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Also gut, dann lasst uns über Angst reden.

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 von Svenja Gräfen {mit Zustimmung reblogged}

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Bild: http://svenjagraefen.de/

Als es plötzlich die AfD gab, hatte ich Angst.

Als das mit Pegida losging, hatte ich Angst.

Als der rechtsextreme Terror gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte immer stärker wurde, hatte ich Angst.

Als ich neulich spätabends allein auf dem Heimweg war, hatte ich auch Angst. Ich habe auch öfter mal Angst, eine Migräneattacke zu kriegen. Ich habe, so scheint es, relativ häufig Angst vor dem ein oder anderen. Angst ist also relativ normal, nehme ich an? Ja? Daher auch diese besorgten Bürger_innen, hieß es im Dezember 2014 noch. Die haben halt Angst. Die Politik hat da versagt. Man müsse sie ernst nehmen. Sie und ihre Sorgen und Ängste.

Und ja. Ernst nehmen muss man sie. Schätzungsweise aber aus anderen Gründen. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Angst da noch im Spiel ist. Ich habe eher das Gefühl, dass diese Angst, woher auch immer sie zu Beginn gekommen sein mag, längst mutiert ist. Es gibt jetzt bloß noch Hass. Hass auf ›Fremde‹, Hass auf die Regierung, Hass auf die Lügenpresse, Hass auf die ›linksgrünversifften‹ Gutmenschen. Über Angst ließe sich sprechen. Wer hasst, wer wütend ist, wer sich so sehr hineingesteigert hat, der_die redet nicht mehr. Und sowieso nicht mit der Lügenpresse. Oder den linksgrünversifften…usw.

Ich habe seit heute eine neue Angst, und zwar Angst vor der Bundestagswahl. Überraschung! So traurig es auch ist, aber damit habe ich fest gerechnet. Heute Morgen, Info aus der Slam Poet_innen-Gruppe bei Facebook: der größte Kritiker, der einen Haufen Mumpitz über Slam geschrieben und dem es immer an »politischen Inhalten« gefehlt hat – Boris Preckwitz – ist Beisitzer der AfD in Berlin. Mitglied ist er seit 2013. Unter anderem hat er 2014 das Arbeitsstipendium für Schriftsteller_innen des Berliner Senats bekommen. Ganz normal. Er betreibt einen Blog, auf dem er ›neurechte‹ Lyrik veröffentlicht.

Dann, die letzten paar Stunden: Wahlergebnisse aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt. Ein Telefonat mit einer Freundin, die bis vor ein paar Tagen noch in Calais war. Gerade, vorhin, die Eilmeldung zum Attentat in Ankara. Und eigentlich wollte ich noch ein paar Texte für meine Bachelorarbeit lesen und dann Abendessen kochen. Wie furchtbar banal. »Ist es nicht komisch, dass jetzt nicht gleich alle so ausrasten wie bei Paris?«, fragt eine Freundin in einem Gruppenchat. »Das falsche Wir-Gefühl«, antwortet eine andere.

Das macht alles Angst. Ein falsches Wir-Gefühl. Ich frage mich, ob Wir-Gefühl überhaupt so gut sein kann, jemals, wenn es sich auf all in all relativ homogene Personengruppen bezieht. Ob Wir-Gefühl in diesem Land so gut sein kann.

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie alt ich war, als ich zum ersten Mal bewusst von NS-Deutschland hörte und von Hitler. Nicht mal an die konkrete Situation kann ich mich erinnern. Ich weiß aber noch, dass es mir Angst machte. Ich wollte Erklärungen, wie es soweit kommen konnte. In meiner Erinnerung fehlt, wer mir damals Antworten gab. Meine Eltern, Lehrer_innen? Auf jeden Fall waren diese Antworten beruhigend. So was passiert nicht mehr. Keine Sorge. Klar, leider gibt es noch Rassist_innen. Aber nie wieder so viele. Nie wieder wird das Gleichgewicht so sehr kippen. So sehr nach rechts, nein. Wir haben alle gelernt, wir lernen immer noch, wir sind aufgeklärt, wir meint: die Mehrheit.

Die Mehrheit interessiert sich heute nicht dafür, dass seit Monaten beinahe täglich Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte verübt werden.

