wir“

In Afghanistan stellen Mädchen für ihre Familien eine Wertanlage dar und werden nicht selten an doppelt und dreifach so alte Männer verkauft. Auch Sonita soll der Familie Geld bringen. Ihr Bruder drängt darauf, denn er will heiraten. Er will eine Frau heiraten, aber ihm fehlt das Geld.
Sonita ist mutig. Ihr Leben, das Leben eines Mädchens in einer patriarchalen Gesellschaft, hat sie schon früh politisiert. Sonita kämpft und das ist nicht selbstverständlich.

Selbstbewusst und mit einem vertrauen, dass eine Tochter nur ihrer Mutter entgegenbringt, wendet sie sich an ihre Mutter. Sie ist auch eine Frau, die in jungen Jahren mit einem erwachsenen Mann verheiratet wurde. Sie wird, sie muss Sonita verstehen, denn sie hat ein Recht auf ihre Zukunft.
Dass sie als Rapperin im Iran aber keine Zukunft hat, weiß Sonita noch nicht.

„Ihr setzt mich in die Welt und ich soll zahlen?“

Sonitas Mutter bleibt erschreckend hart: „So ist das bei uns. Das ist Tradition“. Sie scheint, nur die Notlage des Bruders zu sehen. Zumindest ist es nur das, was sie sagt, sagen kann? Ich meine in ihrem Gesicht aber noch mehr zu lesen. Widersprüchlichkeit! Aber vielleicht auch nur, weil ich es mir so wünsche.
Sonita wendet sich nun direkt an die Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami. „Willst du mich kaufen?“, fragt sie und stützt Maghami in ein moralisches Dilemma. Kann sie als Dokumentarfilmerin in Sonitas Leben eingreifen?

Hier im Dortmunder U hat Sonita es geschafft. Sie wird frenetisch gefeiert. Zugeben, diese ausgelassene Stimmung ist zu einem großen Teil der jugendlichen Überschwänglichkeit der Schüler*innen geschuldet, die den Saal an diesem Freitagvormittag füllen. Dennoch konnte ich während des Films viele erstaunte und aufmerksame Gesichter beobachten. Dieser Eindruck wurde auch in der anschließenden Fragerunde mit dem anwesenden Produzenten Gerd Haag bestätigt. Er wurde mit teils Fragen konfrontiert, die aus dem Stehgreif gar nicht so leicht zu beantworten waren und sich direkt an die Künstlerin richteten. Der Film hat bewegt, das hört man raus. Immerhin ging um Gewalt, familiäre Konflikte, globale Ungerechtigkeit, Emanzipation und Leidenschaft. Die Jugendlichen wollten mehr über die Situation in Afghanistan und dem Iran erfahren, über die dort vorherrschende Geschlechterordnung, über Sonitas Beziehung zu ihrer Familie und zu ihrer Religion, dem Islam. „Zwangsheirat sei aber keinesfalls eine Erfindung des Islams“, betont Haag, „auch in Brasilien, Mexiko und in Teilen Afrikas ist sie weit verbreitet“.

Der Dokumentarfilm war definitiv eins meiner Highlights auf dem diesjährigen Frauenfilmfestival und wir von Feminismus im Pott hoffen, ihn auch im Pott nochmal einem größeren Publikum zugänglich machen zu können.

Deutschland/Iran/Schweiz 2015, Dokumentarfilm, 91′
Regie Rokshareh Ghaem Maghami
Produktion TAG/TRAUM Filmproduktion, Gerd Haag
Verleih & Kontakt Real Fiction

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