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Frau Fuchs liebt: Über die Kunst und das Handwerk. Eine Geschichte.

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Collage: Lilli Bohème

Es ist ja nicht so, dass Hannes mit Judith Schluss gemacht hat, weil er sie plötzlich hässlich fand. Nein, im Gegenteil, er fand sie so schön, so unnatürlich überirdisch schön, dass es ihm wehtat. Aber nach und nach, nunja, um genau zu sein, nach zweieinhalb Jahren, da fiel ihm auf, dass es ihr an etwas Innerlichem fehlte, etwas, was fernab von Schönheit, von Optik war; etwas, was ein Mensch tief verborgen mit sich herumtrug ohne sich immer unbedingt bewusst darüber zu sein. So ein Zauber, eine Aura, mancher nennt es Charisma, wie auch immer. Hannes jedenfalls hatte sicherlich die drei Jahre der Beziehung mit Judith versucht dieses Charisma in ihr zu finden. Vergebens.

Er fühlte sich wie ein gescheiterter Bühnendarsteller, der immer davon geträumt hatte einmal ganz groß rauszukommen. Ja, so wie Humphrey Bogard, James Stewart, na oder auch so wie ein Charlton Heston. Schillernd eben. N ganz Großer. Ein richtiger Filmstar, ein talentierter Bühnendarsteller. Tja. War er auch. Ein Bühnendarsteller, meine ich. Allerdings ein gescheiterter. Dann und wann Aufträge, aber alles in allem…Irgendwie hatte er das insgeheim schon immer geahnt. Na, dass das mit seinem Durchbruch eher nicht so glatt laufen würde. Aber dann vielleicht das mit den Frauen? In irgendetwas musste er ja wohl einigermaßen gut sein. Naja und dann kam Judith und es sah anfänglich auch ganz danach aus, dass die Potenzial hat. Ja, Potenzial für was Längeres, wenn nicht gar etwas ganz Langes. Hatte Hannes noch nie so richtig bis auf das mit Silke. Das war jetzt aber auch schon zehn Jahre her. Und in Anbetracht der Schwierigkeiten, die diese Beziehung so mit sich brachte, auch nicht weiter erwähnenswert.
Nein, nein, hässlich war Judith nicht, auch wenn er sich ihre Brüste nicht so gerne ansah. Wenn sie sich vor ihm hin beugte, so fielen sie wie zwei halbbefüllte Milchtüten von ihrem Brustkorb nach unten in Richtung Fußboden. Naja, an irgendwas musste man sich das Scheitern ja vergegenwärtigen. Diese Aussicht mied Hannes, wenn möglich. Stattdessen puhlte er zu seiner eigenen Ablenkung in ihren Armbeugen herum und versuchte dort vielleicht das gewisse Etwas zu finden, was ihm an ihr fehlte.
Wie enden die Filme, in denen ein Paar auseinandergeht? Es gab zwei Möglichkeiten, korrekt. Die einen suchten sich eine*n neuen Partner*in und erlebten die gleiche Geschichte in einer anderen Version erneut und die anderen kamen aus unerklärlichen Gründen wieder zusammen. Undzwar innerhalb des gleichen Arrangements wie sie es bereits aus ihrem gemeinsamen ersten Film kannten. Ja, so wurde Hannes oft klar, eigentlich war das Ganze, also das, was man im Volksmund so „Leben“ nannte, eine Anreihung an guten und weniger guten kurzweiligen Spielfilmen über das Scheitern in Gefühlsangelegenheiten. Nun, so sagte er sich, wenigstens sei er ja dann, letzten Endes, doch gar nicht so ein schlechter Schauspieler, sondern hatte sogar, im Gegenteil, einiges an Projekten vorzuweisen. Und wie wir alle wissen, sind alle Projekte in Wirklichkeit, also wenn man es ehrlicherweise mal zugibt, gescheiterte Projekte. Verwachsungen, Wucherungen, Krüppelausgaben von Hollywoodstories, ja eben willkürliche Gebilde der Natur, die diese aufgrund ihres autopoetischen Mechanismus als Abfall geglückter sozialer Bündnisse versehentlich mitproduziert. So etwas wie Verschnitt oder Späne nach Hobelarbeiten.