Noch so eine Sache: Irgendwer sagte mir mal, »damals, Rockstock Lichtenhagen, Solingen und so, da wusste man irgendwann: Okay, was passiert, ist nicht gut. Es gab die eine Seite und die andere. Es gab eine Eskalation, es war furchtbar, aber es wurde ganz klar verurteilt.«

Ich kann dazu nichts sagen (weil ich es ›damals‹ aus Gründen nicht mitbekommen habe). Ich kann aber sagen: falls es damals so war, heute ist es definitiv anders. Rohrbomben scheinen en vogue zu sein. Oder zumindest salonfähig. Nicht nur »Ich bin kein Nazi, aber« ist salonfähig. Sondern auch rechter Terror. Gewalt. Ich kotze, wenn ich noch einen einzigen Artikel zu einem solchen Anschlag lese, in dem steht, dass ein rechtsradikaler oder fremdenfeindlicher Hintergrund geprüft werde.

Ich muss sagen, dass ich in all meiner Angst noch ungeheuer privilegiert bin. Mein Name klingt ziemlich deutsch. Ich werde als heterosexuelle Cis-Frau wahrgenommen. Und ich bin weiß. Wenn schon ich Angst habe, was ist dann bitte mit all jenen, die diese Privilegien nicht haben? Die nicht bloß Angst vor Entwicklungen haben, vor dem, was passiert, was womöglich passieren wird – sondern dazu auch noch Angst um ihre Sicherheit, um ihr Leben? Die Angst haben müssen, wenn sie draußen unterwegs sind?

Sieht so die Utopie derjenigen aus, die heute die AfD gewählt haben? Oder die NPD? Derjenigen, die gestern in Berlin aufmarschiert sind? Angst als Dauerzustand – aber bei ›den anderen‹? Grenzen dicht, niemand ›Fremdes‹ mehr ins Land lassen – was ist mit denen, die in deren Augen ›fremd‹, aber schon im Land sind? Sieht die Utopie so aus:

Alkoholiker_innen und psychisch Kranke in Gefängnissen statt in Therapie, staatlich kontrolliertes Fernsehen und Radio, kein Recht auf Abtreibung, keine Frauenquote, keine Gleichstellung, dafür aber Militärausbau? Liebe ach-so-besorgten Bürger_innen, die ihr womöglich Angst davor habt, dass euch etwas weggenommen wird: did you fucking get it? Kaum Sozialleistungen. Keine Sozialversicherungssysteme. Keine Arbeitslosenversicherung. Ach so, das sind übrigens keine Horrorvorstellungen, das sind sehr reale Fakten aus dem AfD-Programmentwurf.

Was ist los mit denen? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es einfach nicht. Ich zermatere mir das Hirn, bis es raucht, es nützt nichts. Ich frage mich bloß, ob ich überhaupt ›von denen‹ sprechen kann. Sollte. Ob diese Distanz irgendetwas bringt. Ob Vergleiche irgendetwas bringen, Vergleiche mit ›damals‹, Vergleiche mit Hitler.

Dass wir nicht mehr diskutieren müssen, ob AfD-Wähler_innen nun dumm sind, ist klar. Sie sind es nicht. Vielleicht kennen nicht alle das komplette Wahlprogramm. Vielleicht sind einige auch tatsächlich nicht besonders intelligent oder gebildet. Well! Der Großteil der AfD-Wähler_innen – ich wage folgende These – wählt die AfD nicht OBWOHL, sondern WEIL sie ein rassistisches, menschenfeindliches Programm bietet. Es sind nicht nur irgendwelche Nazis in Sachsen-Anhalt. Es ist nicht nur der ›untere Rand‹ der Gesellschaft. Es sind Akademiker_innen, Arme, Reiche, Arbeiter_innen, Wissenschaftler_innen, Journalist_innen, Familienväter und -mütter, es sind Leute, die heute zum Sonntagsfrühstück ein Ei gegessen haben, die Multivitaminsaft lieber mögen als Orangensaft oder andersrum, die sich auch allmählich den Frühling herbeiwünschen, kurz gesagt: es sind Leute, ganz normale Leute, ganz unspektakuläre Leute, mitunter vielleicht in irgendeiner Hinsicht besondere, es sind Leute wie, so heißt es doch so schön, du und ich. Es geht nicht nur um irgendwelche Arschlöcher, die Rohrbomben vor Geflüchtetenunterkünften zünden. Wir können nicht sagen: Ach, das sind DIE. Die in diesem oder jenen Ort, von dem ich vorher nie gehört habe. Die in diesem oder jenen Bundesland, mit dem ich nix am Hut habe.

