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Rezension: Good Night Stories for Rebel Girls

Rezension: Good Night Stories for Rebel Girls published on 1 Kommentar zu Rezension: Good Night Stories for Rebel Girls

von Laura

Mehr als Prinzessin.
Gute-Nacht-Geschichten von beruflicher und biographischer Vielfalt

Was willst du später einmal werden?
Diese Frage kennen wir wahrscheinlich alle aus der Schule oder von der Oma. Vielen von uns fällt die Beantwortung heute schwerer, als mit 10. Wer von euch antwortete damals auch aus voller Überzeugung Tierärztin, Lehrerin oder Sängerin? (Dass wir so leicht keine Prinzessinnen werden konnten, hatten wir relativ schnell raus, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.)
Auch heute zählen diese zu den beliebtesten Berufen unter 10 bis 12-Jährigen Mädchen – aber wen wundert`s bei dem großen Angebot an immer gleichen Vorbildern in Kinderbüchern und –filmen? Die genannten Berufe sind keineswegs schlechte. Problematisch ist, dass die Bandbreite sich über Jahre hinweg nicht vergrößert und die Mädchen nur selten dazu angeregt werden, über den abgebildeten Tellerrand zu blicken.

Einen Gegenpol zu der kitschig-glitzernden Ponyhof-Welt bildet das Buch „Good Night Stories for Rebel Girls – 100 Außergewöhnliche Frauen“ von Elena Favilli und Francesca Cavallo. Name und Design sind ansprechend und erzeugen auch unter fast 30ern den Wunsch, es demonstrativ in den Schrank zu stellen. In dem Buch werden 100 verschiedene Biographien von Frauen aus aller Welt in kurzen Portraits vorgestellt. Jedes Portrait enthält eine eigene Illustration. Insgesamt sind am Buch über 60 internationale Künstlerinnen beteiligt, womit allein schon ein Statement gegen den Mythos des männlichen Künstlers gesetzt wird.

Mathematikerin, Radsportlerin, Flugpionierin, Bundeskanzlerin, Aktivistin, Dichterin, Grundschülerin, Piratin, Malerin, Rockmusikerin, Astronautin, Meeresbiologin, Ärztin, Königin, Physikerin, Rapperin, Sportlerin, Dirigentin, Reporterin, Ballerina, Surferin, Pharaonin, Spionin, Rennfahrerin.

Während des Lesens wird die Frage „Warum gab es das nicht schon als ich klein war?“ immer dringlicher. Wäre ich dann heute vielleicht auch Meeresbiologin? Auch wenn sich das nachträglich nicht mehr klären lässt, spornen die beeindruckenden Biographien auch Großgewordene dazu an, die eigenen Talente auszuloten, unterschiedlichen Interessen nachzugehen und die eigenen Träume nie aufzugeben:

„An alle rebellischen Mädchen dieser Welt:
Träumt größer
Zielt höher
Kämpft entschlossener
Und im Zweifelsfall merkt euch: Ihr habt Recht“

An einigen, wenigen Stellen werden leider – zumindest in der deutschen Übersetzung – gesellschaftliche (Schönheits-)Normen reproduziert („Amna war übergewichtig, unsportlich und unglücklich“) und aufs Gendern wird verzichtet. Hier wünscht sich die leidenschaftliche Feministin aufmerksame Vor- und Mitleser*innen (vorzugsweise mit Gender-Brille), die dazu anregen, gemeinsam gesellschaftliche Normvorstellungen zu sprengen.

Das Buch ist nicht nur vom Konzept und im Design herausragend, sondern auch in seiner Vermarktung. Es wurde über die Plattform Kickstarter finanziert und gilt als das „erfolgreichste Buchprojekt in der Geschichte des Crowdfunding“. Die zweite Ausgabe „Good Night Stories for Rebel Girls Vol.2“, die Anfang November auf Englisch erscheinen wird, bricht nun einen weiteren Rekord als das am schnellsten finanzierte Buchprojekt. Und auch hier wurde die von den Gründerinnen angegebene Zielsumme von 100,000$ längst überschritten – zum jetzigen Zeitpunkt wird das Projekt bereits mit 866,193 $ unterstützt.

Good Night Stories for Rebel Girls“ ist ohne Frage ein tolles Buch, das zum kreuz und quer lesen einlädt. Dabei ist die Idee bei genauerer Betrachtung nicht innovativ. Es leuchtet ein, dass Lebensgeschichten erzählt werden, die auf den ersten Blick aufregend sind und denen man gerne im Bett lauscht, aber was ist mit den „traditionell weiblichen“ Berufen oder der immer noch unbezahlten Care-Arbeit? Durch die Nicht-Nennung der Altenpflegerin, Verkäuferin oder Hausfrau wird die Einteilung in erstrebenswerte und unattraktive Berufe gestützt. Die sogenannten „normalen“ Berufe sind nicht fantasielos, sondern unglaublich wichtig. Das Problem ist ihre fehlende gesellschaftliche Anerkennung und angemessene Bezahlung. Mädchen mangelt es eindeutig an vielfältigen Vorbildern für unkonventionelle Lebenswege, um träumen und später selbstbestimmter entscheiden zu können, welchen Beruf sie ausüben und welcher Passion sie folgen wollen. Das Buch bricht mit dieser Einseitigkeit, aber setzt sich dem Risiko aus, wieder zwei Klassen von Lebensläufen aufzumachen: die schillernde Persönlichkeit und die unsichtbare „Normalbiographie“.

Trotzdem: Der riesige Erfolg des Buches zeigt, wie sehr vielseitige Perspektiven für Mädchen noch eine Leerstelle sind und wie groß der Bedarf nach kreativer und empowernder Literatur ist.

In diesem Sinne:

„Niemand soll sich anmaßen, mir zu sagen, was ich kann und was nicht.“
(Amna al Haddad, 29 Jahre, Gewichtheberin, Vereinigte Arabische Emirate)

 

Good Night Stories für Rebel Girls – 100 Außergewöhnliche Frauen
Elena Favilli & Francesca Cavallo
Übersetzerin: Birgitt Kollmann
empfohlen ab 12 Jahren
Hanser Verlag
24 Euro
224 Seiten
Rezensionsexemplar

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