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Für mein täglich Brot brauche ich zwei Brotjobs

Für mein täglich Brot brauche ich zwei Brotjobs published on Keine Kommentare zu Für mein täglich Brot brauche ich zwei Brotjobs

Von Maren

Die Arbeitsbedingungen für freie Künstlerinnen* gehören bestreikt.
Auch nach dem 8. März.

Wie viele andere, die freiberuflich irgendwas mit Kunst oder Medien machen, habe ich drei Jobs. Nein, eigentlich sind es, je nach Rechnung, fünf oder auch nur zwei. Das kommt darauf an, ob ich die unbezahlte Arbeit in verschiedenen Bereichen, die aber tatsächlich zu meinem eigentlichen Beruf gehören, mit zähle. Sicher bezahlt sind nur meine beiden Brotjobs, einer im Einzelhandel und einer ist saisonal und hat was mit Reisen zu tun. Ich bin ausgebildet dafür, irgendwas mit Theater und Kultur zu machen, und natürlich könnte ich mich auch auf eine feste Stelle bewerben, aber da habe ich mich momentan gegen entschieden.

Meine Arbeit im Theaterbereich besteht aus vielen verschiedenen Dingen, den kleinsten Anteil nimmt da Theater an sich ein. Je nachdem, bin ich an einem Tag Produktionsleitung, professionelle Klinkenputzerin, Konzepterin, Pressesprecherin oder Verwaltungsfachangestellte. Das bedeutet, ich mache die Organisation von Projekten, worunter Konzepte und Finanzierungspläne schreiben inklusive der Antragstellung fällt (davon alles, was vor einer Bewilligung liegt, unbezahlt, und bezahlt wird es nur im Nachhinein, falls der Antrag erfolgreich ist. In der Abrechnung vorkommen darf die Vorarbeit offiziell nicht.). Ich gehe auf Veranstaltungen um Hände zu schütteln, Smalltalk zu betreiben, meine Arbeit präsent zu halten und im besten Fall auch noch eine interessante Unterhaltung oder Diskussion zu haben, mache Presse- und Social-Media-Arbeit oder die Projektabrechnung.

Heute erreichte mich mal wieder die Absage für ein beantragtes Projekt. Versichert wurde mir allerdings, dass das Projekt toll und in die engere Auswahl gekommen sei, und ich solle die Person am anderen Ende des Telefons doch auf jeden Fall darüber auf dem Laufenden halten, ob ich es woanders in die Tat umsetze. Jetzt ist es natürlich schön, zu wissen, dass ich anscheinend gute Konzepte schreibe, und mir zusammen mit anderen Personen interessante Projekte ausdenke, aber meine Miete bezahlt das nicht. Und es schützt mich auch nicht vor dem Loch, das jedes Mal unweigerlich da ist, wenn wieder eine Absage gekommen ist.

In meinem Brotjob im Einzelhandel machen sich meine Kolleg*innen immer ein wenig lustig und sind erstaunt, wenn ich von meinem eigentlichen Job erzähle. Manchmal sind sie auch ein bisschen neidisch, wenn ich davon erzähle, dass ich meine Arbeitszeit frei einteilen kann. Und klar, es ist toll, den Wecker einfach weiter zu stellen, wenn mir danach ist, und dafür den Antrag vielleicht abends fertig zu stellen, oder eben auch gar nicht. Viel mehr als meine eigene berufliche Laufbahn und die von ein paar anderen Menschen hängt da nicht dran. Und natürlich ist es auch manchmal gut, einfach in der Jogginghose und vom Bett aus wichtige Telefonate zu führen, denn die Person am anderen Ende der Leitung weiß ja nicht, ob ich frisch geduscht bin.

Was meine Kolleg*innen dabei aber nicht sehen, ist die Tatsache, dass ich am Anfang des Jahres nicht weiß, welche Projekte von mir bewilligt werden, ich die Zeit aber auch nicht anderweitig verplanen kann. Sie wissen nicht, dass jede Absage natürlich an meinem Selbstbewusstsein nagt, ich das jedes Mal wieder runterschlucken und den nächsten Antrag schreiben werde.
Dass es mir schwer fällt, einfach Urlaub zu machen, weil es ja sein könnte, dass ich eine wichtige Ausschreibung verpasse.
Dass viele meiner Kolleg*innen mit Burn-Out oder Depressionen kämpfen, was aber niemanden wirklich interessiert, da sich immer eine andere Person findet, die die Arbeit machen kann. Wahrscheinlich sogar günstiger. Krankschreibungen, haha, guter Witz.
Dass bei mir immer wieder Anfragen ankommen, ob ich und die Gruppe, mit der ich zusammen arbeite, nicht Lust hätten, unsere Performances auf diesem oder jenem Festival oder Kulturnacht zu zeigen – Bezahlung kann leider nicht angeboten werden, aber hey, es ist eine Möglichkeit, aufzutreten! Es kommen doch so viele Leute zum Zuschauen, und außerdem gibt es ja ein kleines Catering backstage!

