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Busfahrt mit Troll

Busfahrt mit Troll published on 1 Kommentar zu Busfahrt mit Troll

von MsWookie

Kennt ihr das, wenn plötzlich ein Sinnbild, eine fleischgewordene Metapher vor euch aufploppt? Wenn sich ein latentes, immer anwesendes Gefühl glasklar zeigt?

Freitagmorgen in einer Großstadt im Ruhrgebiet. Ich stehe mit meinem Freund an einer Fernbushaltestelle und freue mich auf Amsterdam. Der einzige wirkliche Urlaub diesen Sommer. Der Busfahrer schnauzt uns an, es gebe nur für ein Handgepäck pro Person Platz. Ich habe einen kleinen Rucksack auf dem Rücken und meinen Jutebeutel von den Gender Studies über der Schulter. Ich realisiere, dass das dem Busfahrer zu viel ist. Er sieht mich bitterböse an, als wolle er uns alle schon vor Beginn der Fahrt erwürgen. Ich denke mir nichts dabei und drücke den Beutel meinem Freund in die Hand, der gerade das große Gepäckstück verstaut hat. Er grinst mich an, murmelt etwas von „miltärischemBundeswehrdrill“ und ich weiß, dass er nur darüber grinst, weil er sich sonst nur aufregen würde. Wir steigen ein und setzen uns relativ weit vorne auf einen freien Zweiersitz. Kurz nach Abfahrt bemerken wir, dass wir vor einem trinkenden Junggesellenabschied gelandet sind. Ich fühle mich wie ein Snob, weil ich gerne woanders sitzen würde. Weil ich och vor der Fahrt dachte, während der 15€-Fahrt in Ruhe ein Buch lesen zu können. Wahrscheinlich gehört das zu einer Busfahrt nach Amsterdam einfach dazu, sage ich mir, vielleicht wird das auch noch ganz amüsant. Ich schäme mich etwas für meine Bedenken und versuche mich in Gelassenheit. Als die Männer, ungefähr 15 angetrunkene Typen zwischen 25 und 35, zum ersten Mal laut grölen, flüstert mir mein Freund zu: „Eine homosoziale Männergemeinschaft!“ Ich bin fast stolz auf ihn, weil er sich scheinbar etwas von meiner Hausarbeit merken konnte, die er vor kurzem Korrektur gelesen hat. Wir versuchen es nun also mit Galgenhumor. Zwei ältere Frauen vor uns kichern über die unerwartete Unterhaltung. An der nächsten Haltestelle, der letzten vor Amsterdam, stürmen unsere neuen Bekannten nach draußen, zum Rauchen. Ich überlege kurz und entscheide mich dann dagegen, ebenfalls eine Zigarette zu rauchen. Eine der älteren Frauen gibt einem der Typen noch Feuer. Als die Männer durch den schmalen Gang strömen, zieht mein Freund den Jutebeutel aus deren Sichtweite. „Nachher pöbeln die noch rum, wenn sie einen Gender Studies-Beutel sehen“, sagt er und ich bin mir sicher, dass er mittlerweile

jutebeutel
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trotz allem Humor ebenso etwas skeptisch ist. Grölend kommt die Mannschaft, die – wie wir später herausfinden – tatsächlich eine Amateurfußballmannschaft ist, an uns vorbei. Einer von ihnen, der etwas älter als der Durchschnitt ist, stimmt nun einen „Gesang“ an. „[Vorname][Nachname] Sinti und Roma!“ In meinem miesen Bauchgefühl bestätigt, merke ich, wie die ganze Truppe einstimmt.

