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LOONCUP – Ein kritischer Kommentar

LOONCUP – Ein kritischer Kommentar published on 1 Kommentar zu LOONCUP – Ein kritischer Kommentar

von ThM

Vorab das Werbevideo der Kickstarter-Kampagne zur Produktion des LOONCUP.

Unbenannt
Looncup, Querschnitt mit Sicht auf die eingebaute Technik

Die Frau*, die sich aus dem Bett schält, ist jung, weiß und entspricht den normativen Schönheitsidealen unserer Zeit. Das kennt frau* soweit bereits, worin es jedoch scheinbar etwas Nachhilfe bedarf, ist der allmonatliche Zyklus und was könnte hierbei besser helfen als eine ausgeklügelte Kickstarter-Kampagne zur Revolutionierung der Menstruation?

Der sogenannte LOONCUP, „theworld’sfirst SMART mentrualcup“, wirbt momentan auf der bekannten fundraising-Website um Unterstützer*innen, die helfen sollen, eine Umsetzung des Projekts zu finanzieren. Die Technologie-Version der herkömmlichen Menstruationstasse soll dank Sensoren, Batterie und Antenne mit dem Smartphone vernetzt werden, um so die Periode zu optimieren und Frauen* in aller Welt helfen ihre Freiheit zurückzugewinnen – soweit zumindest das enthusiastische Werbeversprechen der Erfinder*innen. Die Sensoren sollen nicht nur in der Lage sein den Füllstand der Tasse zu messen und diesen direkt aufs Handy zu senden, auch eine Konsistenz- und Farbanalyse soll möglich sein, wodurch über Monate ein Menstruations-Muster gezeichnet werden und vor gesundheitlichen Veränderungen gewarnt werden soll.

Es könnte fast der Eindruck entstehen, dass diese Neuheit wirklich nützlich ist, hat das Smartphone uns doch schon in so vielen Lebensbereichen geholfen unser Dasein bequemer und effizienter zu gestalten.

Wieso ist da eigentlich nicht früher jemand drauf gekommen?Continue reading LOONCUP – Ein kritischer Kommentar

Von Kindesbeinen an

Von Kindesbeinen an published on 1 Kommentar zu Von Kindesbeinen an

von pepe

Street Harrassement. Slut Shaming. Nötigung. Und das dazwischen. Chiara, schreibe darüber, denke ich. Das kennst du nur allzu gut, wie so viele andere. Genau, der nächste Beitrag hat deine Erfahrung und deine progressive Abwehr, deine innere Stärke zum Inhalt. Und so mache ich mir beim Zähneputzen, beim Buswarten, beim Spülen Gedanken über den Einstieg, den Hauptteil, Spannungsbogen und stelle genervt und ermüdend stöhnend fest: die großen Erlebnisse sind so groß und ausgestellt, so absurd, dass sie als ausgedacht erscheinen. Sie sind so arg wiederholend und so ewig gestern, weil Street Harrassement und Nötigung und all dieser Scheiß so ewig schon da sind. In meinem Fall so 1990er, dass ich von meinen Erfahrungen berichten kann aus einer Zeit, in der meine i-Punkte noch Kringel waren, ich nicht wusste, ob ich mein Abitur schaffe und das Wort Schwangerschaft unter Freundinnen noch eine schlechte Neuigkeit.

 Wie auch immer.vergessen glaubt und dann

Hashtag

Ich gehe am Abend allein von meiner Wohnung aus zum Hauptbahnhof der Stadt. Nur die Hauptstraße runter, 10 Minuten. Ich gehe an einem jungen Mann so in den 20er vorbei. Er bemerkt mich, er grüßt mich, ich schaut ihn an, um festzustellen, ob ich diese grüßende Person kenne. Kenne nicht, ich gehe weiter, wortlos, kommentarlos. Doch meine Augen waren bereits gesehen. Sie ziehen Männer an wie Scheiße das Licht. Er folgt mir, ich ignoriert, Hi und neben mir. Du siehst gut aus, Schweigen, Willst du mit mir ausgehen, Nein. Er bleibt dran. Ich äußere ihm, dass er mich in Ruhe lassen soll. Hast du etwa einen Freund, Nein, Dann können wir uns doch treffen, wo liegt das Problem, Ich interessiere mich nicht – naiver Einfall – für Männer, Bist du lesbisch, Ja, und jetzt lass mich in Ruhe, Ich kann dir zeigen, was ein Mann kann, dann bist du nicht mehr lesbisch. Auf 50m vor uns steht ein Polizeiwagen am Bürgersteig, die zwei Beamten stehen neben ihrem Wagen, Ich sage: Siehst du den Wagen dort? So lange hast du Zeit mich in Ruhe zu lassen und zu gehen, Tust du das nicht, werde ich die Polizisten um Hilfe bitten. Zum ersten Mal in meinem Leben kommt meine schneidende Ruhe zum Ausdruck. Die geführte, schmallippige, Handknöchel knackende Entschiedenheit. Ich schaue den jungen Mann während meiner Worte nicht an, fixiere die Polizisten. Deswegen kann ich nicht sagen, an welcher Stelle meiner Ansage der junge Mann mich im wohl scharfen Rechtsmanöver verlassen hat. Ich gehe alleine an den Beamten vorbei. Schweigend. Bisher.

