von MsWookie
Eigentlich wollte ich als Privatperson ins Theater gehen, nicht als Aktivistin und nicht als Schreibende für Feminismus im Pott. Auch, weil mein Wissen über Theater viel zu laienhaft ist und ich deshalb nie auf die Idee gekommen wäre, eine Theaterkritik zu verfassen. Dass mensch aber nicht abgrenzend zwischen Identitäten wechseln, den Aktivismus nicht einfach ablegen kann, wie einen Hut – das hätte mir eigentlich klar sein müssen. Dass es besonders naiv war dies bei diesem Theaterstück zu glauben, erst recht.
Meine feministische Blase plant die Teilnahme an den Women’s Marches, mein Facebookfeed ist voll davon und in der Feminismus im Pott-Redaktion steht die Frage im Raum, wer mit nach Frankfurt wolle. Ich bin etwas genervt und nehme mir vor, gewissenhafter einen einheitlichen Kalender zu führen. Für den 21.01.2017, einen Tag nach Trumps Amtseinführung, habe ich Theaterkarten für die Premiere für Biedermann und die Brandstifter. Mein Herzensmann hatte mir bzw. uns diese geschenkt, er selbst hatte mal in einer Aufführung des Stücks ein Mitglied des Chors gespielt und mich interessierte der Stoff aus gegebenem weltpolitischen Anlass immer mehr. Ich fühle mich zerrissen. Einerseits würde ich lieber mit nach Frankfurt, Düsseldorf oder Bonn andererseits freue ich mich auf das Stück.
Feministischer Meilenstein vs. „Lehrstück ohne Lehre“?
Immer noch etwas enttäuscht, entscheide ich mich schließlich für das Theater. Aber das Schauspielhaus Bochum setzt dieses Stück sicher nicht ohne Grund auf den Spielplan. Am Morgen fand bereits ein „Demokratiefrühstück“ statt.
Max Frisch schrieb seinen Biedermann in den 1950er Jahren, geprägt durch die jüngste europäische Vergangenheit, auch, wenn er eine konkrete Interpretation stets ablehnte. Vielleicht ist es gerade jetzt so angebracht, weil es so wandelbar ist – doch dazu später mehr.
Gottlieb Biedermann und seine Frau Babette werden von Frisch als Stereotyp des Bürgers und der Bürgerin gezeichnet, geprägt von Spießigkeit und dem ständigen Bewusstsein, es gebe doch keine Klassenunterschiede, alle Menschen seien gleich. Mich erinnerte dieser Ausspruch im Kontext seines privilegierten Lebensstandards an die klassischen „Ich sehe keine Hautfarbe“-Aussagen.
Er hetzt, so erfährt mensch ganz zu Anfang, gegen die „Brandstifter“, die das öffentliche Leben bestimmen, „Hausierer“, die in den Dachböden der Menschen Feuer legen, Biedermann findet man sollte diese „aufhängen“. Kurze Zeit später stellt sich der erste Brandstifter vor, wird von Biedermann, der betont „kein Unmensch“ zu sein, aufgenommen. Getrieben ist er vom Wunsch, etwas zu sein, was er nicht ist, oder vielmehr etwas nicht zu sein, was er eigentlich ist. Es folgt der nächste „Hausierer“, es folgen Fässer mit Benzin auf dem Dachboden. Biedermann hilft selbst beim Vermessen und Legen der Zündschnüre. Die mittlerweile klar als die Brandstifter zu erkennenden Männer berichten, dass die einfachste Möglichkeit, Menschen etwas vorzumachen immer noch die Wahrheit sei. Sie sprechen offen über ihre Brandstiftungspläne. Biedermann beruhigt sich und seine Frau, die, ganz die konservative Bürgersfrau, zwar ihre Ängste und Sorgen mitteilt, letztendlich gegenüber dem Mann aber passiv bleibt. Keineswegs möchte sie den Anschein erwecken, sie verstünde den derben Humor der einfachen Leute nicht.
Irgendwann, von Angst getrieben, erklärt er seiner Babette aber, dass es besser sei, die Brandstifter als Freunde zu haben, sie also weiter zu beherbergen, anstatt sie sich mit einem Rausschmiss oder Anruf bei der Polizei zu Feinden zu machen. Letztendlich gibt er den beiden noch die Zündhölzer, mit deren Hilfe die beiden das Haus anzünden.
Die Inszenierung von Hasko Weber stellt ganz zu Beginn schon eindeutig die Brandstifter vor. Sie sind klar als diese für die Zuschauer*innen erkennbar, keine Zweifel sind daran zu hegen. Sie zünden noch in der ersten Szene ihre Fackeln. Erst dann lernen wir Biedermann kennen, seine Frau, sein Hausmädchen, dessen Rolle immer wieder zum Indikator wird, um die Privilegien der Biedermanns zu zeigen. Auch betont Frau Biedermann, Anna dürfe gerne einen Freund haben, man sei ja nicht spießig, aber bitte nicht unter ihrem Dach. Als die Brandstifter Anna belästigen, sagt die konservative Lady allerdings wenig. Das Stück nimmt in vorhersehbarer Manier seinen Lauf und endet, so denken wir, mit dem Brand des Biedermannschen Hauses. Doch die Projektion auf dem geschlossenen Bühnenvorhang verheißt eine Pause.
