Skip to content

Frau Fuchs liebt: Die innere Freiheit. Eine Heuchelei.

Frau Fuchs liebt: Die innere Freiheit. Eine Heuchelei. published on Keine Kommentare zu Frau Fuchs liebt: Die innere Freiheit. Eine Heuchelei.
Inherent Vice - "Paranoia" [HD]
Joaquin Phoenix in „Inherent Vice“ (2014)

 

von Frau Fuchs

Ich weiß, irgendwann ist es wieder soweit: Ich werde mich in einen Menschen* verlieben.

Es wird über Nacht passieren oder auch erst nach mehreren Begegnungen, ich werde anfänglich innerlich rebellieren, aber nach und nach wird es mich packen; die Art, wie die Person denkt, spricht, sich bewegt, riecht, alles zieht mich in den Bann. Ich werde nichts anderes denken können als daran Zeit mit diesem Menschen* zu verbringen, ihm* nah zu sein, mehr über ihn* zu erfahren. Schmerzlich werde ich es, wie es immer ist, wahrnehmen und gleichsam als wundervolles und beflügelndes Gefühl, Inspiration, Vitalisierung aus dem sonst so blass ermattenden Nichts. Ein Impuls, neue Songs zu schreiben, neue Gedanken zu denken, Visionen zu entwickeln, aktiv kreativ tätig zu werden. Das volle Programm. Und dieser Augenblick erwartet mich, das ist klar. Doch etwas anderes ist nicht so klar.

Seit geraumer Zeit traue ich mich den Gedanken zuzulassen, dass dieser Mensch* nicht zwingend ein Mann, am besten noch größer als ich und der Träger klassisch männlicher Eigenschaften sein muss. Ich traue mich, weil ich es meines Erachtens nach lange ausgeblendet habe, nicht bewusst, aber ich tat es. Ich bin an einen Punkt in meinem Leben angelangt, an dem ich nun endgültig meine heteronormativen und andere klischeehafte Denkstrukturen reflektiere und komme zu dem Schluss, auch wenn ich bisweilen noch keine Frau auf rein sexueller, körperlicher Ebene anziehend fand bzw. mir vorstellen konnte, intim mit einer Frau zu werden, nicht auszuschließen, dass ich mir eine gleichgeschlechtliche Person* eines Tages als Partner*in innerhalb einer Liebesbeziehung vorstellen kann. Wie ich darauf komme?

Vor vier Jahren saß ich mit einer Freundin teetrinkend in einem Café. Es war eine leidvolle Zeit für mich. Ich war aufgerieben und verletzlich wie ein rohes Ei, weil ich einen Schock zu verarbeiten hatte. So erzählte ich ihr davon, dass mein Exfreund die Beziehung zu mir nach drei Jahren beendet und mich und mein Herz damit in eine existenzielle Krise gebracht hatte. Mein kleiner Vortrag über meinen Liebeskummer schien sie anzuregen von ihrem Liebesleben zu berichten: So erzählte sie vom Finden der Liebe zu ihrer vormals besten Freundin trotz der Tatsache, dass sie „ja eigentlich nicht lesbisch“ sei, dass es ihr bei ihr aber nicht um SIE als Frau, sondern vielmehr um SIE als Mensch* ging. Sie habe eines Tages diese Empfindungen für sie nicht mehr als rein platonisch interpretieren können. Sie habe sich in den* Menschen* verliebt und deshalb kam dieser Gedankengang einer Selbstzuordnung in die Kategorien lesbisch, bi, hetero, sonst was oder nichts für sie erst gar nicht auf. In ihrer sehr persönlichen Erzählung sprühte sie für mich nur so vor innerer Wärme, sie schilderte diese zwischenmenschliche Verbundenheit zu einem* Menschen* fernab von seinem* Geschlecht. Ich war bewegt, trauriger Weise, erkannte ich einmal mehr wie konservativ und festgefahren ich in meinen Vorstellungen war. Ihre Geschichte berührte mich zutiefst. Natürlich, sie schürte auch Sehnsüchte, insbesondere die einer verlassenen, emotional sehr verletzten Person, und doch ließ mich diese Erzählung nicht los, es begegnete mir immer mal wieder wie ein kleiner Geistesblitz, wenn ich mal wieder meine eigenen heteronormativen Erwägungen in Bezug auf einen potenziellen Liebesbeziehungspartner* zusammenstrickte. Ja, groß müsse er sein, älter und mir körperlich überlegen, er müsse mir eine Schulter zum Anlehnen bieten, mir einige Schritte auf dem Lebensweg voraus sein, um mich annehmbar beruhigen zu können. Attraktiv wäre es, er würde trotz seiner bildungsbürgerlichen Freizeitgestaltung rohe, männlich attribuierte Dinge tun wie Fußball schauen, Whiskey trinken und abgefuckt aussehen. Und er sollte bitteschön zum Verrecken in Klubs nicht die Tanzfläche unsicher machen, sondern lieber cool an der Bar abhängen, bedacht schweigen und dabei wie ein jüngerer Sean Connery oder ein Joaquin Phoenix aussehen. Tja. Was ist das doch für ein armseliges Dasein als Produkt meiner recht spießigen und mich in meiner Wahlfreiheit einengenden Sozialisierung? Der Anspruch des Abgefuckten kann ich mir hier sehr schnell erklären. Die etwas pubertäre Sehnsucht zu den menschlichen Abgründen, dem Chaos entgegen der Strukturiertheit der Dinge des „normalen“ Lebens. Mein Bild vom „perfekten Traummann“, so wie es vielleicht viele Frauen* haben und dies in populären (fiktiven) Personen wie Johnny Depp, Mister Big oder Brad Pitt als verkörpert erkennen, das habe auch ich auf meine Art, nach meiner Prägung, ganz klar und das ist auch okay. Aber es ist zwischenzeitlich verschwommen, es gibt einen Unterschied zwischen Attraktivität und zwischen dem Mehr, der Zwischenmenschlichkeit, der Anziehungskraft. Diese kann mittlerweile, so räume ich ein, ohne größere Unsicherheitsempfindungen, die ich nun über Bord geschmissen habe, auch mit einem anderen Geschlecht als dem Mann passieren. Ich bin der Meinung, dies schon immer empfunden zu haben, aber konnte es vor meinem inneren Ordnungsaufseher nicht zulassen, allein den Gedanken. Es ist verrückt, wie tiefgreifend und einschränkend soziale Schrankensetzungen sind – im eigenen Kopf.

