von Silvana Schmidt
Anlässlich des Weltfrauentages fand am 4. März 2017 im Kölner Komed eine Konferenz zum Thema „#body*talk – Rollenbilder, Schönheitsdiktate und Empowerment im Netz“ statt, die durch das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wurde. Inhaltlich wie konzeptionell wurde an die Veranstaltung des Vorjahres, die Online-, wie Offlineaktivist*innen zusammenführen sollte, angeknüpft. Als sogenannte Netzfeminist*innen waren wir selbstverständlich mit dabei!
Schon das Hashtag im Veranstaltungstitel zeigt, welches Thema heute im Zentrum steht. Daher darf das WLAN Passwort nicht fehlen und so kommt es, dass die Moderatorin Stefanie Lohaus, Herausgeberin und Redakteurin des Missy Magazins auch als erstes diese wichtigen Information preisgibt, bevor sie thematisch einsteigt.
FemInputs: Über Gender im Netz, Hautfarben und Körperformen
Die Veranstaltung beginnt mit kurzen Inputs, die sich alle mit Körperlichkeit, Schönheitsbildern und Gender im Netz auseinandersetzen.
Den Anfang macht Valentina Kerst mit der Fragestellung „Ist das Netz postgender?“. Dabei stellt sie die quantitative und die qualitative Netznutzung einander gegenüber und stellt fest: Quantitativ gibt es keine großen Probleme mehr, qualitativ hingegen Nachholbedarf. Das bezieht sich beispielsweise auf Moderator*innen und Administator*innen -funktionen, die überwiegend männlich besetzt sind. Doch nicht nur die männerdominierten Multiplikator*innenposten, sondern auch transportierte Inhalte (wie beispielsweise die Reproduktion typischer Geschlechterstereotype) oder der Gaming-Bereich sind noch Problemzonen. Kerst thematisiert zudem, dass die Offlinesensibilität in der Online-Welt noch nicht angekommen zu sein schein: Wo wir bei einer Face-to-Face Unterhaltung eine Hemmschwelle erreichen würden, wird im Netz weiter geschimpft und gewütet – häufig anonym. Schlüsselbegriffe für die Zukunft sind digitaler Feminismus und Aufklärungsarbeit. Dabei kommt heraus: Das Internet kann zu einem besseren Miteinander beitragen – es ist nicht nur Problem, sondern zugleich auch Lösung!
Unter dem Titel „Beige is Beautiful“ denkt Mithu M. Sanyal während ihres Inputs über andere Arten des Nicht-weiß-Seins nach und stellt sich und den Teilnehmer*innen u.a. die Frage, wie wir People of Color eigentlich für uns definieren und in welchen Fällen wir ihre Authentizität anzweifeln oder sie in unseren normierten Blicken ausblenden. Der Input von Sanyal macht mich nachdenklich und lässt mich meine eigene Wahrnehmung von PoC reflektieren. Das Thema wird mich sicher noch länger beschäftigen.
Nicola Döring von der TU Ilmenau nimmt die Teilnehmer*innen mit in die YouTube-Welt. Die ernüchternde Erkenntnis: Von den deutschen Top-Kanälen werden nur rund 20 Prozent von Frauen betrieben. Während es hier also noch Aufholbedarf gibt, zeigen sich bei einem genaueren Blick auf populäre YouTube-Kanäle von YouTuberinnen auch positive Entwicklungen: So werden auch queere Personen repräsentiert und die Zahl der Abonnent*innen zeigt deutlich, dass die Vlogs und die unterstützenden Videos von nicht-binären Personen oder Menschen mit Be_hinderung großes Interesse hervorrufen. Döring betont aber auch die bedrückenden Erfahrungen vieler YouTuber*innen, die besonders in der letzten Zeit mit Hassnachrichten und Drohungen zu kämpfen haben. Das Fazit stimmt trotzdem optimistisch: YouTube ist eine bunte und vielfältige Plattform, die unterschiedliche Lebensrealitäten abbildet und eine empowernde Wirkung haben kann! Verglichen mit anderen Medienangeboten gibt es hier ein hohes DIY-Potenzial – jede*r kann seinen*ihren YouTube Kanal starten und die eigene Message verbreiten. Memo an mich selbst: Bald mal wieder auf YouTube vorbeigucken und ein paar der vorgestellten Kanäle erkunden!
