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Das Prinzip 50/50 und wie wir es leben….

Das Prinzip 50/50 und wie wir es leben…. published on Keine Kommentare zu Das Prinzip 50/50 und wie wir es leben….

von Leni Hartlinger

In der Presse, den sozialen Medien und in Diskussionen ist im Moment immer wieder mal die Rede vom „50/50-Modell“ – also die konsequente Aufteilung von Aufgaben rund um das Kind, die Familie, Erwerbs- und Hausarbeit. Stefanie Lohaus und ihr Partner leben dieses Prinzip und schrieben jüngst darüber ein Buch. Auch die Autorin Isabel Robles Salgado beschrieb im Blog „little years“ ihr Leben mit 50/50. Mein Mann und ich haben uns mit der Geburt unseres Kindes in 2012 ebenfalls für eine gleichberechtigte Teilung aller Aufgaben entschieden. Dies soll ein kleiner Bericht über diese Erfahrung sein.

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Foto: Leni Hartlinger

Als unsere Tochter vor knapp drei Jahren, an einem sonnigen Morgen im September, nach vielen Stunden Wehen auf die Welt kam, änderte sich die Welt für mich und meinen Mann ganz entscheidend. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir ein gleichberechtigtes Paar, welches sich gegenseitig bei Karriereplanung, Haushaltsführung, Erwerbsarbeit, künstlerischem Schaffen und wissenschaftlichem Tun unterstützt hatten. Nun wurden wir von einer Minute zur anderen… Eltern! Von zwei Individuen, die sich entschieden hatten ihr Leben zu teilen, wurden wir zu einer Familie.

Familie als soziales Konstrukt veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte und ist mit starken Erwartungen, Vorurteilen, mit Klischees und Vorstellungen von „falsch und richtig“ vollgesogen. Mein Mann und ich kommen aus ganz unterschiedlichen Familien. Wir haben andere soziale Hintergründe und sind in unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens aufgewachsen. Jedoch haben wir als Kinder erlebt, wie die Ehen unserer Eltern zerbrachen, Familie sich veränderte, sich neu zusammen setzte, Verantwortungen abgegeben und anderer Stelle angenommen wurden. Unsere Eltern scheiterten aus unterschiedlichen Gründen an ihrer Rolle als Ehepartner*in, nahmen Aufgaben als Eltern auf eine jeweils andere Weise wahr. Letzlich auch dadurch gab es für uns keinen Fahrplan, keine Blaupause für ein familiäres Zusammenleben, an die wir uns hätten halten können oder wollen. Wir wussten also an diesem Septembertag, an dem unser Kind geboren wurde, nicht genau, was es eigentlich bedeutete, Eltern zu werden oder was wir genau zu tun hatten. Aber wir wussten: Wir wollen das zusammen machen! Wollen das zusammen schaffen! Wollen emanzipierte Elternschaft leben!

Nun hatten wir uns schon im Vorfeld darüber Gedanken gemacht, was eigentlich ein „emanzipatorisches Arrangement von Elternschaft“ für uns bedeutet und wie wir Errungenschaften des Feminismus nutzen konnten. Doch bei der privaten und wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Modell „Familie“ stellten wir auch fest, dass es für junge Eltern wie uns an Vorbildern fehlt. Wir sind eine Generation, die in Bezug auf Elternschaft nicht nach starren Regeln leben will, sich dem zementierten Rollenverständnis über Mütter und Väter beugen möchte. Junge Väter wollen teilhaben am Leben ihrer Kinder, wollen Verantwortungen übernehmen und sich nicht ausschließlich(?) auf die Rolle des Ernährers festlegen lassen. Und wir (feministischen) Frauen wollen die Hälfte vom Kuchen, die Hälfte des Himmels und nicht das Heimchen am Herd sein. Hatten wir als kinderloses Paar das Leben gleichberechtigt geteilt, wollten wir dies nun auch als Eltern tun. Aber wo anfangen? Wir begannen einfach beim Anfang des Lebens und bei den natürlichsten Bedürfnissen unseres Neugeborenen: Dem Wickeln und dem Stillen. Konnte auch mein Mann das eine erstmal nicht übernehmen, wechselte er konsequent die Windeln. So teilten wir uns nach und nach die Sorgearbeit in allen Bereichen auf. Ohne Tabellen und Pläne zwar, aber an unsere Bedürfnisse angepasst. So stand ich des Öfteren nachts auf in den letzten Jahren, kochte aber dafür nur selten ein Mittagessen. Ich komme ganz gut mit wenig Schlaf aus, aber mein Essen schmeckt nicht besonders. Ich habe kein Spaß am Lego bauen und mein Mann mag es nicht, mit Wasserfarben zu malen. So sind die Talente und Interessen eben unterschiedlich verteilt.

