von pepe
Regie/Choreografie Maura Morales. Choreografische Assistenz Giada Scuderi. Komposition/ Livemusik Michio. Tänzerinnen Elia Lopez, Giada Scuderi, Maura Morales. Kostüm Tina Miyake. Bühnenbild Tina Miyake, Maura Morales. Lichtdesign Niko Moddenborg. Video Manfred Borsch
„Was, wenn Sisyphus eine Frau gewesen wäre?“ – mit dieser Frage hat sich gestern Abend vor ausverkauftem Haus die kubanische Tänzerin und Choreographin Maura Morales körperlich auseinandergesetzt. Gemeinsam mit ihrem Mann und Komponist Michio, hat die Wahl-Düsseldorferin eine beeindruckende Tanzarbeit gestaltet, die Fragen nach Gleichberechtigung und dem ‚weiblichen Altern‘ berührt – ein Kampf, der einer Sisyphusarbeit gleicht. Klassische Klischees sollen verneint und stattdessen Gefühle auf die Bühne gebracht werden – Gefühle, die ein Leben als Frau* hervorbringen kann:
„Wir Tänzerinnen haben beim anfänglichen Improvisieren viel mit unseren persönlichen Geschichten gearbeitet. Unsere Hintergründe als Frau, als Immigrantin, wie man sich fühlt, wenn man vergewaltigt wurde. Wie man nicht akzeptiert wird, sobald man als Frau gegen die Regeln verstößt, ob von einem Mann oder von der eigenen Familie. Nicht zuletzt auch über unsere Beziehungen als Frauen untereinander. Die können auch sehr schwierig sein.“ http://www.rp-online.de
Das jüngste Bühnenstück der Cooperativa Maura Morales erschien in einer Reihe gesellschaftskritischer Produktionen für die sie bereits mehrfach ausgezeichnet wurden. 2013 durfte sich Maura Morales über die Auszeichnung mit dem renommierten Kurt-Jooss-Preis freuen und im Dezember 2014 hat sie den Förderpreis der Landeshauptstadt Düsseldorf erhalten.
(Lilli Boheme)
Das Stück beginnt mit einem Sturz. Die wie antike Statuen beleuchteten Körper, drapiert in lange weiße Stoffbahnen, stürzen klatschend auf die Bühne. Dies kann Belebung des Mythos, unsanfte Geburt oder Höllensturz sein. Letzteres liegt nahe, durch die zuckenden Bewegungsfolgen, die sich daran anschließen. Die drei Frauen scheinen nicht im Tartaros mit seinen psychisch ausgefeilten Strafexempeln gelandet zu sein, sondern in dessen direkten mittelalterlichen Nachfolgehölle, einem dantesken Inferno zappelnder gequälter Leiber. Weit nach hinten gelegte Köpfe und die hin- und hergeworfene Extremitäten lassen die Körper zu skelettartigen Puppen werden, die zu schnellen Rhythmen oder schleppend scheppernder Geräuschkulisse ihren Totentanz vollführen. Begleitet wird dies immer wieder von in Nahsicht projizierten Augen und Mündern. Sie stehen wie die später über die Bühnen kullernden Augäpfel einerseits für Blicke, andererseits für weibliche Schönheitsarbeit sowie weiblicher Verletzlichkeit. Auf diese Weise setzt sich das Thema langsam aus kleinen Mosaiksteinen zusammen bis die Motive immer deutlicher, ja plakativ werden. O-Töne aus den letzten Jahrzehnten plaudern überkommene aber nicht überwundene Rollenbilder aus. Spätestens an dieser Stelle wird der Stein sichtbar.
Diese drei gänzlich unterschiedlichen aber gleich starken Frauen kämpfen nicht mit Spasmen, sondern gesellschaftlichen Reflexen, die sie immer in eine schwache Position zurück zu schleudern drohen. Wie die mythologische Gestalt des Sisyphos lehnen sie sich immer wieder gegen übermächtige Kräfte (Rollenbild, Altwerden, Gewalt erfahren), sehen ihre Anstrengung umsonst werden und beginnen von neuem. Sogar die erotische Selbstverliebtheit gerät zur Fratze. Oder ist die konstante Verzerrung und Dekonstruktion von Nacktheit und sexueller Wirkung effektiver Selbstschutz des Stückes – Grundlage für einen geschärften Blick auf die vielen Felder weiblicher Leidens- und Körpererfahrung. Indirekt und vermutlich ungewollt wird auch eine Metapher für den Mann gefunden, der als homo faber hinter einem halb transparenten Vorhang vor seinen Apparaturen sitzt. Distanziert und durch Barrieren mehrfach geschützt, erzeugt er nur instrumentell, während sich die Frauen körperlich abkämpfen.
Nach plastischen Bildern für Schwangerschaft und Menstruation sowie weniger zuordenbaren Zuständen steht eine offensive Konfrontation mit dem Publikum. Die Tänzerinnen blicken kopfschüttelnd aber visierend auf die Zuschauenden. Damit negieren sie gleichzeitig ihre aufreizenden Gesten wie auch die Blicke des Publikums. Sie bilden einen starken Konsens des „so kann es nicht weitergehen“, dem sich die Zuschauer*innen geläutert anschließen könnten (Fegefeuer als Reinigungsorte). Die auf die Bühne gefallenen Augen werden in den Zuschauerraum zurückgeworfen. Nach all der grenzüberschreitenden Akrobatik wird ein einfaches Kopfschütteln zu einer Grenzen definierenden Handlung, durch welche die drei Frauen ihre ausgespähten Körper zurückgewinnen und gegen auferlegte Bilder schützen. In diesem Moment ist auch Camus mit seinem selbstzufriedenen Sisyphus präsent, einer Sinnstiftung gegen die Kausalität dumpfer Schwerkräfte. Ein bei dieser Gegenüberstellung erfreut glucksender Mann in der ersten Reihe, zeigt dass der Stein weiterhin zurückrollen wird. Doch die drei Frauen lassen sich nun dennoch als glückliche Menschen vorstellen.
Nächste Vorstellung im Pott: 28.03 im Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr