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„Nicht mehr männlich noch weiblich“: ein Plädoyer für gendersensible Theologie

„Nicht mehr männlich noch weiblich“: ein Plädoyer für gendersensible Theologie published on Keine Kommentare zu „Nicht mehr männlich noch weiblich“: ein Plädoyer für gendersensible Theologie

von Fließbandbaby

„Die Gender-Ideologen wollen alle Unterschiede zwischen Mann und Frau leugnen und damit Gleichmacherei betreiben! Das verwirrt die Seelen unserer Kinder und, schlimmer noch, die Schöpfungsordnung!“ – Solche Äußerungen finden sich auf christlichen Medienportalen en masse. Unabhängig ihrer Konfession gehen sie meist weiter mit: „In der Bibel steht ganz klar, dass…“ – ja, was denn? Spricht die Bibel tatsächlich eine so eindeutige Sprache? Und ist sie das einzige Kriterium für theologische Meinungsbildung?

Dieser Artikel soll zeigen, dass das Spektrum christlicher Meinungen zur Genderforschung nicht so einseitig-ablehnend ist, wie es in den Medien oft scheint. Dazu erst mal eine kurze Standortbestimmung der Autorin: Ich studiere evangelische Theologie in Bochum (die Fakultät hat einen progressiven Ruf und den deutschlandweit höchsten Anteil an Professorinnen) und bin Mitglied einer Landeskirche der EKD. Nichtsdestoweniger repräsentiere ich hier weder eine Institution noch beanspruche ich, die eine Wahrheit des Glaubens zu verkünden. Ich stelle lediglich meine Position dar, die auf wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema beruht – und jeder wissenschaftliche Anspruch wäre verfehlt, wenn ich anderen Positionen die Legitimität abspräche. Im Wesentlichen beziehe ich mich dabei auf ein Buch von Prof. Dr. Isolde Karle, Inhaberin des Bochumer Lehrstuhls für Praktische Theologie: „’Da ist nicht mehr Mann noch Frau‘. Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz“. Sie rezipiert darin die Genderforschung und macht sie für theologische Fragestellungen fruchtbar. Ich möchte mich in diesem Artikel auf einige wenige Aspekte beschränken.

Die Schöpfungsberichte: Erst Mensch, dann Mann und Frau
Menschen, die Gendertheorien als unchristlich ablehnen, berufen sich besonders gern auf die beiden Schöpfungserzählungen der Bibel: Dort stehe schließlich eindeutig, Gott habe den Menschen als Mann und Frau geschaffen. So eindeutig ist der Fall allerdings nicht. Es gibt natürlich nicht „die eine“ Auslegung der Schöpfungsberichte (die sich überdies stark voneinander unterscheiden). Ohne ins Detail zu gehen, sollen hier aber einige Anregungen vorgestellt werden:
In der Paradieserzählung (Gen 2,4a-3,24) schafft Gott zuerst den Menschen, hebr. adam (אדם). Dabei handelt es sich zunächst nicht um einen Eigennamen, sondern um eine wortspielartige Gattungsbezeichnung: Adam wird aus Erde, adamah (אדמה), gemacht, lässt sich also als geschlechtlich undifferenziertes „Erdwesen“ interpretieren. Dieses ist einsam, weshalb Gott es schließlich in Schlaf fallen lässt und zwei Menschen aus ihm macht: Mann und Frau, isch (איש) und ischschah (אשה).

Adam and Eve in the Garden by Michelangelo
Bild: wikiart.org

Auch im anderen Schöpfungsbericht heißt es in Gen 1,27: „Und Gott schuf den Menschen (adam) zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie männlich und weiblich“ – so die wörtliche Übersetzung des Hebräischen statt der gängigeren „als Mann und Frau“. Männliche und weibliche Menschen sind gleichermaßen zum Bild Gottes geschaffen: Für die patriarchal strukturierte Gesellschaft, in der dieser Text entstanden ist, ist das bemerkenswert inklusiv gedacht (dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, war im fünften Jh. v. Chr. schon aus medizinischer Sicht schlicht nicht bekannt). Die Gewohnheit, diesen Vers als Einsetzung der Ehe im Sinn einer Institution zwischen Mann und Frau zu sehen, ist dementsprechend auch nicht haltbar, genau so wenig wie die Begründung einer Unterlegenheit der Frau, quasi als „später geschaffener Sidekick“. Über die Intentionen derjenigen, die die Texte verfasst haben, lässt sich logischerweise keine Sicherheit erlangen, aber es zeigt sich dennoch, dass die biblischen Überlieferungen nicht zwingend von einer Menschheit berichten, die in ihrem Ursprung einem binären Geschlechtercode unterliegt.