 

Ich sinke in meinen Sitz zurück. Ich sehe empört zu meinem Freund, der ebenso entsetzt wirkt. Das Gegröle wird lauter. Als müssten sie sich versichern, dass jeder im Bus ihren Antiziganismus hört. Ich kann mir denken, warum über „Sinti und Roma“ gesprochen wird. Warum nicht das gute alte deutsche Wort des „Zigeuners“ als Beleidigung herhalten darf. Spielerisch macht man sich somit gleich zusätzlich über die scheinbare politicalcorrectness der Gesellschaft lustig. „Zigeuner dürfen wir nicht mehr sagen, dann sagen wir halt Sinti und Roma, höhö“. Ich kann mir das dumme Lachen bildhaft vorstellen. Ich denke zurück an meine Jugend auf dem Dorf und erinnere mich an dieselben Typen. Schwäbischer Akzent statt Ruhrpott-Schnauze, man könnte sie verwechseln. Wir fahren an einem Tiertransporter mit Mastschweinen vorbei. Als Vegetarierin blutet mein Herz, absurderweise kann ich die Schweine aber als Ablenkung sehen. Mir tun die Schweine leid, dennoch finde ich sie süß– ja, irgendwie pervers. „Guck mal, lecker Schnitzel!“, grölt einer der Männer, der direkt hinter mir sitzt. „Frauenknast on Tour, oder was?“, poltert der Nächste. Die Menge lacht. Mein Gesicht bleibt erstarrt. Mich erfasst eine Wut, ein kalter Schauer. Die Frau, die in derselben Reihe wie wir sitzt, schaut ebenfalls genervt und betroffen, ebenfalls schon seit einer ganzen Weile. Ich will nach Amsterdam, schnell!Der Bus gerät in einen Stau. Es sieht nach einer fetten Vollsperrung aus. Genervt verdrehe ich die Augen. Von meiner Angst ein Snob zu sein, ist wenig geblieben. Ich möchte einfach nur schnell ankommen und meinen Städtetrip genießen. Mit meinem Freund in unserer weltoffenen, heilen, naiven Blase schweben. Derselbe Typ, der immer wieder Gesänge anstimmt, steht auf und geht mit bierschwangerem Atem auf den Busfahrer zu. Er müsse rauchen, wolle raus, wir würden eh stehen. Der Busfahrer sagt „nein“, klar und deutlich, nicht freundlich aber bestimmt, zum ersten Mal ist mir dieser Bundeswehrkerl halbwegs sympathisch. Der Typ wird lauter. Pöbelt um sich, seine Mannschaft stimmt in seinen Argwohn ein. Die ersten Beleidigungen fallen. „Setz dich hin, verdammt! Halt mal Abstand!“, brüllt ihn der Busfahrer an. Maskuline Aggression prallt auf die andere. Es werden dumme Witze gerissen. Eine Armlänge Abstand müssten sonst doch nur Frauen halten. Ein Paar in der ersten Reihe schüttelt den Kopf, zuckt mit den Schultern. Ich beobachte meine Umgebung wie in Zeitlupe, nehme die Situation scheinbar mit allen Sinnen war. Mein Freund und ich starren in den „kicker“ und wundern uns über seltsame Bundesliga-Transfers um uns abzulenken.

goblins
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Nach lautem Gegröle der Mannschaft und einigen noch weiter befeuernden Kommentaren des Busfahrers lässt er die Raucher_innen nach draußen. Wieder bleibe ich gerne im Bus zurück. Draußen versuchen zwei aus der Männertruppe eine junge Frau zu überreden mit ihnen in Amsterdam feiern zu gehen. Ich sehe die Szene durch das dreckige, verdunkelte Fenster des Busses und höre ihre lauten Stimmen durch die offene Türe. Die junge Frau lächelt die Männer schüchtern an, versucht sich aus dem Gespräch zu lösen, nachdem sie einige Worte gewechselt haben. Ich frage mich, warum sie noch lächelt. Warum zeigt sie ihnen nicht wie genervt sie mittlerweile ist? Warum müssen Frauen immer nett lächeln? Die Frau aus unserer Sitzreihe blickt uns über den Gang hinweg an. Schulterzucken. Ich murmele zu meinem Freund: „Ich bin kurz davor was zu sagen.. Sonst sage ich doch auch was… bei sowas!“ Er versucht mich zu beruhigen. Beim Abendessen wird er mir erzählen, dass er mittlerweile Angst um uns beide hat. Er ist generell diplomatischer als ich. Uns beide  schüchtern diese Typen ein.

