Skip to content

Ein Rückblick: Fantasien von Bedeutung. Bilder von Sexarbeit in Medien und Kunst

Ein Rückblick: Fantasien von Bedeutung. Bilder von Sexarbeit in Medien und Kunst published on Keine Kommentare zu Ein Rückblick: Fantasien von Bedeutung. Bilder von Sexarbeit in Medien und Kunst

von Lilli Boheme
(Erstveröffentlichung: Wir Frauen 4
/2014)

„FANTASIES THAT MATTER. IMAGES OF SEXWORK IN MEDIA AND ART“

Gemeinsam mit dem Missy Magazin schuf die Internationale Sommerkonferenz in der freien Spiel- und Produktionsstätte Kampnagel in Hamburg im Juli einen Raum, um die von Mythen, Fantasien und Projektionen durchdrungene Debatte rund um die Sexarbeit aufzuschlüsseln, neuzudenken und Platz für Heterogenität zu schaffen. Anliegen war der Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst mithilfe von Bildwissenschaftlerinnen*, Sexarbeiterinnen*, Künstlerinnen* und Medienmacherinnen*, die gemeinsam die Bilder von Sexarbeit analysierten. Das vielversprechende Programm aus Performances, Vorträgen und Diskussionen bot die Möglichkeit durch vielfältige Ausdrucksformen die brisante Thematik aus unterschiedlichen Positionen zu erfahren und zu diskutieren. Um die Vielstimmigkeit in der Sexarbeit zu umreißen, ist die Rezension mit Zitaten aus unterschiedlichen Quellen angereichert.

Quelle_anniesprinkle.org
Quelle: http://anniesprinkle.org/

„Was erzählt das Bild, das sich die Gesellschaft von Sexarbeit macht, über ihr Verhältnis zu Frauenarbeit, Sexualität und Sexualmoral, Gender, Migration und Armut?“, diese Frage begleitete durch das ganze Wochenende und war Antrieb für neue Denkanstöße. Trotz leichter organisorischer Pannen, die zum Teil lange Wartezeiten verursachten führten die Kulturwissenschaftlerin und Macherin des Missy Magazines Margarita Tsomou und ihr Kollege der Theaterwissenschaftler Eike Wittrock souverän durch das bunte und provokante Programm. Annie Sprinkle und Carol Leigh – zwei der bedeutendsten internationalen Figuren der Sexarbeiterinnen*-Bewegung inspirierten mit ihren Erzählungen aus ihrem Leben und ihren Kämpfen für die Selbstermächtigung von Sexarbeiterinnen*. Annie Sprinkle, die mit ihrem ausverkauften ‚Brüste-Ballet‘ den Auftakt machte, prägte die gesamte Konferenz durch ihre offene Art und ihre einnehmende Persönlichkeit. Ich bewundere ihre offene Art ebenso wie ihre klaren Urteile zu den Hintergründen der Sexarbeit:

„Ob sie eine Prostituierte, eine Stripperin, ein Porno-Star oder Leiterin eines Sex-Workshops sind, eine Sexpädagogin, Künstlerin oder ob Sie am Theater arbeiten und sich mit den Themen der Sexualität beschäftigen, es kann Ihnen passieren, daß Sie an etwas leiden, das ich Sexarbeiterinnen-Burnout nenne (SABO). Die Gesellschaft fördert die obengenannten Berufszweige/Karrieren/Menschen nicht. Es gibt bei uns allen sehr viel Voreingenommenheit und tiefsitzende Vorurteile, weil wir mit sex-negativen Haltungen aufgewachsen sind. (So wie wir auch rassistisch, homophob und klassenspezifisch erzogen wurden.)“ Annie Sprinkle*

Ein weiterer beeindruckender Programmpunkt, war die Performance der Sexarbeiterin* und Aktivistin Liad Hussein Kantorowicz „WATCH ME WORK“ (Sieh‘ mir bei der Arbeit zu), in der sie ihren Arbeitsplatz inszenierte. Ein Bett, hübsche Kissen und eine halbnackte Liad, die sich der Webcam anbot. Neben ihr etwas Essen und ihr Handy, wenn die Arbeit mal langweilig wurde, chattete sie eben auf Facebook. Zwei Stunden lang gewährte sie dem Publikum Einblicke in ihre Arbeit bei einer israelischen Erotik-Chat-Website. Dabei erschien sie mir wunderschön und stark.

Kunst bietet die Möglichkeit auch komplexe wissenschaftliche Sachverhalte zu visualisieren ohne seinen Eigenwert zu verlieren. In dem Kontext der Konferenz sehe ich Kunst als Strategie der Selbstermächtigung gegen Übergriffe von außen, den Behörden, der Gesellschaft und hartnäckigen Stereotypen und Mythen. Gehört und gesehen werden, nicht bloß Gegenstand der Diskussion sein. Eine Gruppe von Sexarbeiterinnen*, die aus ganz Europa zu der Konferenz angereist waren, forderten sich dieses Recht ein und erarbeiteten in einer kleinen Gruppen ein Resümee aus ihrer exklusiven Perspektive, das sie am letzten Tag dem Publikum vortrugen. Sie kritisierten den Ausschluss über die Sprache, da während der gesamten Konferenz Englisch gesprochen wurde und so vielen Hamburger Sexarbeiterinnen* keine Möglichkeit hatten zu partizipieren. Ein weiterer Punkt war die Unsichtbarkeit von Frauen auf dem Podium, die aktuell in der Sexarbeit tätig sind und der generelle Fokus auf die Frau als Sexarbeiterin, der alle anderen Gender auslässt und so ‚das Bild‘ letztlich unvollständig bleibt. Mutige und inspirierende Frauen* saßen mir dort gegenüber, die über ihre Arbeit sprachen und deutlich machten, dass Sexarbeit keine andere Arbeit ist als Kellnern, Verwalten oder Forschen. Diese Andersartigkeit ist konstruiert von den Medien der Gesellschaft und auch uns (Feminist*innen).