Wir regelten unseren Privatsektor ohne große Kompromisse oder Diskussionen. Jedoch aber mit viel Verständnis füreinander und noch mehr Gesprächen miteinander. Nun war da aber auch noch der „öffentliche Sektor“. Wir haben beide studiert und haben uns leidenschaftlich unseren Berufsfeldern verschrieben. Für keinen von uns kam es in Frage, den Job aufzugeben oder längere Zeit dort zurück zu stecken. Wir beschlossen also, beide in den ersten drei Jahren Teilzeit zu arbeiten und erstmal auf eine Kita-Betreuung zu verzichten (ich weiß, diese Diskussion ist wieder eine andere…). So teilen wir die Woche in jeweils zweieinhalb Tage Erwerbsarbeit und eben genauso viel „Care-Arbeit“. Mein Mann geht mit dem Kind auf den Spielplatz, zum Sport und in die Musikschule. Trifft andere Mami-Freundinnen (und manchmal auch andere Männer, die sich in den ersten Jahren vornehmlich um ihren Nachwuchs kümmern), geht zum Kinderarzt und nimmt das Kind auch mal mit zu geschäftlichen Terminen. Und ich mache es genauso. Unser ehrenamtliches Engagement, künstlerische Kreativität und Paar-Zeit finden meist in den Abendstunden statt. Wir haben da zum Glück ein gutes Netz von Verwandten und Freunden. Zwar verzichten wir auch auf ein Teil des Geldes, sind manchmal müde und ausgebrannt, wissen, dass wir an manchen Tagen statt Lego zu spielen eigentlich Anrufe tätigen müssten, können nicht auf jeder Feier tanzen und nicht jede Veranstaltung besuchen, aber wir genießen diese besondere Zeit. Beide. Alle drei.

Unsere Tochter lernt, dass beide (oder mehr) Geschlechter gleichberechtigt ihrer Arbeit nachgehen und darin erfolgreich sein können, dass Kinder aufziehen nicht Sache der Mütter ist und dass Väter nicht nur am Wochenende Zeit für die Familie haben. Intensiv haben wir beide die Entwicklungsschritte unseres Kindes miterlebt, es kennt und vertraut uns beiden. Unsere Tochter hat unterschiedliche Dinge mit uns erlebt und exklusive Zeit nur mit Papa oder Mama gehabt. Wir konnten uns beruflich weiter entwickeln und haben menschlich so viel dazu gelernt. Haben gesehen, wo unser Modell auch an Grenzen stößt und es ohne Hilfe nicht geht. Mussten lernen loszulassen und dem Partner in Fragen der Kindererziehung zu vertrauen. Zu wissen und glauben: Der/die kann das und macht das gut!

Nun sind die ersten drei Jahre fast um. Wir haben die verzweifelte Suche nach einem Kita-Platz für unsere Tochter (auch das ein anderes Thema und vielleicht einen weiteren Artikel wert) hinter uns gebracht (übrigens haben wir uns auch diesen Stress, die Anrufe, Besichtigungen, Vorstellungsgespräche und Nervenzusammenbrüche gleichberechtigt geteilt). Bald wird diese intensive Zeit enden und ein neuer Abschnitt beginnen. Es wird schön, wieder mehr Zeit für eigene Dinge zu haben und auch die Tochter freut sich auf die Kindergartenzeit. Und eine Familie, in der jeder gleichberechtigt leben, arbeiten und sich entfalten kann, wollen wir auch weiterhin bleiben.

Anmerkung: Dieser Artikel spiegelt in erster Linie unsere persönlichen Erfahrungen mit dem oben genannten Modell wieder. Natürlich ist uns klar, dass dies nicht für jedes Paar/jede Familie ohne weiteres umsetzbar ist. Aus verschiedenen Gründen sind Menschen darauf angewiesen, ihre Zeit und Aufgaben anders zu verteilen als wir es tun. Dennoch möchten wir zeigen, dass es möglich ist Arrangements zu finden, die sich außerhalb traditioneller Rollenmuster bewegen und sich ein Ausprobieren dessen lohnen kann. Dazu sollten auch von Politik und Gesellschaft Strukturen geschaffen werden, die es Eltern (und allen Menschen) ermöglicht Erwerbsarbeit und Care-Verpflichtungen in Einklang zu bringen.

Klicktipp – Stefanie Lohaus‘ Kommentar zur Debatte

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