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Eine Antwort auf Stein und Stroh

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von ila

Kurz vor Weihnachten publizierte die Welt den Artikel „Das Schreckensmärchen von der Vergewaltigungskultur“, der mit Bezug auf Camille Paglia die Problematik des enormen Ausmaßes an sexualisierter Gewalt in westlichen Gesellschaften wie in den USA leugnet. Beeindruckend ist dabei, wie fehlerhaft die Argumentation entfaltet wird – so fehlerhaft, dass misstrauisch gemutmaßt werden könnte, es handle sich schlicht um Propaganda, die eben gar nicht logisch sauber argumentiert sein will

.

Aufgezogen an einer Umfrage an amerikanischen Eliteuniversitäten, nach der 16 % der Studentinnen vergewaltigt wurden, diffamiert der Verfasser Hannes Stein die Zahlen mit dem Argument, dass kaum eine der Betroffenen „sich je unter einer der Telefonnummern gemeldet hat, die extra für vergewaltigte Frauen eingerichtet wurden; geschweige denn, dass sie bei der Polizei Anzeige erstattet hätte.“ Der daraus entstandene Hashtag #whyIsaidnothing entlarvte diese Argumentationsweise bereits als zu kurz gedachten Fehlschluss, der entweder von purer Ignoranz oder schlechter Recherche und mangelndem Hintergrundwissen zeugt: Stein klammert hier die ganze psychische Dimension von sexualisierten Gewalterfahrungen aus. Paglia halbliWäre der Artikel fundiert geschrieben, wären die Mechanismen von Traumatisierungen und damit einhergehenden Gefühlen von Scham und Starre berücksichtigt worden.

Aber auch Camille Paglia begeht einige logische Fehler, die Hannes Stein unreflektiert zitiert:

Sie plädiert für Handlungsmacht statt „opferzentrierter Rhetorik“ und verkennt dabei, dass sich beides nicht ausschließt, sondern im Gegenteil Betroffene von sexualisierter Gewalt Handlungsmacht zurück gewinnen können, indem sie über ihre Erfahrungen sprechen. Das bietet eine Chance aus dem Opfermodus auszutreten und für sich und die eigenen Rechte einzustehen. Auch eine Verarbeitung von Missbrauchserfahrungen ist nur derjenigen möglich, die sich eingesteht, missbraucht worden zu sein. Häufig ist auch die Anerkennung der eigenen Leiderfahrung von außen wichtig, um diese bewältigen zu können. Indem Paglia das „Gerede von einer „Kultur der Vergewaltigung“ lachhaft“ nennt und damit die Leiderfahrungen unzähliger Frauen diffamiert, senkt sie die Handlungsmacht anderer Frauen.

Diesen Fehlschluss könnte man auf schlichtes Unvermögen zurückführen, oder aber auf einen ziemlich egoistischen, rücksichtslosen und kurzsichtigen Vermeidungsmechanismus: Weil es viel bequemer ist, keine Probleme zu sehen, sieht man eben einfach weg. Weil es zu schmerzhaft ist, sich mit solchen Themen zu konfrontieren, werden diese einfach ins Lächerliche gezogen. Weil der Umstand der extrem verbreiteten Täterschaft zu bedrohlich ist, leugnet man ihn. Über diesen psychischen Mechanismus kann Frau Paglia sich dann weiterhin handlungsfähig fühlen- wohlgemerkt: Fühlen!

Paglia halb

Es hat nur leider weitreichende Konsequenzen, wenn Personen wie Paglia öffentlichkeitswirksam ihren persönlichen (Nicht-)Umgang mit diesem Thema breittreten: Paglia trägt dazu bei, sexualisierte Gewalt zu verharmlosen, Betroffenen den Mund zu verbieten und ihnen Unterstützung zu verwehren. Sie schafft einen idealen Boden für weitere sexuelle Übergriffe.

Neben dieser psychischen Bedürftigkeit, diesem nicht-aushalten-können-von-schmerzhaftem tritt noch etwas offen zutage, das manche Stutenbissigkeit nennen: Eine Frau wertet andere Frauen ab, um sich selbst ein bisschen besser zu fühlen. Sie wertet den Ausdruck der Vergewaltigungskultur als „geschwätzige Propaganda“ ab und will stattdessen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Warum sie das nicht einfach tut, ohne anderen Frauen ihre feministischen Interessen abzusprechen, erklärt sie nicht.