Hashtag

Ich sitze an einer Bushaltestelle am Nachmittag in einer Stadt, die etwa 250.000 Einwohner zählt. Ich warte auf den Bus, lese ein Buch – die 1990er, da wird Buch gelesen oder Löcher in die Luft gestarrt bis der Bus kommt. Die Bushaltestelle wurde so konzipiert, dass auf der einen Seite als auch der anderen Seite für die Gegenrichtung Busse anfahren können, Die Bordsteine und Haltestelleninseln waren nur für die Bushaltestellen gebaut, Hinter mir Straße und dahinter Bordstein und Lieferanteneingang für ein Bekleidungshaus und Vordereingang eines Jugendzentrums der Stadt, Auf der gegenüberliegenden Bushaltestelle führt eine Treppe hinunter zum Kanalweg. Das alles ist im Grunde völlig unerheblich.

An dieser gegenüberliegenden Bushaltestellte sitzt auf der Wartebank ein alter Mann. Ich ihm gegenüber auf einer Wartebank. Ich lese, er starrt Löcher, sonst niemand da. Nach einer Weile kommt der alte Mann mit Stock zu mir rübergewackelt und bleibt vor mir stehen, schaut mich an. Ich schaue auf und richte mich darauf ein, sogleich nach dem Stellen seiner Frage, auf die Armbanduhr zu schauen und ihm die genaue Uhrzeit anzugeben. Es sollte nur nicht um die Uhrzeit gehen, ich blicke ihn an. Er fragt mich, ich verstehe nicht, er wiederholt sich, ich blicke ihn an, hoffe ihn nicht zu verstehen, sein Deutsch ist doch so bröckelig. Aber doch, ich musste begreifen, was ich kosten würde, er wolle mich ficken. Dieser alte Mann mit sonnengegerbter runzeliger Haut und Stützstock fragt mich in einem Alter von 16 Jahren, ein Buch lesend, auf einer Wartebank am Nachmittag, wie viel Geld ich für’s Ficken verlange. Mit einer Ernsthaftigkeit, die seine Dringlichkeit ausdrückt. Ich bin perplex, ich bin alleine, die Sommerluft um mich herum wird sepia, weil sich diese Situation schon in diesem Moment auf meine Festplatte als Nie vergessen brennt. Im Leben nicht habe ich eine Vorstellung, was der Typ da gerade macht und will. Ich sage Nein, er wird aufdringlich. Es sei egal, was ich koste, Ich sage Nein, Er zahle, Ich sage Nein, Er geht schimpfend über die Straße zurück zu seiner Wartebank. Ich will weiterlesen, zurück zu der Situation, als ich nicht gefragt war. Er schimpft laut zu mir rüber. Ich sei eine Hure, Eine Schlampe, Er wolle mich eh nicht ficken, hässlich wie ich bin. Mein Buch dient mir nicht mehr, es ist nur noch ein bei Kochwäsche eingelaufenes Schild. Ich verstehe ihn. Deutlich. Es sind deutliche Worte. Er ist nicht verwirrt. Er ist sortiert. Er ist gezielt wütend auf mich und meine Absage. Ich schweige. Mein Bus kommt, ich steige ein. Schweigend. Bisher.

 erst nichts dann 500

 

 

Das alles gibt es auch mit Kinderschuhen. 

Hashtag.

Meine Eltern sind einkaufen, ich bin allein daheim. Nachmittag. Die Nachbarskinder spielen draußen. Wenn ich allein daheim bin, soll ich drinnen bleiben. Das Telefon klingelt, ich gehe ran. Schnurtelefon. 1990er eben. Ich habe gelernt, mich am Telefon mit Hallo zu melden. Jene*r Anrufer*in weiß, wer angerufen wird.

Acht Jahre: Hallo?

Stimme: (Schweigen. Schweres Atmen.)  

Acht Jahre: (den Hörer auf das Ohr gepresst, um herauszufinden, was das für unbekannte Geräusche sind.) 

Stimme: (außer Atem, stöhnend) Ich spüre meine Hand zwischen deinen Beinen!

Acht Jahre legt auf, verwirrt, verstört, voller Angst rennt Acht Jahre aus der Wohnung, klingelt bei den Nachbarn, der Nachbar-Vater macht auf und das Kind: Am Telefon-  (Schweigen.)

Mit weit aufgerissenen Augen, offenem Mund ohne Worte, stehend da, Tränen beginnen zu fließen. Vor Scham, vor Ekel, vor Angst Schuld daran zu sein. Das Kind schweigt, zum Verrecken werde ich nichts sagen. Es ist eklig. Der Nachbar-Vater fragt nicht, holt mich rein. Ich folge ins Wohnzimmer. Die Nachbar-Mutter ist auch da, ich setze mich zu ihr. Sie nimmt mich in den Arm. Keine Fragen. Der Nachbar-Vater geht weiter in den Garten, ruft seine Jungs rein. Anweisung auf türkisch, bei denen es um mich geht. Ich werde nicht weiter gefragt, was passiert ist, warum ich weine, ich werde beschützt. Ich bleibe in Sicherheit bis meine Eltern heim und mich abholen kommen. Von der einen Sicherheit in die andere Sicherheit. Lange hatte ich das Stöhnen in der lichtleeren Leitungsstille im Ohr und hauchendes Flüstern nicht ertragen. Schweigen. Bis ich 25 war. Es tat uns allen drein gut. Mamma, Papa, Kind.