Ich weiß nicht, wie damit umgegangen werden soll. Ich habe keinen Vorschlag. Es gibt AfD-kritische Beiträge in den großen Medien, bei ARD und ZDF, in der ZEIT, sogar die BILD schreibt heute, dass die AfD Deutschland schocke. Wie aber Menschen erreichen, die davon überzeugt sind, es gibt bloß die Lügenpresse? There is no fucking way. Heute Nachmittag habe ich einen Text gelesen, in dem die Autorin darüber berichtet, wie sie »undercover auf Dunkelfacebook«, das bedeutet, in einschlägigen ›Besorgte Bürger_innen aka Rassist_innen’-Gruppen unterwegs war, und wie ihr bzw. ihrem Fakeprofil dort sofort ganz generell und vieles anvertraut wurde. Ist sie das, diese Angst vor dem ›Fremden‹?

Ich habe Angst, und ich hatte schon öfter mal Angst. Und bei all dieser Angst, bei all dem Übel hat mir immer ein Gedanke geholfen. Zum Beispiel wenn es um mächtige, entscheidungstreffende Menschen ging. Da dachte ich dann: Am Ende ist das eben auch bloß ein Mensch. Eine ganz normale Person, die mal Durchfall hat und es vielleicht nicht rechtzeitig zur Toilette schafft. Deren Kopf von Zeit zu Zeit auch zu zerplatzen droht von zu viel Input, die sich dann auch bloß noch auf die Couch werfen will, ein Bier oder eine heiße Schokolade dazu. Die auch nie und nimmer den kompletten Durchblick haben kann über alles, was so abgeht auf diesem Planeten. Den Gedanken fand ich immer beruhigend. Es gibt keine Übermenschen, die mit Über-Hirn und Über-Blick ausgestattet sind und alle Fäden ganz allein in der Hand haben. Ich verrate noch ein Geheimnis: Es nahm mir immer so ein bisschen die Angst, wenn ich mir besonders schlimme Personen – eine Zeit lang häufiger George W. Bush, momentan beispielsweise Trump, Petry, von Storch – beim Kacken vorstellte. Keine Ahnung, welche Logik ich dahinter sah, denn alle Menschen kacken, also auch Arschlöcher (no pun intended), Mörder_innen, Rassist_innen. Und diese Tatsache macht sie nicht zu besseren – menschlicheren – Menschen.

Inzwischen weiß ich nicht mehr, was oder wen ich mir bei was vorstellen soll, um mir die Angst zu nehmen. Ich glaube, darum geht es auch gar nicht mehr. Die Angst ist (jetzt, seit Langem) halt da. Es geht darum, wie man diese Angst nun davon abhält, in Hass zu mutieren. Ich glaube, das ist wichtig. Und ich weiß, auch hassen ist manchmal wichtig. Ich hasse zum Beispiel all diejenigen, die heute große braune Scheiße gewählt haben. Aber ich will nicht so sehr hassen wie sie. Denn anscheinend bedeutet das den Verlust jeglicher Menschlichkeit.

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Zwanzig Jahre später

Zwanzig Jahre später published on 2 Kommentare zu Zwanzig Jahre später

von VJ Ane

Ich glaub ich war drei oder vier Jahre alt, damals, und so ganz verstand ich das noch nicht, was meine Mutter mir da erzählt. Sie saß mit mir an unserem großen Küchentisch und hatte vor sich ein Bilderbuch. Drauf stand in großen Buchstaben „Mein Körper gehört mir.“

Meine Mutter schaute sich mit mir das Buch zusammen an und eines, was sie mir dann ganz eindringlich sagte war „Mit deinem Gefühl hast du meistens recht. Hör darauf. Wenn du Angst hast, dann darfst du Angst haben. Wenn du dich unwohl fühlst, dann darfst du dich unwohl fühlen.“ Sie machte mir klar, dass ich nicht auf andere, sondern erstmal auf mich hören sollte. Und noch etwas war ihr wichtig: „Wenn du in einer Situation bist, in der du genau das fühlst, dann geh da raus. Wenn du das nicht kannst, dann suche dir Hilfe. Sprich jemanden an, dass er dir hilft. Schau am besten nach jemanden, der dir ähnlich ist.“ Sie meinte damit z.B. Eltern, die auch Kinder hatten.

Ich würde mich selbst nicht als schüchtern, auf den Mund gefallen oder zurückhaltend beschreiben. Ich bin selbstbewusst und strahle dies eigentlich auch aus. Ich bin kein Model, sondern ganz durchschnittlich. Eine normale Studentin um die zwanzig.