Gerade für Künstler*innen am Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit – und das durchgehend durch alle Sparten – sind solche Anfragen an der Tagesordnung. Es wird davon ausgegangen, dass Künstler*innen ihren Beruf daher gewählt haben, weil sie sich dem Künstler*innendasein mit voller Leidenschaft verschrieben haben. Daher wird das bloße Anbieten einer Plattform – also einer Möglichkeit aufzutreten, die Arbeiten in einer Galerie auszustellen, etwas zu veröffentlichen – kurzum das Generieren einer anderen Währung als Geld als ausreichend betrachtet. Denn, weißte ja, für Kunst ist ja immer so wenig Geld da, und wir bezahlen uns ja auch selber als Organisator*innen kaum…. Die Währung, in der wir dann bezahlt werden, ist ein bisschen mehr Bekanntheit oder auch nur die Möglichkeit, unseren Beruf auszuüben. Ich habe darauf keine Lust, und habe es trotzdem auch schon gemacht.

Aber Sichtbarkeit alleine bezahlt mir keine Miete oder auch nur meinen veganen Chai-Latte mit fettreduzierter Hafermilch. Und es macht auch keinen Spaß, Technik und Bühnenbild durch die Gegend zu fahren und aufzubauen, oder sich zu überlegen, wie eigene Arbeiten in einem Raum ausgestellt und arrangiert werden können, ohne dabei durch Löcher in den Wänden den White-Cube zu beschädigen. Das alles ist Arbeit, und sie sollte auch dementsprechend bezahlt werden.

Vor allem die Tatsache, dass so viele Aspekte der künstlerischen Arbeit unsichtbar und unbezahlt sind, lässt natürlich Parallelen zur Hausarbeit ziehen. Künstler*innen, egal welcher Sparte, die freiberuflich arbeiten, leben in vielen Fällen in sehr prekären Verhältnissen – das Durchschnittseinkommen liegt oftmals unter 10.000€. Nicht im Monat, sondern im Jahr. Für diese Prekarität ist jedoch nur ein geringes Bewusstsein vorhanden. Stattdessen sitzen überall in den Ateliers und Proberäumen die Künstler*innen und denken sich nach der letzten unbezahlten Ausstellung, der letzten Finanzierungsabsage, dem letzten Konzert, bei dem gerade mal die Zugtickets im Hut gelandet sind, dass es beim nächsten Mal aber bestimmt klappen wird. Dass sie es als einzelne Künstler*innen auf jeden Fall schaffen werden. Ist halt hart, gerade am Anfang. Außerdem ist die Kunstszene ja auch so fortschrittlich, da gibt es wenigstens keinen Gender-Pay-Gap, und wenn ich mich schlecht bezahlt fühle, liegt es entweder daran, dass mein Projekt nicht gut genug ist oder weil ich nicht gut genug verhandelt habe.

Aber natürlich ist auch die Kunst- und Kulturszene Teil des Patriarchats. Es genügt ein einziger Blick auf die Spielpläne von Theatern: Der Anteil von Regisseurinnen* liegt bei nur 30%, wobei der Anteil kleiner wird, je größer die Bühne ist. Im Kinder- und Jugendtheater sowie in der Freien Szene ist der Anteil größer, allerdings sind die Verhältnisse da dann auch wieder prekärer. Genauso düster sieht es im Bereich von Intendanzen und Theaterleitungen aus, also in allen Bereichen, wo es um Macht geht (nachzulesen zum Beispiel hier). Künstlerinnen* of Colour kommen so gut wie gar nicht vor. Und auch wenn es in der Freien Szene in Fragen der Repräsentation besser aussieht, beträgt der Gender Pay Gap im Bereich der Freien Darstellenden Kunst im Durchschnitt 30%. Dreißig! Nachzulesen ist das aufgeschlüsselt je nach Beruf in der Studie “Frauen in Kultur und Medien” des Deutschen Kulturrats (die komplette Studie findet ihr hier).