erst nichts dann 500a

Hashtag Der Sportlehrer, der bei so vielen Umkleidekabine des Gebäudes stets durch die Mädchenumkleide die Halle verließ. Hashtag Der Sportlehrer, der die Hilfestellung in besonderer Weise den Mädchen mit Brüsten gab. Hashtag Die Klassen- und Vertrauenslehrerin, die uns zu bedenken gibt, dass sie im Lehrerzimmer ganz schön blöd dastünde, wenn sie unsere kollektive Beschwerde über den Sportlehrer aufgriffe. Hashtag Die Unsicherheit, die sich über die Jahre manifestiert, ob das alles wirklich passiert ist. Hashtag Die Kollegin, die sich in dein Hotelzimmer zurückzieht, weil der Chef auf der Dienstreise vor ihrer Zimmertür steht und Einlass fordert.  Hashtag Das Schweigen mit 29, wenn der ehemalige Sportlehrer an der Aldikasse hinter dir steht. Hashtag Die Tatsache, das fehlende Kondom und der misslungene Arschfick über fünf Jahre als „glimpflich davongekommen und vergessen“ und nicht als „sexuelle Gewalt und dagegen vorgehen“ verbucht zu haben. Hashtag Die Migräne, die vorgetäuscht wurde, weil die temporäre Unlust auf Sex als „Ich liebe dich nicht“ verstanden wurde. Hashtag Die traurige und stillschweigende Überzeugung asexuell zu sein, weil Sex nichts in mir auslöste bis jemand kam und gab, anstatt sich zu nehmen. Hashtag Im Krankenhaus nicht gynäkologisch untersucht zu werden, obwohl du halbnackt und halb bewusstlos in Begleitung eines Mannes in die Notaufnahme gebracht wurde, der sich als Bekannter ausgab. Hashtag Von einer Medizinstudentin im scharfen Ton den Tipp zu erhalten, daran gut zu tun, mir Gedanken über mein promiskuitives Leben zu machen,  anstatt mich körpergekrümmt, ob der Eileiterentzündung, in die Notaufnahme zu schleppen und ihre Zeit zu stehlen. Hashtag Mit acht Jahren nicht das heiratsfähige Alter erreichen wollen, weil sich zwei Freunde der Eltern den Spaß erlaubten, dir mitzuteilen, sie würden dich heiraten, wenn du alt genug bist, so gern hätten sie dich.

Das Glück, Eltern zu haben, die nicht müde werden, mir von klein auf zu sagen, dass allein ich über meinen Körper und meinen Willen verfüge. 

Thematisch weiterlesen:

Endlich zuhause – Mille Fleur

Antanzen und Abtanzen – Dunsany

Street Harassment und mein Erfolgserlebnis – Emmi Toja

Und mein Blick streift nur den Gehweg- Philine Feline

Ein offener Brief an all die Typen, die mein “Nein” nicht respektiert haben – myendnote

Ich stehe gleich auf. Nur noch fünf Minuten – Lilli Boheme

Mein Minirock und ich – Frau Fuchs

Chester Brown: Paying for it – Ich bezahle für Sex

Chester Brown: Paying for it – Ich bezahle für Sex published on Keine Kommentare zu Chester Brown: Paying for it – Ich bezahle für Sex

von Giovanna Gilges

WERKAUFBAU
Die englischsprachige Originalausgabe erschien 2011 bei dem kanadischen Verlag Draw & Quarterly unter dem Titel „Paying for it – a comic strip memoir of being a John.“[1] Die deutschsprachige Ausgabe erschien ein Jahr später unter dem Titel „Ich bezahle für Sex – Aufzeichnungen eines Freiers“ bei dem schweizerischen Verlag Walde + Graf.

Der erste Buchteil ist in sich abgeschlossen und bietet das Zentrum des Werkes, die Graphic Novel; klassisch eingebettet zwischen Vorwort und Nachwort.

Der zweite Buchteil bezieht sich auf die Graphic Novel, umfasst insgesamt 89 Seiten und ist ein gewichtiger Part des Werkes. Vor allem der Anhang und die Anmerkungen beinhalten diverses Hintergrundwissen bezüglich Browns Recherchen, politisch konnotierte Stellungnahmen und Ausführungen, sowie nachträgliche Erklärungen bezüglich einzelner Aspekte und kritische Momente in der Graphic Novel. Das Konzept eines Anhangs und der Anmerkungen nach der Graphic Novel taucht in „Paying for it“ nicht zum ersten Mal auf und wurde demnach nicht deswegen hinzu gebracht, um sich als Freier zu verteidigen oder ähnliches. Brown hat das Konzept bereits in „Riel“ verwendet und wird von ihm seitdem vorgesetzt. Die Graphic Novel kann unabhängig von diesem Buchteil gelesen werden.[2]

WORUM GEHT ES IN DEM WERK?
Die Graphic Novel stellt eine protokollierende Dokumentation dar, in der Chester Brown „alle Momente festgehalten“ hat, in denen er bis zum Jahr 2003 Kontakt zu Sexarbeiterinnen* hatte.[3] Der reflexive Faden in seiner Erzählung ist neben der Auseinandersetzung mit der Prostitution in aktiver Inanspruchnahme, die Suche nach einer für ihn lebbaren Definition von intimer Beziehung zu einer zweiten Person jenseits des gesellschaftlichen Konzeptes der romantischen Liebe. Jene romantische Liebe, der ein gewisser Besitzanspruch an einer anderen Person inhärent ist. Letztlich fand er die für ihn optimale Form in „a new kind of monogamy with his‚ special friend“.[4] Ausgangsmoment seines Prozesses war die damalige Trennung aus einer monogamen Liebesbeziehung mit Sook-Yin Lee[6]. Im Verlauf der Geschichte können Gespräche verfolgt werden, in denen unterschiedliche Ansichten zur ‚romantischen Liebe‘ vorkommen und zum Ende hin wird Browns individuelle Lösung auf den Punkt gebracht.

