Wie können wir vergangene Formen feministischer Kämpfe, mit denen Widerstand und Selbstorganisation ermöglicht wurden, ins heute übersetzen? Dieser Frage geht die Feministische Sommerakademie „Wir müssen uns immer noch selbst neu erfinden – aber wir müssen nicht von vorne anfangen“ nach, die vom 16. bis zum 19. Mai im atelier automatique in Bochum stattfindet (Anmeldung noch bis zum 30.4. möglich). Ausgangspunkt sind die feministischen Kämpfe der 80er und 90er Jahren in Bochum. Die Sommerakademie ist eingebettet in die Ausstellung EMANZENEXPRESS_gemeinsam sind wir gemeiner, die vom 4. Mai bis zum 30. Juni am selben Ort zu sehen sein wird. Sie versammelt Flugblätter, selbstgemachte Zeitungen, Radiosendungen und Zeitungsartikel aus der Zeit, die in Zusammenarbeit mit den Bochumer Archiven ausZeiten FRAUENARCHIV, LIESELLE und MADONNA e.V. zusammengetragen wurden.
Eine dieser Zeitungen ist die IHRSINN, eine „radikalfeministische Lesbenzeitschrift“ aus Bochum, die zwischen 1990 und 2004 halbjährlich im deutschsprachigen Raum erschien und eigene Vorstellungen von Lesbenidentität und politischer Praxis konkretisieren wollte. Jede Ausgabe enthielt Essays von verschiedenen Autorinnen zu einem Schwerpunktthema und Leserinnenbriefe. Lena Laps, lesbische Feministin, wie sie sich selbst bezeichnet, jetzt 65, war von Anfang bis Ende dabei. In einem Gespräch erzählt sie uns von ihren Erfahrungen in der Redaktion.
Wie kamst du zur IHRSINN?
Lena Laps: Ich war eine der Gründerinnen. Die Zeitschrift hat sich aus einer lesbischen Diskussionsrunde entwickelt, die es ab 1987 gab. Wir wollten unsere Diskussionen verschriftlichen, sodass mehr Lesben oder Frauen allgemein daran teilnehmen können. Daraus hat sich die Idee entwickelt, die Zeitschrift zu machen. Jede Ausgabe hatte ein anderes Schwerpunkt-Thema. Am Anfang hatten wir viele Zweifel: Kriegen wir das Heft überhaupt voll? Wird sich das verkaufen? Von der ersten Nummer haben wir dann gleich über 2000 Hefte verkauft.
Was war das Besondere an der IHRSINN?
Wir haben uns ja radikalfeministische Lesbenzeitschrift genannt. Wir haben gesagt, wir befürworten nicht hundert Prozent den Gleichheitsfeminismus, auch nicht den Differenzfeminismus, auch nicht queer. Es gibt da so ein Zitat von uns: „Wir wollen das Heteropatriarchat nicht nur reformfeministisch entsorgen, sondern ihm die Wurzeln abtrennen.“ Im Grunde haben wir versucht, auf alle Herrschaftsverhältnisse zu gucken. Dazu kam der Anspruch, zwischen Theorie und Praxis zu vermitteln, also ein Forum zu bieten für Auseinandersetzungen, das möglichst nicht-akademisch sein sollte, ein Raum, um die eigene politische Praxis zu reflektieren. Insbesondere zwei Frauen in der Redaktion waren sehr an der Kritik von Reproduktions- und Gentechnologien beteiligt, das war ein Strang.
Besonders war für mich, gerade auch im Nachhinein, die Vielfalt der Autorinnen. Die IHRSINN war ein anspruchsvolles Projekt, also wir hatten ziemlich hohe Ansprüche an uns selbst. Wir haben jede einzelne Ausgabe für blinde und sehbehinderte Lesben auf Kassette gesprochen und in Braille beschriftet. Die ganze Zeitschrift war unglaublich aufwendig. Etliche Jahre haben wir ohne Computer gearbeitet, das kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab immer auch sehr schwierige, konflikthafte Diskussionen, welche Texte wir annehmen oder wie wir Texte überarbeiten beziehungsweise überarbeiten lassen. Wir waren alle, ja, leidenschaftlich ihrsinnig, sehr motiviert.
Wieviele Frauen waren an der IHRSINN beteiligt?
Beim ersten Heft waren acht Frauen dabei. Das wechselte über die Jahre. Im gesamten Erscheinungszeitraum waren in wechselnder Besetzung fünfzehn Lesben in der Redaktion. Der harte Kern waren im Grunde vier Frauen, die vom Anfang an bis zum Ende dabei waren und die zum Teil jetzt noch befreundet sind oder Kontakt haben.
Wie waren die Reaktionen auf die IHRSINN?
Es gab am Anfang schon sehr viel Anerkennung, sehr viel Wertschätzung. „Göttin sei Dank, dass es euch jetzt gibt“ oder „Auf euch habe ich gewartet“. Es wurde deutlich, dass es da wirklich einen Bedarf gibt, die eigene Praxis zu reflektieren, auch mit theoretischem Hintergrund. Was oft als Kritik kam, war: zu theoretisch, unverständlich, zu intellektuell. Später, als die queere Bewegung stärker wurde, war ein Kritikpunkt, die IHRSINN sei ein identitätspolitisches Projekt, wir würden einem Kollektivsubjekt „Lesben“ anhängen, teilweise wurde uns auch Essenzialismus vorgeworfen.
Was war der Unterschied zum Emanzenexpress, der zwischen 1986 und 1994 in Bochum herausgegeben wurde?
Wir haben alle auch den Emanzenexpress gelesen. Die IHRSINN entstand nicht in Abgrenzung zum Emanzenexpress, sondern aus einem Bedürfnis, aus unseren Diskussionen heraus. Wir wollten kontinuierlich vor einem theoretischen Hintergrund Themen bearbeiten. Es gab auch keine Abgrenzung zu den anderen Lesbenzeitschriften, die es zu der Zeit gab. Im Gegenteil. Wir haben wenige Anzeigen in der IHRSINN gehabt und da haben auch die anderen Lesbenzeitschriften Anzeigen geschaltet.
Auf welche gesellschaftlichen Bedingungen war die IHRSINN eine Antwort?
Die Frage passt so nicht. Die IHRSINN wollte keine Antwort sein, im Singular schon mal gar nicht, im Plural vielleicht. Es gab natürlich einen bestimmten gesellschaftlichen Entstehungshintergrund. Anfang der 90er gab es bereits eine differenzierte, theoretische Auseinandersetzung in dem gesamten feministisch-politischen Spektrum. Und gleichzeitig war es immer noch viel so, dass Lesben innerhalb der Texte und in der Theorie unsichtbar blieben. Es gab dieses Begehren, nach mehr Reflexion, nach mehr Tiefgang in den eigenen Überlegungen, Analysen, theoretischen Ansätzen im eigenen Denken, was so von anderen Zeitschriften nicht bedient wurde. Es war ein Bedarf da. Das hat sich über die Zeit geändert. Am Ende hatten wir nur noch 300 Abonnentinnen. Die letzte Ausgabe ist dann im Dezember 2004 erschienen.
Wie kann die Geschichte der IHRSINN junge Feministinnen heute weiter inspirieren?
Also, das wüsste ich jetzt gerne von dir!
Die IHRSINN kann auch heute noch über das AusZeiten Archiv bestellt werden (ihrsinn@auszeiten-frauenarchiv.de). Das Gespräch führte Johanna Montanari.