Ich entsinne mich bereits als Kind und Jugendliche häufig für bestimmte Frauen geschwärmt zu haben. Da war das französische Mädchen auf dem Spielplatz im Schweizurlaub, die ich einfach toll fand und mit der ich ganz ganz unbedingt befreundet sein wollte, aber aufgrund der Sprachbarriere keinen richtigen Kontakt zu ihr aufbauen konnte und sie mich immer schief ansah, wenn ich „Bonndschuuuhr“ nuschelte. Oder die junge Studentin, die in ihrem Nebenjob im Lager eines großen Modehauses jobbte, für das ich mit 19 ein Jahr im Verkauf tätig war. Jedes Mal lief ich rot an, wenn sie mit mir mehr als ein Wort wechselte. Mein Kopf wurde heiß wie eine Glühbirne. Stets durchfuhr es mich, komplett aus dem Nichts. Das Gleiche kannte ich – im Nachhinein betrachtet und damals nicht vor mir selber eingestanden – nur von Begegnungen mit meinem männlichen Schwarm aus der Schule, dem Musikunterricht, dem Freundeskreis oder aus meiner Lieblingsband. Und immer handelte es sich um den gleichen* Typ* Mensch*: zuerst etwas unscheinbar wirkende, jedoch auf zweitem Blick eindrücklich andersartige, MERKwürdige Wesen. So manche*r hätte sie als „Freak“ bezeichnet. Ich fand sie einfach wundervoll und inspirierend und früher, als es noch relevant war, dass es sich bei meinem „offiziellen“ (also einen meinen Freundinnen mitgeteilten) Schwarm um einen MANN handelte, sehnte ich mich möglicherweise nicht bloß nach einer Liebesempfindung mit einem Mann, sondern in Wirklichkeit nach einer Liebesempfindung mit eine*m derartigen Menschen*.

Heute sind die Gedanken frei(er), das „es könnte sein, dass“ erstreckt sich auf ein größeres Feld von Möglichkeiten, ich möchte niemals mehr das Korsett meiner Sozialisation anziehen müssen, leide ich doch nach wie vor in mancherlei Hinsicht unter den Langzeitfolgen dieser Dressur.

Indem ich Möglichkeiten ausschließe, rein gedanklich nicht zulasse, schränke ich gleichermaßen Lebensgestaltungsspielräume ein. Ich musste lernen vermeintlich natürliche Gesetzmäßigkeiten zu reflektieren, um mich auf den Weg zu begeben jene zu überwinden. Vollends ist es mir sicher (noch) nicht gelungen. Der Hang zu morbiden, tragischen kettenrauchenden, cis-männlichen Künstlertypen bleibt. Aber es reicht, um mich leichter zu fühlen. Und wenn ich mich eines Tages wieder verliebe, dann weiß ich, es ist ein bisschen weniger gelenkt von äußeren Rahmungen, sondern kommt mehr von da, woher es kommen sollte: Vom Herzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Primary Sidebar

Schrift anpassen
Hohe Kontraste