Auf den letzten Seiten der Graphic Novel also ziehen sich die Fäden des Prozess, welcher durch die Inanspruchnahme von Sexarbeit losgetreten wurde, zu einem Gewebe zusammen und eine geschliffene Definition einer für Chester Brown angebrachten alternativen Beziehungsform, die Sex beinhaltet, artikuliert sich.

“ Wenn ich also nicht gegen romantische Liebe bin, wogegen bin ich?
Ich bin gegen Monogamie mit Besitzanspruch. “[5]

Die Erzählungen seiner Treffen mit den 23 Sexarbeiterinnen* sind umrandet mit Szenen, in denen Brown mit seinen Freund*innen und seinem Bruder über die Prostitution, das Freiersein und der ‚romantischen Liebe‘ als gesellschaftliches Lügenkonstrukt diskutiert und debattiert; nennenswert darunter Sook-Yin Lee, Joe Matt[7] und Seth[8].

Wenn auch die Graphic Novel politisch motiviert ist, so gibt es konkret nur eine politische Diskussion über Legalisierung und Entkriminalisierung der Prostitution zwischen Chester Brown und seinem Freund Seth; gleichwohl sie die längste Szene der Graphic Novel mit insgesamt 46 Panels ist.

Brown verzichtet in der biographischen Erzählung komplett auf eingeschobene Reflexion, die seine damaligen Entscheidungen und Handlungen relativieren oder nachträglich erklären oder entschuldigen würden. Sämtliche Kommentare befinden sich im ausführlichen Anhang und den Anmerkungen.

DER ZEICHENSTIL
In „Paying for it“ radikalisierte Brown seinen minimalistischen Zeichenstil, der ihm mitunter vorwurfsvolle Kritik dahin einbrachte, dass er seinem Treiben und den Sexarbeiterinnen* emotionslos gegenüberstehe und die Sexarbeiterinnen* auf austauschbare Körper reduziere.[9]

Emotionen der dargestellten Charaktere lassen sich in den Gesichtern nur geringfügig ablesen, das stimmt. Insbesondere Browns Gesichtszüge erscheinen erstarrt. Brown erklärt, dass es ihm im Laufe der Jahre zunehmend unangenehm wurde, Emotionen abzubilden. Und dies ging soweit, dass er mitunter 30 bis 40 Seiten seiner Arbeit einfach verwarf, da er empfand, zu viel Gefühl in die Zeichnungen eingebracht zu haben.[10] Brown jedoch nutzt den minimalistischen Zeichenstil, um das Gewöhnliche an der Situation „bezahlter Sex“ darzustellen.[11]

Die emotionale Ausdrucksarmut kontrastiert die Emotion in Panel 195:8 umso mehr, in dem eine Gedankenblase dargestellt ist, in der Gewitterwolken mit Blitzen die über die Hälfte des Panels bedecken. Was auch Hinweis darauf gibt, dass er, obwohl äußerlich scheinbar emotionslos (weil gefasst und keine oder wenig Regung), die Gedanken unruhig weiterlaufen und er gar in Rage ist.
Als ein weiteres Beispiel besonderer Emotion ist Browns erste Erfahrung mit einer Sexarbeiterin zu erwähnen. In den Panels 48:7-49:2 stellt Chester Brown mit Sinnlichkeit fest, dass ihm durch das Erlebnis eine Last abgefallen und nie zurückgekehrt seit, die er seit seiner „Jugend herumtrug“. Im Panel 49:1 sieht man Chester Brown gewisserweise zwischen zwei Textpanels, mit dem Fahrrad wegfahren, wie ein Junge, der es aufgeregt eilig hat nach der Schule heimzufahren.

SCHUTZ DURCH ANONYMISIERUNG – Künstlerische Lösung
Im Vorwort bemerkt Brown, dass er sich mit vielen der Frauen unterhalten hat und sie ihm auch Privates von sich mitteilten. Er bedauert, dass er aufgrund der Schutzmaßnahmen vieles davon nicht hat in die Geschichte einfügen können und weist darauf hin, dass er die privaten oder individuellen Inhalte der Frauen auf ein Minimum reduzieren oder gänzlich weglassen musste. Wenn er etwas von deren Leben preisgibt, so „sind diese Details entweder banal, oder sie betreffen ihre Arbeit.“[12] Und auch die Ansichten, die er die Frauen aussagen lässt, seien solche, die verbreitet sind.
Um die Identität der Sexarbeiterinnen* zu schützen, hat Brown in der Darstellung der Frauen mehrere künstlerische Vorsichtsmaßnahmen eingesetzt und verzichtete dabei auf alles, „was ihre Identität möglicherweise enthüllen könnte“[13]. Weiter änderte er die Berufsnamen der Frauen. Auf der physischen Ebene zeichnete er die Frauen so weit wie sie erschienen, ließ aber sehr wohl besondere Details wie Tättowierungen oder Narben und ähnliches aus, die besonders hätten identifizieren lassen können. Ebenfalls hat er die Frisuren der Frauen geändert und alle sind sie in der Graphic Novel einheitlich schwarzhaarig. Weiter entschied sich Brown, an den dargestellten Personen keine ethnische Unterscheidung ausmachen lassen zu können. [14] Die auffälligste Vorsichtsmaßnahme ist die, dass die Gesichter der Frauen dem Lesenden ausnahmslos abgewendet sind. So sind die Frauen optimal zensiert und lässt sich jegliche Vermutung über die Identitäten der Frauen verwehren.

