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Frau Fuchs liebt: Was ist Glück?

Frau Fuchs liebt: Was ist Glück? published on Keine Kommentare zu Frau Fuchs liebt: Was ist Glück?
mushroom time lapse
Fliegenpilze | Gif by Frau Fuchs

von Frau Fuchs

Manchmal denke ich darüber nach, wie viel Glück ich einst gehabt haben muss. Jetzt auch so im Vergleich zu heute. Nein, das wird jetzt keine Selbstmitleidsnummer. Ich meine ja nur.

Mein Gedankenkreisen an diesem Morgen vor Weihnachten (liegt es daran?) nimmt Formen eines Terence Malick Films an: Nach Eindrücken der Sicht aus dem All auf unseren blauen Planeten und den Dinosauriern, den Steinzeitmenschen, den Ägyptern, den Römern, den Kreuzrittern, da Vincis Zeichnungen, Rückbesinnungstendenzen zur Antike, die Französische Revolution, Industrialisierung, zwei Weltkriege, Elend, Trauma und Hunger, sich liebende Hippies und die Antibabypille, Mauer, Atomkraft und Atomunglück, dann komme ich zur Welt. Nicht, weil ich genauso wichtig in dieser Geschichte bin, im Gegenteil. Ne kleine Wurst, ein schwaches Licht am Himmelzelt. Aber genauso wie ich, so seht auch ihr euch, jeder Einzelne, wenn ihr mal darüber nachdenkt; eure Geschichte über euch selber, die ihr euch manchmal in eurem Kopf erzählt.

Bereits als Säugling, gesund zur Welt gekommen, der gute alte Kaiserschnitt, proper und quengelig wie eh und je, einen älteren Bruder, ein waschechtes verwöhntes Ding, pinker Kinderwagen, lila Brille mit diesem peinlichen Augenpflaster. Und dann kam all das andere Zeug dazu. Drumherum: Der Kindergarten, die Schule(n), ein Instrument gelernt, Ballett im Tutu, Malschule, das Mobbing, Kindergartenfreundinnen, Grundschulfreundinnen, Jungs, die ich gut fand, weil alle sie gut fanden, Lehrer*innen, die einen über den Ernst des Lebens aufklärten. Eine Mutter, die einen über den Ernst des Lebens und die Verdorbenheit der Männer aufklärte. Ein häufig betrunkener Vater, der gleichermaßen so liebenswürdig sein konnte. Widersprüchlichkeiten durch und durch. Meine Großeltern, Urlaube im Campingbus, im Wohnmobil, löslicher Kaffee, braunes Glasgeschirr, Opas Kassengestelle verändern sich über die Jahre, sie werden immer dünner, die Gläser immer dicker. Ich rieche den Geruch von Bügeleisen in unserem Esszimmer. Die Oma schläft für eine halbe Stunde mit dem Kopf auf dem Tisch und ich spiele mit meinem Hund unter dem Tisch Kuschelparty. Alleine habe ich Angst, insbesondere vor Außerirdischen. Papa hat mir mit 3 Jahren erlaubt E. T. zu gucken und das mit verheerenden Folgen.

Viel Liebe, viel Leid, insgesamt sehr wenig Leid, sondern mehr Liebe bzw. was man als das bezeichnet. Mitunter ein normales Durchschnittsheranwachsendenleben eines Mittelstandmädchens. Zumindest erzähle ich es mir selber so. Meine Kindheit.

Und nun, ja, nun stehe ich hier an diesem Punkt. Nichts bewegt sich mehr, vielleicht muss ich mal nachölen? Ich komme nicht vom Fleck. Und es widerfährt mir auch derweil nichts, ich habe zwei linke Hände, sowohl in beruflicher Hinsicht als auch im Privaten, dabei ist es doch bloß ein kleines Menschenleben. Dreißig dreißig dreißig, was für eine blödsinnige Zahl. Jesus von Nazareth ist nicht viel älter geworden und konnte hebräisch sprechen und ich? Ich bin dieser Kaiserschnittsäugling, das pummelige Mädchen im Tutu, Brillenschlange und Zahnspangenneutrum, unbeliebt und schüchtern, schwer verliebt in Kurt Cobain. Ich bin diese formbare Masse: vom Kind zur Frau, von dick zu dünn, von Schwarz zu Blond, von Handwerk zu Wissenschaft, doch wer bin ich? Und wer bin ich ohne den Faktor Zeit?

