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Dame Gothel… IT hurts to be beautiful

Dame Gothel… IT hurts to be beautiful published on Keine Kommentare zu Dame Gothel… IT hurts to be beautiful

von Eva Busch

Anna Natt steht auf einer komplett dunklen Bühne, nur ein einzelner Spott ist auf sie und auf den Salatkopf gerichtet, der vor ihr liegt. Sie trägt einen führe ihre weiße Haut passenden hautfarbenen Anzug. Ihre langen dunklen Haare trägt sie offen über die Schulter. Ihre Augen sind geschlossen.
© Piotr Rybkowski

Im FFT Düsseldorf ist gerade das Freischwimmer-Festival zu Besuch. In dem Format reist eine Reihe von Stücken gemeinsam durch verschiedene Städte, um dort jeweils Einblicke zu bieten, was „eine neue Generation von Theatermacher*innen“ aktuell umtreibt.

Die in Berlin lebende Tänzerin mit klassischer Flamenco-Ausbildung Anna Natt zeigt in dem Rahmen ihre Arbeit ‚Dame Gothel … it hurts to be beautiful‚. Ich hatte die Gelegenheit, sie vorab zu treffen.

Also: Wie kam es zu dem Stück und worum geht es dir?
„Das kam, als ich mich an meine Großmutter erinnerte, die oft das Märchen Rapunzel vorlas. Sie hat dabei immer die Stimmen der verschiedenen Charaktere nachgemacht und jedes Mal, wenn sie von dem Begehren der schwangeren Frau, Rapunzels Mutter, gesprochen hat, habe ich ein echtes Verlangen in ihrer Stimme gehört. Das ist interessant und widersprüchlich, denn sie war eine richtig feine Dame. Eigentlich hat sie nie ein Verlangen ausgedrückt. Sie war penibel mit der Hausarbeit, hat viel geraucht, eben eine 50er- Jahre Dame. Da war wohl eine lebendige Seite, die sie nie ausgelebt hat. Sie hat mir und meiner Schwester beigebracht, wie man sich als Dame verhält. Sie hat uns in Restaurants ausgeführt, gezeigt, wie man die Serviette richtig faltet und auch, dass man nur ein bisschen Brot nimmt. Also alles ein bisschen klein und zurückgehalten. Wenn ich sitze, überschlage ich heute automatisch die Beine, das ist ja sozialisiert, das formt den Körper. Ich seh das manchmal. Mit verschiedenen Übungen habe ich das immer mehr gemerkt, wie sich die Sozialisation materiell in den Körper einschreibt. Ich denke, das Stück ist allgemein zugänglich, obwohl es für mich eine persönliche Auseinandersetzung war, aber das war mir und der Dramaturgin (Mariona Naudin) wichtig. Es ist interessanter, wenn jede*r was entdecken kann. Die Leute sehen viele verschiedene Dinge darin.“

Noch habe ich den Marienhof-Song „Es wird viel passieren. Nichts bleibt mehr gleich…“ im Ohr, den wir im Selbstmach-Theater der Gruppe Scripted Reality gesungen haben. Und dann ist da dieser schwarze Bühnenraum. Und es passiert nichts. Ein Spot leuchtet auf einen Salatkopf. Der teilt sich die Bühne mit einer Performerin Latex-Anzug, einem Spiegel, von der Decke hängenden Perücken, drei Mikrophonen, ebenso vielen Konzertharfen und Harfenistinnen. Am Anfang aber stiehlt der Salatkopf allen die Show. Rapunzel musste immer viel warten und hatte wenig zu lachen.

Dann schauen wir die Performerin an. Das macht der Spot. Der Anzug liegt so nah an, dass ich ihren Atem deutlich wahrnehme. Und auch die Linien, an denen sich ihre darunter befindliche Unterwäsche abzeichnet. Ich schiebe es auf den Anzug und meine gute Schulung, dass ich das als unvorteilhaft zu lesen gelernt habe. Die Palette von Blicken der Performerin, die sich im Laufe des Stücks als Konstante etabliert, besteht aus neutral-apathisch und dann künstlich-qualvoll grinsend.

„Es gibt einige Szenen, in denen ich ein übertriebenes Lächeln trage, das ist direkt von meiner Oma inspiriert. Auf Fotos wirkte sie immer, als erschrecke sie sich vor dem Blitz. Das ist so eine Geste, die auch viel über andere Dinge sagt.“

Immer wieder sind es diese durch Übertreibung ausgestellten Gesten, die von Generation zu Generation, von Körper an Körper übergeben wurden und vielleicht einmal „schön“ sein wollten. Und dann sind da diese Harfenistinnen. Ich komme nicht umhin, sie als engelsgleich wahrzunehmen und zu bezeichnen.

„Es geht um verschiedene Formen von Weiblichkeit und das sehen die Leute. Ob sie das nachempfinden können, das ist unterschiedlich.“

Eine viel zu lange weißblonde Perücke wird gekämmt. Es ist ein ordentliches Kämmen, nicht der Kampf, den Marina Abramović in ihrer Performance „Art must be beautiful“ ausficht. Noch ist alles sehr ruhig und zurückhaltend.

Anna Natts Bewegungen sind vielschichtig überlagert und voller Referenzen. Einerseits lassen sie ihre Professionalität im Flamenco durchscheinen, dann wirkt es, als sei der Cyborg da vor uns mit dem dominanten Reißverschluss im Schritt irgendwie nicht ganz richtig programmiert.

