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Der Krankengarten

Der Krankengarten published on 1 Kommentar zu Der Krankengarten

Von Mimmi

Ich wache auf und schaue auf die Uhr.

Es ist ein Uhr nachts. Mein Hals tut weh, ich fühle mich fiebrig. Oh nein, ich kann auf keinen Fall morgen arbeiten. Aber dann werden alle sauer sein. Ich war erst letzte Woche krank. Die anderen sind ja auch ständig krank, denke ich.

Nein, ich kann auf keinen Fall arbeiten. Ich bleibe zu Hause, wenigstens für einen Tag. Das wird natürlich nicht reichen. Aber…
 
Ich stelle den Wecker um, sodass ich mich pünktlich um sieben Uhr krankmelden kann. Ich wälze mich umher, es graut mir vor dem Anruf.
Ich schlafe ein, träume davon, mich krankzumelden….

So viel zu mir. Seit ich mit Kleinkindern arbeite, gibt es zwischen September und März keinen Monat, in dem ich nicht krank werde. Ungefähr alles in meinem Leben wird dadurch beeinträchtigt.
Fast jeder meiner Kolleginnen geht es so – kein Wunder, dass es einen Mangel an ErzieherInnen gibt. Bis zur Rente kann das für mich so unmöglich weitergehen. Doch während ich zumindest über einen möglichen Arbeitsbereichwechsel nachdenken kann, haben die Kinder überhaupt keinen Einfluss auf die Situation.

Mehr Betreuungsplätze zu schaffen, damit Frauen früher erwerbstätig werden können – cool.
Der große Haken an der Sache: Kinder werden krank. Je jünger- desto öfter. Die Jüngsten bei uns sind sechs Monate alt. Vor allem in der Winterzeit gibt es kaum ein gesundes Kind in den Gruppen. Die wenigen Krankheitstage, die Eltern zustehen, reichen nur kaum aus oder werden aus anderen Gründen nicht eingereicht. Wenn, dann sind es überwiegend die Mütter. Väter trauen sich trotz geltendem Recht selten, die Tage in Anspruch zu nehmen, ja manche reichen sogar lieber Urlaub ein, da es in ihren Firmen zu verpönt ist.
Wenn überhaupt sind es also wieder die Frauen, die die Care Arbeit übernehmen, und es sind die Frauen, die im Notfall angerufen werden. Der Job des Vaters – scheinbar irgendwie immer wichtiger, seine Position scheinbar unabdingbarer.

Noch schlimmer ist es in Privatkitas, in denen viel Geld für einen Platz gezahlt wird. Hier fällt es den Verantwortlichen noch schwerer, die Eltern in die Pflicht zu nehmen, ihr eigenes Kind bei Krankheit zu pflegen und vor allem andere Kinder und MitarbeiterInnen vor weiterer Ansteckung zu schützen.

Meiner Meinung nach haben Betreuungsansprüche für Kleinkinder, so wie sie derzeit organisiert werden, der Gleichberechtigung keinen allzu großen Gefallen getan. Mütter rotieren zwischen der Loyalität ihres Arbeitsgebers gegenüber und der Fürsorge ihrer Kinder. Väter werden viiiiiiiiiiel zu wenig eingebunden und Eltern junger Kinder brauchen definitiv mehr Verständnis ihres Arbeitgebers und mehr Anspruch auf Krankheitstage im Jahr – vor allem im U3 Bereich. Kinder müssen ganz unbedingt Raum und Zeit haben, gesund zu werden. Nicht nur das Gröbste überstehen. Viele Eltern lügen, bagatellisieren und vertuschen. Größere Geschwister erzählen dann: „XY hat heute Nacht gebrochen“ – Das jüngere Kind wurde trotzdem gebracht (Nach Erbrechen muss ein Kind 48h zu Hause bleiben – so sieht es das Gesundheitsamt vor). Fix und alle rotzen sie sich bis zu 9 Stunden durch den Kita Trubel. Mit chronisch unterbelegtem Personal, weil ja alle krank sind. Es wird gehustet, geweint, gezahnt, gebrochen. Es gibt Durchfall, Hand-Mund-Fuß Krankheit, Bindehautentzündung, Scharlach, Röteln (bei uns zum Glück keine Masern), Ringelröteln, Bronchitis, Lungenentzündung, manchmal Hirnhautentzündung und unendlich viele virale Infekte (Ja, auch eine grüne Schleimnase ist ein viraler Infekt und kann besonders Erwachsene bei Ansteckung echt umhauen).

Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Ich hoffe, ich kann Orthomol (Immunkur) von der Steuer absetzen.
Ich hoffe, pädagogische MitarbeiterInnen können sich von ihrem schlechten Gewissen befreien, krank zu werden… Es ist nicht unsere Aufgabe, gesundzupflegen. Nicht unser Beruf. Es gibt kaum Schutz vor Ansteckung (Anders als in Praxen und Krankenhäusern). Und keine Kapazitäten.
Ich hoffe, dass Familienmodelle sich noch weiterentwickeln. Und dass Kinder ein Recht auf Pflege und Gesundheit haben, ohne dass das ein Backlash für die Gleichberechtigung von Frauen bedeutet.

PS: An alle Eltern, die ihr Kind gesundpflegen, alle Väter die ebenso Sorge tragen, alle Kitas die sich trauen auch einmal zu schließen, wenn es zu schlimm wird- DANKE und fühlt euch nicht angesprochen.

PPS: Hut ab vor allen Alleinerziehenden, die dieses Dilemma meistern müssen.

Ein Kommentar

Toller Artikel. Das regt schon zum Nachdenken an – ich habe zwar den Wunsch nach Kindern, frage mich aber auch immer öfter, ob es „heutzutage“ überhaupt schön ist, Kind zu sein. Diese Perspektive wurde hier gut deutlich gemacht. Ich wünschte, es würde sich etwas am allgemeinen Verhältnis zur Arbeit tun.

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