Kommenden Samstag (09.09.17) findet in Berlin die Demo gegen Überwachung „Freiheit 4.0 – Rettet die Grundrechte!“ statt, um „ein Zeichen gegen die freiheitsfeindliche Politik der Großen Koalition“ zu setzen. Ab 12:00 Uhr beginnt das Fest der Grundrechte und um 14:00 Uhr geht die Demonstration los.
Die Demo wird von einem Hurenblock begleitet, in dem Aktivist*innen laut auf die Verletzung der Grundrechte von Sexarbeiter*innen durch das neue Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) hinweisen wollen. Chiara Fabri wird am Wochenende nach Berlin fahren und sich selbstredend dem Hurenblock am Samstag anschließen. Vorab hat sie ein kurzes Interview mit Charlie vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD e.V.) über ihre Arbeit und die Diskriminierung durch das ProstSchG geführt:Continue reading [Interview] – Mit Charlie (BesD e.V.) über den Hurenblock am 09.09.2017
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Sexarbeit – Positionierung Feminismus im Pott
Unsere Sprecher*innenposition ist geprägt davon, dass in unserem Team keine*r der Sexarbeit nachgeht oder sich als solche*r definiert. Unsere Position ist die als Unterstützerin, als Ally. Im Team beschäftigen sich manche aktivistisch als auch wissenschaftlich konkret wie peripher mit dem komplexen Sachfeld Sexarbeit/Prostitution. Darüber hinaus beruht unser kollektives Wissen auf den Berufserfahrungen einer Kollegin, die beratende und aufsuchende Arbeit im Feld der Sexarbeit geleistet hat. Deren Wissen speist das Wissen und die Positionierung von Feminismus im Pott.
Unser Verständnis von Sexarbeit orientiert sich an dem Selbstverständnis der Sexarbeiter*innen (siehe u.a. Open Letter von ICRSE 2015).
Die Sexarbeit ist als zweckdienlich zum Lohnerwerb zu betrachten; sie ist demnach zu bezahlende Dienstleistung bzw. zu entlohnende Arbeit. Sofern die Tätigkeit sexuelle Handlungen mit Körperkontakt beinhaltet, kann sie auch als kommerzialisierter Sex oder kommerzialisierte Sexualität bezeichnet werden; die Übergänge sind hier fließend. Sexarbeit ist eine unter erwachsenen Menschen einvernehmliche, verabredete sexuelle Dienstleistung gegen finanzielle und/oder materielle Entlohnung. Sexarbeit ist eine höchstpersönliche Dienstleistung. Über ihr Angebot entscheidet die*r Sexarbeiter*in selbst.
“Redefining Prostitution as Sex Work on the International Agenda. “The terms ’sex work‘ and ’sex worker‘ have been coined by sex workers themselves to redefine commercial sex, not as the social or psychological characteristic of a class of women, but as an income-generating activity or form of employment for women and men. As such it can be considered along with other forms of economic activity. An employment or labour perspective is a necessary, if not sufficient, condition for making sex work a part of the mainstream debate on human, women’s, and workers‘ rights at local, national and international level.“ (Bindman 1997, 2a. Redefining Prostitution as Sex Work)
Wir betrachten die Tätigkeit der Sexarbeit als eine Form der Erwerbstätigkeit und Existenzsicherung, die entkriminalisiert und, der eine rechtliche und gesellschaftliche Legitimität zugesprochen werden muss. Dabei stehen wir ein für eine freie Berufswahl, das Recht auf selbstbestimmte Sexualität und körperliche Selbstbestimmung, unter Anerkennung der Rechte und Grenzen des Gegenübers sowie Schutz personenbezogener Daten. Unsere Haltung ist sowohl politisch als auch feministisch orientiert, wobei wir uns entschieden gegen die (neo-)abolitionistische Position [1] und dem Verständnis des Radikalfeminismus (Selbstbezeichnung) zur Sache aussprechen.
