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Rottstr. 5 Theater: Theater mit Menschen

Rottstr. 5 Theater: Theater mit Menschen published on Keine Kommentare zu Rottstr. 5 Theater: Theater mit Menschen

von Frau Fuchs

Wie sehen eigentlich die Orte und Menschen, die man sonst nur abends sieht, in Tageslicht aus?

Erkennt man sie überhaupt wieder?

Ich erinnere mich an den dreckigen Boden der Klubs, in denen ich tanzte, an die Toiletten, die Besoffenen im nächtlichen Zenit. Manche Dinge will man vielleicht nicht sehen, doch in diesem Fall möchte ich es wissen, spätestens nach der Vorstellung von „American Psycho“. Wie sieht die Bühne bei Tage aus?

Eigentlich sieht alles aus wie immer. Nicht viel anders, denke ich mir, bloß vermüllter. Die Theatermacher*innen Hans Dreher, einer der beiden Hausregisseure, und Awa Winkel, Mitglied des Theaterteams des Rottstr. 5-Theaters empfangen Lilli Bohème, Lemon, den Hund, und mich an ihrem Arbeitsplatz. Es ist Kaffeekränzchenzeit, doch die beiden haben schwer zu tun, sind fleißig.

Je nach Stück des Vortages riecht es hier nach Disko, nach Bier und nach Zigarettenrauch, erzählt uns Hans. So richtig schön schäbig, wie ich es erwartet hatte. An manchem Morgen jedoch duftet es auch mal nach Seife.

Rottstr5_Awa_Hans
Frau Fuchs mit Hans Dreher & Awa Winkel

Zwischen Kippen, Bier und Seifenschaum

Das Theater der Rottstr.5 reibt dich sauber vom Alltagsdreck, wenn du dich hineinbegibst in seine ganz spezielle Atmosphäre: ein kleiner, schwarzdunkler Saal unterhalb einer Bahntrasse, dessen regelmäßig übergleitender Zug mit seinem kratzendtosenden Geräusch kurzzeitig die Gespräche in Einzelteile zerhackt.

Hier ist es rau und schroff, hier riecht es nach dem Naturzustand von Theater fernab von modernen Designpalästen, in denen einige Finanzmittel regionaler Subventionen stecken, um nach außen das Signal zu geben, man habe in die kulturelle Bildung des Landes investiert und damit die künstliche Beatmung des „gymnasialen Theaters“ gefördert.

Anders hier: Nicht nur, dass dieses schwarze Loch Unterschlupf für viel Talent gewährt und dieses sorgsam päppelt; nein, es birgt in seinem Bau die seltene Möglichkeit, Zeug*in eines sehr reinen Theatererlebnisses zu werden. Eines Theatererlebnisses, das nachhaltig und kathartisch wirkt. Weil es so nah ist.

„Wir heften uns […] ans Revers, dass wir das Theater für Leute sind, die sonst nicht ins Theater gehen.“

Seit 2009 gibt es diesen kulturellen Anziehungspunkt in Bochum nun schon und im Vergleich zu den wilden Anfangszeiten hat sich hier schon einiges getan. Statt der alten Bestuhlung aus mit Gaffatape zusammengeklebten, sperrmüllreifen, alten Kinositzen oder Campingstühlen, gibt es heute eine weitestgehend homogene Bestuhlung. Bis auf die Sofalandschaft in der ersten Reihe, die bei Premieren in der Regel rauskommt, damit die Bude voll werden kann. Gehst du ins Rottstr.5-Theater weißt du aber, dass es intim wird für dich. Hans erzählt: „Weil auch die fünfte Reihe – meistens gibt’s gar keine fünfte, sondern nur ne vierte – so SO VIEL näher dran an allem, was man aus anderen Räumen kennt, dass die Investition hier drin zu sitzen schon ne ganz andere ist. Es ist auch mehr Arbeit hier Zuschauer zu sein, weil du kannst dich dem nicht entziehen.“

Stimmt. In der ersten Reihe kommt es doch mal vor, dass du als Zuschauer*in kleinste Partikel von Speichel, Schweiß und Kunstblut abbekommst, dich besonders heftig erschreckst, wenn die Pistole des*r Hauptdarstellers*in auf der Bühne abfeuert, der*die einen halben Meter vor dir steht und erregt in seinen*ihren Brustkorb atmet. Du bist mittendrin. Und du willst das auch so.

