Interviewer*innen: Tijen Atkaya & Lena Spickermann
Frauen und Fiktion sind eine Gruppe Menschen, die feministisch mit Mitteln des Theaters Weiblichkeiten erforschen. Beim feministischen Festival am Theater Oberhausen haben sie einen Workshop gegeben (wir waren dabei!). Wir haben sie getroffen und mehr über sie und ihre Methoden erfahren.
Tijen & Lena: Wie kam es zu der Gründung von Frauen und Fiktion und was war die Idee dahinter?
Frauen und Fiktion: Hinter unserer Gründung steht nicht ein einziger Gedanke, sondern vielmehr eine Geschichte. Den Ursprung bildete dabei eine Zusammenarbeit zwischen zweien von uns, in der wir uns mit einem Vortrag von Viriginia Woolf – A Room of one’s own – beschäftigt haben und uns in diesem Rahmen auch mit Frauenbildern, die in der Theaterliteratur zur Verfügung stehen, auseinandersetzten. Auf dieser Basis eröffnete sich uns eine große Bandbreite an Themen, die wir alle behandeln wollten. Wir haben uns daraufhin vorgenommen, diese Themenvielfalt in verschiedenen Performances abzuarbeiten.
Unser Name Frauen und Fiktion leitet sich dabei ursprünglich auch von einer Arbeit von Virginia Woolf ab, die in ihrem Vortrag dazu aufgefordert wurde, über Women and Fiction zu schreiben. Die Idee hinter dem Titel Frauen und Fiktion soll also für eine Arbeitsweise stehen, die, wie Woolf, eine Verknüpfung zwischen diesen beiden Elementen impliziert. Also zum Beispiel verkörpert in den Fragen, ob die Frau eine Fiktion ist oder ob es um Fiktionen von Frauen geht oder gar Fiktionen für Frauen.
Unsere zweite Arbeit widmete sich dann dem Thema Frauen und Lust. Da ging es darum, wie man Frauenkörper auf einer Bühne inszenieren kann, die lustvoll sind und die bei dem, was sie selber tun, auch Lust verspüren. Dementsprechend geht es uns in der performativen Auseinandersetzung mit bestimmten Themen darum, eine neue Perspektive auf dieses Thema zu öffnen, daraus neue Handlungsoptionen abzuleiten, ein Publikum im Hinblick auf dieses Thema zum Nachdenken zu bringen und dabei nicht Bilder zu bedienen oder zu reproduzieren, die bereits bekannt sind.
You are a weapon war die dritte Arbeit, die wir gemacht haben und da haben wir dieses Prinzip von Lust weitergeführt und sind jetzt gerade an der nächsten Arbeit zum Thema Care-Arbeit, die wir mit Drag-Performance verbinden wollen. Wir sind zu diesem Zweck auch in verschiedenen Szenen unterwegs. Dafür führen wir dann Interviews sowohl mit professionell Sorgeleistenden, mit Drag Artists, aber auch mit Menschen in ungewöhnlichen Familienmodellen; also z.B. chosen families oder Patchworkfamilies.
Tijen & Lena: Könntet Ihr vielleicht ein bisschen was zu dem Stück You are a weapon erzählen?
FuF: Wir haben dafür Frauen interviewt, die durch ihren Beruf mit dem Thema Gewalt tagtäglich in Berührung kommen. Dazu gehörte z.B. eine Heilerzieherin, eine Frau, die mit Mörderinnen im Strafvollzug arbeitet, eine Barfrau vom Hamburger Kiez, oder auch Selbstverteidigungstrainerinnen. Demnach bildete sich eine sehr breite Auswahl an Frauen, die wir nach Handlungsoptionen gefragt haben, ihrem Umgang in und mit gewaltvollen Situationen und nach verbalen und körperlichen Techniken, die sie erworben hatten. Wir haben aber auch nach ganz konkreten Erfahrungen gefragt, um dadurch neue Perspektiven auf das Thema Frauen und Gewalt zu eröffnen, in dem sonst immer latent mitschwingt, dass Frauen üblicherweise in der Opferposition stehen. Uns war an Geschichten gelegen, in der die Frau als Angreiferin, als ebenbürtige Kämpferin und als kraftvolle Gegnerin auftritt. Es geht uns also einerseits darum, neue Bilder zu produzieren und im Gegenzug dazu wiederum zu vermeiden, vorherrschende Klischees zu reproduzieren. Ziel war es aber auch, sich bei der Suche der Interviewpartnerinnen auf Alltagsheldinnen zu fokussieren und sich nicht auf der Superheldinnenebene zu bewegen. Diese Geschichten sind keine Abziehbilder, sondern meistens sehr komplex und man kann sie von verschiedenen Seiten aus betrachten.