DER VORWURF DER OBJEKTIVIERUNG DURCH ANONYMISIERUNG
Der Tenor der wenigen kritischen deutschsprachigen Stimmen der Graphic Novel, interpretiert die abgewendeten Gesichter der Sexarbeiterin als Gesichtslosigkeit und damit als bloße Objektivierung vonseiten Brown:

Auf der einen Seite schützt Brown so ihre individuellen Identitäten, auf der anderen Seite reduziert er sie damit erst recht zu einer Art austauschbarem Objekt ohne eigenen Geist. Wer A sagt, muss auch B sagen. Stattdessen nimmt Brown den leichtesten Ausweg und zieht sich auf das Schutzargument zurück.“ [15]

Gefolgt von den üblichen Ausbeutungstiraden über Freier. Auf die Kritiken im Einzelnen einzugehen, lohnt nicht weiter, da sie von oberflächlicher Auseinandersetzung mit der Graphic Novel zeugen sowie der*s Sexarbeiter*in als soziale Realperson innerhalb unserer Gesellschaft. Liest mensch die Graphic Novel aufmerksam, so kann festgestellt werden, dass die Frauen dezidierte Charaktereigenschaften besitzen, die Brown in der Lage ist, in den Szenen zu porträtieren. So erfahren wir auf den Panels 60:7-67:3 von einer unangenehmen Situation, in der sich Brown gegenüber einer Sexarbeiterin nicht angemessen verhielt und sie – Carla – es ihm deutlich machte. In dieser Szene gefällt Carla das Vorgehen von Brown nicht, wie er versucht, seinen Orgasmus hinauszuzögern und sie im Zuge dessen solange penetriert, dass es ihr mittlerweile Schmerzen bereitet. Sie teilt es ihm einmal fragend mit und kommuniziert dann beim zweiten Mal auch die Schmerzen. Brown verstellt sich beide Male unwissend über seine Intention, die den beiden aber in diesem Moment völlig klar ist. Carla bricht den Sex ab und verlässt verstimmt den Raum in Richtung Badezimmer. Während Brown sich anzieht, kommt sie, die vorige Situation ansprechend zurück. Sie gehen beide mit der Situation um. Nicht nur, dass Carla ihren Unmut geäußert hat, sie hat sogar die Sexhandlung selbstbestimmt abgebrochen und Brown hat es akzeptiert.

Die Sexarbeiterinnen*, die Brown mehrmals besucht, kann mensch sogar ein wenig besser „kennenlernen“ und einen Einblick erhalten, wie Freier und Sexarbeiterin* sich unterhaltend austauschen. Auf den Panels 103:2-4 lässt Brown die Sexarbeiterin Anne erzählen, wie sie zur Sexarbeit gekommen ist, später auf 108:1-109:2 unterhalten sie und Brown sich über ihre persönliche Arbeitsrealität. Selbige ist bereits im vorigen Kapitel Charakter geworden, indem Brown sie und sich über Comics und andere Themen reden ließ. Auf 120:8-181:4 wird von ihrer Menstruation am Tag ihres ersten Kunden erzählt (Menstruationsschwämmchen). Anne wurde einige Male besucht und mensch erfährt immer mehr über sie; auch erhält mensch einen Eindruck von der entspannten Vertrautheit, die sie und Brown genießen. Und auf 121:6-122:1 was sie in der Wartezeit zwischen ihren Kunden macht. Oder auch Wendy, die durch ihre Fahrigkeit auffällt und dabei versucht, diese mit ihrem Charme zu übertünchen (123:4, 115:5). Daneben wirkt die später auftauchende Diane zwar ebenfalls fahrig und unsortiert, aber auf eine andere Weise als Wendy, eher abwesend (127:2-129:7). Bemerkenswert ist auch ein längeres Gespräch über 31 Panels zwischen Brown und Edith, in dem sie zum Einen über das Konzept der „romantischen Liebe“ sprechen und über die Abwertung und Aufwertung von Bezeichnungen der Sexarbeiterin sowie das Selbstverständnis von Edith[16], wobei sie bei beiden Themen konträrer Meinung sind (197:4-201:2). Jede einzelne Sexarbeiterin ist, orientiert an der Häufigkeit und Dauer der Treffen, individuell charakterisiert, in allen Fällen sind sie untereinander nicht verwechselbar; ebenso wie die einzelnen Treffen sich keines Mal gleichen. Der Vorwurf, Brown objektiviere die Frauen und mache sie ersetzbar, sollte damit vorläufig widerlegt sein.

Ich bezahle für Sex, 63:1-8

Im Übrigen sei erwähnt, dass solche Vorgehensweisen zur Anonymisierung von Personen in Forschungsprozessen an und mit der Person zur Grundlage gehört und in Deutschland unter anderem durch das Datenschutzgesetz reglementiert sind. Besonders Akteur*innen der Sexarbeit, die einer überaus hohen Stigmatisierung und Kriminalisierung ausgesetzt sind, muss ein Schutz garantiert werden, der sich mitunter darin äußert, sämtliche Personen zuschreibende Informationen zu anonymisieren. Brown als Künstler hat demzufolge eine beispielhafte künstlerische Lösung entwickelt und umgesetzt, eine Anonymisierung der Person zu ermöglichen und dennoch im angemessenen Umfang Aussage und Erzählung zu schaffen.