Missy_Tagung
Foto von Lilli Boheme

„Diese Arbeit ist jedoch meist schlecht bezahlte: „Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass Sexarbeit – meist – ein prekärer Beruf ist. Aber liegt das am Sex oder daran, dass Sexarbeit zwar legalisiert, aber immer noch stigmatisiert ist?“ Mithu M. Sanyal**

„Dennoch ist das Geld oft der Impuls zur Sexarbeit: „Ich will Geld verdienen, und da hab ich mich eben umgehört und umgekuckt, wo sitzt das meiste Geld … Ich mach den Job wegen dem Geld, das ist alles. Keine von uns macht den aus anderen Gründen.“ Angie***

„Deshalb war ich so froh, dass das wirklich gestimmt hat, was die mir erzählt hatten über die Bar, wie viel du da verdienen kannst in derselben Zeit! Ich war froh, das war nämlich `n Job, für den brauchte ich nix zu lernen. Wir werden doch ewig trainiert als Mädchen, mit so was umzugehen. Also, wie Männer so sind, wie man sie behandeln sollte, damit … Dafür brauchst du keine extra Ausbildung mehr.“ Dörtie***

Und oft auch der Grund dabei zu bleiben.

„Diesen Job möchte ich nicht lange weitermachen. Hätte ich jetzt keine finanziellen Probleme, würde ich den überhaupt nicht machen.“ Ayscha****

Sexarbeiterinnen* stellen keine homogene Gruppe dar. Die gegenwärtige Diskussion des Themas ist pauschalisierend und vereinfacht auf eine destruktive Art und Weise. Solange wir Sexarbeiterinnen* nur als Prostituierte*, als Opfer von männlicher und struktureller Gewalt, Opfern von Menschenhandel sehen, halten wir diese Mythen am Leben.

„Aber um wirklich etwas gegen diese Form von Gewalt zu tun, müssten wir uns als Gesellschaft eingestehen, dass wir bestimmte Formen von Gewalt gegen Frauen zulassen, um den sozialen und sexuellen Wert anderer Frauen zu erhalten.“ Melissa Gira Grant**

Stattdessen sprechen wir Sexarbeiterinnen das Recht auf Selbstbestimmung ab und halten das Stigma aufrecht.

„Die Gesellschaft gibt dir einfach keine Chance, als Alleinerziehende einen normalen Job zu machen. Je länger du in der Prostitution bist, dann ist es noch schwerer eine normale Arbeit zu finden. Man wird diskriminiert.“ Chrissie****

„Weißte, was die zu meiner Tochter gesagt haben? >>Na, du alte Nutte …!<< Und dann kam die nach Hause und sagt: >>Mutti, stell dir vor, das und das ham die zu mir gesagt. << Ick sage: >>Na, wie kommen die da eigentlich drauf?<< – >>Na ja, die ham gesagt, du stehst auf der Straße.<< Ick sage: >>Die musst du mir mal bringen!<<.“ Kitty***

Die drei Tage waren anregend und haben meine Ansichten zum Thema Sexarbeit verändert. Sie führten auch zu weitergehenden Fragen über Prostitution jenseits konventioneller Sexarbeit:

„Welche Frau ist eigentlich keine Prostituierte? Warum soll die Bürde der <<Unanständigkeit>> allein auf den Frauen lasten, die als Prostituierte erfasst und damit sozusagen staatlich anerkannt sind? Warum sollen nicht alle Frauen erklären dürfen, dass das Zusammensein mit Männern oft (auch?) Mittel zum Zweck war, ist und bleiben wird, solange die vom Geld bestimmten Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern weiter herrschen? Ist es wirklich ein so großer Unterschied, Sexualität zu gestatten für Kost und Logis oder für bare Münze?“ Pieke Biermann***

„Die Grenzen sind also fließend: „Niemand kann haargenau sagen, wo Sexarbeit anfängt und wo sie aufhört – genauso wenig, wie wir sagen könne, wo Sex anfängt und wo er aufhört.“ Mithu M. Sanyal**

*Cody, Gabrielle (2001): Annie Sprinkle. Hardcore von Herzen, Hamburg.

**Grant, Melissa Gira (2014): Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit, Hamburg.

*** Biermann, Pieke (2014): >>Wir sind Frauen wie andere auch! << Prostituierte und ihre
Kämpfe, Hamburg.

****Von Dücker, Elisabeth (u.a.) (2008): Sexarbeit – eine Welt für sich. Erzählstücke aus
erster Hand, Freiburg.

Facebookby feather

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Primary Sidebar

Schrift anpassen
Hohe Kontraste