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Wie viel Social Media? – Eine soziale Frage, die nun auch die Kleinsten in unserer Gesellschaft betrifft

Wie viel Social Media? – Eine soziale Frage, die nun auch die Kleinsten in unserer Gesellschaft betrifft published on Keine Kommentare zu Wie viel Social Media? – Eine soziale Frage, die nun auch die Kleinsten in unserer Gesellschaft betrifft

von Lena und Laura

Sind die psychischen und physischen Risiken eines übermäßigen Medienkonsums von Kindern und jungen Erwachsenen ein seit vielen Jahren breit diskutiertes Thema, gerät das Thema eines (un-)verantwortungsvollen Medienumgangs von Eltern nicht selten aus dem Blick.

So stellt sich dieser Tage die Frage, was eigentlich mit den Babies und Kleinkindern ist, die gewöhnlich nicht viel mit einem Smartphone anfangen können?

Hinweis: Dieser Artikel entstand nach einer privaten Diskussion zum Thema und euren Anregungen auf Instagram. An dieser Stelle möchten wir, aufgrund der steigenden Relevanz des Themas und der damit einhergehenden Konsequenzen, unsere Gedanken zum Thema ausführen. Uns ist mit diesem Artikel nicht daran gelegen, Mamabloggerinnen und Elternblogger*innen zu bashen oder ihre Arbeit in Frage zu stellen. (Un-)Sichtbarkeiten auch in Zeiten von Social Media sind ein komplexes Thema, zu dem es kontroverse Meinungen und nicht “die eine Lösung” gibt.

Mit der Kampagne “Dein Kind auch nicht” möchte die Bloggerin Toyah Diebel ein Bewusstsein für den Schutz derjenigen erreichen, die selbst noch keinen Einfluss auf die Schaffung ihrer virtuellen Persönlichkeit haben. Oder anders gesagt: Auch Kinder haben ein Recht auf den Schutz ihrer Identität (notfalls auch vor ihren eigenen Eltern).

Reaktionen aus dem Netz

Hat die Bloggerin damit einen Nerv getroffen oder langt die Kampagne komplett daneben? Im Netz wird sie zumindest kontrovers diskutiert. Unsere Umfrage dazu auf Instagram fiel allerdings überwiegend positiv aus. Über “Top!” bis “Notwenig” hinzu “Ein guter Denkanstoß” war alles dabei.
Aber es gibt auch Kritik an der Kampagne: Vor allem das “Stillbild” stößt auf Widerstand. Eine Userin schreibt uns: “Es steht außer Frage, dass Kindern Respekt gebührt – wie jeder anderen Person. Also sollten Bilder von ihnen nicht bloßstellend sein. Aber das Bild mit der Stillszene zeigt, dass die Kampagnenerstellerin keine Kinder hat und es auch so nicht verstanden hat. Stillen ist nicht sexuell. Stillen ist Ernährung. Stillen sollte viel öfter gezeigt werden. […] Kinder sind in diesem Land unterrepräsentiert. Und auch durch Medien kann und sollte ein Umdenken geschehen. Kinder müssen Teil unserer Lebenswelt sein. Online wie offline.”

Selbstverständlich ist es wichtig, dass Stillen immer und überall möglich ist, ohne Diskriminierung oder Ausgrenzung zu erfahren – auch dies stellt ein grundlegendes feministisches Anliegen dar. Der Akt des Stillens und die damit verbundene (weiblich konnotierte) Brust sollte als das gesehen werden was es ist, nämlich (Mittel zur) Nahrungszufuhr. Wer sich davon belästigt fühlt, ist selbst das Problem.

Und trotzdem sollte man sich das von Toyah inszenierte Bild genauer anschauen, denn der Fokus liegt nicht auf der stillenden Person oder dem Akt des Stillens, sondern auf dem Gesicht des Kindes. Denn auch wenn wir als Feminist*innen die Möglichkeit eines diskriminierungsfreiens und entsexualisiertens Stillens (in der Öffentlichkeit) einfordern, hat das Kind immer noch ein Recht auf diesen privaten Moment.

Mutter und Kind – eine symbiotische Erzählung?