Kritiker*innen, die fordern, den Sexarbeiterinnen* in der biographischen Graphic Novell mehr zuschreibende Details zu geben und deren Gesichter einfordern, fordern, den Datenschutz von Personen zu ignorieren, um einen doppelmoralischen Voyeurismus zu befriedigen!

MEINE BEURTEILUNG
Die Graphic Novel ist aus historischer, rechts-politischer und für die Debatte der Prostitution relevanter Sicht – kurz: aus fachlicher Sicht – ein wertvolles zeitgeschichtliches Dokument, welches die dynamische Entwicklung der Prostitution über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten erzählt. Aus einer Perspektive, von der äußerst selten so detailiert und ehrlich mitgeteilt wird. Brown ermöglicht einen nachvollziehbaren Einblick in die aufwändigen Vorsichtsmaßnahmen vonseiten der Sexarbeiterinnen*, um sich vor der Exekutive zu verstecken. Und auch, wie beispielsweise das Internet langsam zum Bestandteil der Akquise vonseiten des Kunden als auch der Sexarbeiterin* wird. So sieht der Leser Brown im Laufe der Zeit häufiger in Internetcafés. Die Suche und Überprüfung der Sexarbeiterin* verlagert sich allmählich von der anfänglichen Printanzeige und dem Telefongespräch zu Webpräsenz, Freierkritik und Telefonabsprache. Genauso lässt sich in der Biographie beispielweise auch zeitlich festmachen, wann die neue Erwartung des Kunden nach „mehr Gefühl und echter Lust“ (bewiesen am Küssen und Oralverkehr ohne Kondom) in das Angebot mancher Sexarbeiterinnen* Einzug erhielt.[17] Das Werk ‚Paying for it‘ ist ein Goldstück von „O-Ton-Dokument“.

Dave Gilson bringt im Vorwort seines Interviews über die Figur Chester Brown auf den Punkt, dass Brown „[a]s the public face of the usually anonymous sex client, […] doesn’t come off as a pervert or a predator. Nor is he the rational actor he thinks he is.”[18] Mit für Brown typischen schonungslosen Ehrlichkeit, schafft er es, den Freier weder bloß zu stellen, noch zu verteufeln, aber auch nicht zu romantisieren. Er bringt es in seiner Graphic Novel und mit seiner Person fertig, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass ein Freier, ein beliebiger Bürger sein kann und nahezu immer ist; und besonders wichtig, eine Person stets im reflektierendem Prozess seiner selbst.

Brown ermöglicht dem Leser, anhand seiner Person den unsichtbaren „Dämon“ Freier kennenzulernen. Wohlbemerkt, der Leser lernt nur einen Freier kennen, nämlich Brown. Sein Initialmoment, seine vorsichtigen und auch besorgten Versuche, Kontakt zur Sexarbeit zu erhalten und die ersten Erfahrungen und dabei aufkommenden Unsicherheiten, Überlegungen, Zweifel und sich entwickelnden Strategien, aber auch Fehlverhalten können als beispielhaft betrachtet werden, für einen vermutlich nicht unerheblichen Teil der unregelmäßigen und regelmäßigen Kunden von Sexarbeit in den Industrieländern. Dadurch macht Brown sowohl die Figur Chester Brown als aber auch ‚den Freier‘ zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit mit Vorgeschichte und einem realen Lebensprozess mit Erkenntnisgewinn.

Die Kommentare und Ansichten im zweiten Buchteil, scheinen seine Kenntnisse und direkten Auseinandersetzungen und Erfahrungen wiederzugeben. Er bleibt persönlich und im Rahmen der Möglichkeiten eines Comiczeichners, der Freier/Akteur ist und als Politiker auftritt. Diese Herangehensweise und die Selbstdarstellung Browns ermöglichen einer Leserschaft, sich mit ihm auf Augenhöhe begegnend auseinanderzusetzen, sich auch noch einmal auf Ebene der Debatte mit ihm zu identifizieren und/oder sich an ihm abzuarbeiten. In jedem Falle bietet er an, sich (gerne auch ihm gegenüber) zu positionieren, sowie, die eigene Einstellung und den eigenen Kenntnisstand zu reflektieren.

Durch sein Medium und aufgrund seiner relativ einfachen Sprache, ist Brown vermutlich in der Lage, einen Personenkreis zu erreichen und abzuholen, den zu erreichen sonstige Aufklärungseinsatzbemühungen von Vereinen, Institutionen und Expert*innen mitunter schwerer fällt bzw. schwerer fallen kann. Die Debatte um den Freier kann durch Brown. Werk nun zum Geburtstag und zu Weihnachten unter dem Tannenbaum verschenkt werden.

Das Werk ist kein umfassendes Werk zur Aufklärung und bedingt seiner spezifischen künstlerischen Fachkompetenz und seinem politisches Selbstverständnisses, ist Brown – so muss festgehalten werden – eingeschränkt in der theoretischen und sachlichen Darlegung des Komplexes Strukturelle Prostitution und der Debatte. Doch darf auch nicht vergessen werden, dass mitnichten die Aufgabe dieses Werkes sein kann und darf. „Paying for it“ ist eine autobiographische Graphic Novel eines Mannes, der erzählt. Aus seiner eigenen, äußerst persönlichen Perspektive als Freier und dabei geradezu zufällig ein begnadeter und verantwortungsbewusster Künstler und hinzu kanadischer man of politics. Die Verantwortung von diesem Werk und von Brown zu verlangen, mit dem Werk durchdringend politisch neutral zu sein und souverän in der Theorie, zeugt, meiner Ansicht nach, von Mangel an alternativer Literatur und einem immer noch misstrauischen und/oder fehlenden Dialog auf Augenhöhe mit den Freiern der eigenen Gesellschaft.

