von Katja Sabisch
Am Montag habe ich eine E-Mail von der Redaktion der Sendung „hart aber fair“ bekommen. Ich solle als Expertin im „Faktencheck“ dabei sein, der nach der Sendung offen gebliebene Fragen aus einer wissenschaftlichen Perspektive beantwortet. Es ginge um Gender und da sei man auf mich gekommen. Ich bin nett und ich bin mir für nichts zu schade, also habe ich den Herrn angerufen und zugesagt. In Zeiten des Genderwahns ist Öffentlichkeitsarbeit doch richtig und wichtig, finde ich. Oder um es mit Harald Martenstein zu formulieren: Auch Genderwahn sollte differenziert betrachtet werden. Als ich dann am Telefon gehört habe, wer alles über Unisex-Toiletten und Ampelmännchen diskutieren wird, wurde mir doch etwas schummrig. Die arme Anne. Die muss sich was von der Thomalla über Brüste anhören. Der arme Hofreiter. Der muss sich vom Kubicki was über Haare anhören.
Abends habe ich dann zugegebenermaßen schweren Herzens von den Geissens auf die ARD umgeschaltet und das bitter bereuen müssen. Herr Plasberg begann mit diskreditierenden Bemerkungen über die Gender Studies, von denen er offenkundig noch nie etwas gehört hat. Sonst hätte er bestimmt nicht Frau Thomalla nach Ihrer Meinung zur sozialen Konstruktion von Wirklichkeit durch Sprache und die damit einhergehenden Exklusionen gefragt. Die hat gelacht und gesagt, dass sei Schwachsinn. Es ist schon bemerkenswert, wie fast 200 Jahre Philosophiegeschichte mit einem Lipgloss-Lächeln vom Tisch gefegt werden können. Aber sei’s drum. Es gibt ja in dem „hart aber fair“-Format noch ein paar Einspieler, die die Unkenntnis des Moderators wieder wettmachen können. Und auch da habe ich mich getäuscht. Die Redaktion hat sich mit Mario Barth-Manier auf das Thema Gleichstellung gestürzt. Ich bin davon überzeugt, dass die MitarbeiterInnen um mehrere Fässchen Kölsch gewettet haben, wem die blödesten Beispiele zum Genderwahn einfallen. Chapeau, liebe Redaktion! Ihr habt es geschafft, nicht nur die Gender Studies, sondern auch das vermeintliche Qualitätsfernsehen vorzuführen.
Dabei ist alles so einfach und leider gar nicht aufregend: Gender Studies sind eine Forschungsperspektive. Sie erweitern den wissenschaftlichen Blick einzelner Disziplinen wie Sozialwissenschaft, Medienwissenschaft, Medizin, Geschichts- oder Rechtswissenschaft, indem sie der Kategorie Geschlecht einen zentralen analytischen Stellenwert einräumen. Es gibt unzählige Beispiele, die den Sinn und die Relevanz der Gender Studies unterstreichen. Zu nennen wären da die bahnbrechenden soziologischen Arbeiten von Regina Becker-Schmidt aus den 1980er Jahren, die erstmals die Problematik der „doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ empirisch erforschten – heute firmiert das Ganze unter der Überschrift „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Davon hatte man damals noch nicht viel gehört. In den 1990er Jahren wurde die Debatte über die soziale Ungleichheit durch philosophische Einsichten ergänzt: Judith Butler veröffentlichte ihr umstrittenes Buch „Gender Trouble“ – ein Plädoyer für ein Denken der Differenz, ich liebe es. Denn wie schon Birgit-mach-die-Bluse-zu-Kelle so richtig sagte: Frau ist nicht gleich Frau. Es gibt keine gemeinsame Weiblichkeit, Geschlecht ist intersektional verfasst – auch, wenn Herr Kubicki das anders sieht. Aufzuzählen sind zudem die empirischen Studien zu Gewalt. Ursula Müller startete 2002 eine Repräsentativuntersuchung zu „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit“ von Frauen – und kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass 40% der in Deutschland lebenden Frauen bereits sexualisierte und/oder körperliche Gewalt erlebt haben. Dass allerdings Männer die eigentlichen Opfer dieser Befunde sind, hat Sophia Thomalla eindrücklich an einem Beispiel aus den USA darlegen können. Ich meine mich zu erinnern, dass sie etwas über einen Fahrstuhl berichtete, traue mich aber nicht in die Mediathek von „hart aber fair“. Die Frage, warum es so wenig Frauen in Führungspositionen gibt, hat Carsten Wippermann 2012 untersucht. Er kommt zu dem Schluss, dass die „Hüter der gläsernen Decke“ massive informelle Bollwerke gegen Führungsfrauen auffahren. Es liegt also doch nicht daran, Herr Kubicki, dass Frauen eine schlechtere Ausbildung haben. Fragen Sie Herrn Wippermann.
Nun handelt es sich bei meiner Aufzählung um Schlaglichter, die keinesfalls die Bandbreite der Genderforschung abbilden. Aber mal ehrlich: Wenn ich zu dem Thema Gleichheitswahn recherchiere und nicht mal in die Nähe einer ordentlichen Studie gerate, ist auch das bemerkenswert. Nach der Sendung saß ich also etwas verdattert vorm Fernseher. An die Geissens war nicht mehr zu denken. Ich hatte Angst vor den Faktencheck-Fragen – womöglich werden die ja von dem ahnungslosen Moderator selbst formuliert? Dann müsste ich die ganze Nacht am Rechner sitzen. Also habe ich etwas getan, was ich selten tue: Ich habe „nein“ gesagt. Mach ich nicht. Googelt Euch Eure Fakten lieber selbst. Und als Entschuldigung für die verpassten Geissens bekomme ich ein Fässchen Kölsch.