Die Taufformel von Gal 3,27f.: Sprengung von Geschlechtercodes
Eine weitere Herausforderung des binären Systems findet sich im Neuen Testament im Galaterbrief. Dort heißt es, gerichtet an eine Gemeinschaft von Gläubigen: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht männlich noch weiblich; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ (Gal 3,27f.). In einer christlichen Gemeinschaft werden Faktoren, die bisher soziale Stellung und Selbstverständnis der Menschen bestimmt haben, hinfällig: Nur das Bekenntnis ist entscheidend. Dieser inklusive Ansatz steht in Übereinstimmung mit der Botschaft Jesu, der durch seine Heilungen, Predigt und Gemeinschaftsmähler eine besondere Nähe und Einfühlsamkeit gegenüber Menschen am Rande der Gesellschaft (Kranke, Ausgegrenzte, Prostituierte etc.) demonstriert und sie alle integriert hat.

Umsetzung(sversuche) in der Geschichte der Kirche
Es gibt Hinweise darauf, dass diese inklusive Haltung im Urchristentum bedeutend konsequenter praktiziert wurde als heute: Tatsächlich waren damals Frauen in allen Führungspositionen vertreten. Ein Ansatz, der im Verlauf der Geschichte leider nicht weitergeführt wurde – die bürgerliche Geschlechterkonstruktion des 18./19. Jhs. und die daraus entstandenen Repressionen wurden von der Kirche nicht nur mitgetragen, sondern verschärft, ganz zu schweigen davon, dass die Übernahme eine geistlichen Amts in der katholischen und orthodoxen Kirche bis heute nur biologischen Männern gestattet ist. Gerade vor diesem Hintergrund sollte die Kirche sich heute – in einer Gesellschaft, die für eine Vielfalt sexueller Identitäten und Orientierungen offener wird – dafür einsetzen, den biblischen Grundsatz der Freiheit von repressiven sozialen Ordnungen lebbar zu machen. Dazu gehört einerseits, sich endlich vollständig von LGBTQIA*-feindlichen Ansichten freizumachen, andererseits aber auch eine gezielte Unterstützung intersexueller, asexueller, transsexueller Menschen und ihrer Interessen – sowie der von allen Anderen, die aufgrund ihrer Identität diskriminiert und benachteiligt werden. Nicht nur die Bibel mit ihren unterschiedlich auslegbaren Büchern ist Grundlage für theologischen und christlichen Diskurs, sondern auch gesellschaftsbezogene Disziplinen wie Kirchengeschichte, Sozialethik und eben auch zeitgenössische Sozialwissenschaften, inklusive Gender Studies.

Anlässe zur Hoffnung: Schlaglichter
Es gibt, wie eingangs gesagt, kein einheitliches Meinungsbild zu den angerissenen Themen – sowohl innerhalb der wissenschaftlichen Theologie als auch der Kirchenleitung als auch aller Gemeinden ist man sich in bester protestantischer Manier nur darüber einig, dass man sich nicht einig ist. Doch neben den fundamentalistisch-konservativen, teils homophoben oder misogynistischen Tendenzen gibt es auch progressive.
So existiert z.B. das Studienzentrum der EKD für Genderfragen, das sich für eine Gestaltung der Kirche einsetzt, in der Geschlechteridentitäten und -rollen keine Einschränkung bedeuten. Ein anderes Forum ist das Netzwerk Geschlechterbewusste Theologie, das in den Spannungsfeldern von Theorie und Praxis, Theologie und Gender Studies, aller Geschlechter und verschiedenen Konfessionen wissenschaftliche Ansätze miteinander ins Gespräch bringen will. Die EKD hat 2009 beschlossen, Gender Mainstreaming einzuführen – es leiste einen Beitrag dazu, „die sich aus der Gottebenbildlichkeit ableitende Gleichwertigkeit von Frau und Mann konkret mit Leben zu füllen“. Und nicht zuletzt hat der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, sich kürzlich für eine Öffnung der Ehe für Homosexuelle ausgesprochen.
Auch, wenn Theologie, Kirche und Ortsgemeinden längst noch nicht soweit sind, das Ideal einer inklusiven Gesellschaft zu leben, gibt es also zumindest Ansätze. Es wäre nun an der Zeit, sie konsequent umzusetzen. Denn bei allem Respekt für unterschiedliche Glaubensempfindungen und theologische Positionen: Die Diskriminierung im Namen des Evangeliums muss endlich zu einem Ende kommen.

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