Die Frage, die man sich hier stellen kann, ist folgende: Kann man Mutter/stillende Person in der öffentlichen Darstellung vom Kind trennen und wenn ja, wie? Und zwar so, dass die Kinder trotzdem eine Rolle in der Erzählung einnehmen ohne dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt werden?

Klar, ohne Baby ist Stillen nur schlecht möglich, aber wenn es in diesem Statement, das durch die Öffentlichmachung gesetzt wird, nicht primär um das Baby, sondern um den Akt des Stillens an sich geht, ist es dann wirklich notwendig, das Gesicht des Kindes zu zeigen? Sollte nicht viel mehr die stillende Person im Vordergrund stehen? Auch so kann die Stillszene bei Toyah gelesen werden.

“Du bist ja gar keine Mutter…!”

“Solange du selbst noch keine Kinder hast, kannst du nicht mitreden.” Das Totschlagargument in jeder Diskussion. Es ist durchaus anmaßend, wenn Außenstehende über Erfahrungen während der Geburt oder den persönlichen Umgang mit Stillen (oder Nicht-Stillen) ihren ungefragten oder diskriminierenden Senf dazugeben wollen. Wenn es aber um das Thema Persönlichkeitsrechte von Kindern geht, ist das eine andere, universellere Sache. Es geht in der Diskussion nicht um körperliche Bedürfnisse. Auch Menschen ohne Kinder sind in der Lage, sich über die Rechte und den Schutz von Kindern (an dieser Stelle mit einem Fokus auf den Gefahren von Social Media) Gedanken zu machen. Werden hier unnötig Grenzen gezogen und Diskussionen schon vorab im Keim erstickt?

Das Recht auf die eigene Identität

Was ist, wenn Kinder zu Erwachsenen werden? Was ist wenn ihr öffentlichkeitswirksames Selbst nicht mit ihrer eigenen Identitätskonstruktion übereinstimmt?

Was ist, wenn die Bilder, die ich mir aus der Perspektive einer älteren Person anschaue, so gar nichts gemein haben mit dem, wie ich mich selbst sehe/sehen möchte, wie ich mich darstelle und vor allem wie ich mich kenne? Was ist wenn diese Bilder Gefühle der Entfremdung oder gar der Traumatisierung in mir auslösen?

Fragen, auf die es in der heutigen Zeit der sekündlichen Datenuploads noch keine zufriedenstellenden Antworten zu geben scheint. Doch stellen wir uns der Realität: Auch Kinder einer zeitgenössischen Generation an Mamabloggerinnen/Elternblogger*innen werden auf kurz oder lang heranwachsen und ein Bewusstsein für die überquellenden Profile ihrer Mütter*Väter entwickeln. Gedacht als Abziehbilder vergangener Zeiten, die für die Eltern auch in der Retrospektive achso greifbar und denkwürdig erscheinen, kann es vorkommen, dass sich das Kind mit einer Kunstfigur seiner selbst konfrontiert sieht.

Der*die ein oder andere mag nun vielleicht an verstaubte Fotoalben denken, die doch durchaus positive Gefühle der Faszination in uns auslösen – „erstaunlich, was die Zeit mit uns macht“, „faszinierend, dass dieser kleine Mensch mit dem breiverschmierten Gesicht mich darstellt“, das sind Momente, die uns zum schmunzeln, staunen, wundern und nachdenken bringen. Aber wer entscheidet darüber, ob uns dieser Moment des Erinnerns und Assoziierens als privater, intimer und genuiner Augenblick, der er ist, überlassen bleibt oder uns aber die Kommentarspalte eines Instagramsposts unmittelbar vorgibt, was wir bei diesem oder jenem Bild zu denken oder zu spüren haben? Öffentliche Meinungen uns wie ein undurchlässiger Plastiksack bereits vorab übergestülpt werden und uns einen unvoreingenommenen Blick verwehren.
Damit ist letztlich auch ein Thema angesprochen, welches auch in anderen Kontexten immer wieder an die medienwirksame Öffentlichkeit gerät, jedoch noch ohne sichtbare Erfolge: Mitbestimmungsrechte von Kindern an gesellschaftlichen Prozessen.