Letztes Jahr machte ich mein Praktikum in einer größeren Stadt. Ich war erst seit zwei Wochen dort und um genau ein bisschen an den Modelmaßen zu arbeiten, entschied ich mich dazu öfters mal schwimmen zu gehen. In Sportklamotten machte ich mich also auf den Weg zum Schwimmbad, was so um die 5 Haltestellen von meiner WG entfernt war. Von der Haltestelle selbst musste ich noch ein bisschen laufen. Im Schwimmbad angekommen streifte ich meinen schlichten Badeanzug über und zog ein paar Bahnen. Nach einiger Zeit drehte ich mich zur Seite, am Arm wurde ich gestreift. Ein Mann mittleren Alters schwamm an mir vorbei. „Ach, das passiert ja mal“, dachte ich noch und konzentrierte mich wieder auf mein eigenes Bahnen zählen. Doch ich fühlte mich nach einiger Zeit unwohl, ich kann gar nicht sagen warum, aber ich hatte einfach das Gefühl, dass ich beobachtet werde. „Nein, stell dich nicht so an, der arme Kerl, was unterstellst du da“, ging es mir durch den Kopf. Und doch nach weiteren fünf Minuten, nachdem ich wieder zwei Mal gestreift wurde, nahm ich mir den ersten Rat meiner Mutter zu Herzen und begab mich aus der Situation; nach nur 20 Minuten schwimmen verließ ich das Becken und ging zu den Umkleiden. Nur um dann beim Rückblicken festzustellen, dass auch der Herr, welcher noch nach mir gekommen war, das Becken verließ.Continue reading Zwanzig Jahre später

Von Mösen, Menschen und ganz viel Meinungsfreude – über das BarCamp Frauen 2016 in Berlin

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  von Susanne Klose

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Laura Mérit & Polly Fannlaf – sexpositives Körperbewusstsein (c) Anne Koch

„Wir klopfen uns jetzt erstmal ab“ – ein Satz, den man nicht unbedingt in einem feministischen Workshop erwartet, der aber im Nachhinein sehr viel Sinn macht. Also stehe ich auf, zusammen mit rund 50 weiteren Teilnehmer*innen. Und klopfe. Arme, Beine, Brüste, Hintern, einfach alles. Ich schaue mich um, überall sehe ich lachende, kichernde, aufgeschlossene Menschen. Und auch ich kichere ein bisschen. Nach etwa fünf Minuten ist jegliches Eis in mir und zwischen den anderen weggeklopft – hello, safe space! Genau das wollten Laura Méritt und Polly Fannlaf vom Freudenfluss-Netzwerk mit ihrer Session zu „Sex-positiver Feminismus heute“ auf dem diesjährigen Barcamp Frauen in Berlin erreichen: Die positive Annäherung an den eigenen Körper – ein essentielles Anliegen der Freund*innen des freudigen Flusses, die auch dieses Jahr wieder zum Mösenmonat März aufrufen.

 

Der einstündige Austausch über body-positive Sprache ist nur einer von 21 einstündigen Miniworkshops, die das BarCamp Frauen unter dem Motto „Gemeinsam. Zusammen. Leben“ dieses Jahr in der Kalkscheune in Berlin zu bieten hatte. Zum ersten Mal fand das Camp 2010 statt, organisiert „von engagierten jungen Sozialdemokratinnen, die der Geschlechterpolitik ihrer Partei ein Update geben wollen“, heißt es auf der Website des Camps. Dank der Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung und Kooperationspartnern wie EDITION F und dem Missy Magazine ist die Veranstaltung komplett kostenfrei, inklusive Verpflegung (auch vegan!) und Kinderbetreuung. Hell, yeah. Man kann es nicht anders sagen.

VerenaPärchenlüge
Verena – Pärchenlüge (c) Anne Koch

            Wer jedoch ein starres Konzept mit Frontalunterricht erwartet, ist hier falsch. Völlig falsch. Ein Glück. Denn fest steht, dass nichts fest steht: Jede*r kann, darf, soll hier eine Session gestalten – wenn sich genug Interessent*innen finden. Das ist bei knapp 500 Teilnehmer*innen dieses Jahr kein Problem. Aufgeteilt in drei große Blöcke mit jeweils einer einstündigen Pause findet sich so ein buntes, wildes, wunderschönes Programm. Wer mag, kann mit Tarik von „Tariks Genderkrise“ diskutieren, kleine Roboter bauen oder einer Lesung aus „50 shades of Merkel“ von und mit Autorin Julia Schramm lauschen.