Erneut begeht sie einen fundamentalen logischen Fehler: Diese beiden Themen feministischer Arbeit schließen sich nicht aus, sie haben erst mal nichts miteinander zu tun, sie sind beide wichtig.

Allerdings muss man von einer Person, die meint, es sei eine Vorraussetzung „die lümmelhaften Vergnügungen und Gefahren von Männerpartys auf Universitäten zu meistern“ (d.h. in diesem Fall sich Vergewaltigungen zu erwehren), um „in Zukunft Führungspositionen in Politik und Wirtschaft zu erringen“, auch nicht mehr erwarten.

Und täglich grüßt Rassismus

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von Lilli Boheme

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Heute Morgen bin ich in den Wald gefahren. Ich war gestern bis zwei Uhr nachts wach und habe mich durch Artikel und Kommentare zu #koeln gewühlt, da brauchte ich mal eine kurze Pause. Da bietet sich doch nichts Besseres an als den Kopf bei einem schönen Spaziergang freizubekommen, denke ich.
Ich nehme noch schnell die Post und Zeitung aus dem Briefkasten und werfe sie in meinen Beutel. Im Wald angekommen, laufe ich ein Stück und lese mir die Briefe durch. Dann greife ich nach der Zeitung und lese die Titelseite. Ein Mann läuft neben mir.
Er fragt: „Lesen sie immer die TAZ?“.
Ich antworte: „Ja, das tue ich. Nur nicht immer beim Waldspaziergang, aber ich wollte schauen, was heute der Schwerpunkt ist.“ Ich konnte es mir natürlich denken und deswegen interessierte es mich. Ich bin fröhlich gestimmt und denke mir nichts dabei.
Er verzieht sein Gesicht und sagt: „Na, um was wird es wohl gehen. Die Zeitungen sind voll davon. Die jungen Gockel, die zu Hause nichts dürfen und sich hier austoben.“
Ich starre auf die Titelseite. Frustration setzt ein. Der Mann biegt nach rechts. Ich gehe weiter geradeaus und schlage die Zeitung wieder auf. Bloß nicht die Laune am Morgen verderben lassen.
Ich gehe an einem Pavillon vorbei. Zwei Männer stehen drin. Ein Dackel steht davor. Der eine Mann wohnt dort und wird häufig von Spaziergänger*innen besucht. Der Bewohner sagt: „Nein, hier kommt niemand hin.“ Der andere antwortet: „ Du solltest hier ein Schild hinmachen – Deutsches Staatsgebiet.“
ARGH!
Ich gehe weiter. Lese den Aufmacher und dann den sehr guten Kommentar von Dinah Riese. Ich denke darüber nach, wie ich zu Hause schauen werde, ob er online ist damit ich ihn posten kann. Ich freue mich über den guten Kommentar und ärgere mich über die dumme Aussage von Frauke Petry.
Ich packe die Zeitung weg, spiele ein wenig mit dem Hund und wir machen uns auf den Rückweg. Ohne Brille erkenne ich den Cowboyhut direkt wieder. Mir kommt der Mann von vorhin entgegen. Ich hab‘ keinen Bock auf einen weiteren rassistischen Kommentar und springe über den kleinen Fluss und vergrößere die Runde einfach noch ein wenig.
Der Mann ruft mir entgegen: „Was schreibt die TAZ denn über den Aufschrei?
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Muss immer an #aufschrei denken. Ich bleibe stehen. „Was meinen Sie?“
„Na ja, was schreibt die TAZ zum Aufschrei?“, fragt er erneut.
Ich antworte nicht. Nur, dass es mehrere Artikel sind, die sich mit den Vorfällen in Köln beschäftigen.
Mir ist die Situation unangenehm. Ich will weitergehen.
Er sagt: „Das ist alles eine Sache der Erziehung.“
Ich sage: „ Ja, da stimme ich ihnen zu. Es ist Erziehungssache. Sozialisation, dass Männer in einer solchen Form Gewalt auf Frauen ausüben und das jeden Tag.“
„Die Deutschen müssten doch wissen, wie es in Marokko und Co. zugeht. Weltmeisterschaften usw. Die haben doch gesehen, wie die Männer dort mit Frauen umgehen.“
„Gewalt gegen Frauen existiert in jedem Land. Es ist keine Sache der Nationalität“, sage ich.
„In Deutschland war das vor 40 Jahren noch nicht möglich. Aber dann kommen sie in Horden mit ihrem Patriarchat und jetzt ist das auch in Deutschland in aller Öffentlichkeit möglich.“, sagt er.
Ich sage: „Ich sehe keine Horden die Deutschland überrennen und ich wohne in der Dortmunder Nordstadt.“
Er triumphierend: „Dort habe ich vor 20 Jahren gewohnt. Auf dem Nordmarkt findet Dienstags und Freitags ein Wochenmarkt statt. Dort habe ich eine Frau gesehen, verschleiert und im Kinderwagen ein 6-Jähriger Pascha.“ Er macht eine komische Geste dazu. Ähnelt eher einer nackten Frau, die sich räkelt. Ich bin irritiert.
„Alles die Erziehung fährt er fort. Ich bin Geologe. Ich interessiere mich für den Ursprung, die Entstehung. Die Genesis.“
Ich sage: „Na ja, aber beim Thema Erziehung wären Ihnen mit sozialwissenschaftlicher, sozialpsychologischer und psychologischer Literatur sicher besser geholfen.“
„Wieso? Das ist doch das gleiche. Es geht um Genesis.“
„Aber hier geht es nicht um die Entstehung von Gesteinsschichten sondern um Sozialisation.“
Ich solle ihn bitte ausreden lassen. WTF?!
„Ich habe in meiner Familie noch nie gehört, dass eine Frau vergewaltigt wurde. Wir kennen das aus meiner Heimat nicht.“
„Woher kommen sie?“
„Kroatien. Die vom Balkan und aus dem Orient kamen vor 40 Jahren nach Deutschland. In der Disko da hat einer ein Messer rausgeholt, um klarzumachen, dass das seine Frau sei. Jetzt stehen die Deutschen auch mit Stechmesser in der Disko. Und meine Frau, die ist Lehrerin. 20 Kinder in der Klasse und davon 18 Türken.“
Ich weiß nicht, wie mir geschieht. So viel Scheiße in so kurzer Zeit aus nur einem Mund. Ich versuche das Gespräch zu beenden.
Er redet weiter. „Ich bin auch dafür, dass alle hart bestraft werden und die Polizisten, die sollen alle Kameras tragen. Aber wer will das nicht? Wer? Ja, die linke Regierung.“
„Ja, die linke Regierung und die Türken sind Schuld – an allem.“ Er verzieht seine Augenbrauen und sieht aus wie eine fiese Comicfigur mit Cowboyhut und schwarzen Lederhandschuhen.
Guten Morgen!