Ist uns daran gelegen, eine Partizipation von Kindern an einer demokratischen Gesellschaft zu garantieren, sie zu politischen Subjekten werden zu lassen, müssen wir ihnen auch gleichzeitig die Möglichkeit dazu geben, selbst über die Veröffentlichung eines Fotos entscheiden zu dürfen. Nur so können sie ihre persönlichen Grenzen ausloten und lernen die ihrer Mitmenschen zu respektieren.

My Baby sells! Die Influencermütter

Die bisher geäußerten Gedanken bezogen sich weitestgehend auf Mutter-/Elternblogger*innen, die dem Thema Elternschaft mehr Sichtbarkeit in den Sozialen Netzwerken geben wollen – in vielen Fällen mit einem politischen Interesse. In einer ganz anderen Klasse spielen die Influencermütter á la Yummy Mummies auf Netflix, die mit der Zuschaustellung ihrer Kinder richtig Kohle verdienen.

Eltern, insbesondere Mütter, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, ein sogenanntes Influencer-Dasein zu fristen, was nicht weniger bedeutet, als die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Leben – sei sie in heutigen Zeiten noch so dünn gezogen – gänzlich zu ignorieren; Kinder die zu Projektionsflächen der Marketing-Kooperationen ihrer Eltern instrumentalisiert und zu kleinen Modepüppchen objektifiziert werden. Solche Profile begegnen uns tagtäglich – im nächsten Moment mag ein*e jede*r an dem ein oder anderen Bild hängen bleiben und der Niedlichkeit der dargestellten Kinder nicht widerstehen können, denkt man aber länger darüber nach, mutet die Message dieser Accounts doch etwas zweifelhaft an.

Dabei entstehen bei längerem Nachdenken nicht nur Fragen bezüglich der Persönlichkeitsrechte von Kindern, die de jure erst ab dem 14. Lebensjahr gefragt werden müssen, ob sie mit dem Veröffentlichen der sie darstellenden Bilder einverstanden sind. Auch mit dem damit transportierten Bildern eines perfekten Familienlebens, einer durch und durch perfekten Mutter, die neben der Organisation des Haushalts die Zeit findet, sich um ihre Kinder zu kümmern und es dabei schafft noch entspannt und ausgelassen zu wirken, wird eine grund konservativ-patriarchale Linie gefahren, von der wir eigentlich glaubten, sie sei dem Untergang geweiht. Noch dazu ergibt sich mit der tagtäglichen Inwertsetzung des eigenen Nachwuchses über Instagram ein ähnlich fader Beigeschmack, wie er sich auch bei Phänomenen wie den schon im Kleinkindalter gedrillten Kindern eröffnet, die von ihren Eltern zu einer frühen Sport- oder gar Modelkarriere genötigt werden. Das Kind als letzter Hoffnungsträger für die unerfüllten Karrierewünsche seiner Eltern.

In einer Gesellschaft in der über lange Zeit immer später und weniger Kinder geboren wurden, sind Kinder zu einer besonderen Erfahrung geworden und auch zu einem Statussymbol. Daneben scheint ein hoher Leistungs- und Optimierungsdruck zu bestehen, diesen Kindern eine schöne Kindheit und viele Chancen in der Zukunft zu bescheren, teilweise in Familienkonstellationen, die vom gesellschaftlichen Ideal der heteronormativen, mittelständischen Kleinfamilie abweichen. Auch das mag dazu führen, Bilder und Texte zu produzieren, als Beweismittel für eine glückliche Kindheit und eine souveräne Elternrolle.

Vor wenigen Jahren hielten sehr viele Eltern Abstand davon Kinderbilder zu veröffentlichen, um diese nicht den Blicken und dem Interesse von Pädophilen auszusetzen. Diese Scheu scheint durch die Gewöhnung und Blasenbildung der sozialen Medien abgebaut zu werden (Zuckerberg: Facebook als Wohnzimmer).

Mütter und Eltern sollten weiterhin das Recht haben zu bloggen, aber sie sollten einen Weg und eine Sprache finden die nur sie widerspiegelt ohne dabei gleichzeitig eine Lebensgeschichte ihres Kindes in Bild und Wort im Netz zu konstruieren. Jedes Kind hat sein*ihr Recht auf eine eigene, nicht-veröffentlichte (Lebens-)Geschichte.

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