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Filmrezension: Zwei Tage, eine Nacht

Filmrezension: Zwei Tage, eine Nacht published on Keine Kommentare zu Filmrezension: Zwei Tage, eine Nacht

 

von Frau Fuchs

zweitage_plakat

Die meisten Filme haben eine Farbe, versetzen einen in eine Stimmung, berühren einen mit unterschiedlicher Intensität. Die meisten Filme nutzen alle latenten Wege um die Zuschauer*innen zu binden. Anzusprechen. Die Augen werden verführt.

Weiche Handlungen, seichte Brise, sind zumeist bunt, getränkt in Farben des Sommers. Harte, nüchterne Geschichten werden oft in Erdtönen oder in kalten und kontrastierenden Farben abgefilmt.

Hier sind es die Farben Orange, Sand – die gesamte Palette zwischen Warmgelb und Ocker.

Es ist Sommer irgendwo in einer französischen oder belgischen Stadt. Dort lebt eine Familie: Ein Mann und eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Ein Junge und ein Mädchen. Es ist kein Film mit weicher Handlung, kein seichter Stoff wie es der Anblick wehender weißer Bettlaken an der Wäscheleine im hübschen Garten vermittelt. Es ist ein nüchterner Film, ohne musikalische Rahmung, ein realistischer kurzweiliger Spaziergang durch die alltagsweltlichen Gefilde einer europäischen Mittelstandsfamilie. Jedoch hat er weiche Nuancen, ganz unkonventionell und reduziert wird die Geschichte an einem heißen Sommerwochenende im Leben jener Familie illustriert.

Das Paar liebt sich. Zärtlich. Innig. Die Kinder werden geliebt. Und beide Aspekte kommen im Kontext der ökonomisch belasteten Lebenssituation zu kurz.

Der Zuschauer erfährt nach und nach von den Randbedingungen dieser voller Liebe und Wärme bestehenden Familienkonstellation, eine ganz normale Familie im Angesicht wirtschaftlicher Existenzängste. In einer mikroskopisch partikularen Erzählweise werden die Kehrseite der Krise, der Strukturwandel des europäischen Arbeitsmarktes mit dem Erstarken von Wettbewerb, Rationalisierung und struktureller Rücksichtslosigkeit bebildert.

Sandra, die Mutter, fürchtet um ihren Job in einer Solaranlagenfirma, in deren Kollegium sie sich sehr wohl und integriert fühlt. Der Chef stellt ihre Kollegen nach dem bevorstehenden Wochenende per Abstimmverfahren nun vor die Wahl: Wollen sie die Prämie von 1000 Euro oder entscheiden sie sich für die weitere Anstellung von Sandra, die nach längerer Krankheit wieder in den Berufsalltag und ins Team einsteigen will? Dieses Entweder-Oder-Dilemma spitzt sich im Laufe des Filmes immer mehr zu, das asymmetrische Machtgefüge zwischen Angestellten und der Firmenleitung konstituiert sich anhand Sandras begrenztem Handlungsrahmen. Um ihr eigenes Fell zu retten, ihre Stelle zu sichern, ist sie gezwungen etwas zu unternehmen damit ihre Kolleg*innen am kommenden Montag positiv für sie stimmen. Die sowieso bereits emotional labile Frau bündelt all ihre Kräfte und reist persönlich zu jedem Einzelnen des Teams nach Hause. Ihre persönliche Marketingstrategie erinnert jedoch weniger an den Wahlkampf eines selbstbewussten und sich wertig fühlenden Menschen, sondern an die Bettelei eines Hundes am Straßenrand eines südeuropäischen Urlaubslandes – stehend inmitten der Kadaver seiner Artgenossen. So könnte auch er ganz schnell enden ehe er sich versah. Sandra hat Panik. Gedemütigt spricht sie mit bebenden Lippen ihre Bitte aus, sie schämt sich und in Schweiß und Tränen gebadet arbeitet sie an diesem einen Wochenende wie eine Besessene für den Erhalt ihrer kleinen Arbeitsstelle, ihres kleinen Mikrokosmos‘. Immer im Hinterkopf, dass das Haus finanziert werden muss, dass sie ja Kinder haben, denen sie ein gutes Leben ermöglichen möchten fernab von Sozialbausiedlung und Discounter. In ihrem Kampf um die Sicherung der sozialen Stellung ihrer Familie widerfahren ihr neben all dem Gram und der Herabwürdigung vor allem nahe und emotional aufgeladene Momente mit ihrem Ehemann, Momente voller Innigkeit, voller Verzweiflung und immer wieder aufleuchtenden Zusammenhalt, welcher im Zuge ihrer Erkrankung offenbar verblasst zu sein schien.

In nüchternen Bewegungen und einer authentischen Körperhaltung nähert Sandra (gespielt von einer großartig einfühlsamen und sehr hollywoodfernen Marion Cotillard) sich den Haustüren verschiedenster profan-einfacher, kleiner Welten, in denen ihre Kolleg*innen mit ihren Familien leben bzw. teilweise hausen. In warmen Farbnuancen und unartifiziell gezeichneten Erzählsequenzen zeigen die Dardenne-Regisseure nicht nur die Probleme Sandras und ihrer Familie, sondern gleichermaßen die prekären Lebensverhältnisse der Familien ihrer Kolleg*innen. Im empathischen Spagat zwischen diesen beiden perspektivischen Ausrichtungen, der Kollision von zwei Counterparts, die so vieles miteinander gemein haben, wird der Zuschauer hineingezogen in diesen feinkörnigen und liebevoll ausstaffierten atmosphärischen Korpus dieses kleinen Films, der mit der Sehnsucht nach den freiheitlichen Idealen und Utopien einer pessimistisch eingestellten abendländischen Risikogesellschaft große Sujets der Moderne, der Emanzipation und Selbstverwirklichung des Individuums, der Befreiung der Arbeitskraft aus dem ausbeuterischen Dasein im Kapitalismus an die Leinwand pinselt.

„Zwei Tage, eine Nacht“, eine französisch-belgische Produktion, zeigt in realitätsnah eingefangenen und warmgetönten Aufnahmen trotz sommerlicher Umgebung die harten Lebensbedingungen einer ganz normalen europäischen Familie, die mit ihrem einfachen und reinen Wesen ein weiteres großes und von jedem Einzelnen ersehntes Ideal verkörpert, nämlich das Ideal der echten Liebe, der Liebe zwischen Mann und Frau, zwischen Mutter und Kind, zwischen den Menschen zu ihren Mitmenschen, einer Liebe, die sich über alles hinwegsetzt, über die ökonomische Unterdrückung, die einen Jeden tagtäglich mit unsichtbaren Fesseln geißelt und zu Dingen bringt, die eigentlich nicht zur bewussten Lebensführung eines aufgeklärt mündigen Individuums passen. Die Selbstausbeutung durch den Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Arbeiten als Lebensinhalt; eine Arbeit, die wenig mit Selbstentfaltung und Sinnstiftung zu tun hat. Vom System verschlungene Lebenszeiten. Doch was unter diesem knöchernen Panzer, der Kurzweiligkeit von (selbst-) auferlegten Zwängen bleibt, das ist dieses zeitlose Moment, dieser ahistorische und allgemeingültige Wert, der über allem steht, immer und immerwährend: Es ist die Liebe. Die Liebe eingefangen in den Farben Orange, Sand und allen Akzenten zwischen Warmgelb und Ocker.

Der Film läuft aktuell u. a. in den Ruhr-Programmkinos Astra & Luna in Essen und im Casablanca in Bochum.

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