Hannes war kein Handwerker, das stand fest. Er war ein Clown und dazu brauchte es keine Expertise, keine Strategie. Er war ein doppelter Linkshänder, ein Bauchmensch mit Magengeschwür, ach, diese Bilder, was soll’s?
Hannes kann einfach nicht lieben, weil er nicht weiß, wie fühlen geht. Weil er nicht weiß, wo das entsteht, was die da draußen, die Nichtgescheiterten, sondern die Erfolgreichen, die, deren Herzen auf Dauerschleife Purzelbäume schlagen, ja, genau die, was die als „Liebe“ bezeichneten.
Achja, Liebe.

Gypsy der affe
Blick in Homer Simpsons Kopf | Gif by Frau Fuchs

Hannes seufzte ziemlich oft im Alltag. Jaja, auch bei den banalsten Verrichtungen. Als sei alles beschwerlich, dabei war es weniger beschwerlich als vielmehr leer. Alles war leer. Bis auf die Taskleiste seines Browsers am Rechner, sein guter Freund. Die beiden hatten schon so einiges durch. Viren, Drucker. Ja und so einige Tastaturen. Die tauschte der Rechner wie Hannes seine Frauen, dachte Letzterer sich oft. Jedenfalls gingen sie oft gemeinsam surfen. Die Weiten des Internets weckten ungeahnte Sehnsüchte. Unzählige Blogs, überlaufende Aggregate an unnützem Wissen. Hannes las stundenlang täglich derlei Zeug. War doch gut, um diese Leere nicht zu ertragen, die innere Leerstelle, nein, kein Gedankenstrich, wirklich eine Leerstelle.
Wenn Hannes über Frauen redete, nutze er immer das Präteritum.
Wenn Hannes über Filme redete, dann glänzten seine Augen.
Eigentlich schwieg Hannes die meiste Zeit. Weil er ja beschäftigt war mit seinem Rechner und dem Surfen. Und nun war es schon wieder eine ganze Weile, so genau konnte er den Zeitrahmen jetzt auch nicht mehr bemessen, vergangen, dass Ju…Ju…Ju…Achja: Judith aus seinem Leben verschwand. Nein, das heißt, er ließ sie verschwinden, denn freiwillig wär‘ die niemals gegangen, dieses kleine Klammeräffchen. Ein schönes, langwimpriges aber leider auch sehr bedürftiges und anstrengendes Wesen. Hannes war froh, dass er es schaffte regelmäßig seine Miete zu zahlen, demzufolge war ein zerbrechliches Baby-Pavianweibchen nicht grad eine Unterstützung. Und da Hannes, wenn er grad nicht vergessen hatte Propan nachzufüllen, ein schwebender und freier Heißluftballon war, musste er sich eben von zu viel Ballast entledigen. Ja, ein Ballon mit Körbchen,. Schön konservativ, auch wenn er nach außen hin gar nicht so den Anschein machte. Aber hier war bloß Platz für ihn alleine. Von hier oben, da konnte er die Welt genau überblicken. Die Welt, die ihn schon bald als DEN Hannes kennen würde, DEN, über den ALLE sprechen, DEN Schauspieler Hannes. Ja, das glaubte er immer noch. Kein Witz.
Wenn Hannes an die Leerstellen in seinem Leben dachte; taubes Narbengewebe überall an seinem Körper verteilt und vermehrt in Nähe seines Herzens, dann bekam er Lust etwas zu tun. Doch dieses Tun-Wollen, es gelang ihm einfach nicht es in Konkretes zu übersetzen.
Und so, ja, so wiederholten sich die Dinge, alles beim Alten: Kunst blieb Kunst und Handwerk blieb Handwerk und Hannes vergaß die Namen seiner abgenutzten Frauen, er suchte weiter nach dem gewissen Etwas, dem Quäntchen Magie, dem Hochgefühl als Gasersatz, welches ihn am Himmel hielt und in seinen Armbeugen, die noch kein*e Sterbliche*r genauer inspizieren durfte – das hatte er nicht so gerne – in seinen Armbeugen da funkelte etwas ganz in Gold.

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