„Gehört dazu. Deswegen stehen hier echte Menschen, deswegen ist der Zug da nicht immer abtimebar, deswegen kann mal einer stolpern oder muss mal einer aus der ersten Reihe […] auf Toilette und das sind die Dinge, die dazu gehören“, so erklärt Hans und beschreibt die authentische Handschrift des Hauses.

Aber nicht nur die Räumlichkeit schafft dieses einzigartige Gefühl von Nähe und Intimität, sondern auch das intensive Spiel der Figuren, worauf hier ganz besonders Wert gelegt wird. So zeigen die Macher*innen des Rottstr.-Theaters, dass man diese nicht hinter überragend ausgefallenen Bühnenarrangements, seltsamen Kostümbildern oder prätentiösen Videoinstallationen verstecken muss. „Wir spielen Stücke, in denen Figuren vorkommen“, stellt Hans klar heraus, nachdem er sich köstlich über den letzten Trend der Wasserbühnenbilder echauffierte. Man muss hier nicht auf Teufel komm raus Skandale erschaffen, nein, davon nimmt das Team Abstand. Statt Absurdität und diffuser Spielereien auf die Bühne, die den Zuschauer*innen Rätsel aufgeben, findet man hier die Stücke in ihrer Originalität wieder, ohne unnötigen Zierrat. Durch Reduktion lässt sich nämlich die Entwicklung der Figuren viel besser nacherleben, die Geschichte, der Charakter der Figur wird in all ihrer ursprünglichen Tiefe hervorgehoben und dadurch wieder sichtbar gemacht, so schildert es Hans. Dies reflektieren eingängige Monologe der Figuren. So regnet es Kopfkino durch die detaillierten Schilderungen widerwärtiger Beobachtungen mit Felix Lamperts dunkler Stimme in American Psycho; so sehen wir den verrückten Lenz, gespielt von Linus Ebner, des Nachts im Brunnstein baden. Die Zuschauer*innen memorieren diese Figuren. Sie fühlen mit ihnen, erleben ihre Geschichten mit.

Fight Club / Regie: Oliver Paolo Thomas
Linus Ebner in „Lenz“

Hans, der die Entwicklung der deutschen Theaterlandschaft regelmäßig verfolgt, fragt sich, warum eine Figur beispielsweise ohne triftigen Grund in ein Fatsuit gesteckt wird, wenn es sie nur hässlich macht und die Identifikation mit ihr für den*die Zuschauer*in total erschwert. „Das ist dann etwas, was mich IMMER wieder aufregt. […] Warum ist dieser Mensch so furchtbar angezogen? Ich soll ihn doch sympathisch finden!“ Stattdessen wird der Fokus eher auf das Licht gelegt, da hiermit die Figuren auf der Bühne noch einmal in besonderer Weise unterstrichen werden können. In dem Naturzustand des Stoffs.

„Wir sind alle’n bisschen lichtverliebt hier“

Durch die Diversität der Stücke im Spielplan schaffen die Theatermacher*innen mehr Abwechslung, sprechen dadurch eine breite Zielgruppe an und können demzufolge durchaus mit dem Programm der großen Häuser mithalten. Ein Theater für nichttheatersozialisierte Menschen, das klingt programmatisch, aber so kann man das hier nicht vorfinden. Es ist vielmehr ein Ort, an dem partizipativ miteinander gearbeitet wird, ein Ort, an dem Ideen entstehen und gemeinschaftlich umgesetzt werden, was sich auch in den theaterpädagogischen Aktivitäten des Hauses widerspiegelt: Neben dem Kindertheaterensemble „Truffaldinos“, das jedes Jahr das Weihnachtsmärchen inszeniert, gibt es für jede weitere Altersklasse die Möglichkeit schauspielerische Erfahrungen zu sammeln. Eines der hier erarbeiteten Stücke feierte am 6. September Premiere.

Ein ganzes Leben in der Rottstraße

„Hass“ nach Mathieu Kassovitz, vielen auch durch das französische Filmformat „La Haine“ bekannt, gibt drei jungen Darsteller*innen die Bühne, auf der sie ihr Talent zeigen können. Das Stück, welches eigentlich für drei männliche Darsteller konzipiert ist, wurde unter der Regiearbeit von Nermina Kukic bewusst umgebaut. Nun erscheinen vor dem Hintergrund der Pariser Banlieus statt dreier gewaltneigender Jungen drei Mädchen.