Die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen sehen wir als Bestandteil von Sexualität, mit der bestimmte ressourcenorientierte Zugangsvoraussetzungen seitens der*s potentiellen Kund*in einhergehen; wie zum Beispiel monetäre, kommunikative, soziale oder mobile Ressourcen.
Das „Sexarbeiter*in-Sein“ ist keine sexuelle Identität.
Unsere Position ist dem Empowerment-Paradigma (Weitzer 2010) zuzuordnen. Dementsprechend gehen wir davon aus, dass sich erwachsene Menschen selbstbestimmt für die Ausübung von Sexarbeit entscheiden können und das Recht wie auch die Möglichkeiten geboten bekommen müssen, sich gegen das Anbieten sexueller Dienstleistungen zu erwehren.
Menschen, die mit Gewalt oder Nötigung zur Prostitution gezwungen werden, sehen sich vor Schwierigkeiten, auszusteigen, Kunden*innen abzulehnen, Praktiken oder Preise selbstbestimmt zu setzen und auszuhanden. Liegt zu einem Zeitpunkt keine Einvernehmlichkeit vor oder werden Verabredungen gebrochen, so besteht ein Straftatbestand nach dem §233 StGB, §177 StGB oder dem (derzeit noch) §1 ProstG.
Angebotene Sexdienstleistung aus einer akuten Notlage heraus wie bspw. die akute Finanzierung von Drogengebrauch, betrachten wir in der Frage nach sogenannter Freiwilligkeit oder Zwangslage als Grauzone.
In unserer Kritik an dem verabschiedeten ProstSchG, das am 01. Juli 2017 in Kraft tritt, beziehen wir uns auf sämtliche Stellungnahmen zwischen 2013 und 2016 des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD e.V.), des Bündnisses der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter e.V (bufaS e.V.), der Deutschen AidsHilfe, des Deutschen Juristinnenbund e.V. (djb), der Deutschen STI Gesellschaft (DSTIG), der Diakonie, Hydra e.V., des Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (KOK) und des Runden Tisches Prostitution NRW. Sowie des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter NRW (MGEPA) vorrangig in persona von Barbara Steffens (ehemalige Ministerin MGEPA) sowie Claudia Zimmermann-Schwartz (ehemalige Ministerialdirigentin MGEPA). Allesamt haben den Entwurf jeweils als erheblich gesetzeswidrig, praxisfern und als Gefahr für eine vulnerable, da stigmatisierte und sehr heterogene Personengruppen eingestuft. Schwachstellen des Gesetzesentwurfs wurden ebenfalls in der Empfehlung der Ausschüsse des Bundesrates in der Drucksache 156/1/16 formuliert.
Dabei wird von uns (wie von der öffentlichen Kritik der oben genannten Vertreter*innen) keinesfalls strukturelle Gewalt und Kriminalität geleugnet, die in den Segmenten der Sexarbeit durchaus vorgefunden werden können. Strategische Schlussfolgerung darf aber nicht Kriminalisierung und Kontrolle der Sexarbeiter*innen (und anderer Akteur*innen) durch ein ProstSchG, wie es derzeit ausgestaltet ist und Abhängigkeit von sogenannter verantwortlichen Behörden sein. Vielmehr erachten wir es als angemessen und wichtig, die Forderungen der Sexarbeiter*innen, die sich seit der Hurenbewegung vor und ab 1972/74 vielfach und global artikulier(t)en, aufzugreifen: Entkriminalisierung und Entstigmatisierung der Sexarbeit und der Sexarbeiter*innen.
Amnesty International hat es ähnlich und in vorbildlicher Weise in der Resolution 2015 begründet.
Außerdem würde aus liberaler- und queer-feministischer Perspektive eine pauschale Viktimisierung und das Absprechen von Entscheidungsfähigkeit aller Sexarbeiter*innen eine Entmündigung darstellen.
