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Facebooks Genderpolitik: Zuckerbrot und Peitsche?

Facebooks Genderpolitik: Zuckerbrot und Peitsche? published on Keine Kommentare zu Facebooks Genderpolitik: Zuckerbrot und Peitsche?

Ein Gastbeitrag von Galumpine

Während Facebooks neue Geschlechtseinträge in Deutschland erst diesen Monat eingeführt wurden, ist dies in den Vereinigten Staaten schon im Februar passiert. Dort waren am Mittwoch verschiedene Trans*-Aktivist*innen zu Gast in der Konzernzentrale, um gegen den Klarnamenzwang zu protestieren, den der Social-Media-Konzern in den USA nun strenger umsetzt. Der Liberalisierung der Genderbezeichnungen folgte ein umso strengeres Bestehen auf der Authentizität der Persönlichen Daten, das vor allem finanziell motiviert zu sein scheint.

In den vergangenen Wochen ging eine Löschwelle durch die USA. Vermeintliche Fakes wuren gelöscht, Profile von Drag Queens in deren bürgerliche Namen umbenannt. Eine Praxis, die an konservative Politiker*innen erinnert, die ihre Abneigung gegen die ESC-Gewinnerin Conchita Wurst zum Ausdruck brachten, indem sie konsequent deren bürgerlichen Namen benutzten. Hierzulande scheiterten Google und Facebook bisher an der Durchsetzung der Klarnamenpflicht, offiziell verlangt Facebook den bürgerlichen Namen, zu massenhaften Löschungen kam es bisher aber nicht. Google schaffte den Zwang im Juli sogar ab und erlaubt Pseudonyme bei Google-Konten ab sofort explizit.

#MyNameIsRoma

Die Drag-Queen Sister Roma aus San Francisco war vor kurzem Betroffene einer solchen Löschaktion und startete eine Twitterkampagne unter dem Hashtag #MyNameIsRoma. Sie gehört zum Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, die in nonnenhaften Trachten für die Rechte von LGBT* und den Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten eintreten. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Ableger, darunter in Köln und nicht selten sieht man die Schwestern etwa bei queeren Parties Kondome verteilen. Der Kunstbegriff entstand bei der Ordensgründung in den Vereinigten Staaten. Er kann wahlweise mit „immerwährende Duldung oder „ewige Ausschweifung“ übersetzt werden.

Am vergangenen Mittwoch wurde sie mit anderen Aktivist*innen beim Social Media-Konzern empfangen, wo ihnen wenig Verständnis entgegengebracht wurde. Facebook sei nicht bereit anzuerkennen, dass ihre Klarnamenpolitik unfair und diskriminierend sei. „Our communities profiles and identities are disappearing daily. We could be wiped out entirely in a short period of time“, schreibt sie nach den Verhandlungen auf ihrem Facebook-Profil, das der Konzern nun für zwei Wochen wieder freigeschaltet hat. Trägt sie in dieser Zeit nicht ihren bürgerlichen Namen ein, soll es wieder von der Bildfläche verschwinden. Das bezeichnete sie als hohle Geste und kündigte weiteren Protest an: „We will not rest until not only drag queens, but everyone, has the right to CHOOSE how they wish to be identified on Facebook.“

60 Shades of Gender

Erst vor zwei Wochen waren bei Facebook 58 neue Genderbezeichnungen eingeführt worden. Mit dem Lesben und Schwulenverband LSVD wurde die US-amerikanische Liste an die in deutschsprachigen Szenen gängigen Selbstbezeichnungen angepasst. Die neue Vielfalt sorgte zwar bei den üblichen Verdächtigen in den Medien und deren Kommentarspalten für wüste Beschimpfungen und spöttisches Schenkelklopfen, wurde ansonsten aber wenig kommentiert. Ob man nun diese unübersichtliche Liste, die niemals wirklich vollständig sein kann vorzieht, oder die Google-Variante „Sonstiges oder keine Angabe“, der eingeschlagene Weg heraus aus der Zweigeschlechtlichkeit ist ein riesiger Schritt hin zu einer Gesellschaft selbstbestimmter Individuen. Während amtliche Formulare und die damit verbundenen Institutionen uns in der deutschen Demokratie immer noch abnötigen, entweder Dame oder Herr zu sein, sind die Konzerne, die diktatorisch ihre virtuellen Räume kontrollieren hier weitaus fortschrittlicher.