Gender- und Medienpädagogin Stephanie Weber nutzt ihren Vortrag „Gender (De)Konstruktionen“, um den Teilnehmer*innen der Tagung einmal mehr vor Augen zu führen, wie stark Männlichkeiten und Weiblichkeiten über Performance hergestellt werden. Sie berichtet aus ihren Drag- King Workshops und schneidet auch Phänomene aus dem Social Media Bereich an: So beispielsweise das Hashtag #dapper, unter dem Frauen sich u.a. männliche Kleidung neu aneignen, fernab vom so genannten Boyfriend Style, bei dem die Sicherung der weiblichen Erscheinung stets durch High Heels oder auffällige Accessoires erfolgen soll. Ein anderes positives Beispiel sind Cos- und Crossplay-Communities. Hier scheint es deutlich weniger Sanktionierungen in Sachen Gender zu geben. Diese Beobachtung lasse ich mir übrigens am selben Abend noch auf einem Geburtstag von einer begeisterten Cos- und Crossplayerin bestätigen!
Die beiden letzten Inputs thematisieren einerseits Essstörungen und andererseits Fat Acceptance. Simone Happel, die sowohl in ihrer Funktion als Mentorin in einer Selbsthilfegruppe bei Essstörungen als auch als Betroffene spricht, erläutert die Rolle von Internetgemeinschaften bei Essstörungen. Dabei diskutiert sie zum Beispiel, welche Formen der Thematisierung von Essstörungen im Internet schädlich auf Betroffene wirken und die Krankheit eher verschlimmern als verbessern. So gibt es auf Instagram nach wie vor Hashtags, die unweigerlich zu Accounts und Inhalten führen, die Formen von Magersucht befürworten und so triggern. Durch die sozialen Medien wird aber auch die Möglichkeit für Zusammenschlüsse und Schutzräume geboten, die es den Erkrankten ermöglichen, gemeinsam an den physischen Ursachen der Krankheiten zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.
Magda Albrecht vom Blogger*innenkollektiv Mädchenmannschaft beschreibt, wie im so genannten „diet talk“ oder „fat talk“ Fettsein durchgängig einer negativen Bewertung unterzogen wird. Aussagen wie „Du siehst gut aus. Hast du abgenommen?“ verletzen und zeigen auf, wie konstruierte gesellschaftliche Körper- und Schönheitsideale Ausschlüsse hervorrufen. Doch auch in diesem Fall nimmt das Netz eine Doppelfunktion ein: Dicke Körper werden nicht nur abgewertet, indem sie nur in gewissen Kontexten oder überhaupt nicht gezeigt werden. Auch hier kann eine positive und empowernde Aufladung erfolgen, etwa unter dem Begriff „FETTER WIDERSTAND“, der Körperfett zum Politikum macht und einschränkende und diskriminierende Zuschreibungsmuster kritisiert.
Nach einem verspäteten Grußwort der Ministerin Barbara Steffens geht es in die Pause. Uns mit Kaffee und Kuchen stärkend überlegen wir, welche Themen wir in den Gestaltungsräumen gerne vertiefen würden (keine leichte Entscheidung!) und sehen viele bekannte Gesichter aus der feministischen Community!
#Fatpositivity, Selbsthilfe bei Internet-Shitstorms und Serien, die nun auf meiner Watchlist stehen
Auch wenn ich gerne an allen nun anschließenden Gestaltungsräumen (kleinere Gesprächsrunden zu den zuvor angerissenen Themen) teilnehmen würde, muss eine Entscheidung gefällt werden.