Als Gesellschaft befinden wir uns in einem neoliberalen kapitalistischen System, in dem der Körper und Körperleistung Kapital auf vielfache Weise darstellen. Das Grundprinzip des Tauschhandels einer (körperlich) sexuellen Dienstleistung gegen Entgelt ist in dieser Gesellschaft kapitalistisch geprägt; und anfällig für ausbeuterische Strukturen, Situationen oder Spiralen. Ökonomische Zwangslagen belasten und bedrohen vulnerable Personen(gruppen) und machen sie anfällig, in ausbeuterische Situationen, Strukturen oder Spiralen zu geraten oder sich bewusst in diese zu begeben.
Feministische Kapitalismuskritik zur Abschaffung von Prostitution, die aus welchem Grund auch immer nicht erbracht werden möchte muss möglich sein. Darüberhinaus müssen jedoch auch Allgemeinplätze wie Migrationspolitik, Reproduktionspolitik, Care-Arbeit, Grenzpolitik, Gleichberechtigung der Geschlechter, etc. interdisziplinär in kritische Betrachtung hinzugenommen werden. Alternative gesellschaftliche und soziale Systeme und Lösungskonzepte müssen gedacht, ausformuliert, diskutiert und probiert werden können ohne sich an der immer gleichen moralischen Debatte um Sexarbeit aufzuhängen und in ihr zu verharren.
Die im Kapitalismus vorherrschende Stigmatisierung von Sexarbeit muss überwunden werden. Während die Inanspruchnahme von Sexarbeit in breiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert ist, so ist die Ausübung von Sexarbeit verpönt und auch mit Ängsten vor sozialer Abgrenzung verbunden. Mitunter wird Sexarbeit von Menschen heimlich durchgeführt, mit Ängsten von einem Outing im eigenen sozialen Umfeld.
In unserer Gesellschaft werden Beleidigungen und abwertende Äußerungen (bspw. Nutte, Hurensohn) genutzt, die einen klaren und im Kontext negativen Bezug zu Sexarbeit herstellen.
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Wir beanspruchen keine Deutungshoheit. Wir sind diskussionsoffen in sämtliche Richtung und begrüßen den respektvollen Austausch und Diskurs.
Wir lehnen den radikalfeministischen Ansatz entschieden ab, sind aber bereit, sachlich zu diskutieren.
Wir behalten uns weiterhin vor, auf Diffamierung und Beschimpfung aller Art nicht einzugehen. Versuche, mit expliziten Schockbeispielen zu argumentieren, lassen wir auf dem von uns zur Verfügung gestellten Räumen und Plattformen nicht zu.
[1] Anmerkung: „Die (neo-)abolitionistische Position spricht sich für die Abschaffung von Prostitution aus und lehnt den Begriff „Sexarbeit“ kategorisch ab. Prostitution sei Ausdruck männliche Dominanz, Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen und keine freigewählte Erwerbstätigkeit. Sexarbeit sei konsequenter Ausdruck einer kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft.She works hard for the money – Dokumentation des Gottesdienst zum 41. Internationalen Hurentag in Bochum
von Chiara Fabri
Begrüßung durch Astrid Gabb, Madonna e.V.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Unterstützerinnen, ich begrüße Sie zum heutigen Gottesdienst im Namen der Beratungsstelle Madonna e.V., einer Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen hier in Bochum.
Mein Name ist Astrid Gabb und meine Kolleginnen und ich beraten seit vielen Jahren Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, aber auch Frauen, die in die Prostitution einsteigen wollen.
Das diesjährige Thema des Gottesdienstes ist „She works hard for the money“ – und dies kennzeichnet häufig die Situation der Frauen, die ihre eigene Existenz –wie alle Menschen- sichern müssen, aber häufig auch die ihrer Familien, ob hier oder im Ausland.