Bin ich ein Mensch mit überdurchschnittlichem Glück in der ersten Lebenshälfte? Ist Glück etwas, was jedem Menschen zusteht? Ist Glück ein Menschenrecht? Ist Glück ein zufälliges Gut? Kann ich Glück beeinflussen? Was ist Glück? Einmal in seinem Leben die große Liebe zu treffen und nach ihrem Ende niemals mehr dergleichen wiederzufinden? Vielleicht ist das mein großes Glück gewesen. Das gemobbte dicke Mädchen wird zu einer ansehnlichen Erwachsenen und darf auch mal erfahren, was Liebesglück in dieser Gesellschaft bedeutet. So erzähle ich mir das manchmal. Vielleicht tut es dann weniger weh? Oder sogar noch mehr? Ich habe es verwunden und beide Gefühle überstanden.

Where did you sleep last nigth - Kurt Cobain (Voz de Ramiro Saavedra)
Kurt Cobain MTV unplugged | Gif by Frau Fuchs

Sich Glück zu erhoffen, diese Empfindung zu hegen, beschämt mich. Ich komme mir gierig vor. Ich will bloß meinen eigenen Arsch retten, könnte man mir vorwerfen. Oh Gott, bin ich ein treudoofer Mensch.

Glück ist grundsätzlich viel. Und an manchen Tagen nichts. Ich stürze nicht mit dem Flugzeug ab ist Glück. Ich ergattere an einem Samstagabend im Supermarkt die letzte Milchtüte ist Glück. Oder aber, dass ich von dir träume, nach langer Zeit erneut, und weiß, dass ich dich liebe und immer lieben werde. Das ist doch Glück. Und das kommt nicht wieder. Es ist verwachsen mit neuen, nachfolgenden Geschichten, Empfindungen, Erlebnissen. Das Glück von einst will ich auch gar nicht mehr erleben. Das ist vorbei. Aber es war doch so schön. Das Gefühl. Auch diese Aussage beschämt mich. Es geht um mein eigenes Gefühl, meinen eigenen Arsch. Ich kann Zeit nicht festhalten, sie zieht weiter wie Wolken.

Ich liebe dich und ich liebe nicht viele Menschen, weil ich weiß, dass es Glück ist Jemanden* zu treffen, den man lieben kann, darf und will. Wenn ich weine, dann sind das Glückstränen, denn ich weine um alle, die ich liebe. Ich bin glücklich darüber. Es sind eine Hand voll Menschen. Das ist so wenig, dass es an ein Wunder grenzt, oder? In Anbetracht der Masse an Menschen auf der Erde, meine ich.

Geschichten über Glück oder Unglück, das sind meines Erachtens nach Interpretationen von Geschehenem, subjektive (auto)biografische Erzählweisen, um die eigene Einzigartigkeit als Mensch herauszustellen. Und dann erstaunt es kaum, dass es von einer Mikro- in eine Makroperspektive übergeht. Ich im Kontext der Zeitgeschichte, der Tyrannosaurus Rex neben dem Lametta an Opas Weihnachtsbaum. Großes neben Kleinem. Was bin ich doch besonders, vielleicht nur für wenige Menschen, die ich liebe und die mich lieben, aber doch eben nicht unbedeutend. Das ist doch unsere große Furcht: Unbedeutend zu sein.

Und unbedeutend ist man, wenn man keine Geschichten von sich erzählen kann, die andere dann weitererzählen können.

Die Menschen, die ich liebe, die werden immer weiterexistieren. Zumindest in meiner Welt. Zwischen den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte, ein Sandkorn am Meer. Innen drin ein unglaublich bunter Mikrokosmos an Verstrickungen, Verästelungen. Ich erzähle eure Geschichten. Immer wieder. Weil ihr mein Glück seid.

Guten Start in 2016 euch allen!

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