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Ein Eindruck: Always together

Ein Eindruck: Always together published on Keine Kommentare zu Ein Eindruck: Always together

von Lilli Boheme

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Bild: idfa.nl

In dem Dokumentarfilm Always together erzählt die tschechische Regisseurin Eva Tomanova die Geschichte einer 11-köpfigen Familie aus dem Böhmerwald, die sich bewusst von der Außenwelt abkapselt, um ein Leben frei von Konsum zu führen. In Anwesenheit der Regisseurin feierte der Film gestern seine Deutschlandpremiere im Dortmunder U, Zentrum für Kunst und Kreativität. Vor dem Film verlor Tomanova nicht viele Worte – nur, dass das deutsche Publikum ihren Film wohl am besten verstehen würde, was zu einem verwunderten Raunen im Kinosaal führte.

Idyllisch deutet die Regisseurin uns das unkoventionelle Leben der Großfamilie an – in einem selbstgebauten Trailerpark scheinen sie alles zu haben, was sie brauchen. Ein Gefühl von Freiheit macht sich breit, wenn die Kinder durch den Wald klettern, die talentierten Söhne ein Konzert unter freiem Himmel geben und Zeit scheinbar keine Rolle spielt. Normen und Werte der westlichen Welt sind an diesem Ort nicht präsent – keine Spielzeugberge, keine Smartphones, kein Überfluss. Aber auf den zweiten Blick wird schnell deutlich, dass das, was die Familie braucht und erhält, Petr entscheidet – das Familienoberhaupt.

Petr, ein studierter Ingenieur und seine Frau, eine ehemalige Lehrerin haben dem Stadtleben vor vielen Jahren den Rücken gekehrt, um ihre neun Kinder das nackte Überleben zu lehren – ohne Schule, ohne Wasser und ohne Elektrizität. Eine Familienstruktur, wie vor 200 Jahren – das hat Petr sich gewünscht, denn nur dieser Lebensstil macht aus seinen Kindern bessere Persönlichkeiten.

Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter über den Film schreiben – es wird schnell deutlich, dass Petr über seine Familie herrscht. Seine Frau und Kinder wirken verschüchtert. Obwohl auf kleinem Raum so viele Menschen leben, scheint es keine rege Kommunikation unter den Familienmitgliedern zu geben. Mit einer Ausnahme: Petr redet – die anderen hören zu.
Vielmehr möchte ich nun über das Gespräch mit der Regisseurin berichten, das im Anschluss an den Film stattfand und in dem sie einiges über die Hintergründe ihrer Arbeit, aber auch über die Familie verriet.

Eva Tomanova lernte Petr vor 14 Jahren über eine Freundin kennen, die sie mit zum Wohnort der Familie nahm. Bei ihrer ersten Zusammenkunft würdigte der Hausherr die Regisseurin keines Blickes und ließ sie auch nicht aufs Grundstück. Erst nach der Zeit und einigen Zufällen brauchte Petr ihre Hilfe bei den Behörden. So kamen sie ins Gespräch und Tomanovas Arbeit begann. Sie hat insgesamt vier Filme über die Familie gedreht, die sie gemeinsam mit einem kleinen Team bestehend aus Kamera- und Soundmann realisiert hat.

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Bild: dimitrakouzi.files.wordpress.com

Petr und seine Frau lernten sich früh kennen – er studierte Ingenieurwissenschaft, sie war eine angehende Lehrerin, mit einer herrischen Mutter. In einer bedrückenden Szene im Film sagt sie, dass es egal sei, ob sie nun von ihrem Mann oder ihrer Mutter herumkommandiert wird – also ging sie mit ihm. Auch während des Films als es um den Anfang ihrer Beziehung ging, versucht sie deutlich zu machen, dass sie in dieser Lebensphase nicht auf der Suche nach einer Beziehung war, aber die Umstände sie dahingehend beeinflussten, sich nicht gegen seine Kontaktversuche zu wehren. Er ist anderer Meinung – sie schien auf der Suche zu sein nach einer ernsthaften, intensiven Beziehung, also nahm er sie sich.

Petr bestimmt viel, er redet viel und wenn nicht gehorcht wird, droht er mit einem „Klaps“. Das passiert alles so selbstverständlich und (zumindest im Film) ohne Aggression, dass ich als Zuschauerin nicht direkt die psychische Gewalt, die Petr auf seine Familie ausübt, sehen kann. Ich verspüre ein Unbehagen, aber nichts ist offensichtlich. Dieser Widerspruch ist auch einer weiteren Zuschauerin aufgefallen und zusammen mit den ganzen Hintergrundinfos, die die Regisseurin dem Publikum gibt, kommt die Frage auf, warum sie keine deutlicheren Bilder gezeigt hat? Warum kann Petr auch immer wieder als liebevoller Familienvater durchgehen? Als Antwort führt Tomanova strategische Gründe an. Der Film sei für ein internationales Publikum bestimmt und nach der ersten Materialsichtung war ihr Eindruck so grauenhaft, dass sie sich dazu entschloss, das Material anders aufzubereiten. An dieser Stelle kommt sie wieder auf das deutsche Publikum zu sprechen. Nur das deutsche Publikum hätte den Film in seiner ursprünglichen Version ertragen – vom Paradies in die Hölle. Länder, wie Schweden und Norwegen dagegen nicht. Ich bin irritiert, denn auch diese Version des Films hat mich emotional sehr aufgewühlt, so dass ich hier sitze und schreibe.

Am meisten beschäftigt mich seit gestern die Diskrepanz des Bildungsniveaus der Eltern und ihrer Kinder. Die Arroganz des Vaters eine hohe Ausbildung abzuschließen, um diesen Lebensweg dann seinen Kindern zu verwehren. Eine Frau, die durch das Leben mit einem Patriarchen gebrochen ist und, wie Tomanova sagt, aufgegeben hat. Die sich nach der Stadt sehnt, aber Angst hat ihre Kinder an ihren Mann zu verlieren und so lieber sich verliert. Eine Trägodie – erzählt in wunderschönen Bildern.

Tschechische Republik 2014, 77′

Regie: Eva Tomanova

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