Von Eva Busch
Henrike Iglesias kam 2012 in Hildesheim zur Welt und wohnt jetzt in Berlin. Anna Fries, Laura Naumann, Marielle Schavan und Sophia Schroth, die das Performance-Kollektiv bilden, interessieren sich für die schon immer politische Popkultur und verstehen sich als zeitgenössische Feministinnen. Statt der Geschichte feministischer Performancekunst, sind das Internet, der analoge Alltag und aktuelle feministische Theorien Ausgangspunkte ihrer Arbeit. „If anything can save us in this fraught and dazzling future, it is the rage of women and girls, of queers and freaks and sinners” zitieren sie etwa Laurie Penny in einem Ankündigungstext für GRRRRRL.
Das Stück feierte vor gut einem Jahr Premiere und war Ende Mai zu Gast im FFT in Düsseldorf. Henrike Iglesias will uns an dem Abend die ‚dunkle‘ Seite des weiblichen Geschlechts zeigen. Standardmäßig sind Frauenfiguren die Leidtragenden, die Opfer; das schreibt sich ein und soll hier anders laufen. Die vier stehen mehrfach mit den Worten „Ich als Frau“ oder „Wir als Frauen“ auf der Bühne: Ein strategischer Essentialismus. Sie performen eine Gruppe, die nicht homogen, aber durch geteilte Erfahrungen und Fragen zusammengekommen ist. Die Vorstellung eines universellen Frauen-Wir wurde in der Vergangenheit insbesondere durch Feminist*innen of Color immer wieder zurecht in Frage gestellt. Mit ihrer visuellen Sprache, welche die Nomenklatur des Pop-Feminismus bedient und den immer wieder persönlichen Zugängen, wird deutlich, dass hier vermieden wird, über ‚die‘ Frau an sich zu sprechen. Der Blick ist spezifisch, aber nicht eingeengt.
Für die Stückentwicklung trafen sie verschiedene Gesprächspartner*innen, etwa eine Hexe, eine Domina, politische Aktivist*innen und älteren Frauen aus dem Showbiz. „Die Inhalte arbeiten wir durch uns durch, verbinden sie mit unseren Biographien, der eigenen Sozialisation“, beschreibt Anna. Im Publikumsgespräch nach dem Stück wird sie über ihre Suche nach dem Bösen sagen: „Wir dachten zuerst, dass wir auf der Bühne richtig böse sein würden, aber es wurde immer deutlicher, dass kleine Tabubrüche stark wirken. Das Böse, das wir gezeigt haben, liegt im Winzigen, in den kleinen Dingen des Alltags.“
Ein schwarzer Faltpavillon bildet das Zentrum der vernebelten Bühne. Dazu hören wir elektronische Musik und gesprochene Texte aus dem „Hexenhammer“, einem Text aus dem 15. Jahrhundert, der zur Stigmatisierung, Verfolgung und Tötung zahlreicher Personen diente, die als Frauen aufgrund besonderer Fähigkeiten oder auch der falschen Haarfarbe als Hexen bezeichnet wurden. Die Frau – so erfahren wir hier – sei gekrümmt, so wie die Rippe, aus der sie bekanntlich geformt wurde. Ihre Lasterhaftigkeit, ihre Art, sich nicht regieren zu lassen, seien Anlass zur Vorsicht. Mit schwarzen Plateau-Lederstiefeln und Kapuzis, aus denen massenhaft langes, schwarzes Haar quillt, kommen die vier Performerinnen auf die Bühne. Da wird ein Hauch Herr der Ringe etabliert, urbane Glamour-Gangsterrap-Musikvideos, und vielleicht auch eine Prise der unsäglichen Debatten um ein „Burka“- aka Vermummungsverbot – als lustvoll inszenierte Pathosformeln des Bösen. Die vier gefährlichen Wesen packen ihr Camping-Equipment aus. Aus der leuchtenden Kühltruhe wird eine Tüte Chips geholt und ich denke, ja, so kann der gemeinsame Urlaub losgehen. Dieser findet im Fort GRRRRRL statt, jenem utopischen Ort, den das Stück mehr und mehr aufbaut. Dekoriert wird hier selbstverständlich mit rot eingefärbten Tampons an einer Leine. Wie kann es überhaupt Menschen geben, die das abstößt? Das Erzeugen vielschichtiger, oft ikonischer Situationen, die sich überlagern, teils abrupt ablösen, wird das Stück ähnlich einer Collage rund um den Faltpavillon strukturieren. So geht es weiter mit der Frage über Masturbations-Gewohnheiten. Wie macht ihr das so? Habt ihr als Kind auch das Kuschelkissen benutzt? Dabei Ballett-Bewegungen und ein reizendes Grinsen – klar. Dass manch eine*r im Publikum Spaß an solchen Dingen hat und mitreden will, zeigt sich, als die Frage „Was reimt sich auf ‚böse‘?“ laut beantwortet wird. Lachen. Wir werden mitgenommen, zu einem Austausch über Vorlieben und Desinteresse beim Sex; die Performerinnen inzwischen mit weitaus weniger Kleidung und viel Körperkontakt.
Das nächste Bild: Die vier treten mit prallen, ‚Schwangerschaft‘ signalisierenden Bäuchen auf, nehmen Anlauf und stoßen aufeinander. Der sonst so schützenswerte Reproduktionsapparat, für dessen Platzierung im eigenen Körper nun mal niemand etwas kann, wird zum Spielball, zum Boxsack. Das wirkt gewaltvoll, gleichzeitig selbstbestimmt und so, als mache es Spaß. Bis eine nahbare Britney Spears auftritt und kritisch zu ihrem Muttersein befragt wird, das sie nicht so gut erledigt, wie es sich die interviewende Person als angemessen vorstellt.