In anderen Kunstsparten in der Freiberuflichkeit ist der Gender Pay Gap ebenso groß. In der Bildenden Kunst erzielen zum Beispiel Kunstwerke von Frauen* im Verkauf nur halb so hohe Preise wie Kunstwerke von Männern*. Begründet wird das natürlich mit der Qualität, aber diejenigen, die viel Geld für Kunstwerke ausgeben, sind größtenteils weiße reiche Männer*, die sich dann Kunstwerke von anderen weißen Männern* über ihr Bett hängen. Dazu kommt ja auch noch, dass im Bereich der Bildenden Kunst gerade erst dafür gekämpft wird, dass Galerien auch für das Ausstellen von Kunstwerken bezahlen, und nicht erst Geld fließt, wenn das Kunstwerk verkauft wird.

In den Leitungspositionen von den großen Kulturinstitutionen sitzen größtenteils Männer*, was zur Folge hat, dass die Auswahl von Künstler*innen für Positionen oder Projekte in vielen Fällen männlich dominiert ist. Neben der Ungleichheit in Bezug auf Gender gibt es ebenso eine Benachteiligung von Künstlerinnen* of Colour, Künstlerinnen* aus nicht-akademischen Haushalten oder Künstlerinnen* mit besonderen Bedürfnissen. Let’s face it: Kunst und Kultur ist immer noch cis-männlich-weiß-bürgerlich dominiert, und das sowohl bei den ausführenden Künstler*innen als auch im Publikum.

Es gibt hier, verglichen mit anderen Regionen in der Welt, Infrastruktur, die sich für internationale Kolleg*innen wie ein Traum anhört. Die Künstlersozialkasse (KSK) ist ne super Sache, immerhin zahle ich jetzt 38,77€ im Monat in meine Rentenversicherung ein, und ich muss nicht mehr als ich verdiene an die Krankenkasse zahlen, weil die KSK freundlicherweise aufstockt. Das sind Strukturen, die die Risiken der Freiberuflichkeit zumindest teilweise auffangen. Nur ist der Zugang zur KSK mit Hürden verbunden, die nicht immer nachvollziehbar sind. So können sich zum Beispiel freie Projektmanger*innen oder Produktionsleitungen nicht über die KSK versichern lassen und sind daher den Unsicherheiten der Freien Szene noch mehr ausgesetzt. Produktionsleitungen und Projektmanagement sind für die unabhängige Produktion von Kunst und Theater aber Gold wert, da die Künstler*innen dann eben nicht multidimensional alle Bereiche der Projektarbeit abdecken und außerdem noch genial künstlerisch tätig sein müssen.

Je nach Branche, sieht die Situation in Nuancen anders aus: Während im Theater ein relativ großer Teil der Arbeitenden in Stadt- und Staatstheatern oder anderen Institutionen auch angestellt arbeiten kann, arbeiten fast alle Bildenden Künstler*innen und Designer*innen frei. In der Musik gibt es ebenfalls viele Künstler*innen, welche in großen Orchestern oder Ensembles angestellt sind. Allerdings vergrößert sich laut der Studie vom Kulturrat der Anteil freiberuflicher Musiker*innen in den letzten Jahren, was auch darauf zurückgeführt wird, dass die großen Ensembles und Orchester vermehrt auf Honorarbasis anstellen. Um nicht nur von Konzertbesuchen und Plattenverkäufen abhängig zu sein, verschaffen sich viele freie Musiker*innen eine Sicherheit durch die Lehre. Im Bereich der Literatur und des Schreibens gibt es ähnlich wie in der Bildenden Kunst wenige Möglichkeiten für Festanstellungen. Und im Filmbereich sind Beschäftigungsverhältnisse meist kurzfristig und auf Honorarbasis. Allen Branchen ist jedoch gemeinsam, dass sie meist von Projekt zu Projekt arbeiten und für ihre Arbeit in große Vorleistung gehen müssen, sowohl finanziell als auch in Form von Arbeitszeit. Der Gender-Pay-Gap ist in allen Bereichen mit um die 30% höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. Das Bewusstsein für die strukturelle Benachteiligung ist jedoch aufgrund der Individualisierung und des hohen Eigenengagements, das diese Berufsfelder mit sich bringen, bei Künstlerinnen* sehr gering.