Obwohl Facebook die Meinung, es könne und dürfe nur zwei Geschlechter geben hinter sich gelassen hat, scheint ein anderes Gespenst aus dem 20. Jahrhundert noch höchst munter sein Unwesen in der Firmenphilosophie zu treiben: Die Authentizität. Man mag bezweifeln, dass dies primär philosophisch motiviert ist, denn schließlich lässt mit nicht anonymisierten Datensätzen offensichtlich mehr Geld verdienen. Dementsprechend verlangt Facebook den „echten“ Namen der Benutzer*innen. Bei vielen Trans* ist der Geburtsname aber nicht der „echte“ Name, andere Menschen haben Künstlernamen oder benutzen in verschiedenen Öffentlichkeiten verschiedene Identitäten, von denen nicht unbedingt eine die „Echte“ sein muss.

Sind Pseudonyme falsch?

Ich gebe es an dieser Stelle ja offen zu, Galumpine ist nicht der Name, der auf meinem Ausweis steht und im Alltag nennt man mich normal auch anders. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass das eine echt und das andere Fake ist. Ich bin seit drei Jahren mit diesem Namen im Internet unterwegs und für mich bedeutet es eine riesige Erleichterung, dass ich hier einfach ein rosa Pony sein kann und nicht darauf angewiesen bin, entweder Mann oder Frau zu sein. Im Alltag dagegen ist ein Passing für gewöhnlich nur innerhalb der Zweigeschlechtlichkeit zu haben, und dabei bin ich gebunden an meinen gewohnten Habitus und meinen Körper. Es bedeutet Freiheit, jenseits dieser Schubladen mit Menschen in Kontakt treten zu können. Ich empfinde das als ein riesiges Privileg gegenüber älteren Generationen.

Auch die große Mehrheit meiner Facebook-Freund*innen heißt dort ebenfalls anders als im sogenannten „Real Life“. Meistens hat das vor allem mit Datenschutz zu tun. Was ich in der Öffentlichkeit einer bestimmten Website oder eines Social Media Dienstes mache, ist schließlich nicht für die größere Öffentlichkeit bestimmt, die sich – aus welchem Grund auch immer – entschließt, meinen bürgerlichen Namen zu googeln. Dass solche Sorgen nicht ganz unberechtigt sind, zeigen allein die vielen Mord- und Gewaltdrohungen, mit denen nicht nur feministische Blogger*innen immer wieder umgehen müssen, wenn sie im Netz ihre Meinung sagen. Auch Menschen, die sich beispielsweise von gewalttätigen Partner*innen getrennt haben, oder deren Identität oder Lebensstil in der Familie oder am Arbeitsplatz nicht geduldet werden, sind durch ein Klarnamenprofil gefährdet.

Verarschen kann ich mich auch selbst

Demgegenüber gibt es natürlich jede Menge Fakes. Männliche Trolle benutzen weibliche Accounts, die nur dazu dienen, die eigene Position aus einer weiteren Perspektive zu bestärken, Blogger*innen berichten aus dem Alltag von erfundenen Personen und auf einigen Erotik- und Datingseiten animieren bezahlte Fakes die zahlende Kundschaft. So etwas gibt es, und das nicht selten. Trotzdem bleiben solche Sockenpuppen Mittel zum Zweck und auch offline lässt sich mit etwas Betrug und Schauspielerei eine Menge erreichen. Ich bin aber kein*e Schauspieler*in, ich inszeniere unter diesem Namen mich selbst und niemanden sonst. Eigentlich ist Pony ja auch gar kein Geschlecht. Nicht mal bei Facebook kann ich mich so offiziell outen. Es war mal eine trotzige Antwort, auf die Frage meiner Eltern, was aus mir bloß werden solle. Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, weil ich einfach nichts passenderes finden konnte und so galumpiere ich seit Jahren ungehindert durch die Facebook-Welt. Hoffentlich ist damit nicht bald Schluss.

Facebookby feather

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