Trotz der oben aufgezeigten Schwächen besonders des zweiten Buchteiles, bin ich weit fern der Verurteilung, mit den Anmerkungen handele es sich um Formulierungen und imperative Positionen, die die sachliche und intellektuelle Debatte gefährden. Wenn auch Schwächen offensichtlich vorhanden sind, so zeugen die Anmerkungen von reflektierter Auseinandersetzung und können durchaus und sogar auf gute Weise für die Leserschaft verschiedener Idealtypen verwendet werden, um für unterschiedliche Anliegen verwendet zu werden, sich daran abzuarbeiten. Darüberhinaus betrachte ich gerade auch die kritischen Textstellen in dem zweiten Buchteil als hervorragendes Material für didaktische und pädagogische Konzepte in reflexiven Bildungskontexten. Bei reflexiven Bildungskonzepten spreche ich besonders an, dass die genannten Textstellen des Werkes in kulturpädagogischen sowie sex- und genderpädagogischen Bildungskonzepten hohen Wert besitzen. Als einfaches Beispiel kann hier Browns eingeschränkter und kurzsichtiger Gewaltbegriff herhalten, der dann kritisch zum Tragen kommt, als er den Standpunkt vertritt, es sei keine Belästigung, auf offener Straße gefragt zu werden, „ob man für 20 Dollar einen geblasen bekommen will“, sondern es schlicht eine Frage sei.[19] Seine Schlussfolgerung, begründet sich, so meine Interpretation, mitunter auf mangelnde Abstraktion seines eigenen persönlichen Empfindens und dem Ausklammern von sprachlicher Gewalt.

Ich bezahle für Sex, 7/der Einfluss des Geldes, S. 245

 

Fußnoten:
[1] umgangsprachlich: Freier, Prostitutionskunde
[2] Grace/Hoffman (Mc Gillis), S. 215
[3] Vgl. Brown, S. IX
[4] Grace/Hoffman (Köhler), S. 210
[5] Brown, 224:4-224:5
[6] In Deutschland vorrangig bekannt geworden durch den Film Short Bus, 2006. Rocksängerin, Rundfunkmoderatorin, Filmschauspielerin, -regisseurin, Drehbuchautorin.
[7] Peepshow-Comics, dt. Ausgabe 2007
[8] It’s a good life, if you don’t weaken, 2003
[9] Vgl. u.a. Göllner, Schmitz-Dräger / Bereuter / Hetzler (2012, 2014)
[10] Vgl. Adams
[11] Vgl. Hays
[12] Brown, S. X
[13] Ebda., S. X
[14] Vgl. ebda., S. X-XII
[15] Hetzler (2012)
[16] Edith will einen Unterschied verstanden wissen, zwischen Sexarbeiterin und ihr als Escort, um ihre Selbstbestimmtheit hervorzuheben; für sie sind Sexarbeiterin Opfer, die zum Sex gezwungen werden (Panels 199:2-199:6).
[17] Siehe dazu „leidenschaftliche Küsse“ in Brown, 170:1-8 und 207:3
[18] Grace/Hoffman (Gilson), S. 229
[19] Vgl. Brown, S. 279

Quellen/Literatur/Links:
ADAMS James (2011): A panel-by-panel of Chester Brown’s graphic style http://www.theglobeandmail.com/arts/books-and-media/a-panel-by-panel-of-chester-browns-graphic-style/article634961/, Abrufdatum 20.03.2015

BEREUTER Zita (2012) auf FM4: What the Fuck? http://fm4.orf.at/stories/1696458/ Abrufdatum 02.02.2015

GRACE/HOFFMAN (Hg.): Chester Brown. Conversations. University Press of Mississippi. Autoren: Köhler, McGillis, Gilson 2013 http://www.jstor.org.stable/j.ctt2tvpf9 Abrufdatum 08.01.2015
GÖLLNER/SCHMITZ-DRÄGER auf tagesspiegel (2012): Auf Freiersfüßen http://www.tagesspiegel.de/kultur/comics/debatte-auf-freiersfuessen/6479254.html Abrufdatum 02.02.2015

HAYS: Honest John: Chester Brown on his Penchant for Prostitutes in his Memoir Paying for It.
Montreal Mirror 2011

HETZLER Peter auf comickunst (2012): Ich bezahle für Sex https://comickunst.wordpress.com/2012/03/14/ich-bezahle-fuer-sex/ Abrufdatum 02.02.2015

HETZLER Peter auf joyclub (2014): „Fuck“ und „Ich bezahle für Geld“. Die eigenwillige erotische Welt des Chester Brown. http://www.joyclub.de/erotische_literatur/fuck_und_ich_bezahle_fuer_sex.html Abrufdatum 02.02.2015

Und es ist doch politisch!