TeresaOnOfflineFeminismus
Teresa – Online Offline Feminismus (c) Anne Koch

            Schweren Herzens – denn alle Sessions hören sich toll an – entscheide ich mich nach dem mösenfreundlichen Morgen für „Neue Strategien für Online- und Offline-Feminismus“ von Teresa Bücker. Die engagierte Journalistin hält eine kurze Einführung zum Thema. Mit Kind im Arm. Die ganze Session über. Chapeau. Die anschließende Diskussion ist vielfältig, streitbar, aber nie respektlos. Das macht Spaß, die Stunde fliegt förmlich dahin. In einem sind sich alle Teilnehmer*innen einig: Unterschiedliche Meinungen muss man aushalten können – zwischen Lobbyist*in und Aktivist*in, zwischen First Wave-Feminist*in und Online-Feminist*in. Ohne Konflikte kein fruchtbarer Diskurs.

            Es folgt: Törtchenpause. Speed-Socializing. Und dann die nächste Session. „Die Pärchenlüge“. Moderatorin Verena Reygers erklärt unter zu Einbezug von Autorinnen wie Laurie Penny wie schwer es ist, das Gleichgewicht zu finden – zwischen der Beziehung zu einer anderen Person, den Beziehungen zu Freunden, Familie und vor allem der Beziehung zu sich selbst. Die Session ist sehr persönlich, denn Verena erzählt viel aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz. Das ist mutig. Und vor allem wunderbar. Die meisten Teilnehmer*innen erkennen sich selbst oder Freund*innen in Verenas Ausführungen wieder. Langsam kristallisiert sich heraus, dass viele Teilnehmer*innen den Kampf gegen traditionelle Rollenmuster kennen, die vor allem dann in der staubigen Ecke lauern, wenn sich das erste Kind ankündigt. Das Private ist immer noch politisch, muss immer wieder neu verhandelt werden. Und auch diesmal fliegt der Zeiger der Uhr förmlich.

FotovonAnne Koch
BarCamp Berlin 2016 (c) Anne Koch

            Es ist schwierig, ein einziges Fazit aus einer so heterogenen Veranstaltung zu ziehen. Mir hat besonders der lockere, nicht-statische Rahmen innerhalb der Sessions gefallen. Jeder darf sich beteiligen, niemand muss. Zu sehen, dass viele Teilnehmer*innen ähnliche Konflikte und Fragen wie mich bewegen, war besonders ermutigend: Wie kann ich body-positiv sein, in einer körperfeindlichen Gesellschaft, die alles abseits des westlichen Mainstreams stigmatisiert? Wie schaffe ich es, ein Gleichgewicht in meiner Beziehung zu schaffen, ohne die Zeit, die ich nur für mich selber brauche, zu opfern oder in traditionelle Geschlechterrollen zu fallen. Viele Fragen, keine Antwort. Aber eine sehr wichtige Erkenntnis: Wir sind nicht allein.

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Du warst auch beim BarCamp Berlin 2016 und magst davon berichten? Sehr gern. Schreibe uns einfach an. info@feminismus-im-pott.de

„Nach Köln“ – Bundesweite Demo für einen antirassistischen Feminismus – ein Kommentar

„Nach Köln“ – Bundesweite Demo für einen antirassistischen Feminismus – ein Kommentar published on Keine Kommentare zu „Nach Köln“ – Bundesweite Demo für einen antirassistischen Feminismus – ein Kommentar

von Eva Busch

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Seit den ersten Januartagen dieses Jahres hören wir es immer wieder: „nach Köln“ sei alles anders, der Beweis sei da, dass die Flüchtlingspolitik der Regierung und die „Willkommenskultur“ zu optimistisch waren. Die Grenzen müssten dicht gemacht und die „deutschen“ Frauen durch Abschiebungen geflüchteter Menschen und durch Patrouillen selbsternannter, halbstarker Bürgerwehren beschützt werden.

„Nach Köln“ bezeichnet von da an eine Entwicklung innerhalb öffentlicher Diskurse, in der rassistische Hetze nicht nur salonfähig geworden ist, sondern gezielt unter dem Vorwand des vermeintlichen Schutzes „deutscher“ Frauen verbreitet wird. Dass das so nicht sein darf, war in emanzipatorischen, feministischen Kreisen schnell klar. Die Verunsicherung im Januar war dennoch an vielen Stellen groß. Die Diskurse hatten sich so sehr überschlagen, dass vielen Feminist*innen die Worte fehlten, aus der Sorge, entweder die stattgefundenen sexualisierten Übergriffe nicht ausreichend anzuerkennen, oder selbst einer rassistische Argumentation zuzuspielen.