In diesem Jahr jährt sich der Internationale Hurentag zum 41. Mal. Am 2. Juni 1975 verschanzten sich Sexarbeiterinnen in einer Kirche in Lyon, Frankreich. Sie wollten zeigen, wie sehr sie der Willkür der Staatsmacht ausgeliefert sind, wie sehr sie Gewalt ständig begegnen. Sie suchten einen sicheren Ort, da sie immer wieder von ihren Arbeitsplätzen vertrieben wurden. Sie sollten nicht sichtbar sein.
Dies spiegelt sich auch in der aktuellen politischen Diskussion wider. Es wird derzeit ein sogenanntes Prostituiertenschutzgesetz diskutiert, welches 2017 in Kraft treten soll. Nicht diejenigen in der Prostitution, die das Gesetz betreffen wird, wurden gehört, sondern diejenigen, die Sexarbeit nicht sehen wollen, die die Menschen in der Sexarbeit nur zu Opfern machen wollen – anstatt ihre Stärke zu sehen, mit der sie unter teilweise sicher auch schwierigen Bedingungen ihren Unterhalt verdienen.
Den Lebensunterhalt in der Sexarbeit verdienen – für viele nicht vorstellbar, jedoch ebenso für viele Realität.
Auch heute lassen wir wieder die Frauen zu Wort kommen, indem wir für sie ihre Texte sprechen, ihren Arbeitsalltag erzählen. Indem wir zeigen, daß Sexarbeit Arbeit ist, die häufig nicht gesehen wird oder nicht gesehen werden will und doch meist als schlecht angesehen gilt.
Im Folgenden sind die vier Beiträge zu lesen,
die Einblicke in die Arbeits- und Lebensituation vierer Sexarbeiterinnen in der Stadt Bochum bieten:
Tag der Offenen Tür im Bordell – ein Interview
von Lilli Boheme und Chiara Fabri
Vor ziemlich genau einem Jahr veranstaltete das Bordell Secret Service in Arnsberg zum Internationalen Hurentag einen Tag der Offenen Tür, zu dem alle Interessierten eingeladen waren, hinter die Kulissen zu schauen und ein Bordell einmal von innen zu sehen.
Lilli Boheme und Chiara Fabri fuhren hin und verbrachten ihren Tag dort zusammen mit der Leiterin von Madonna e.V., der Betreiberin Kerstin, die sich für ein Gespräch zu dritt bereit erklärte (DANKE dafür), Sexarbeiterinnen, die dort arbeiten und arbeiteten, sowie Bekannte, die zu Besuch kamen. Auch ein paar wenige potenzielle Freier nutzen die Gunst des unverbindlichen Veranstaltungstages. Auch mit denen saßen Lilli und Chiara zusammen mit anderen der anwesenden Frauen im Kontaktzimmer und unterhielten sich – MainsPlaining vom Feinsten, aber darin sind wir alle ja mächtig geschult. Die Küche war den weiblichen Besucherinnen vorbehalten. Und dort war es richtig spannend. Eine angenehme Atmosphäre voll von Sex, Liebe, Arbeit, Feminismus – pardon FeminismEN 😉 – Dessous, Essen und alltägliches Genörgel. Herrliche Kantinenstimmung mit frechem und klugen und sanften Mundwerken und Köpfen!
Im Folgenden drucken wir das Interview mit der Betreiberin ab.
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Der Tag der offenen Tür findet heute zum ersten Mal statt. Wie bist auf die Idee gekommen?
Durch eine Kollegin. Sie sagte mir, dass wir demnächst den 40. Internationalen Hurentag haben und ich fand es eine gute Idee etwas zum Thema zu planen.
Und was versprichst du dir davon?
Aufklärung. Die Menschen haben einfach ein falsches Bild von dieser Branche und die sind weit von der Realität entfernt. Ich wünsche mir dass die Leute sich hier einfinden und versuchen sich ein eigenes Bild zu machen. Continue reading Tag der Offenen Tür im Bordell – ein Interview