Und es ist doch politisch! published on Keine Kommentare zu Und es ist doch politisch!
von Käthe

Wenn ich im Supermarkt vor dem Obst stehe, habe ich viele Optionen. Die Bananen zum Beispiel: Ich kann einfach bei den günstigsten zugreifen und ab zur Kasse damit. Ich kann aber auch die Fairtrade-Bananen wählen und ein paar Cent mehr dafür bezahlen oder ich lass es einfach mit den Bananen und kaufe ein paar Äpfel aus NRW. Und warum entscheide ich mir für die eine oder andere Option? Weil ich es gewohnt bin, weil ich gestern erst ein Artikel über die Ausbeutung auf Bananenplantagen gelesen habe, weil ich die lokalen Obstbauer unterstützen möchte und meinen CO2-Fußabdruck klein halten möchte. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die kleinsten Entscheidungen im Leben auch politisch sein können und es mir auch in den kleinen Fragen wichtig sein kann, für mich die richtige Entscheidung zu treffen.
Jetzt erscheint es mir allerdings sehr anstrengend jede Frage im Alltag politisch auszuhandeln. Ich habe aber gemerkt, dass mir manche Fragen wichtiger geworden sind, als andere Fragen. Warum? Irgendwie habe ich sie mir mal bewusst gemacht, habe was gelesen und mir überlegt und möchte in diesen Fragen für mich politisch handeln. Also kaufe ich Fairtrade-Bananen (wobei ich auch gelesen habe, dass die Zertifizierung von Fairtrade-Produkten eine nicht so eindeutige Sache ist).Photo: Chiara Fabri
So wie ich mir mal irgendwann über Bananen Gedanken gemacht habe, habe ich auch mal über meine Vorstellungen von Familie und Elternsein Gedanken gemacht. Hier ist aber auch anzumerken, dass ich keineswegs einen Gedankenprozess abgeschlossen habe, sondern dieser immer in Bewegung ist und neu ausgehandelt wird. Aus meinem Gender Studies Studium habe ich natürlich viele interessante Diskussionen zu Themen mitnehmen können, die sich auf viele vermeintlich private Bereiche beziehen. Leider arbeite ich aktuell nicht in einem Betrieb, in dem ich irgendwie meine Erkenntnisse aus den Gender Studies beruflich anwenden könnte. Aber das ist ok. Ich merke aber, dass die Erkenntnisse, die ich aus meinem Studium gewonnen habe, ganz klar Einfluss auf mein ganz privates Leben haben. Und bestimmte Entscheidungen, die ich treffe oder treffen werden, sind für mich politisch. Kinder oder keine Kinder? Rosa und hellblau oder eben nicht? Karriere- oder Hausfrau? Auto oder Fahrrad?
„Das Private ist politisch!“ Mit diesem Spruch starteten die Feministinnen in den 70ern eine Bewegung für mehr politische Aufmerksamkeit in Sachen häuslicher Gewalt oder auch Schwangerschaftsabbrüchen. Sie wollten Themen in politischen Fokus rücken, die bislang übersehen wurden. Sie starteten sozusagen ihre Aufschrei-Aktion und sprachen auf einmal über Tabuthemen. Dies war ein wichtiger Schritt für die Gesellschaft und Politik überhaupt ein Bewusstsein für feministische Themen zu entwickeln. Bis heute sind die Themen von damals auf der Agenda der Politik.
Kürzlich ist mir in einem Gespräch aufgefallen, dass es heute aber doch nicht so selbstverständlich ist, das Private auch als politisch zu betrachten. Also wenn die Feministinnen der 70er das Private ins Politische transportieren konnte, dann kann ich auch das Politische in mein Privates übertragen. Wenn ich möchte. Klar ist das vielleicht anstrengend und auch für meine Mitmenschen in meinem Umfeld eventuell befremdlich. Aber durch meine Entscheidungen kann ich doch eine Gesellschaft mitgestalten, in der ich leben möchte, beziehungsweise auch einen IST-Zustand kritisieren. Vielleicht hört es sich für manche naiv an. Mein Leben ist aber immer ein bisschen Politik.

Meine Beziehung zu Kleidungsstücken. Ein historischer Abriss.

Meine Beziehung zu Kleidungsstücken. Ein historischer Abriss. published on Keine Kommentare zu Meine Beziehung zu Kleidungsstücken. Ein historischer Abriss.

von Svenja Gräfen
mit Zustimmung reblogged von svenjagraefen.de

Meine Freundin Ninia moderiert seit einer Weile eine Fashion-Sendung, und ich bin gerade dabei, Leggings mit Feuerwerksprint und andere lustige Kleidungsstücke (hauptsächlich wärmende und regensichere, aber das ist eine andere Geschichte) fürs Fusion Festival in meinem Rucksack zu verstauen. Grund genug, sich mal ein bisschen mit dem Thema Mode zu beschäftigen.

Ich mag Mode. Streifzüge durch Second-Hand-Läden machen mich glücklich. Obwohl ich nicht unbedingt die Ahnung habe, was in welcher Saison wie doll angesagt ist, liebe ich das Herumprobieren, die Kombination unmöglicher Teile und Muster und gelebte bzw. getragene Hommagen an vergangene Jahrzehnte.

Das war nicht immer so. Bis vor ungefähr sechs Jahren machte ich einen großen Bogen um die gesamte Thematik. Und das, obwohl alte Fotos sowie meine Eltern mir einen äußerst eigenwilligen Kleidungsstil in frühester Kindheit bestätigen. Die 90er kamen damals bereichernd hinzu, und so trug ich mit Vorliebe knallbunte Leggings, Spitzenkragen, Lackschuhe, halluzinogene Muster und posierte vorm Spiegel. Der Zustand endete, als ich etwa 10 Jahre jung war; von da an überzeugte ich mich und mein Umfeld deutlich davon, dass ich Kleidung, Shopping und dieses ganze Gedöhns fürchterlich abstoßend fand. Als Teenager trug ich Jeans, Hemden und Chucks, benutzte allenfalls mal einen Kajalstift oder eine Haarbürste. Ein Kleid, Nagellack oder gar eine Frisur? Völlig undenkbar.

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