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Frau Fuchs guckt: Boulevard. Amerikanisches Kino mit Tiefgang?

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FuchsStreetvon Frau Fuchs

Also Hollywood steckt ja momentan in einer höchst erstaunlichen Entwicklungsphase, was die Auswahl der verfilmten Geschichten angeht. Man könnte es, will man es etwas provokant oder auch ironisch formulieren, gar progressiv nennen. Denn während die schwulen Cowboys mittlerweile Schnee von gestern sind, haben es heute Lesben, Trans*menschen und unglückliche Ehemänner mit unterdrückter homosexueller Neigung auf die Leinwände Amerikas geschafft. Alleine in den letzten drei Monaten beackern uns die Filmemacher*innen in Carol, The Danish Girl und Boulevard die thematischen Felder, von denen sich ein großer Teil der Gesellschaft immer noch fern hält. Somit leistet – fernab von der Qualität der filmischen Umsetzung jener Lebensgeschichten – Hollywood tatsächlich eine solide Aufklärungsarbeit. Solide meine ich, weil die Doppelmoral weiterhin stets mitschwingt. In Robin Williams letzten Film “Boulevard” fängt Dito Montiel die Geschichte des 60jährigen Büroangestellten Nolan ein, der, gequält von Einsamkeit trotz wartender Ehefrau daheim, zufällig seine Homosexualität entdeckt. Mit dem Auto fährt er durch die Straßen, wie ein streunender Hund, hungrig nach Gefühl, nach etwas Zwischenmenschlichem, was sich warm, gut, nah anfühlt. Prompt trifft er auf einen jungen Mann namens Leo, abgeranztes Straßenkid, den Drogen zugeneigt, Gewaltopfer, ohne Erwartungen an die Menschen. Er liest ihn auf, steigt mit ihm ab in ein Motel. Bezahlt ihn, das Zuhören als Dienstleistung, kein Sex, nichts Körperliches. Bloß erkaufte Fantasieanregungen. Seelenmülleimer. Nolan baut eine Beziehung zu Leo auf, entfaltet an ihm als Objekt sein eigenes pathologisch ausgeprägtes Helfersyndrom. Er will ihm helfen, ein “normales Leben” zu leben. Vater, Freund und Liebender in einer Person. Mit ruhigen, moosgrün und schlammfarben kolorierten Bildern regt die wenig spektakuläre Story trotz der großartigen schauspielerischen Leistung Robin Williams nur zu Aussagen wie “Ach, haben die das Thema jetzt auch mal wahrgenommen?” an. Wohl bemerkt gerührt folgt man als Zuschauer*in der feinfühligen Erzählung und trauert um das Schicksal eines vertanen Lebens aufgrund des nach wie vor geschnürten gesellschaftlichen Korsetts, erlebt den schier asexuell wirkenden Protagonisten Nolan als anständigen Ehemann mit Manieren und Vaterinstinkt. Eine Schwachstelle, ein Widerspruch in der Narration der Figur oder zwei sich provokant überschneidende soziale Rollen? Fest steht: Zwar wird der jugendliche Körper des sich verkaufenden Jünglings Leo in seiner Blöße gezeigt, doch verbleibt die gealterte Vater-Figur Nolan ohne jegliche erotische Regung. Wieso?

Vielleicht würde es auch gar nicht zu diesem Charakter passen, sich nicht schicken, ihn plötzlich beim Sex mit dem jungen Mann von der Straße zu ertappen, vielleicht weil es ihn zu dreckig, zu unanständig, zu primitiv inszeniert hätte? Vielleicht nicht nur die Figur Nolan, sondern auch Robin Williams als Persönlichkeit, der Mime klassischer Familienunterhaltungsfilme?! Hollywood funktioniert eben doch nur, wenn man all seine Gesetzmäßigkeiten befolgt. Nicht zuviel, nicht zu wenig. Sex, Gefühl.

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Robin Williams in „Hook“, 1991 | Gif © Jules Cachecoeur

So wird der Anschein erweckt, ein Mann in Nolans Alter, in seiner Position, in seinem Umfeld hege keinerlei instinktive Bedürfnisse. Sex im Alter, immer noch ein Tabu. Homosexualität im Alter. Nach wie vor ein komischer Beigeschmack. Hier wird Homosexualität weiterhin lediglich auf einer Ebene Raum zur Emanzipation geboten: Ebenso wie bei Brokeback Mountain darf die zwischenmenschliche tiefe Verbindung zwischen zwei Männern uns emotional berühren, jedoch wird mit Blick auf die sexuelle Ebene weiterhin das Deckmäntelchen übergeworfen. Nolan, der sich seinem Schützling bloß als der passive Verehrer nähert, scheint trotz gefühlter physischer Anziehung, Sehnsucht nach Leos Körper, seiner nackten Haut, sich abzeichnender Muskelstränge aus einem ästhetisierenden (männlichen) Blick, keine Ambitionen zu entwickeln aktiv sexuelle Praktiken mit ihm durchführen zu wollen. Stattdessen sitzt er da, wie ein friedfertiger und ganz uneigennützer Budda, der sich letztlich vom Los seiner schlechten Ehe befreit (der libertäre Höhepunkt des Films) und nicht nur sich, sondern seinem sozialen Umfeld eingesteht, dass er schwul ist, immer war. So tragisch die Person des Nolans auch ist, wirkt sie überflüssigerweise dümmlich, eine biedere Verkörperung des Unwortes von 2015: “Gutmensch”. Anscheinend müssen wir uns noch etwas gedulden, bis Hollywood sich ganz öffnen kann.

Im Grunde ist Boulevard ein Genuss für alle Williams-Liebhaber*innen, im Anschluss an den Film stößt man an, allemal, aber weniger auf einen gelungenen Hollywoodstreifen, der einem in der postmodernen Gesellschaft wahrlich besprechbaren Thema nicht gerecht wird, sondern vielmehr auf einen der ganz Großen des amerikanischen Mainstream-Kinos, der von uns gegangen ist.

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