Gewalt gegen Frauen ist (Staats-)grenzenlos

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Anonym

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Die sexuellen Übergriffe von Männer auf Frauen an Silvester schockieren mich – aber gleichzeitig verspüre ich ein dumpfes Gefühl wenn ich mich durch die Berichterstattung lese. Das Gefühl der Abgestumpftheit ist größer als der Schock über die Gewalttaten.

Alle Zeitungen berichten, mal mehr, mal weniger nach journalistischen Standards. In den Kommentarspalten wird an mancher Stelle diskutiert, aber in den meisten Fällen wird auf widerliche Weise gehetzt und die Menschen, die diese Hetze und Scheinheiligkeit nicht hinnehmen wollen, argumentieren gegen die fast durchweg rassistischen Kommentare anstatt ihre Zeit und Energie darauf zu verwenden, Ziele zu fassen, zu handeln, sich zusammenzuschließen und zu überlegen, was gegen Gewalt an Frauen getan werden kann.

Scheinheilig deshalb weil diese Gewalt an Frauen instrumentalisiert wird. Instrumentalisiert in und für die „Flüchtlingsdebatte“. „Die Frau, die geschützt werden muss. Die Frau, die nach außen geschützt werden muss. Die Frau, die vom weißen Mann vorm schwarzen Mann geschützt werden muss.“

In der Form instrumentalisiert, dass es den meisten Menschen, die sich gegen diese rassistische Logik zu Wehr setzen wollen fast unmöglich macht mit gutem Gewissen, mögliche Informationen zu den Tätern nachzugehen. Es ist wichtig zu wissen, wie die Männer aussahen, die die Frauen sexuell belästigt und Menschen am Kölner HBF bestohlen haben. Es ist für die Polizei wichtig, da sie die Vorfälle aufklären müssen. Für mich ist es auch wichtig, denn ich möchte der Sache auf den Grund gehen. Ich möchte erfahren, ob soziale Umstände der Grund sind, warum die genannten Gruppen stehlen. Hier geht es vielleicht weniger um Religion, Kultur und Ethnizität sondern um Soziale Ungleichheit und erschwerte Lebensbedingungen. Denn nach einer ersten Sichtung der Artikel liest es sich als ob die sexuellen Übergriffe Mittel zum Zweck waren. Der Zweck war Diebstahl.  Die sexuelle Belästigung für die Täter ein ‚positiver Nebeneffekt‘? Eine Taktik? Ich weiß es nicht, aber es ist wichtig dem nachzugehen.

