Ein Gastbeitrag von Mac
Bereits 1996 flüchtete Elisabeth Ngari aus Kenia nach Deutschland. Sie lebte sieben Jahre in mehreren Flüchtlingslagern in Brandenburg. Geschockt von den Zuständen gründete sie mit Mitstreiterinnen die Gruppe „Women in Exile“, die sich für die Rechte von Flüchtlingsfrauen in Deutschland stark macht. Aktuell engagierte sich Ngari mit ihrer Gruppe bis Anfang September bei der „Flüchtltingsfloßtour 2014“ der Band Strom & Wasser, die auf selbst gebauten Holzbooten über deutsche Kanäle und Flüsse fährt, um auf die katastrophalen Zustände während der Flucht aufmerksam zu machen. Schwerpunkt der Tour ist insbesondere die mehrfache Diskriminierung von Flüchtlingsfrauen. Wir haben mit der Aktivistin am Rande einer Veranstaltung darüber gesprochen, was es heißt Flüchtling und Frau zu sein.
Feminismus im Pott: Was sind die Hauptprobleme für Frauen, die geflüchtet sind?
Ngari: Wenn Flüchtlinge Frauen sind werden sie häufig mehrfach diskriminiert. Die meisten Probleme resultieren dabei aus der Unterbringung in Flüchtlingslagern. In Duisburg zum Beispiel habe ich gesehen wie zwei erwachsene Frauen mit vier Kindern in einem Zimmer leben mussten. In fünfzehn Jahren als Aktivistin in Brandenburg und Berlin habe ich so was noch nicht gesehen. Unglaublich. Die beengte Lebenssituation führt zu unmöglichen Zuständen.
Was bedeutet es, auf so engem Raum zusammen leben zu müssen?
Vor allem fehlende Privatsphäre. Zum Beispiel wenn eine Frau gerade aus der Dusche kommt und einem Mann begegnet. Häufig sind die sanitären Einrichtungen nicht einmal nach Geschlecht getrennt, Frauen haben keine Schutzräume. Außerdem verhalten sich die Heimmitarbeiter oft unangemessen: Sie kommen rein ohne zu klopfen und haben keinen Respekt vor der Privatsphäre der Frauen.
Wie sieht die Situation in Bezug auf die gemischten Flüchtlingslager aus?
Wegen des engen Zusammenlebens treffen Frauen und Männer schnell aufeinander. In Hessen hat uns eine Frau erzählt, dass es für 180 Menschen nur drei Waschmaschinen im ganzen Flüchtlingslager gibt. Hier zeigten die Männer ihre Dominanz: Sie packten die Wäsche der Frauen aus den Maschinen, um zu zeigen, dass sie mächtiger sind und bestimmen können.
Gibt es noch andere Situationen, in denen Frauen in Flüchtlingslagern benachteiligt sind?
Wie auch im Rest der Gesellschaft kommt es häufiger zu Gewalt oder sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen. Viele der Frauen reden aber nicht darüber, aus verschiedenen Gründen. Manche sind durch die Situation in den Lagern demotiviert und denken, dass sie keine Rechte haben und damit auch nicht das Recht auf Schutz vor dem Täter. Andere wiederum haben Angst, das Asylverfahren des Täters zu gefährden, wenn sie rechtliche Schritte gehen. Schließlich wohnen Opfer und Täter auch nach dem Übergriff häufig weiter zusammen auf engstem Raum. Die Frauen, die gegen solche Übergriffe vorgehen, machen dann auch noch negative Erfahrungen. Wir haben zum Beispiel mit einer Frau in Brandenburg geredet, die von ihrem Freund geschlagen wurde. Sie hat sich daraufhin dem Heimleiter anvertraut und gesagt, dass sie geschlagen wurde. Der Leiter hat dann aber nur gesagt, sie solle auf ihr Zimmer gehen. Absurd.
Was ist nötig, um Frauen in Flüchtlingslagern zu bestärken, also zu empowern?