Emel, Fiona und Awa in "Hass"
Emel, Fiona und Awa in „Hass“

Awa, die die Rolle der Marie übernimmt, spricht von einer Art Experiment. Alle waren gespannt, welche Auswirkung diese wesentliche oder eher unwesentliche (?) Veränderung auf das Stück hat. „Eigentlich hat sich so viel gar nicht verändert. Das Einzige, was sich verändert hat, sind die Namen und mehr halt wirklich nicht.“ Offenkundig, so stellen beide als Ergebnis dieses Experimentes fest, habe sich auch bei jugendlichen Frauen eine gewisse Neigung zu Gewalt etabliert. „Ein etwas gespenstisches Plädoyer für ne Gleichstellung“, resümiert Hans.

Auf der Bühne hat sich Awa verwandelt und erscheint am Tag der Premiere dann plötzlich als mutige, hervorpreschende und selbstbewusste Marie, sie trägt ihre Rolle und brilliert neben den beiden anderen Darstellerinnen Fiona Feerick und Emel Aydogdu als energiegeladenes Kraftbündel. Wie sie so vor uns sitzt, hätte man alles andere als das erwartet und ich bin begeistert und gespannt auf Awas weiteren Weg.

So sieht sich also die Rottstraße auch als Sprungbrett für junge Künstler*innen, gibt ihnen die Möglichkeit Bühnenluft zu schnuppern, mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen. Awa begann als Schülerpraktikantin und ist nun hier untergekommen, erzählt sie uns voller Leidenschaft.

Das Herzblut, was durch jede*n einzelne*n Akteur*in in alle Projekte des Rottstr.-Theaters hineinfließt, ist unbestreitbar deutlich spürbar. In der Organisation, in der Kooperation, in dem Miteinander. Hier sind Dinge möglich, die sonst nirgends möglich sind. Tolle Regiearbeiten wie die in American Psycho, faszinierende Einfälle. So flutscht Felix Lampert in der Rolle des Psychopathen Patrick Bateman über eine Plastikbahn in Seifenschaum auf der Bühne hin und her, um seine Eitelkeiten im Rahmen seines morgendlichen Schönheitsrituals zu befriedigen. Daher also der Geruch nach Seife am nächsten Morgen.

Viele neue Ideen werden diskutiert und es stehen einige spannende Premieren auf dem Plan. So möchte Hans für das nächste Jahr gerne wieder das Gehörlosentheater mit ins Programm nehmen. Dies ist allerdings mit viel viel Arbeit für die Dolmetscherin verbunden und es wird darüber hinaus noch ein Förderer gesucht.

Überhaupt schaut es, wie es so typisch für die Kultureinrichtungen des Landes ist, recht nüchtern mit den Finanzmitteln aus. Neben privaten Förderern fließen selbstverständlich auch städtische Gelder rein. Alles in Maßen, das ist ein Problem. Jedoch sind dank einer längerfristigen Unterstützung eines bekannten kommunalen Energieriesens zeitweilen Planungssicherheit geboten und somit Handlungsspielräume eröffnet worden. Hans ist zuversichtlich und schwärmt schon von seinem neusten Streich: Drei Horror-Kurzhörspiele zu Halloween.Theater_Awa_Hans

Die Zukunft ist jetzt

Wir verlassen diesen dunklen Ort nunmehr, der vor echter Liebesmüh‘ hell erleuchtet. Wir räumen unser Feld, um die beiden nicht weiter bei ihrer Arbeit zu unterbrechen. Der Getränkelieferant und der neue Praktikant haben schon ein weiteres Mal an die Türe geklopft. Hans fragt uns zum Abschied: „Haben wir den Feminismus jetzt ausreichend umkreist?“ Wir lachen, nicken. Ja, habt ihr. Denn ihr zeigt: Offensichtlich gibt es doch noch das Theater, von dem alle träumen. Ein emanzipiertes Theater mit Ziel, mit Anspruch, ein Theater, das die Stücke trägt und wertschätzt, ein Theater, was Wandel zulässt und Kreativitätsressourcen nutzt, anstatt diese durch Konkurrenzdruck oder Fördererinteressen womöglich übersieht oder sinnloserweise liegen lässt.

Es gibt immer noch oder wieder (?) Orte, an denen diese neuen Dinge entstehen können und dürfen. Die Rottstraße ist ein gutes Beispiel.

Das Theater gibt Raum für die Zukunft.

Nächste Vorstellung von „Hass“: 13.9.2015, 19:30 Uhr

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