Lena & Tijen: Damit im Einklang haben wir uns auch gefragt, wie ihr die Geschichten und Erzählungen aus den Interviews auf die Bühne transportiert und visualisiert habt?
FuF: Vereinzelt werden Audioeinspieler aus den Interviews eingesetzt, sodass die Differenz zwischen der Stimme der Person, die in der Performance spricht und die des Interviews hörbar wird. Die Performer*innen tragen den Text als Bot*innen vor, ohne ihn schauspielerisch anzureichern. Wenn man dann das Audiofile daneben einsetzt, transportiert dies natürlich mehr Emotionen und Betonungen. Unser Ziel hinter dem nicht-schauspielerischen Umgang mit dem Text liegt darin, eine Identifikation der Zuschauer*innen mit einer bestimmten Person der Performance zu vermeiden, sodass sie selbst dazu angeregt werden, selber nachzudenken und über ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren.
Tijen & Lena: Seid ihr selbst immer Darstellerinnen Eurer eigenen Inszenierungen oder gibt es auch externe Schauspieler*innen, die Eure Performances praktisch umsetzen?
FuF: Das variiert, je nach Förderlage. Im nächsten Projekt wird es professionelle Performerinnen geben und auch solche, die durch ihren Beruf im Bereich der Fürsorge und der Pflege eine andere Professionalität mitbringen.
Die Zusammenarbeit mit Menschen, die im Bereich des Theaters Laien sind, aber dann wiederum in einem anderen Feld professionell sind, sogenannte Alltagsexpertinnen, generiert auch nochmal ein ganz anderes Publikum. Sie helfen uns außerdem im Prozess mit ihrem persönlichen Blickwinkel dabei, das Thema, mit dem wir uns dann beschäftigen, aus einer anderen Warte zu reflektieren und bringen ihre eigene Expertise in die Performance hinein. Für unsere aktuelle Produktion, die sich dem Thema Care in Verbindung mit Drag widmet und geschlechtsspezifische Grenzen, die sich gerade im Bereich Care etabliert haben, aufbrechen will, haben wir u.a. eine Hebamme interviewt. Sie hatte sehr viele Ideen, ihre Rolle als Hebamme mit einer Drag-Figur zu verbinden oder sinnierte darüber, wie es wäre, wenn Männer Kinder gebären würden und dass dies dann als heldenhaften Vorgang bezeichnet werden könne. Selber würden wir auf solche Ideen gar nicht kommen, weil wir nicht über die nötige Expertise verfügen. Wir arbeiten also mit diesen Akteurinnen zusammen und sie bringen ihre Bilder in unsere Performance ein.
Lena & Tijen: Da ihr auf eurer Homepage ausdrucksstark visualisiert, dass es in eurer Arbeit um eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis geht, würden wir gerne wissen, wo denn genau die Schnittstellen in eurer Arbeit zwischen der Theorie und Praxis liegt und was euch dabei vor allem wichtig ist?
FuF: Wir lesen zu jedem Projekt bestimmte Bücher, die uns dabei helfen, keine klassischen Rollenbilder zu reproduzieren. Wenn wir damit beginnen Interviews durchzuführen, dann erleben wir eine Begeisterung, weil das persönlich erzählte Geschichten sind. Die Auseinandersetzung mit theoretischen Texten hilft uns dabei, einen analytischen Blick auf diese sehr persönlich erzählten Geschichten zu werfen. Erzählen sie einen ungewohnten Umgang mit einer Situation oder wird ein ohnehin bekanntes Bild reproduziert – das prüfen wir und entscheiden uns dann, den einen oder anderen Text in die Performance aufzunehmen oder eben nicht. Wir begeben uns in einen Reflexionsprozess und fragen uns, wo bewegen wir uns gerade im Projekt? Was wollen wir erzählen? Wie müssen wir das Transformieren falls es Differenzen gibt? Und was ist diese konkrete Alltagssituation im Vergleich mit dem Theoriematerial? Wie gelingt es uns, Narrationen mit unseren theoretischen Gedanken zu verbinden und in eine Performance zu transformieren?
Lust ist der Kontrollverlust in einem Ereignis, einem Verhältnis, einer Praxis, einem Werden.
(Quelle: Paul B. Preciado (2016), Testo Junkie)
Für unser Stück „Lust“ haben wir Paul B. Preciado, Michel Foucault, Mithu Sanyal uvm. gelesen. Unser Ziel war es, durch bestimmte Gedanken eine Form von geistiger Erregung zu schaffen, die durch eine Bühnenperformance erzeugt werden sollte. Die Zuschauer*innen sollten einen für sich sehr verdichteten Gedanken greifen und für sich herausnehmen. Mit dem Zitat von Paul B. Preciado wurde die Theorie in die praktische Performance integriert.