Wir fordern schon lange, dass es Frauen ermöglicht wird, einen Deutschkurs zu besuchen. Nun ist es aber oft so schon schwer genug für Flüchtlinge, einen Deutschkurs zu finden und finanzieren zu können. Viele Frauen flüchten zusammen mit ihren Kindern. Wenn sie dann die Möglichkeit bekommen, einen Deutschkurs zu besuchen, gibt es oft keine Kinderbetreuung. Viele Frauen passen dann auf die Kinder auf und lernen erst sehr spät oder gar nicht Deutsch. Ohne die Sprache haben sie aber weniger Perspektiven. Es gibt so viele Frauen mit so vielen Talenten, die etwas an die Gesellschaft zurückgeben wollen und arbeiten möchten. Ohne eine Verständigung ist das nicht möglich.
Auf der Floßtour habt ihr mit vielen Frauen in ganz Deutschland über ihre Situation sprechen können. Gibt es bundesübergreifende Schwierigkeiten für geflüchtete Frauen?
Die Lebensumstände variieren teilweise stark nach Bundesland und dann noch einmal nach den einzelnen Städten und Lagern. Ein Beispiel sind da Essensgutscheine. Die werden nicht in allen Bundesländern ausgegeben, bedeuten aber eine hohe Belastung für die Frauen. Eine Frau in Bayern hat mir erzählt, dass zum Beispiel nie genug Gutscheine für Milchnahrung für ihr Kind vorhanden sind und sie dazu kaufen muss. In Hessen gab es teilweise sogar noch Essenspakete, sodass die Flüchtlinge nicht einmal entscheiden konnten, was sie essen wollen. Viele Frauen haben Angst davor, ihre Kinder und Familie nicht richtig versorgen zu können. Insgesamt macht es mir Wut, dass es diese Lebensbedingungen in ganz Deutschland gibt. Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen – ich habe das Gefühl, dass die Situation noch schlimmer ist als in Brandenburg. Es gibt noch Essenspakete, vorgekochte Küche und richtig beengte Lebensverhältnisse. Das hat mich schockiert.
Welche Möglichkeiten haben sich auf der Floßtour ergeben, um Flüchtlingsfrauen zu unterstützen?
Auf der Tour konnten wir keine Probleme lösen. Dafür hatten wir zu wenig Zeit. In ein paar Städten waren die Begegnungen zwar intensiver als in anderen, weil das Netzwerk unter den Frauen und Unterstützer*innen da enger war. Da gab es dann schon konkrete Verbesserungsvorschläge in den einzelnen Flüchtlingslagern. Es bleiben aber viele verschiedene Probleme in verschiedenen Lagern. In manchen Lagern ist es schlimmer als in anderen. Was wir tun konnten ist das Gespräch anzubieten und die Frauen zu fragen, was an ihren Lebensbedingungen schlimm ist. Das haben wir in unserem Logbuch dokumentiert. In unserer Evaluation werden wir die Bedürfnisse der Frauen ermitteln und durch die neuen Vernetzungen versuchen, eine Verbesserung zu schaffen.
Was müsste sich ändern, um die Lebensbedingungen von Flüchtlingsfrauen zu verbessern?
Wir von Women in Exile fordern alle Lager, Gutscheine und Essenspakete abzuschaffen. Außerdem sind wir gegen Arbeitsverbote, die Residenzpflicht und die Abschiebung im Zuge von Dublin III. Es wird immer von einer Politik des Willkommens in Deutschland geredet. Aber dann kommen die Menschen hier her und sollen in Lagern wohnen? Man sollte alle Türen öffnen und Möglichkeiten für Frauen aufzeigen. Stattdessen lassen sie die Flüchtlinge Monate und Jahre in Flüchtlingslagern. Wenn dir jemand sechs Monate oder ein Jahr von deinem Leben nimmt, dann kannst du das nicht wieder aufholen. Du verlierst die Motivation und deine Träume. Deshalb muss es von Anfang an Möglichkeiten geben, damit noch die Kraft und der Wille da sind, sich hier eine Existenz aufzubauen.
Anm. d. R.: Women in Exile hat am 14.09.2014 den Taz-Panter Publikumspreis-erhalten!
by