Was ich aber weiß ist, dass diese Form der Gewalt gegen Frauen: begrapschen, umkreisen, bedrohen, einschüchtern, vergewaltigen – jeden Tag passiert. Ich will das Ausmaß, das sich an Silvester zugetragen hat nicht kleinreden, ganz im Gegenteil. Ich will nur deutlich machen, dass es jeder Frau passieren kann männliche Gewalt in ihren Facetten zu erfahren.

In meinen 24-Jahren wurde ich schon oft beschimpft. Einfach so oder weil ich meine Nummer nicht rausgeben wollte, weil ich mich gegen dumme Anmachen gewehrt habe. Ich wurde auf Konzerten, in Clubs oder in ähnlich großen Menschenmassen angefasst, an den Haaren, an der Schulter, am Po, zweimal zwischen die Beine. Mir sind auch schon mal ein paar Männer gefolgt, haben mir „Komplimente“ – und ebenso viel Angst gemacht. Sie hatten Spaß dabei.
Es gab schon viele solcher Vorfälle, wo fremde oder mir bekannte Männer mir Angst gemacht und/oder meine Grenzen überschritten haben. Und es waren Männer jeglichen Alters, Hautfarbe und Nationalität.

Was würde passieren, wenn alle Frauen jeden Tag bei jeder sexuellen Belästigung oder bei jedem sexuellen Übergriff Anzeige erstatten würden? Lasst es uns auf einen Versuch ankommen.

Ich kotze, wenn ich lesen muss, wie Menschen, die sich sonst nie aufschreien, wenn Frauen öffentlich von ihren Gewalterfahrungen berichten, die den Frauen wohlmöglich vorwerfen, dass sie selbst Schuld sind, was tragen sie auch ‚nen Minirocken und laufen so spät draußen rum oder ihre Erfahrungen relativieren („War doch nur Spaß“), sich als Verfechter*innen der Frauenrechte aufspielen.

Jetzt, wo es sich um eine Gruppe von Männer handelt, die „nordafrikanisch und/oder arabisch“ (dunklere Haut und dunkle Augen, oder was?) aussehen, schreit ihr auf? Berichtet in allen Zeitungen über männliche Gewalt? Und keine schafft es eine größere Debatte aufzumachen? Eine Debatte um Männergewalt ohne Alters- und Herkunftsgrenzen? Und nein, nicht alle Männer üben Gewalt an Frauen aus – aber ich halte es für nicht wegzudiskutieren, dass strukturelle Gewalt an Frauen von Männer begangen wird und ein riesiges Problem darstellt!

Es ist gut, dass die Frauen, die die sexuellen Übergriffe angezeigt haben, ernstgenommen werden, aber ihre Anzeigen dürfen nicht benutzt werden, um Rassismus zu nähren.

Ich möchte nichts relativieren, aber es handelt sich hierbei auch nicht um eine „Situation, die es so in Deutschland wohl noch nie gab“ (Focus, 05.01.2016, 07:42 Uhr von Kendra Stenzel).

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Linksammlung

 

Mädchenmannschaft:  http://maedchenmannschaft.net/zu-gewalt-legitimierender-gewalt/

Betül Ulusoy: https://www.facebook.com/betuel.ulusoy/posts/569454863208054?hc_location=ufi

Heise: http://www.heise.de/tp/artikel/47/47030/1.html

Netz gegen Nazis: http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/silvesternacht-k%C3%B6ln-organisiertes-verbrechen-nicht-enthemmte-fl%C3%BCchtlinge-10812

Anje Schrupp: https://www.fischundfleisch.com/anje-schrupp/die-gewalt-von-koeln-und-was-jetzt-zu-tun-ist-14437

Prinzessinnenreporter:  http://www.prinzessinnenreporter.de/silvester-in-koeln-einige-anmerkungen/

Menschenrechte.eu: http://menschenrechte.eu/index.php/meldung-im-detail/items/sexualstraftaten.html

 

Die Standardfrau von heute*

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von Frau Fuchs

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Bild: Frau Fuchs

 