Die Wut, in den unsäglichen Debatten dermaßen instrumentalisiert zu werden war demnach Ausgangspunkt für ein großes, breit aufgestelltes Bündnis aus autonomen migrantischen und nicht-migrantischen Frauen*organisationen, feministischen Initiativen sowie antifaschistischen, antikapitalistischen und antirassistischen Gruppen aus Köln und NRW, anlässlich des Weltfrauen*tags 2016 für eine bundesweite Demonstration nach Köln einzuladen.

„I can`t imagine a feminism that is not anti-racist.“ Die Worte von Angela Davis waren auch am Tag der Demonstration auf zahlreichen Plakaten präsent. Eine emanzipatorische feministische Bewegung muss antirassistisch sein und hat mit ihrer Präsenz am Samstag bewiesen, mit welcher Kraft und Klarheit sie genau das vertritt. Es wurde eine Wiederaneignung des Feminismus und auch die Wiederaneignung eines städtischen Raumes. Ein lauter, gut vierstündiger Spaziergang durch die Straßen der Kölner Innenstadt, der mal mehr Tanz und Konfetti war, aber auch konzentrierte Kundgebung, mal rennend und dann wieder dicht an dicht stehend. Seit vorgestern heißt „nach Köln“ deshalb auch, nach dem 12.März 2016, nach einer Demonstration, die uns die Gewissheit einer starken, kämpferischen und bunten Solidarität unter Feminist*innen und Unterstützer*innen geschenkt hat. „Nach Köln“ bleibt der Eindruck von einem diversen Feminismus, der seine Stimme wiedergefunden hat und sie laut werden ließ, den Bahnhofsvorplatz samt Dom in eine lila Wolke hüllte und die klaren, unmissverständlichen Worte „Unser Feminismus ist antirassistisch – reclaim feminism!“, gemeinsam durch die Stadt trug – angeführt von einem beeindruckenden FLTI*-Block.

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Mittlerweile ist es lange her

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von Frau Raclette

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(c) Albert Byrd

Mittlerweile ist es lange her. Wir sehen uns häufiger, manchmal reden wir länger, manchmal grüßen wir uns auch nur flüchtig. Und es ist okay. Manchmal freue ich mich sogar, dich zu sehen. Nach all dem, was passiert ist, freue ich mich, dass wir gut miteinander auskommen. Das ist selten, denke ich mir, deshalb schätze ich es. Wenn ich an den einen Nachmittag denke, wird mir unwohl. Es hat geregnet. Wie passend, murmelt mein Kopf im Nachhinein ironisch. Du hast mir eine Nachricht geschrieben und gefragt, ob du etwas in meiner Wohnung für eine gemeinsame Freundin hinterlegen könntest. Klar, dachte ich mir, warum nicht. Ich war ja schließlich zu Hause. Es war kein großer Aufwand. Du kamst rein und gabst mir eine schwere Tasche. Ich schaute kurz rein und versicherte, dass ich es weitergeben würde. An unsere kurzen Begegnungen gewöhnt, dachte ich, dass du schnell wieder gehen würdest. Du gingst in die Küche, nahmst dir ein Glas Wasser und ließest dich auf dem Stuhl nieder. Ich lehnte mich an die Küchenzeile. Wir redeten zunächst über belanglose Dinge. Dinge, an die ich mich jetzt nicht mehr erinnern kann. Ich wurde unruhig. Warum bleibt er denn so lange, dachte ich mir. Ich fragte mich, ob ich irgendetwas falsch eingeschätzt oder falsch verstanden hatte. Plötzlich sahst du mich an und meintest, dass dir alles furchtbar leid tue. Dass es zwar lange her sei, aber, dass du dich ja nie dafür entschuldigt hättest. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her. Ich merkte, wie mein Herz stehen blieb und ich hatte das Gefühl, für einen Moment lang zu erstarren. Unsere Blicke trafen sich kurz, dann schweifte er mit seinen Augen ab und starrte auf den Boden. Wovon redete er jetzt? Meine Gedanken rasten in meinem Kopf. Natürlich wusste ich irgendwo, wovon er redete. Aber wollte ich überhaupt wissen, was er mir zu sagen hatte? Schweigen. Ich Continue reading Mittlerweile ist es lange her

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