Lena & Tijen: Welche Relevanz nimmt das Thema Intersektionalität in eurer Arbeit ein?
FuF: In der kommenden Performance geht es genau um dieses Thema. Es wäre nicht angemessen, wenn wir uns als die „großen Sprecherinnen“ von Intersektionalität aufstellen würden, weil wir nämlich Frauen sind und von diesem Standpunkt aus agieren. Deswegen arbeiten wir mit Personen zusammen, deren Thema genau das ist. Es geht um eine Auflösung der Differenzierung zwischen Mann und Frau, weil es nämlich darum geht, zwischen dem was Männer und Frauen sein dürfen und welche Chancen sie haben können, aufzubrechen. Ich habe einen bestimmten Standpunkt von dem aus ich erzählen kann. Das ist meine Sozialisation, meine Dinge die ich kennengelernt habe und durch meine Erfahrungen kann ich mich emphatisch mit anderen Leuten verbinden. Jedoch möchte ich nicht für sie sprechen. Ich möchte mit ihnen sprechen. Es interessiert mich mit Personen auf einer Sprachebene in Kontakt zu treten, um über ihre Themen und ihre Geschichten zu sprechen.
Lena & Tijen: Letztes Jahr habt ihr im Rahmen des Minifestivals einen Workshop zum feministischen Führungsstil durchgeführt. Was heißt feministischer Führungsstil und wie habt ihr das umgesetzt?
FuF: Ziel des Workshops war es, ein Manifest zu verfassen. Zum Einstieg gab es für die Teilnehmenden einen Lesetext. Anschließend sollten sie sich über die Themen Zeit, Geld, Familie, Quote, Vorbilder und über Hierarchien austauschen, die dem Thema „Arbeit“ zugeordnet waren. Aus diesen Diskussionen und persönlichen Erfahrungen aus der Arbeitswelt der Teilnehmenden, haben wir Forderungen abgeleitet. Teilweise waren es politische, teilweise waren es ganz persönliche Forderungen. Ich kann mich an eine Forderung erinnern, als eine Frau gesagt hatte: „Man darf sich nicht davor scheuen mit seinem Partner über Geld zu reden.“ Das war eine sehr persönliche Forderung. Eine weitere Frau forderte: „Wir brauchen die Quote, um Gerechtigkeit in der Arbeitswelt zu schaffen!“ Es waren auch Frauen über 60 anwesend, die gesagt hatten: „Wir haben vor zwanzig Jahren schon für die Frauenquote gekämpft und nur deshalb konnten wir überhaupt erzielen, dass wir in diesen Positionen gelandet sind. Heute gibt es junge Frauen, die gegen die Frauenquote sind.“ Wir sind längst nicht in einer gleichberechtigten Gesellschaft angekommen, obwohl das die Gesetzeslage vorsieht. Wir müssen immer noch dafür kämpfen, wofür schon Generationen von Frauen vor uns gekämpft haben. Es gibt im Grunde immer wieder neue Generationen von Frauen, die diesen Weg gehen. Das war schön zu sehen, dass wir uns alle über unsere persönlichen Erlebnisse austauschen konnten und alle etwas zu sagen hatten.
In dem diesjährigen Workshop geht es um das Thema „Bewegung als Widerstand“. Wir werden einen Selbstverteidigungskurs, mit einer externen Trainerin aus dem Krav-Maga-Bereich, durchführen. Es geht wieder darum, sich über persönliche Geschichten und über Situationen, in denen die Teilnehmenden sich selbst verteidigt haben, auszutauschen. Wenn wir nämlich davon ausgehen, dass Gewalt immer ein Teil eines menschlichen Miteinanders ist, möchten wir mit den Teilnehmenden darüber diskutieren, wie wir den Umgang mit Gewalt erlernen können. Was bedeutet das für jeden individuell? Wie kann ich mich verhalten? Welche Techniken kann ich erlernen? Will ich das überhaupt erlernen? Sie sollen aus der Beschäftigung Forderungen für den Umgang mit Gewalt ableiten.
Bei Themen wie Gewalt oder Sorgearbeit kursieren in unserer Gesellschaft normative Rollenbilder, für Frauen und Männer. Wenn ich diese Normen nicht reproduzieren und etwas an den Strukturen verändern will, dann muss ich zunächst anerkennen, dass es gesellschaftlich konstruierte Geschlechter gibt. Das ist ein Fakt und wie ich dann darauf reagiere ist eine spannende Frage. Deshalb müssen wir uns mit dem gesellschaftlich konstruierten weiblichen Geschlecht auseinandersetzen.