Wir fahren wieder weiter. Eine andere Jungsgruppe, vielleicht gerade 18 geworden und deutlich in der Unterzahl, wird beleidigt. Der Grund: Die Jungs sind Schalke-Fans. Es werden Bedrohungen und „Beleidigungen“[sic!] in Richtung des Busfahrers geschrien. Meine Ohren tun mittlerweile weh. Nun folgt ein Sammelsurium an Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Rassismus und alles andere was die blau-braune Torte zu bieten hat. Kurz vor Amsterdam halten wir auf einem Rasthof, weil in der Bustoilette geraucht wurde. Der Busfahrer findet sie mit völlig zerstörtem Handwaschbecken vor. Damit beginnt die letzte Eskalationsstufe, der Busfahrer beschuldigt die Gruppe es gewesen zu sein, diese schreien ihn nur noch wahllos an und bedrohen ihn. Er sei von Anfang gegen sie gewesen, hätte sie schlecht behandelt, mit Absicht schikaniert. Ich habe ob der Stimmung im Bus wirklich Angst. Der Busfahrer sagt, er wolle die Polizei in Amsterdam rufen. Als wir dort ankommen, lässt er uns doch sofort zu unserem Gepäck und die grölende Gruppe zieht davon.

Eine Busfahrt im Sommer. Ein Wochenende als einziger wirklicher Urlaub in einem verplanten, vielbeschäftigten Sommer. Ich habe das Gefühl, als wäre mir mit dieser pöbelnden, bedrohlichen Männergruppe sinnbildlich der hässliche Deutsche wieder begegnet. Laut, aggressiv und irgendwie ganz schön weinerlich, weil der böse Busfahrer (die böse Autorität!) sich gegen ihn stellt. Der hypermaskuline, weiße Mannsieht Bedrohungen und scheinbare Diskriminierung, wo er immer noch die Deutungshoheit, die Macht im Foucault‘schen Sinne, über Dinge hat. Er beleidigt und diskriminiert ohne dass jemand etwas dagegen sagen würde. „Ist es Angst, Akzeptanz oder Ignoranz?“, singen Irie Révoltés. Ich hatte Angst. Mein Freund hatte Angst, vor allem vor physischer Gewalt. Er fügt hinzu: „Selbst wenn du was gesagt hättest, wären die sicherlich auf mich als Mann losgegangen.“ Schon gut möglich. Denn Frauen schlägt man – zumindest öffentlich – nicht. Man bezahlt sie nur schlechter, verweigert ihnen zentrale Rechte wie etwa Abtreibung oder behandelt sie als zweitrangig. Ja, später wird der hypermaskuline Mann seinen Freunden und der ganzen Weltöffentlichkeit über Facebook und Twitter erzählen, man müsse die deutschen Frauen und Mädchen vor dem nordafrikanischen Mann schützen. Dieser könne ja nicht mit Alkohol umgehen. Ich habe das Gefühl, als wären all die Trolle, die mich sonst in sozialen Netzwerken zur Wut bringen, in diesem Bus gesessen. Gleichermaßen werde ich mir wiederum meines Privilegs bewusst, eine weiße, heterosexuelle Frau zu sein. Wäre ich nicht so biodeutsch, würde ich einen Hijab tragen oder wäre ich mit meiner Partnerin unterwegs gewesen, wäre ich dann noch so unsichtbar in der Masse des Rests untergegangen? Rückblickend fühle ich mich bei aller höchstwahrscheinlich berechtigter Sorge unwohl, weil ich mich so überhaupt nicht positioniert habe, außer vielleicht mit meinen Todesblicken. Macht man sich bei aller Ungerechtigkeit nicht auch durch Wegschauen und Schweigen schuldig?

 

 

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