Generell fällt es mir schwer in ein Bekleidungsgeschäft zu gehen, ohne dabei meinen Scannerblick auszuschalten. Stoffe, Nähte, Schnitte, ja die ganze Shopaufmachung ist für mich eine Frage der Ästhetik und selbstverständlich in jedem Fall Geschmackssache. Häufig ertappe ich mich dabei, wie ich aus lauter Enttäuschung über den eingeschränkten Spielraum, über den diese Unternehmen die gestalterische Variation ihrer saisonalen Kollektionen verfügen, den Laden wieder missmutig verlasse. Insbesondere, wenn dann im Herbst wieder diese übliche rassistische (wortwörtlich) Indigo-Gipsy-Chic-Bohemian-Western-Strömungen aufkeimen wie eine Plage, während wir im Frühjahr mit der Strenge der Marine beglückt werden. Ich frage mich, was da für Botschaften hinter stecken? Es ist schwer zu deuten, weshalb Herbst mit Fransen und Billigwildleder und Frühjahr mit Schifffahrt in Verbindung gebracht wird. Diese rostigen Erdfarben und diese Fransen an den Rollkragenponchos, ich frage mich, was das soll? Das erinnert mich eher an diese Strickpuppen, die meine Großmutter immer über ihre Toilettenpapierrollen gestülpt hat. Vor diesem Hintergrund ist ein zwischendrin aufploppender Turtleneck-Kragen ja wahrlich mal eine Innovation. Wer hat sich das ausgedacht? Die boyish jugendliche *Frau des Frühlings soll hochtailliert geschnittene blaue Hosen mit geringelten Shirts kombinieren, dazu am besten noch ein Item in purpur, dann ist das Konzept aufgegangen. Und im Hochsommer folgt dann das lässig verspielte Blumenmädchen: florale Muster überschwemmen die Schaufenster und Kleiderstangen. Divided will alle jungen *Frauen festivalhip einkleiden. Dazu gehören kurze, zerfranste Jeansshorts und irgendwelche weißen Baumwolltuniken mit Spitze, dann noch ein Kettchen mit der schützenden Hand, das Haar wird aufgepimpt mit einem Stoffblumen-Band. Ein niedliches Gesamtbild.
„Das ist ja auch süß“, sagt eine Frau zu ihrer Freundin beim Shoppingmarathon am Nachmittag während sie eine mintweiß floral gemusterte Bluse am Bügel vor sich hält. Oft denke ich: Ist das deren Ernst? Wollen diese Menschen wirklich DAS, was da für uns alle verfügbar an den Stangen hängt? Wenn etwas süß ist, frage ich mich, ob es zu mir passt. Will ich etwas tragen, was süß aussieht? Wieso würde ich so etwas an mir tragen wollen? Wie kann so etwas auf meine Mitmenschen wirken? Warum überhaupt muss ein Kleidungsstück „süß“ sein oder weshalb wird es als solches beurteilt? Kurzum: Nicht nur der Markt, der uns unsere Kleidung zur Verfügung stellt, agiert mit einer begrenzten gestalterischen Freiheit, sondern insbesondere wir, die Konsument*innen dieser Ware, sind doch weitestgehend abhängig von dem Material, was da ist. Und deshalb ist auch unsere Freiheit in diesem Bereich eingeschränkt.