Zwischendurch spielen die die Harfenistinnen harmonische Sequenzen, die wirken traumhaft, Erinnerungen heraufbeschwörend, oder den Eintritt in die Welt der Märchen. Und dann stampft sie wieder auf. Sie stampft zur Musik, erzeugt selbst Geräusche, da ist Selbstbeherrschung und auch Verletzung, ich sehe militaristische Rhythmen, und je länger sie das macht, umso mehr wirkt die scheinbar blinde Barbie mit den viel zu langen Haaren eigentlich recht humorvoll. Es wirkt anstrengend, aber es scheint ihr Spaß zu machen, was sie da mit aller Ernsthaftigkeit treibt, diesen Tanz zu zeigen, bei dem sie sich immer wieder auf den Po haut.

Dann sitzt sie wieder vor dem Spiegel, am Schminktisch. Es zeigt sich, dass dieser Abend aus mehreren Bildern bestehen wird, die immer wieder durch einen Blick in den Spiegel voneinander getrennt werden. Sie legt sich einen Bart an, einen sehr großen, kuscheligen Bart. Sie bewegt ihren rechten Zeigefinger wurmartig auf den Salatkopf in ihrer linken Hand zu und schwingt dabei rhythmisch die Hüften. Die Harfenistinnen bewegen sich durch den Raum. Das Streichen über die Saiten wird stärker, ein richtiges Hämmern. Der Klang füllt den Raum, da ist Energie und ich denke an die Oma, die in der Märchenerzählung ihr Begehren nach Salat mit Klängen ausdrückte.

Sie will angeschaut werden. Immer wieder leuchtet der Spot ihre Pose voll aus. Diesmal trägt sie mechanische Stelzen. Es sind Prothesen – da ist er wieder, der Cyborg, der nicht „schön“ ist. Der muss böse sein, so ist das. Auch die Stelzen-Figur braucht Musik, um sich richtig bewegen zu lassen, braucht Geräusche, um in Anna Natts Formenvokabular des Flamenco einzutauchen und uns mit einer lasziven Pose auf dem Barhocker zu entlassen.

Anna Natt steht immer noch auf einer komplett dunklen Bühne. Wieder ist ein einzelner Spott auf sie gerichtet. Sie hält etwas braunes vor ihren Oberkörper und ihr Gesicht. Es sieht aus wie eine Decke. Den Salatkopf hält sie nun in ihrer rechten Hand und schaut ihn an.
© Piotr Rybkowski

Ist ‚Dame Gothel‘ ein feministisches Stück?
„Ich verstehe mich als Feministin, weiß aber nicht, ob es ein feministisches Stück ist. Es gibt diesen Text, „Queering ‚Happily Ever After’“ von Barbara Curatolo, der hat mich fasziniert und was ich mache, ist vielleicht ein ‚Queering‘ des Märchens Rapunzel. In alten Märchen ist es ja immer so, dass die Prinzessinnen einen Namen, einen Charakter und ein Gesicht haben, aber die alte Frau oder Hexe nicht. In diesem Stück wollte ich dieser alten Frau ein Gesicht, einen Körper geben. Das ist eine Seite der Weiblichkeit, die in Märchen meist nur am Rand vorkommt, mit einem Satz. Vielleicht ist das ja eine komplexe Persönlichkeit mit Gründen für das, was sie tut. Ich bin großer Fan der Bücher von Angela Carter, die funktionieren ähnlich.“

Welche Rolle spielt Flamenco in dem Stück?
„Da ich als Flamenco-Tänzerin ausgebildet bin, ist diese spezielle Qualität in meiner Arbeit immer präsent. Nicht als traditionelle Folklore, sondern in einzelnen Elementen, wie Rhythmus oder Körperhaltung. Das ist wirklich anders, als im zeitgenössischen Tanz.“

Was hat dich sonst noch inspiriert?
„Ein Teil meiner Choreographie ist von Trisha Brown inspiriert, aber auch stark von der Fotografin Cindy Sherman, insbesondere ihrer Arbeit ‚Film Stills‘. Da gibt es ein Bild von einer Frau, die mit Koffern da steht und wartet. Wir arbeiten in dem Stück ja viel mit Stille und dem Motiv des Wartens. Das ist so ein wesentlicher Bestandteil von dem, was es heißt, eine Frau zu sein. Du wartest auf deinen Prinzen, oder Kinder zu bekommen. Ich erinnere mich daran, dass ich oft warten musste und nicht die Initiative ergreifen sollte.“

Wie kam es zu der Entscheidung, mit drei Harfen zu arbeiten? Wie verlief die Zusammenarbeit?
„Die Harfe fand ich am Anfang als Bild interessant, sehr symbolisch aufgeladen, fast schon ein Klischee. Harfenklänge hört man oft in Filmen bei Traumsequenzen. Die Musik hat nicht unbedingt etwas mit Weiblichkeit zu tun, aber das Instrument selbst ist sehr weiblich konnotiert. Und dann die magische Nummer drei. Das habe ich mir toll vorgestellt, aber drei Harfen zu transportieren ist wirklich eine logistische Herausforderung. Die drei machen alles, was mit einer Harfe möglich ist. Geräusche, die man so nie erwarten würde. In der Zusammenarbeit mit Sissi Rada, der Komponistin, haben wir versucht, unsere unterschiedlichen Einflüsse zusammenzubringen. Sie kommt eher aus der klassischen Musik, spielt aber auch in einer Rockband und ich tanze Flamenco. Das sagte ihr zunächst nicht zu, aber ich denke, wir haben einen Weg gefunden, dass Flamenco und Harfe sich mischen. Es ist ein großer Luxus, über längere Zeit mit einer Komponistin zusammenzuarbeiten.“

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