Da mich Fatshaming (besonders in Sport- und Fitnesscommunities) tagtäglich an die Decke gehen lässt und ich die Referentin Magda Albrecht unfassbar sympathisch finde, entscheide ich mich zunächst für eine Teilnahme an ihrem Block mit dem Titel „Voll Fett! Dicke Körper in den Medien“. In kleinerer Runde wird darüber nachgedacht, wo und in welchem Kontext dicke Menschen in den Medien repräsentiert sind. Das ernüchternde Ergebnis: Fast nirgendwo. Und wenn doch, dann meist als Lieferant*innen für Gags. Auch in der Werbung wird Fettsein als etwas Abstoßendes und als Synonym für Traurigkeit und Dummheit inszeniert (als Beispiel wird die schreckliche EDEKA Werbung „Eatcarus“ diskutiert, die neben #fatshaming auch klassistische Sichtweisen transportiert). Immer wieder wird deutlich: Dicke Menschen fallen in den Medien entweder durch ihre Abwesenheit, oder durch die Reduzierung auf ihren Körper auf. Um den Block aber nicht so deprimiert, sondern mit positiven Inspirationen zu verlassen, werden im Plenum positive Beispiele gesammelt. Serien wie „Orange ist the New Black“, „Empire“, „My Mad Fat Diary“ oder „Gilmore Girls“ zeichnen sich dadurch aus, dass dicke Menschen dort a.) vorkommen und b.) nicht stigmatisiert, sondern als vielschichtige und nicht durch ihr Dicksein definierte Charaktere gezeichnet sind.
Ziemlich motiviert und empowert mache ich mich auf den Weg zum zweiten Block bei Mithu M. Sanyal, der bezeichnenderweise „Empowerment Training“ heißt und über Schutz vor Angriffen im Netz informieren soll. Bei der Festlegung des Themas konnte Sanyal wohl kaum ahnen, dass sie zum Zeitpunkt der Tagung gerade einen riesigen Shitstorm hinter sich haben würde, der sich auf ihre Überlegungen zum Opfer-Begriff bezog. Dementsprechend wird es ein sehr persönlicher, sehr bewegender Block, in dem sie uns in ihre Gefühle während des Shitstorms einweiht und uns wissen lässt, was die schlimmsten und was die positiven Ereignisse in dieser Zeit waren. Außerdem wird auf Techniken und Maßnahmen eingegangen, die eine Hilfe bei solchen Internet-Attacken sein können. Was bei mir hängenbleibt:
1. Screenshots und konsequentes Anzeigen von Morddrohungen und Rassismus sollten unverzüglich erfolgen: Inhalte im Netz können nachträglich geändert und Unterlassungs- und Berichtigungsklagen können nur in einem sehr kurzen Zeitraum eingereicht werden.
2. Organisierte Shitstorms sollten publik gemacht werden, damit Unterstützer*innen zur Hilfe kommen können.
3. So genannte HATE Slams oder Hashtags wie #ichbinhier können viel bewirken und bestärkende Unterstützer*innennetzwerke hervorbringen.
Und immer wieder:
4. Liebe und Solidarität wirken stärker als Hass! „Gegenstorms“ und Solidaritätsbekundungen wirken sich positiv auf das emotionale Befinden der Betroffenen der Shitstorms aus und können die Präsenz der Hasskommentare und Drohungen eindämmen.
Voller neuer Ideen und Gedankenanstöße verlasse ich die Veranstaltung. Der Tag endet aber nicht nur mit neuen YouTube- und Serienempfehlungen, sondern auch mit einem erneuten Bewusstsein dafür, wie wichtig der Schlüsselbegriff „Empowerment“ für mich persönlich und uns Blogger*innen von Feminismus im Pott ist; Liebe ist stärker als Hass. Diese Überzeugung teilen wir und stehen für sie ein.