Was wir anziehen sollen

Tja. Innerhalb dieser repetierenden Programmatik der Unternehmen komme ich daher mit meinem mageren Budget, meinem kritischen Auge und bin abhängig davon, bei ihnen den ein oder anderen Artikel käuflich zu erwerben, da eine Qualitätsstufe höher für manche textilen Spielereien einfach zu kostspielig und warentechnisch nicht unbedingt besser ist. Diese Abhängigkeitsstruktur machte mich immer schon latent wütend, denn ich will von niemandem angezogen werden, weil ich das schon selber kann und nicht aussehen will, wie alle. Nicht, weil ich auffallen möchte, sondern weil ich meinen eigenen Stil habe. Das war tatsächlich schon immer so.
Wenn ich mir die H&M-Frau des Winters anschaue, gruselt es mich sehr und ich habe ernsthafte Bedenken um ihre Gesundheit. Wie soll man denn mit einem Mantel, der nur dünn wattiert ist, durch einen Winter kommen, der einige Minusgrade auf der Agenda stehen hat? Leute, ich erwarte ja keine Daunen, um Himmels Willen. Aber was soll mir bitteschön eine Pflanzenfaserfüllung als wattierende Grundlage bei Schnee und Eis bringen? Mal ganz zu schweigen vom Obermaterial: Billig gepresste Wollabfälle, habe ich das Gefühl. Da kann ich auch gleich Bastelfilz zusammenbügeln.
Meine Empfehlung für den Kauf eines Wintermantels: Zuerst einmal Finger weg von (insbesondere H&M-) Onlineshops! Die Diskrepanz zwischen textiler Darstellung und textiler Realität ist immens. Beispiel H&M. Du musst die Faser auf der Haut spüren. Zumeist sehen nämlich Textilien auf Werbefotografien täuschend hochwertig aus und wenn du sie dann mal im Shop „live“ zu Gesicht bekommst und antastest, dann merkst du, wie kratzig und/oder aus welcher billigen Faser sie gefertigt sind. Dasselbe kann ich auch über Schnitte sagen. Ich bin mir sicher, dass ihr zwischenzeitlich wisst, welche Marken gute Schnitte für eure individuelle Körperform anbieten .
Seit geraumer Zeit wird dieses ominöse Lederimitat – aus Plastikmaterial gefertigt – verarbeitet. In Jacken (z. B. als ganze Ärmel oder als Rückenteil, ganz schlimm als Gürtelschlaufen bei khakifarbigen Trenchcoats), als Handtasche, für Schuhe (selbstverständlich sind auch die Schnürriemen aus umschichteten Plastik, sodass die Ösen bei regelmäßigem Gebrauch relativ schnell einreißen, so mutmaße ich). Das ist die Hölle. Auf Fotos sieht das ja alles immer ganz nett aus und ich befürworte den Austausch echter tierischer Materialien mithilfe neuer innovativer Textilien. Allerdings nicht, wenn dies aufgrund von Rationalisierungen finanzieller Natur geschieht, wie ich es beispielsweise H&M unterstellen würde. Mal ganz im Ernst: Was mutet ein Unternehmen einer*m (bezahlenden) Kund*in mit einer solch mangelhaften Ware zu? Genauso gut könnte man Plastiktüten einschmelzen und in die Form einer Prada-Handtasche bringen. Das greift wenigstens noch den Recyclingaspekt auf. Und in jedem Fall ist eine solche Tasche keine 40 Euro wert. Und eine Billig-Echtledertasche ist auch mit dieser miserablen Verarbeitung und der chemischen Belastung sowie vom Schnittkonzept ebenfalls moralisch und ästhetisch eine Schande. Da ist vieles mächtig schräg im System.
Ich möchte mich bitte nicht mit diesen Artikeln bekleiden. Und ja, das ist meine freie Entscheidung – ich muss es ja auch nicht – und tue es auch nicht (die Frage nach Alternativen lasse ich an dieser Stelle mal offen und verweise gerne auf „Second Hand“). Doch frage ich mich, ob nicht auch andere Konsumierende diese qualitative Minderwertigkeit bedauern? Ob es auch anderen keinen Spaß (mehr) macht sich mit diesen Mainstreamartikeln anzufreunden, besonders wenn sie – häufig in Anbetracht des Preises – derart billig produziert sind? Das kann einfach nicht der Ernst der produzierenden Firmen sein. Absurder Weise denke ich manchmal daran, was wohl die vielen Frauen und Kinder in Bangladesch, der Türkei oder sonst wo gedacht haben müssen, während sie diese Billigmaterialien an ihren Nähplätzen in der Fabrik zu weltweit verbreiteten Kleidungsstücken verarbeiteten.

Es lebe die Naturfaser.