Mein Herzensmann und ich schauen uns an. „Eigentlich müsste das Stück nun zu Ende sein…“, meint er etwas verdutzt und wir bahnen uns durch die Menschenmenge an „Bildungsbürger*innen“ den Weg zur Toilette. Diese Fremdzuschreibung lehne ich bewusst an einen Gesprächsfetzen an, den ich – als das Stück sein Ende genommen hat – an der Garderobe aufschnappe. „Und, sehen die Bildungsbürger in Bochum anders aus als in Köln?“ Ich verwende diese Begrifflichkeit, weil sie sich klar an die Zielgruppe des Stückes richtet. Frischs Biedermann entspricht nicht dem Narrativ des*der ungebildeten, frustrierten Unterschichtangehörigen, der*die eben mal für eine extremistische, menschenfeindliche Partei stimmt, verblendbar ist und ungebildet wie er*sie ist nicht sehen kann, was deren eigentlichen Pläne sind. Dieses Stück und seine Anti-Held*innen richten sich klar gegen den Klassismus dieses Narratives – die Annahme, populistische oder extremistische Positionen könnten nur von „Ungebildeten“, „Abgehängten“ oder schlicht „Dummen“ unterstützt werden – was auch aktuell im öffentlichen Diskurs vernehmbar ist, wenn es beispielsweise um Rassismus in Sachsen geht.
Gefährdet und folglich schuldig am sinnbildlich brennenden Haus sind auch die Privilegierten, die sich nicht gegen radikale Strömungen positionieren, weil sie sich nicht primär von deren möglichen Folgen betroffen sehen oder, konkret wie bei Biedermann, glauben, sie domestizieren oder steuern zu können. Ob diese Person aus der Garderobe so reflektiert war oder nicht, als sie den Begriff verwendete, Frisch richtet seine Lehre, trotz der Benennung als „Lehrstück ohne Lehre“, in „Biedermann und die Brandstifter“ direkt an sein Publikum. Uns fällt während der Pause wieder einmal auf wie weiß das Publikum ist.
Hinweis: Im nächsten Abschnitt wird über das neue Ende des Stückes berichtet.
In einem Epilog finden sich Frau und Herr Biedermann nun an einem Ort wieder, von dem sie glauben, es sei der Himmel, da sie feststellen, dass sie beim Brand des Hauses gestorben sein müssen. Was hätten sie schon getan, was ihnen den Einzug in den Himmel verbauen könnte? „ ‚Du sollst nicht stehlen‘, hab ich nie – wir hatten ja immer genug“ oder wahlweise „ ‚Du sollst nicht begehren deines Nachbarn Haus‘, hab ich auch nicht, und wenn, dann hab ich‘s gekauft“ sind Beispiele, wie Biedermann seine Unschuld begründet. Er reproduziert damit noch einmal seine Privilegien. Eines davon, so erfahren die Zuschauer*innen während des Stücks, sei doch auch, nicht nachdenken zu müssen. Nach und nach begreift das Paar, dass sie doch in der Hölle gelandet sein müssen. Anschließend folgt die letzte – und für mich die bedrückendste – Szene: Auf der gesamten Fläche der Bühne findet das Schauspiel statt, Gottlieb und Babette Biedermann, die spießige Bürgerlichkeit, betrachten verstummt ein Szenario. Die nun alle in schwarz gekleideten verbliebenen Schauspieler*innen der Besetzung verlesen und verbrennen dann in einer Art finalem Countdown von Art. 19 ausgehend die zentralen Artikel des Grundgesetzes.
Gilt „Biedermann und die Brandstifter“ allgemein als Sinnbild für den Nationalsozialismus und das Verhalten der durchschnittlichen Bürger*innen, so zieht die Inszenierung des Schauspielhauses einen klaren Bezug zur Jetztzeit. Nicht die Gesetze der Weimarer Republik oder Bücher werden verbrannt, sondern die des aktuellen deutschen Staates, der zweiten deutschen Demokratie. Es geht nicht mehr (nur) um die Vergangenheit, vielmehr wird es bedrückend aktuell. Es kann zeigen, wie scheinbar bürgerliche Kräfte sich mit Rechtspopulist*innen gemein machen, wie ein ganzes politisches Spektrum den Diskurs und die Begrifflichkeiten von Menschenfeind*innen aufnehmen. Es warnt die ‚Bildungsbürger*innen‘, wie bequem mensch sich auf seinen Privilegien ausruhen kann. Betroffen? Das sind ja die anderen. Ob es sich hierbei um Hetze gegen Geflüchtete, Verharmlosung der Shoah oder um Hass gegen Feminist*innen und Angehörige der LGBTQI*-Community handelt. Auch Biedermann glaubte bis zu guter Letzt, seine Freunde würden ihm schon nicht schaden.
Hiermit bin ich wieder am Anfang meines Ausflugs in die Welt des Theaters. Wir stehen im Bermudadreieck, essen Pommes und trinken Bier. Einerseits wäre ich immer noch gerne Teil eines Women’s March gewesen. Nicht nur aus Protestgründen, sondern auch um mich und andere Frauen* zu empowern. Andererseits bin ich nun weniger wehmütig, nachdem ich die Inszenierung des Stoffes gesehen habe. Es ist kein globales Symbol, hat nicht die Weitreiche, hat nicht das kollektive Momentum der Demos. Aber für mich, als Individuum, als Privatperson (was auch immer das sein mag…), als Aktivistin und Schreibende war es eindrucksvoll. An alle Donald Trumps, Bernd..äh Björn Höckes, und wie ihr euch alle nennt: Auf meinen Dachboden kommt ihr nicht!