Wegen all der oben genannten Punkte habe ich am 8. März neben der Hausarbeit, der Care-Arbeit und dem Vortäuschen von Orgasmen auch meine selbstständige künstlerische Arbeit bestreikt. Ich bin dem Aufruf von Cindy Cat und swoosh lieu gefolgt und habe eine Abwesenheitsnotiz in meine Mailpostfächer gesetzt. Denjenigen, die mich erreichen wollten, habe ich so erklärt, dass ich streike, dass sie mich in dringenden Fällen auf einer Demonstration oder einem Branchentreffen treffen können. Und dass ich am 8. März nicht über aktuelle Projekte reden will, sondern über Strukturen. Über die Strukturen, die uns durch das Diktat der Individualisierung und dem Narrativ von unseren genialen Künstler*innenpersönlichkeiten zu Einzelkämpferinnen* en, die die ihnen übrige Energie darauf verwenden, um Gelder zu konkurrieren, statt sich zu organisieren und zu solidarisieren. Über die vielen verschiedenen Dimensionen, die unsere künstlerische Arbeit mit sich bringt, und die eben nicht alle sichtbar geschweige denn bezahlt sind. Über Möglichkeiten, sich gegenseitig zu unterstützen, in Krankheitsfällen zum Beispiel oder auch wenn Künstlerinnen* Familien gründen wollen. Darüber, wie wir mit der ständigen Bewerbungssituation um Gelder umgehen können, wie wir der damit verbundenen Zurückweisung und Abwertung unserer künstlerischen Arbeit begegnen können. Darüber, wie unsere Arbeitsstrukturen sichtbarer gemacht werden können. Darüber, wie wir uns organisieren können, in Gewerkschaften, Landesverbänden, oder auch in offenen Runden, in denen wir unsere Erfahrungen austauschen können. Und darüber, wie wir die Vorherrschaft der alten weißen Männer beenden können.

Und die Gespräche müssen weiter gehen. Der 8. März war nur der Anfang. Wir müssen uns überlegen, unter welchen Bedingungen wir arbeiten wollen, und diese auch umsetzen. Wir müssen uns in eigenen Projekten ein ausreichendes Honorar auszahlen (Empfehlungen zur Honoraruntergrenze in den Freien Darstellenden Künsten gibt es zum Beispiel hier und hier). Wir müssen Anfragen, die nicht ausreichend oder gar nicht bezahlt sind, ablehnen bzw. neu verhandeln, und Auftraggeber*innen, die nicht oder nicht ausreichend bezahlen, bei Kolleg*innen bekannt machen (Einen Test, um herauszufinden, ob wir das Projekt oder die Arbeit umsonst machen sollten, haben Cindy Cat auch erstellt: hier). Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, auch wenn wir uns vielleicht auf das gleiche Stipendium oder die gleiche Förderung beworben haben. Wir müssen uns gegenseitig Räume öffnen, uns weiterempfehlen, uns Zugänge zu Institutionen ermöglichen. Wir müssen uns organisieren und solidarisch miteinander sein, statt vereinzelt Projekte zu beantragen und uns den individualisierten Strukturen des Marktes zu unterwerfen. Wir müssen die Erzählung des leidenschaftlichen und leidenden Künstlergenies bestreiken, das ganze Jahr über. Wir müssen aufhören, unsere Selbstausbeutung individuell zu rechtfertigen und stattdessen die Strukturen adressieren, die uns dazu bringen, immer wieder unbezahlt zu arbeiten. Lasst uns dabei empowernde, solidarische und großartige Kunst machen, die nicht nur für ein bürgerliches Publikum gedacht ist.

Interessante Initiativen und Links:

Cindy Cat ist eine Gruppe freier Kulturschaffender aus dem Umfeld der FAU in Dresden. Sie haben zum 8. März zum Künstlerinnen*streik aufgerufen und kritisieren die Arbeitsumstände freier Kulturarbeit. Außerdem könnt ihr hier überprüfen, ob ihr für dieses schnuckelige kleine Festival wirklich eure Arbeit umsonst zur Verfügung stellen solltet.

Art but Fair ist eine Initiative, die sich für fairere Arbeitsbedingungen in den darstellenden Künsten und der Musik einsetzt. Teil der Initiative ist die Entwicklung eines Gütesiegels für faire Kulturproduktion sowie eine Selbstverpflichtung, welche Institutionen und Kulturschaffende unterschreiben können, in der sie sich dazu verpflichten, faire Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Es gibt den Bundesverband Freie Darstellende Künste, der wiederum aufgeteilt in verschiedene Landesverbände ist. Das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste ist Interessenvertretung, fördert Projekte, bildet weiter und berät in allen möglichen Belangen, welche die Freie Szene in den Darstellenden Künsten betrifft.

Habt ihr weitere spannende und wichtige Initiativen zur Vernetzung und Organisation in den Freien Künsten? Her damit! Lasst uns eine geballte Liste machen!

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