Ich bin ein großer Freund von Naturfasern. Und von synthetischen Textilien mit einer Funktion (nein, sie sind alles andere als transpirationsfördernd und demzufolge unhygienisch! Die, von denen die Rede ist, sind grandios). Kleidung ist in jeglicher Hinsicht nach wie vor und zu allererst ein Zweckobjekt. Du trägst eine Jacke, damit sie dich warm und trocken hält, damit sie deine Körperwärme aufnimmt und speichert. Das geht sehr gut mit tierischen Fasern, weil diese einerseits wärmeleitend, aber andererseits auch feuchtigkeitsabsorbierend (hydrophob) sind. Ein Wollmantel bringt dich bei Regen in jedem Fall trocken(er) und wärmer nach Hause als eine (nichtimprägnierte) Baumwolljacke (ja, auch beim festen Stoff Jeans, wenn er nicht chemisch bearbeitet ist oder beschichtet). Demzufolge lohnt es sich, wenn möglich, für einen Wintermantel Geld zu investieren. Gleiches gilt für gutes Schuhwerk und für andere Grundlagen. Ich selber weiß, dass das oft leider nicht drin ist. Aber dann harre ich aus und investiere lieber in Qualität als in Plastik oder Billigleder (das wäre noch eine ganz andere Diskussion). Ist `ne ganz einfache und ziemlich platte Tatsache.
Der zweite Zweck von Kleidung ist ihre identitätsstiftende Wirkung. Unabhängig vom Geschlecht leitet man als Träger*in eines Kleidungsstückes automatisch eine Aussage weiter, auch wenn man es vielleicht gar nicht bewusst darauf abgesehen hatte. Sei es das Purpurrot eines Halstuches oder das Kremweiß eines enggeschnittenen Wollmantels: Es wirkt. Von Stofflichkeit über Schnitt bis hin zur individuellen Kleidsamkeit der Ware. Es macht etwas mit dir. Es formt dich. Oder du formst es, indem du es für dich nutzt. So kann man das auch sehen. Und genau aus diesem Grund ist Kleidung auch immer etwas sehr Privates, Persönliches, ja gar Intimes. Deshalb möchte ich aber umso weniger, dass mir Konzerne wie H&M oder Zara oder Esprit von außen da reinfunken, indem sie Trends diktieren und beeinflussen, wie ich zu sein habe. Als *Frau meines Alters, meiner Statur, meiner Herkunft. Ein schabloniertes Lebensraster. Klar, das kommt ja von ganz oben, den „echten“ Modemarken der Haute Couture. Ja, ich meine schon Chanel, Dior, Armani etc. und auf der nächsten Stufe diese ganzen Prêt-à-porter-Marken. Aber auch für diese unerreichbaren Dimensionen gilt: Inspiration gern, aber ich stelle das Gesamtkonzept für mich zusammen, danke für eure Hilfe. Für mich ist es so, dass Kleidung mein Selbst reflektiert, dass beide ineinander wirken wie eine Einheit . Und deshalb ist es auch wichtig zu fragen: Wenn alle das Gleiche tragen, sind dann auch alle innerlich gleich? Wenn Uniformierung und Mainstream von außen existiert, ist er dann auch von innen vorhanden? Die Frage ist, was gefällt uns und andersherum: Was soll und kann uns überhaupt gefallen bei dem bestehenden Angebot? Oder auch: Können wir überhaupt wissen, was uns auf persönlicher Ebene gefällt, wenn die bestehende Auswahl von außen begrenzt und auferlegt wird? Der Mensch als soziales Wesen braucht höchstwahrscheinlich im groben Rahmen seines Lebensumfeldes Standards um sich zu orientieren, zu identifizieren und einzuordnen. Gleiches gilt für die Beurteilung seiner Mitmenschen. Aus vielen Gründen ist Mainstream demzufolge ökonomisch und effektiv. Jedoch bleibt, dass jede*r entscheiden kann, was er*sie wann und wie für sich von den gegebenen Mitteln als Konsumierende*r in Anspruch nimmt.
Und verdammen möchte ich die Modeanbieter*innen auch nicht in Gänze. Schließlich bin ich selber Konsumierende, auch wenn ich dabei stets viele Kompromisse eingehen und lange Entscheidungskämpfe mit mir selber aushandeln muss. Natürlich gibt es Schlimmeres. Ich bin bloß der Meinung sich als mündige*r Bürger*in über diese unausgesprochenen Dynamiken und Regelsysteme bewusst zu werden. Gerade mit Blick auf Alltagsbanalitäten.
Ich freue mich jetzt schon auf das Frühjahr: Wenn *Damen mit ihren maritimen Stangenoutfits über die Straßen strömen und sich im Glanze dieses Images selbstbewusst fühlen können. Denn auch das kann Mode: Dich stark machen.