Wir werden angeflirtet und bekommen von den gleichen Performerinnen wenig später mit zarten Stimmchen Goethes Heidenröslein vorgesungen, ein Hinweis auf die lange Tradition, Vergewaltigungen als Kavaliersdelikte abzutun. Im Faltpavillon wird derweil Hexenmagie performt, gefolgt von einer erhellenden, sich zum frustrierenden Crescendo steigernden Reihe von Entschuldigungen, die mir erschreckend vertraut sind. „Tut mir leid, dass ich vorhin so sehr auf meiner Meinung beharrt habe. Die war eigentlich gar nicht so gut. Und überhaupt, dieses ganze Raum-Einnehmen und dann auch noch Eintrittsgeld für das Stück verlangen, ist schon ein bisschen hm, und das mit der Klitoris vorhin auf der Bühne hätte auch echt nicht sein müssen.“ Ich denke: Hört endlich auf! Das tun sie. Vor niedrigen Scheinwerfern packt die Performerin, die eben noch so schön Ballett getanzt hat, ihren Eimer aus, stellt sich breitbeinig darüber und pinkelt mit größter Würde einen ordentlichen Strahl. In vielen Gesprächen nach dem Stück wird die erste Frage sein: „War das echt?“ Ja, es war echt.
Die Utopie des Fort GRRRRRL, die sich über das Stück als gemeinsamer Raum entfaltet, wird mit einem Manifest explizit. Es verdeutlicht die Sehnsucht nach einem Ort, frei von der Alltäglichkeit sexistischer Gewalt und dafür voll von Solidarität, Liebe, Inspiration und gutem W-Lan. Zuletzt wird ein Baseballschläger auf der Bühne bereitgelegt. Von der Decke schwingt eine schwarze Piñata hinunter. Stille. Die ersten zwei Besucherinnen gehen gemeinsam nach vorne, schlagen zu, der Schläger wird weitergereicht und wieder kräftig eingeschlagen. Die Blicke zurück ins Publikum sagen: „Ja. Ich habe eben auf einer Bühne mit einem Baseballschläger zugeschlagen und dann kam Glitzer raus.“
Das erleben zu dürfen, beschreibt Marielle als bestärkend „Es fühlt sich jedes Mal an, als trieben wir uns und den Leuten die produktive Kraft des Bösen ein. Wenn Menschen aus dem Publikum auf die Piñata hauen, hat das etwas Gemeinschaftliches, wie ein Ritual. Ich glaube, dass am Ende weniger für unsere Leistung applaudiert wird, als wofür wir da alle stehen, wenn wir klatschen.“ Das erinnert ein wenig an eine Selbsthilfegruppe und ist es wohl auch im besten Sinne des Wortes. Sophia beschreibt die Erarbeitung und wiederholte Aufführung des Stücks als prägenden Prozess: „Bei mir ist eine größere Lust am Böse Sein entstanden – und weniger Scham.“
Das Publikumsgespräch kommt immer wieder zu Fragen der Form des Bösen zurück, etwa, ob es mit den Tabubrüchen nicht weiter hätte gehen können? Marielle: „Für mich ist auf der Bühne zu pinkeln schon ein großer Schritt.“ Laura: „Unser Ziel war nicht, als hässlich konnotiertes zu zeigen. Es ging uns um Selbstverständlichkeit von Körpern. Dafür gab es etwa Proben, in denen wir keine Hosen anhatten, um zu probieren, wie sich das anfühlt. Wir wollten nicht nackt sein um zu zeigen, dass es geht, oder unsere ‚echten‘ Körper in ihrer Unvollkommenheit ausstellen. Die Frage war: wie könnte es aussehen, wenn man sich im Körper entspannt, schamfrei bewegt.“ Anstatt zu schocken und zu verstören wollten sie empowern, stärken. „Zugunsten der leiseren Töne den Tabubruch mal beiseite zu lassen, ist ja vielleicht ein Privileg dieser Generation“, heißt es da. Eine Besucherin bestätigt: „Man will so eine starke, emanzipierte Frau sein und traut sich beim Sex nicht zu sagen, was einem gefällt. Zu sehen und darüber zu sprechen, dass es anderen genauso geht, hat etwas Befreiendes.“ „Verschwesterung“ benennt das eine andere. So ungefähr alle elf Minuten, sagt sie, habe sie sich in dem Stück wiedererkannt und ihre Nachbarinnen sicherlich auch, nur eben vielleicht in anderen Momenten.
Ich stelle mir und der Gruppe die Frage, ob das Stück in dem vergangenen Jahr eine neue Aktualität erhalten habe. „Für mich total! Es war vor einem Jahr schon total wichtig, aber mit der aktuell immer stärker werdenden misogynen Stimmung ist es natürlich mindestens genauso aktuell“, so Sophia. Was genau war jetzt eigentlich das Böse an dem Abend? Dass vier Performerinnen zeigen, wie es sein könnte, miteinander zu sprechen, den eigenen Körper nicht peinlich, sondern spannend zu finden und dabei Spaß haben? Zu benennen, wo alltägliche Gewalt herrscht, strukturell und am eigenen Leib spürbar? Nicht immer zu lachen? Sehr böse. Ach, und was reimt sich nochmal darauf?
Am Theater Bielefeld zeigt Henrike Iglesias aktuell das Stück #HELDINNEN.