*Eine subjektive Meinung über die Qualität von Mainstreambekleidung

still loving the – one and only – f-word: Feminism

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von Tine

ohne Fusel

Immer wieder bin ich schockiert darüber, wie viel Unwissenheit über Feminismus in meinem sozialen Umfeld herrscht. Vermeintlicher Feminismus a lá Emma und Co. wird als verrückt oder übertrieben abgetan. FeministInnen seien bekloppte MännerhasserInnen und in Folge dessen bezeichnet mensch sich lieber als Anti-FeministIn – man sei schließlich für Gleichberechtigung, nicht für ein Matriarchat.
Ein Artikel auf Feminismus im Pott sprach vor wenigen Wochen ebenfalls diese Problematik an. Der Irrtum mancher Personen, Alice Schwarzer wäre die Ikone des Feminismus und das Missverstehen von dem eigentlichen Ziel des Feminismus: Gleichberechtigung.
Der Autor schrieb: „Der Feminismus wird als Ganzes, als homogene Masse begriffen, und nicht als heterogenes System aus zahlreichen Feminismen, die mitunter verschiedene und gegensätzliche Ansätze verfolgen.“

Aber ist nicht genau das das Problem, das so vielen Menschen erschwert, Feminismus zu begreifen und nicht als abstraktes, männerhassendes Etwas wahrzunehmen?

Feminismus ist sicherlich keine homogene Masse. Feminismus muss Menschen jeglicher Hautfarbe, Nationalität, Sexualität, Religion, Herkunft und körperlicher, sowie psychischer Verfassung und jeglichen Geschlechts umfassen. Er muss die Schnittpunkte verschiedener Diskriminierungsformen sichtbar machen und vor allem marginalisierten Gruppen ein Sprachrohr bieten.
Feminismus lebt von Diversität, allerdings halte ich die Aufsplitterung in verschiedene Feminismen für äußerst problematisch.

Zu sagen, Alice Schwarzer verkörpere mit ihrer Feindseligkeit gegenüber SexarbeiterInnen und ihrem bevormundendem Verhalten gegenüber verschleierten Frauen nicht MEINEN Feminismus, bedeutet, er könne für eine andere Person Feminismus bedeuten.
Ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* kann aber niemals feministisch sein. Genauso wenig ist eine weiße, westlich-geprägte Pauschalisierung aller Frauen* weltweit feministisch, sondern verkürzt und eindimensional.

Die Abstraktion des Feminismusbegriffs, welche durch die Schaffung verschiedener Feminismen entsteht, ist insofern gefährlich, da sie Diskriminierungsformen eine Plattform bietet, als Feminismus begriffen zu werden. Zudem erschwert es Personen, sich als feministisch zu identifizieren, da der Eindruck vermittelt werden kann, Diskriminierung und Ausschluss mancher Personengruppen sei in Ordnung.

Selbstverständlich gibt es verschiedene Diskriminierungsformen, die manche Personengruppen mehr betreffen als andere. Als westeuropäische, privilegierte Cis-Frau sollte ich mir besonders darüber im Klaren sein.

Was mir und allen anderen Personen, die sich als FeministInnen identifizieren, aber auch klar sein sollte: Ein Feminismus, der sich darüber nicht im Klarem ist und eventuell sogar bestimmte Personengruppen bevormundet oder diskriminiert, kann kein Feminismus sein. Um einen intersektionalen, anti-diskriminierenden Zugang zu finden, braucht es keine Zerstreuung in verschiedene Feminismen, sondern DEN einen starken, vereinenden Feminismus.

Dabei stellt sich die Frage, was DER Feminismus genau darstellt und wer die Definitionsmacht über ihn besitzt. Es wird immer Pluralismen in politischen Strömungen geben und meistens, wie beispielsweise im Marxismus, sind diese auch nichts Negatives, da Politisches vom Austausch miteinander lebt.
Es wäre utopisch, zu glauben, ein derartiger Pluralismus ließe sich überwinden. Nicht alle Personen in einer Bewegung können über dieselben Ansprüche und Bedürfnisse verfügen. Darüber ist sich auch Chandra T. Mohanty, eine der berühmtesten Feministinnen des postkolonialen globalen Südens, bewusst. Sie kritisierte stets die Idee des „global sisterhood“ als eine unmögliche Kategorie, da Frauen keine universelle Gruppe sind.

“What is problematical, then, about this kind of use of ‘women’ as a group, as a stable category of analysis, is that it assumes an ahistorical, universal unity between women based on a generalized notion of their subordination.“ (Mohanty 1984: 344)

Was Frauen aber als gemeinsame Gruppe schaffen können, um DEN Feminismus zu leben, ist eine bestimmte historische und politische Praxis in Form politischer Organisation, Diskussion und Vernetzung, um ein gemeinsames, feministisches Fundament zu entwickeln.

________________
Mohanty, Chandra Talpade (1984): Under Western Eyes: Feminist Scholarship and Colonial Discourse. In: On Humanism and the University I: The Discourse of Humanism. boundary 2, Vol. 12, No. 3, pp. 333-358.

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